Der Philosoph Kurt Salamun liefert mit "Ein Jahrhundertdenker. Karl R. Popper und die offene Gesellschaft" eine Einführung und Überblicksdarstellung zum Werk des Begründers des Kritischen Rationalismus. Es handelt sich um einen gut lesbaren und klar strukturierten Band, der auch immer wieder mal zu eher weniger bekannten Aspekten des Denkers interessante Ausführungen macht.
Der Erkenntnistheoretiker und Sozialphilosoph Karl R. Popper gilt als einer der bedeutsamsten Denker des 20. Jahrhunderts. Seine Formulierung "offene Gesellschaft" ist als Synonym für eine dynamische und pluralistische Sozialordnung in den allgemeinen Sprachgebrauch eingegangen und wird auch von vielen Menschen ohne Kenntnis seiner Werke genutzt. Wer eine gute und verständliche Einführung in Poppers umfangreiches Schaffen sucht, der kann eine solche jetzt in Kurt Salamuns Buch "Ein Jahrhundertdenker. Karl R. Popper und die offene Gesellschaft" finden. Der Autor lehrte selbst lange an der Universität Graz das Fach Philosophie und gab eine Fülle von Sammelbänden zu Poppers Verständnis von einem Kritischen Rationalismus heraus. Absicht seiner Einführung ist es nun, Poppers Philosophie einer breiten Leserschaft zugänglich zu machen. Dazu hat der Autor eine klare und kleinteilige Gliederung vorgenommen und seine Ausführungen immer mit einschlägigen Zitaten aus den zahlreichen Werken Poppers ergänzt.
Es gibt drei unterschiedliche große Kapitel in dem Buch: Zunächst geht es um das Leben Poppers, das von seiner Kindheit über die Buchpublikationen und Universitätstätigkeit bis zu den späten Lebensjahren nachgezeichnet wird. Salamun betont, dass Popper bereits in seiner Kindheit ein sozialkritisches Bewusstsein entwickelt habe, was ihn zum Anhänger eines demokratischen Sozialismus, aber auch zu einem Gegner des Kommunismus machte. Seine spätere Hinwendung zu einem ökonomischen Liberalismus wird hingegen nicht näher thematisiert. Entgegen anderer Einführungen zu Popper wird bei Salamun systematisch darauf hingewiesen, dass verschiedene Geistesgrößen von Sokrates über Kant bis Hayek Popper prägten. Erst danach geht es um das Werk, wobei es sich um das ausführlichste Kapitel handelt. Am Beginn steht, für eine Einführung chronologisch eher ungewöhnlich, sachlich aber angemessen der Blick auf Poppers Auffassungen zum menschlichen Gehirn und der Lernfähigkeit, welche zur Selbstbefreiung durch Wissen führen könne.
Dann steht eher knapp das Konzept des Kritischen Rationalismus im Zentrum, wobei die Differenzen zum Positivismus des Wiener Kreises und später zur Kritischen Theorie der Frankfurter Schule größeres Interesse hätten finden können. Besonders ausführlich werden danach politische Aspekte behandelt, wozu die Ideologie- und Totalitarismuskritik gehörten. Salamun macht auch deutlich, dass mit Poppers Denken der ihm seinerzeit noch gar nicht bekannte Islamismus einer kritischen Prüfung der Ideologie ausgesetzt werden kann. Das Kapitel zum Werk endet mit einer Art Checkliste zu den Richtlinien zur kritischen Prüfung von Weltanschauungen und Ideologien, der Gebrauchswert ist verständlicherweise auch heute noch sehr hoch. Und schließlich geht es noch um Poppers Wirkung bezogen auf Politik wie Wissenschaft, wobei noch einmal seine Bedeutung als Denker klar wird. Die Ausführungen zu seiner Wirkung auf Schüler und Freunde machen dann noch deutlich, dass der Jahrhundertdenker nicht unbedingt ein einfacher Mensch war.
