2.Akt
Gleiches Haus, 11:45 Uhr, Raum 4.
1. Bild: "Jetzt reden wir". Ein Slogan, der sich hier bewahrheitet. Schreibende mit Notizblöcken oder Mikrophonen, Fernsehkameras, Fotografen gleichermaßen, die Gäste finden nicht alle Stühle, stehen oder sitzen auf dem Boden. Ingrid Matthäus-Maier, Moderatorin der Pressekonferenz ehemaliger Heimkinder, benennt Kinderarbeit, Zwangsarbeit, Missbrauch, dauernde Demütigung, Zwangsernährung oder den Entzug von Nahrung als das, was die Presse in dieser massiven Form erst an den Tag gebracht hat und wozu im November 2008 der Deutsche Bundestag über den Petitionsausschuss den Runden Tisch eingerichtet hat.
Irritiert und unruhig zu werden, so Matthäus-Maier, begann sie anfänglich bei einem formalen Grund, als den Opfervertretern am Runden Tisch nicht erlaubt wurde, juristischen Beistand bei sich zu haben. Die Begründung lautete damals, auf der anderen Seite wären ebenfalls keine Juristen. Sie konnte das nicht so einfach glauben und stellte fest: Das stimmt nicht, natürlich sind dort Juristen, nur hatten sie am RTH eine andere Funktion. Schauen wir uns die 19 Teilnehmer genauer an: Den Vorsitz hat Frau Antje Vollmer, eine evangelische „Spitzentheologin“, drei Stimmen haben die ehemaligen Heimkinder, und nun die Juristen, vorsichtig gezählt, ergibt acht. Das sind die Fakten dazu.
Zurück in die Pressekonferenz
2. Akt, 2. Bild: Monika Tschapek-Günter, Vorsitzende des Vereins ehemaliger Heimkinder: Der RTH hat Rechts-Expertisen in Auftrag gegeben. So wurden Fehler bei der Heimeinweisung aufgedeckt, aber einmal im Heim, gab es kein Entrinnen und keine Chance, Gehör zu finden. Das wurde im Laufe der Konferenzen immer klarer und es tauchte am RTH die Frage auf, wie kann man das neutralisieren und bagatellisieren? So jedenfalls ist unser Empfinden und nun versucht man mit einer Minimal-Entschädigung, das Thema vom Tisch zu bekommen.
2.Akt. 3. Bild: Jürgen Beverförden, ehemaliges Heimkind, ständiger Vertreter am RTH, war von 1949 bis 1960 in verschiedenen Heimen. Ganz klar, der entscheidende Punkt ist der kürzeste, wir konnten die Einmalzahlung von 54.000 Euro nicht erreichen. Für ältere Betroffene wäre das eine Erleichterung, eine richtige Entschädigung gewesen. Aber man hat uns klar gemacht: Wenn ihr den RTH platzen lasst, gibt es keinen Weg mehr in das Parlament. Das wäre das Aus gewesen. Das wollten wir nicht. So haben wir zugestimmt.
Auch Beverförden hebt die Zusage hervor, dass die in Heimen Missbrauchten den Entscheidungen vom RT Kindesmissbrauch gleichgestellt werden und als weiteren Punkt, dass die während der Heimarbeit von den Institutionen nicht geleisteten Sozialabgaben nun aus dem zu gegründenden „Rentenfond“ fließen werden. Bremerförden berichtet, dass Zwangsarbeiter-Rente und Missbrauchsentschädigung individuell zu stellen sind, das gehöre in das zugestimmte Paket des RTH hinein.
2. Akt, 4. Bild: Klaus Dickneite, 20 Jahre stationärer Heimaufenthalt. Dickneite nimmt Stellung aus der Sicht Behinderter, die am RTH überhaupt ignoriert wurden. Die Eingaben wurden rundweg abgelehnt mit der Begründung, dafür habe der RTH keinen Auftrag. Ein Skandal!, so ruft er lebhaft und fordert die Nicht-Anrechnung der Geld- bzw. Sachleistungen anderer Leistungsträger und macht klar, dass Behinderte von ihrer Lebenszeit früher als andere auf eine stationäre Aufnahme zurückgreifen müssen und die, bitteschön, möchten sie mitbestimmen können.
