Kommentar

Zwei Tiefschläge an einem Tag – auch für den Säkularismus

Gestern überschlugen sich die politischen Ereignisse: Donald Trump wurde erneut zum Präsidenten der USA gewählt und in Deutschland zerbrach die "Fortschrittskoalition". Was das für säkulare Anliegen bedeutet – und für alles andere.

Der gestrige Tag begann und endete mit Fassungslosigkeit. Es fühlte sich an wie lebendig gewordene Momente aus dem Geschichtsbuch. Die, bei denen man sich hinterher fragt: Wie konnte es so weit kommen? Wie hat das alles angefangen?

Vielleicht ja genau so: Menschen wählen aus einem diffusen Gefühl der Unzufriedenheit mit der Gesamtsituation heraus einen unberechenbaren, vorbestraften Disruptionisten, den die Welt schon einmal vier Jahre lang ertragen musste. Diesmal kann niemand behaupten, man wüsste nicht, worauf man sich da einlässt. Nicht einmal die Nichtanerkennung einer verlorenen Wahl, ein Umsturzversuch und eine Verurteilung waren für eine Mehrheit der US-Amerikaner Grund genug, eine solche Person nicht erneut mit dem mächtigsten Amt der Welt zu betrauen. Andere Politiker mussten schon für viel weniger Ämter räumen. Die Menschen haben ihn trotzdem gewählt. Und zwar so, dass überraschend früh und deutlich ein Wahlsieg Donald Trumps feststand. Man hatte mit einem viel knapperen Wahlausgang gerechnet.

Trump kann nun da anschließen, wo er schon im Januar 2021 gerne weitergemacht hätte: An der Aushöhlung der amerikanischen Demokratie. Denn genau das will der autoritäre und christlich-nationalistische Masterplan der neuen republikanischen Amtszeit, genannt "Project 2025". Das Papier ist bekannt, niemand kann sich hier hinter Unwissenheit verstecken. Adrian Beck hatte das Programm bereits in einem zweiteiligen Text für den hpd beschrieben (hier und hier): Bis zu 50.000 Personen, die aktuell für den Staat arbeiten, sollen gegen gesinnungsgeprüfte Konservative ausgetauscht werden. Die Ehe für alle soll es nicht mehr geben, das Bundesbildungsministerium abgeschafft werden, "das erste und letzte Bollwerk der säkularen öffentlichen Schulen". Es könnte ein bundesweites Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen drohen.

Und als wäre das nicht schon genug für einen Tag gewesen, zerbrach am Abend noch die Koalition in Deutschland. Ja, man hatte sich viel gestritten (was man auch mal als Merkmal einer lebendigen Demokratie hätte betrachten können), hatte sowieso wenig Grundkonsens und doch hielt der Laden drei Jahre lang, obwohl die Opposition in Dauerschleife das Ende der Ampel herbeiredete. Und dann suchte sich der die meiste Zeit über kaum sichtbare Kanzler ausgerechnet den vielleicht verantwortungslosesten Moment seiner Amtszeit aus, das Ganze hochgehen zu lassen: An dem Tag, an dem man Einigkeit hätte demonstrieren müssen, als Land, als Europa, gegenüber der Schutzmacht, die vielleicht bald keine mehr ist, gegenüber den machthungrigen Despoten im Osten, wurde stattdessen ein Machtvakuum in der Bundesrepublik erzeugt. Für die Autokraten dieser Welt, die seit langem erfolgreich an der Destabilisierung des Westens mitwirken, dürfte es sich wie Weihnachten und Geburtstag an einem Tag angefühlt haben. Die Rechtspopulisten und Konservativen reiben sich schon die Hände. Denn wenn nun die Vertrauensfrage gestellt wird und bald Neuwahlen hierzulande stattfinden, ist ein Unionskanzler sicher, der von einer starken AfD und einem selbstbewussten BSW vor sich hergetrieben wird.

Hatte man in säkularen Kreisen große Hoffnungen auf die aktuelle Koalition gesetzt (nicht umsonst lautet die politische Agenda des Zentralrats der Konfessionsfreien "Säkulare Ampel"), so dürfte das Momentum für eine konsequentere Trennung von Staat und Kirche nun schneller vorbei sein als gedacht. Große Hoffnungen hatte man noch auf eine Streichung des Abtreibungsparagrafen 218, eine Abschaffung des kirchlichen Arbeitsrechts gesetzt, es gab einen neuen Anlauf der Giordano-Bruno-Stiftung, um den Blasphemieparagrafen endlich loszuwerden. Doch zu einer Umsetzung wird es wohl nun lange Zeit nicht mehr kommen. Stattdessen muss man um eine ewige Weiterzahlung der Staatsleistungen bangen, eine Stärkung des Christentums als vermeintliches Bollwerk gegen den Politischen Islam und eine Bestätigung des Religionsunterrichts als fester Bestandteil des Lehrplans.

Ich hoffe sehr, dass ich übertreibe. Aber vielleicht werden wir einmal auf diesen 6. November 2024 zurückschauen, als einen dieser Tage, "an dem das alles angefangen hat".

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