In der Gesamtschau hat Salamun eine gelungene Einführung und Überblicksdarstellung zu Popper vorgelegt. Erkenntnistheoretisch interessierte Leser hätten sich womöglich mehr zum Kritischen Rationalismus im engeren Sinne gewünscht, politikwissenschaftlich interessierte Leser erfreuen sich aber dann wohl mehr an dem sozialphilosophischen Schwerpunkt. Der Autor ist ohnehin dafür bekannt, komplizierte Dinge doch gut verständlich zu vermitteln – und hier gibt es dann auch eine Gemeinsamkeit mit Popper. Dies gelingt Salamun auch bei der Präsentation des Vordenkers des Kritischen Rationalismus. Er geht am Rande immer wieder auf die Kritik an Popper ein, macht dabei etwa deutlich, dass der Konservativismusvorwurf unangemessen ist. Dies trifft durchaus zu, wenn man die kontinuierliche Kritik als Prüfung an der Realität zum Maßstab erhebt, dann kann man wohl schwerlich als blinder Bewahrer des Gegebenen gelten. Insofern war und ist Poppers Denken kritischer und radikaler als viele seiner Gegner aus früheren Debatten meinten.
Kurt Salamun, Ein Jahrhundertdenker. Karl R. Popper und die offene Gesellschaft, Wien 2018 (Molden-Verlag), 240 S., ISBN 978-3-222-15019-7, 25,00 Euro (Österreich)
5 Kommentare
Kommentare
Rüdiger von Gizycki am Permanenter Link
Nach diesem Artikel werde ich mich eingehender mit Popper beschäftigen. Schätze das ich da etwas versäumt haben könnte.
PD Dr. Andreas ... am Permanenter Link
Kommentar zu Poppers "geöffneter" Gesellschaft:
1) Poppers Formulierung „offene Gesellschaft“ wird in der Tat „auch von vielen Menschen ohne Kenntnis seiner Werke genutzt.“
3) Von den "vielen Menschen" wird diese Formulierung nämlich im Sinne einer „grenzoffenen Gesellschaft“ und gerade nicht „als Synonym für eine dynamische und pluralistische Sozialordnung“ genutzt.
4) Eine dynamische und pluralistische Sozialordnung (offene Gesellschaft im Sinne Poppers) hat mit der „geöffneten“ Gesellschaft, welche den „vielen Menschen ohne Kenntnis“ vorschwebt(e), nichts zu tun. Sie ist im Ergebnis das Gegenteil einer offenen Gesellschaft im Sinne Poppers.
PD Dr. Andreas Haaker, Berlin
René Hartmann am Permanenter Link
Mir ist noch nicht untergekommen, dass jemand offene Grenzen unter Verweis auf Poppers offene Gesellschaft gefordert hätte.
Von daher habe ich eher den Verdacht, dass hier jemand die (unpassende) Gelegenheit nutzen wollte, im Sinne der AfD ein bisschen zu trollen.
Haaker am Permanenter Link
Mit Verdächtigungen sollte man vorsichtig haushalten. Mit irgendwelchen Parteien hat der Hinweis nichts zu tun. Fakt ist:
2) Den Begriff OG wie geschildert im Sinne von grenzoffen zu benutzen ist also unpassend. Leider ist es üblich geworden, auch wenn es Ihnen bisher nicht untergekommen sein mag. "Wir stehen für eine OG..." usw. usf.
3) Offensichtlich ist die Gesellschaft in der letzten Zeit dadurch nicht offener im Poppers Sinne geworden (ein trivialer Hinweis auf die Bedeutung von OG wird sogar mit bestimmten Parteizurechnungen in die rechte Ecke gestellt. Was soll das?).
4) Perspektivisch wird durch grenzoffene Gesellschaften die OG im Sinne Poppers durch neue totalitäre Strömungen beschädigt (vgl. dazu auch den Hinweis im Umschlag des besprochen Werkes, das ich heute erhalten habe, auf die betreffende fundamentalen Religion). Aber darauf bin ich gar nicht eingegangen.
A. Haaker
Hans Trutnau am Permanenter Link
Wäre interessant zu erfahren, ob Salamun im Rahmen des (krit.) Rationalismus' etwas sagt zu Poppers >irrationalen Glauben an die Vernunft< (bzw. >irrational faith in reason<) [zit. n. Musgrave, A.
Ich denke, eher nicht (sonst hätte dies der Rezensent vermutlich bemerkt und erwähnt?); was schade ist, weil es ein interessantes Schlaglicht auf Poppers Rationalismus-Akzeptanz bzw. -Begründung wirft.