Eine Gruppe von Frauenrechtsorganisationen und Einzelpersonen fordert anlässlich des Internationalen Frauentages, der am Dienstag begangen wurde, dass die Öffentlichkeit das Leid der Mädchen und Frauen in Afghanistan nicht vergessen dürfe. Das Thema drohe durch den Krieg in der Ukraine aus der öffentlichen Wahrnehmung zu verschwinden. Der hpd veröffentlicht den Aufruf im Wortlaut.
Anlässlich des Internationalen Frauentags am 8. März möchten wir, europäische Frauen, unsere volle und uneingeschränkte Unterstützung der Frauen in Afghanistan und aller Frauen äußern, die weltweit für die Achtung ihrer Rechte und ihrer Würde kämpfen. In der Tat ist die internationale Solidarität ein Gebot der Stunde. Vor allem in dieser schrecklichen Zeit, in der die Ukraine mit voller Wucht vom Krieg mit dramatischen Folgen getroffen ist: Zivilisten sterben, einige werden vertrieben, während andere in ihren belagerten und bombardierten Städten gefangen gehalten werden. Krieg liegt im Interesse keines Volkes der Welt. Unter solchen Umständen muss Europa entschlossen handeln und seine Verantwortung auf internationaler Ebene ernst nehmen. Frauen sind leider wie immer die Leidtragenden von bewaffneten Konflikten.
Nein zur Anerkennung der Terrorgruppe der Taliban
In Afghanistan wurden die Frauen in eine archaische und rückwärtsgewandte Welt gestürzt. Vor allem das Einfrieren der internationalen Gelder seit letztem Sommer hat das Land in eine nie da gewesene Krise mit dramatischen humanitären Folgen gestürzt. Heute sind 23 Millionen Afghanen, das heißt 55 Prozent der Bevölkerung, von Hunger bedroht. Um aus dieser Krise herauszukommen, fordert die UNO von den Geberländern ein Budget von 5 Milliarden US-Dollar. Ausgestattet mit beispiellosem Zynismus setzen die Taliban auf diese Krise, um an Gelder zu kommen und vor allem, um international anerkannt zu werden. Bedauerlicherweise erscheint vielen Ländern dieser Weg verführerisch, doch übersehen sie dabei den aufklärungsfeindlichen und terroristischen Charakter dieser Bewegung.
In Europa kamen die ersten Zeichen einer möglichen Anerkennung der Taliban aus Deutschland, nachdem die Eröffnung eines "Büros" in Kabul angekündigt wurde. Im Dezember 2021 kündigte die neue deutsche Außenministerin Annalena Baerbock eine Beteiligung von 600 Millionen Euro an dem humanitären Fond der UNO an. Diese Ankündigung war angesichts einer katastrophalen Situation, in der die Bevölkerung eines Landes im Stich gelassen wurde, sicherlich lobenswert, doch fürchten wir, dass ihre Äußerungen von großer Naivität zeugen. Ein einfacher Blick nach Afghanistan konfrontiert uns mit der Realität der Taliban. Tag für Tag beweisen sie der Welt ihren Unwillen zur Veränderung. Die Taliban von gestern sind die gleichen wie die von heute, und ihr Motto ist dasselbe: "Die Frau hat keine Rechte und soll aus der Öffentlichkeit verbannt werden." Erneut dürfen Mädchen nicht auf den Schulbänken sitzen und Frauen dürfen sich nicht mehr ohne männlichen Vormund bewegen. Wenn Annalena Baerbocks Absicht ernst gemeint ist, eine feministische Außenpolitik zu betreiben, und das sei ihr hoch angerechnet, schlagen wir vor, dass sie damit in Afghanistan beginnt. Warum nicht damit anfangen, die Anwesenheit von Frauen an den Verhandlungstischen einzufordern?
