"Die Rute und der Tadel geben Weisheit"

Per Gesetz sollte im März dieses Jahres die körperliche Bestrafung von Kindern mit Behinderung im US-Bundesstaat Oklahoma generell verboten werden. Bibeltreue Christen haben dieses Gesetzesvorhaben jedoch zu Fall gebracht.

Nach der föderalen Verfassung der Vereinigten Staaten sind alle Bundesstaaten an ein Gesetz über die Bildung von Menschen mit besonderen Bedürfnissen ("Individuals with Disabilities Education Act" – im Folgenden kurz: IDEA) gebunden, dessen Hauptanliegen es ist, diesen Kindern eine kostenlose und angemessene Bildung zu ermöglichen. Aber jeder Bundesstaat der USA darf selbst festlegen, ob Kinder in öffentlichen Schulen körperlich bestraft werden dürfen. Vor kurzem haben Abgeordnete in Oklahoma unter Bezugnahme auf die Bibel die Erlassung eines Gesetzes verhindert, mit welchem die körperliche Bestrafung von Kindern, die unter das IDEA fallen, hätte verboten werden sollen.

Vorweg ist klarzustellen: Es ist immer unerträglich, wenn Kinder körperlich gezüchtigt werden, egal ob das Kind besondere Bedürfnisse hat oder nicht. Jede körperliche Bestrafung stellt eine Verletzung der Rechte von Kindern auf Achtung ihrer körperlichen Unversehrtheit und Menschenwürde dar. Die WHO beschreibt zahlreiche negative Folgen für die Entwicklung des Kindes. Psychische Erkrankungen, einschließlich Verhaltens- und Angststörungen, Depressionen, Hoffnungslosigkeit, geringes Selbstwertgefühl, Selbstverletzung und Suizidversuche, Alkohol- und Drogenabhängigkeit, Feindseligkeit und emotionale Instabilität, die bis ins Erwachsenenalter andauern, sind nur einen kleiner Teil möglicher Entwicklungsstörungen.

Generell ist die Zufügung von Schmerzen als Strafe grausam, inhuman, menschenverachtend und daher unbedingt zu verbieten. Dass diese Sichtweise auch den Menschen in den USA nicht fremd ist, beweist die Tatsache, dass körperliche Züchtigung in den militärischen Ausbildungszentren verboten wurde und sie auch nicht mehr als Sanktion für ein Verbrechen vollstreckt werden darf. Aber 19 Bundesstaaten der Vereinigten Staaten erlauben noch immer Körperstrafen für Schüler in öffentlichen Schulen.

Die nachfolgenden Statistiken sind vom Büro für Menschenrechte des US-amerikanischen Bildungsministeriums erstellt worden, beruhen also auf Daten, die von den Schulbehörden gemeldet wurden: Im Schuljahr 2017/2018 sind in den USA 69.492 Kinder in öffentlichen Schulen körperlich gezüchtigt worden. Die Mehrheit dieser Schüler lebte im Süden der Vereinigten Staaten. Jungen wurden 4,0-mal häufiger körperlich bestraft als Mädchen. "Black students" (so die Wortwahl der Studie) haben nach der Erhebung ein 2,3-mal höheres Risiko, eine Körperstrafe zu erhalten, als "white students". Für Kinder, die an einer Behinderung leiden, ist die Situation besonders schlimm: Sie sind bei der körperlichen Bestrafung überrepräsentiert. Während ihr Anteil an den Schüler:innen insgesamt 13,2 Prozent betrug, fielen 16,5 Prozent der körperlichen Züchtigungen allein auf sie.

In Oklahoma ist physische Bestrafung von Kindern mit besonderen Bedürfnissen an öffentlichen Schulen nur dann gesetzlich verboten, wenn das Kind an den "bedeutendsten kognitiven Behinderungen" leidet. Aber selbst in diesem Fall dürfen Erziehungsberechtigte eine Verzichtserklärung abgeben, die Lehrern die Anwendung von Körperstrafen auf diese Kinder ermöglicht. Unter körperlicher Züchtigung versteht der Gesetzgeber in Oklahoma das "absichtliche Zufügen körperlicher Schmerzen durch Schlagen, Paddeln [Anm. d. A.: Damit ist das Schlagen mit einem Züchtigungsinstrument, meist aus Holz, auf das Gesäß des Schülers gemeint], Spanking, Ohrfeigen oder jede andere physische Gewalt, die als Mittel der Disziplin eingesetzt wird."

Mit einem Änderungsgesetz sollte im März dieses Jahres die körperliche Bestrafung von Kindern mit besonderen Bedürfnissen in Oklahoma generell verboten werden. Auch die Möglichkeit der Eltern, die körperliche Bestrafung ausdrücklich zu erlauben, sollte abgeschafft werden. Gläubige Christen haben dieses Gesetzesvorhaben jedoch zu Fall gebracht. Auf der Website von Today.com ist ein Tweet mit einem kurzen Video über die Debatte abrufbar. Im Video ist ein republikanischer Abgeordneter zu sehen, der die Bibel zitiert: "Die Rute und der Tadel geben Weisheit, aber ein sich selbst überlassenes Kind bringt seine Mutter in Schande." Folgt man dem Ersteller des Tweets auf Twitter, so stößt man auf ein weiteres Video mit diesem Abgeordneten. Der Republikaner berichtet über ein Telefonat mit einem verärgerten Wähler, der ihm erklärt habe, dass sein Kind mit besonderen Bedürfnissen nicht auf positive Motivation, aber sehr gut auf körperliche Bestrafung reagieren würde. Das Verhalten des Kindes habe sich aber verschlimmert, seit es in der Schule nicht mehr körperlich gezüchtigt werde.

Die Erziehungsmethode, die der Republikaner hier zitiert und propagiert, stammt aus dem Buch der Sprüche (siehe Spr 29,15; vgl. auch 29,17 "Züchtige deinen Sohn, so wird er dir Ruhe verschaffen und deinem Herzen Freude machen" oder 22,15 "Steckt Torheit im Herzen des Knaben, die Rute der Zucht vertreibt sie daraus"), ist also vermutlich – die Historiker sind sich im Detail uneinig – einige Jahrtausende alt! Was aber kümmert den Republikaner moderne Erziehungswissenschaft, warum die vielen Studien über lebenslange Traumata lesen, weshalb sich mit den Errungenschaften der Sonderpädagogik befassen, wenn doch die Heilige Schrift selbst die Gerte für das Kind empfiehlt? Es ist nicht nötig, die Experten oder die Betroffenen zu hören, da Gott es anders wollte, denken sie.

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