Der Humanistische Verband Deutschlands (HVD) hat ein Sieben-Punkte-Papier zur Suizidhilferegelung an die Mitglieder des Bundestags versandt. Bisher sind drei interfraktionelle Gesetzentwürfe bekannt, die von den meisten Bundestagsabgeordneten schwer auseinanderzuhalten sein dürften. Zur Zeit wird bei ihnen intensiv für den jüngst erst vorgelegten Vorschlag geworben, der die Wiedereinführung eines vor zwei Jahren vom Bundesverfassungsgericht gekippten Paragraphen 217 ins Strafgesetzbuch vorsieht. Der HVD möchte auf der Grundlage seiner 30-jährigen praktischen und theoretischen Beschäftigung mit humaner Sterbehilfe dazu beitragen, dass die Abgeordneten die ihnen vorgelegten Entwürfe angemessen einschätzen können. Entscheidend ist dabei laut HVD-Bundesvorstandssprecher Erwin Kress, dass die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtsurteils vom 26. Februar 2020 eingehalten werden.
Maßgeblich für alle Gesetzesvorhaben zur Neuregelung der Suizidhilfe muss das Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts sein, das fast auf den Tag genau vor zwei Jahren das Verbot einer geschäftsmäßigen beziehungsweise professionell-ärztlichen Suizidhilfe verworfen und stattdessen ein allgemeines Grundrecht auf Hilfe zur selbstverantworteten Selbsttötung bestätigt hat. Der vormalige Paragraph 217 StGB wurde für verfassungswidrig und nichtig erklärt. Seitdem stehen angemessene gesetzliche Regularien aus.
Eine Gruppe um die FDP-Abgeordnete Katrin Helling-Plahr wird mit nur leichten Veränderungen ihren Entwurf aus der letzten Legislaturperiode wieder vorgelegen, der auf jede Strafbarkeit verzichtet. Auch an ihrem ähnlichen Vorschlag, den die Grünen-Abgeordneten Renate Künast und Katja Keul 2021 kursieren ließen, will zumindest Künast weiter festhalten. Dies berichtete gestern der Tagesspiegel Background.
Dagegen bemüht sich eine Abgeordnetengruppe um Prof. Lars Castellucci (religionspolitischer Sprecher der SPD), Ansgar Heveling (CDU) und Dr. Kirstin Kappert-Gonther (Grüne) seit Januar um die Wiedereinführung eines Paragraphen 217 StGB in einem neuen Gewand, welches als Ausnahme von der Strafbarkeit restriktive Maßnahmen vorsieht. Dazu gehören etwa regelhafte psychiatrische Begutachtung von Patient*innen mit Suizidhilfebegehren sowie Wartezeiten von mindestens einem halben Jahr. "Solche Vorstöße bedrohen die Autonomie am Lebensende", erklärt Erwin Kress, Vorstandssprecher des HVD Bundesverbandes. "Das Selbstbestimmungsrecht auf den eigenen Tod muss ohne Wenn und Aber nach den liberalen Vorgaben des Karlsruher Grundsatzurteils respektiert werden. Es darf keine erneute strafrechtliche Kriminalisierung bei der Freitodhilfe geben, dieser Punkt hat für uns höchste Priorität."
Aus Abgeordnetenkreisen verlautet, dass der Bundestag sich noch vor der Sommerpause in einer Orientierungsdebatte mit dem Thema Suizidhilfe beschäftigen soll. Dies hält auch Erwin Kress für nötig: "Seit Jahren erklären etwa Dreiviertel unserer Bevölkerung, dass sie im Notfall bei einer freiverantwortlichen Selbsttötung professionelle Hilfe beanspruchen möchten. Dabei gibt es aber noch viele Probleme, insbesondere auf Seiten der Ärztinnen und Ärzte. Der Bundestag muss – außerhalb des Strafrechts – verlässlich Rahmenbedingungen schaffen. Dazu benötigen die Abgeordneten allerdings Prüfkriterien, woran sie sich bei ihrer Gewissensentscheidung orientieren können. Die bloße Intuition reicht dabei nicht."
In seinen Orientierungspunkten fordert der HVD bei den staatlich zu normierenden Sorgfaltskriterien zu mehr Hilfsangeboten auf – anstelle von Restriktionen und unnötigen Verpflichtungen –, inklusive einer innovativen Prävention von übereilten, einsamen und oft brutalen Suizidversuchen. In allen drei kursierenden Gesetzentwürfen sind neu zu schaffende Beratungsstellen vorgesehen. In diesen sollte – regt der HVD aufgrund seiner 30-jährigen praktischen Erfahrung mit humaner Sterbehilfe, Patientenautonomie und Suizidalität an – der herkömmliche Gegensatz zwischen Suizidhilfe und -verhütung endlich überwunden werden. Außerdem muss das neue Gesetz eine Neuregelung im Betäubungsmittelgesetz beinhalten, um die ärztliche Verschreibung suizidtauglicher Medikamente zu regeln.
Der HVD verfügt mit seinen Beratungsstellen und Einrichtungen im Gesundheits- und Sozialwesen über einschlägige Praxiserfahrung und Kompetenz. Auf Anfrage des Bundesverfassungsgerichtes erstellte der HVD zwei Stellungnahmen im Einspruchsverfahren gegen den Paragraphen 217 StGB und legte bereits im Mai 2020 einen Entwurf für ein Gesetz zur Bewältigung von Suizidhilfe- und Suizidkonflikten vor.
Die Empfehlung des HVD an die Mitglieder des Bundestages "Sieben humanistische Orientierungspunkte für ein Gesetz zur Regelung der Suizidhilfe, Suizidkonfliktberatung und Suizidprävention" kann hier heruntergeladen werden.