Es kommen Gedanken und Überlegungen von allen Seiten und hier im Raum kennt bisher keiner auch nur annähernd den Abschlussbericht. Eine Analyse wird kommen.
2. Akt, 5. Bild: Robert Nieporte, Rechtsanwalt, ist zur Pressekonferenz von Trier nach Berlin gekommen und vertritt zahlreiche Heimkinder in Einzelverfahren. „Wenn man sich diesen umfangreichen Bericht anschaut, dann sieht man klar, hier ist gearbeitet worden, die Frage ist allerdings, von wem. Die Beteiligung der Opfer dabei ist sehr gering gewesen, sechs Personen, und die blieben ohne juristischen Beistand.“ Nieporte nennt das ein unübliches Verfahren, bemerkt, dass man lediglich mit der Heimerziehung der 50er und 60er Jahre einen Bereich herausgegriffen und zum Part der Untersuchung benannt hat. „Die Heime in der DDR sind ebenso unberücksichtigt geblieben wir die Behinderten.“
Jursitisch ist viel zu sagen. Gesondert folgt deshalb ein ausführlicher Bericht zur Pressekonferenz „Jetzt reden wir“. Dabei wird dem Thema „Opferrente“ besonderer Raum gegeben und der Frage: Was ist nun zu tun?
Monika Tschapek-Günter dazu: „Ich habe so viel Energie hierfür aufgewandt, ich mache weiter“ und damit gibt sie die Atmosphäre der von Ingrid Matthäus-Maier geführten Pressekonferenz weiter. Mit einer Pressestimme möchte ich hier enden: „Sie wissen doch noch gar nicht, wie Ihre Forderungen beantwortet werden. Wogegen wollen Sie denn jetzt klagen?“
Evelin Frerk
Anhänge:
1. Ehemalige Heimkinder geben keine Ruhe - Reflexion zu zwei Pressekonferenzen 13.12.2010 von Manuel Koesters.
2. „Wir haben es satt, entmündigt zu werden“ - Ein kurzes Gespräch aufgezeichnet von Katharina Micada.
„Eine weitere Demütigung“ (13.12.2010)
Heimkinder kämpfen um Entschädigung (11. Dezember 2010)
Für.Sorge.Erziehung in Glückstadt (4. Oktober 2010)
„Es muss ein Miteinander sein“ (23. August 2010)
Die Hölle mit Seitennischen (15. Juli 2010)
Heime unterm Hakenkreuz – Verdrängt? (2. Juli 2010)
Anwälte legen Mandat für Heimkinder nieder (30. Juni 2010)
Geschichte einer geraubten Kindheit (2. Juni 2010)
„Prügelnonne“ fährt zum Kirchentag (11. Mai 2010)
hpd podcast 11/2010 (Zur Heimkinder-Demo) (22. April 2010)
Heimkinder gehen auf die Straße (Video) (15. April 2010)
Seit Jahren verhöhnt (Video) (13. April 2010)
„Prügel-Nonne“ fordert Kirchen heraus (30. März 2010)
„Jetzt reden wir!“ (17. März 2010)
„Gipfel der Scheinheiligkeit“ (24. Februar 2010)
Von Staat und Kirchen verschaukelt (1. Februar 2010)
Heimkinder fordern 25 Milliarden Euro (2. Juni 2009)
Kindesmisshandlungen in Irland. Und Deutschland? (25. Mai 2009)
Ehemalige Heimkinder düpiert (2. April 2009)
1. Sitzung des Runden Tisches „Heimerziehung" (17. Februar 2009)
„Runder Tisch" für ehemalige Heimkinder (27. November 2008)