Zahlreiche unerschrockene afghanische Widerstandskämpferinnen demonstrieren mit unverhülltem Gesicht auf den Straßen von Kabul und einigen anderen Städten, um zu zeigen, dass sie es nicht hinnehmen, erneut entrechtet zu werden. Diese Frauen werden von der Sittenpolizei gejagt, nur weil sie das Recht auf ein Leben in Würde einfordern. Einige wurden entführt oder verhaftet, andere verschwanden oder wurden ermordet. Sogar die weiblichen Schaufensterpuppen wurden enthauptet. Ja, die Taliban haben kein Erbarmen mit Frauen!
Frieden in der Welt wird mit Frauen errichtet
Doch trotz all dieser Menschenrechtsverletzungen empfing Norwegen am 23. Januar in Oslo eine ausschließlich männliche 15-köpfige Taliban-Delegation, zu der auch Anas Haqqani gehörte (ein Terroristenführer, der für mehrere tödliche Anschläge in Afghanistan verantwortlich ist), um Vertreter der Vereinigten Staaten, des Vereinigten Königreichs, Deutschlands, Frankreichs, Italiens, der Europäischen Union und Norwegens zu treffen. Zwar wurde, wie üblich, stets darauf hingewiesen, dass dieses Treffen in keiner Weise eine offizielle Anerkennung der Taliban bedeutet, der Sprecher der Taliban erklärte jedoch, dass dies nur der erste Schritt zu mehreren weiteren Treffen mit den Ländern der Europäischen Union sei. Daher haben wir größte Bedenken, dass dieser Prozess zur Normalisierung der Terrorgruppe führen wird. Was wurde in Oslo besprochen? Was wurde den Taliban versprochen? Die Außenpolitik von Staaten sollte nicht unter Männern hinter verschlossenen Türen gemacht werden. Sie betrifft die gesamte Gesellschaft, sie geht alle an und insbesondere die Frauen.
Wir, europäische Frauen, verurteilen die norwegische Initiative sowie die gefährliche Dynamik, die sie in Gang gesetzt hat, aufs Schärfste. Wir möchten unsere Regierungen daran erinnern, dass jede Anerkennung der Talibanterroristen ein Verrat an den europäischen Werten ist. Wir fordern die sofortige Freilassung aller willkürlich inhaftierten weiblichen Gefangenen. Wir setzen uns für eine feministische Außenpolitik ein, die die Rechte der Frauen in den Mittelpunkt der internationalen Beziehungen stellt. Wir fordern, dass Vertreterinnen der afghanischen Zivilgesellschaft anerkannt und in die Entscheidungsfindungen einbezogen werden. Wir möchten daran erinnern, dass die Rechte von Frauen Teil der universellen, unveräußerlichen und unverhandelbaren Menschenrechten sind. Frieden in der Welt wird mit Frauen errichtet!
Unterzeichnerinnen:
- Afghan Refugee Communitee in Belgium
- Centre Communautaire Laïc Juif David Susskind (CCLJ) (Emmanuelle Einhorn)
- Centre européen du conseil international des femmes (CECIF) (Brigitte Polonovski)
- Club L – Comité de Soutien aux Femmes d'Afghanistan (Adrienne Axler)
- Collectif d'accord de ne pas être d'accord (Danièle Perez)
- Collectif Laïcité Yallah (Djemila Benhabib)
- Collectif 13 Droits des Femmes (Catherine Lecoq)
- European network of Migrant Woman (ENOMW) (Anna Zobnina)
- Femmes ici et ailleurs (Magazine) (Pierre-Yves Ginet)
- Femmes Solidaires (Sabine Salmon)
- Forum femmes Méditerranée (Esther Fouchier)
- Frauen für Freiheit e. V. (Femmes pour la liberté), (Rebecca Schönenbach)
- La Fondation Anne-Marie Lizin (Michel Lizin)
- La Palabre (Khady Koita)
- Les Résilientes (Rachida Hamdan)
- Les VigilantEs (Christine Le Doaré)
- Libres Mariannes (Laure Caille)
- Ligue du Droit International des Femmes (Annie Sugier)
- Migrantinnen für Säkularität und Selbstbestimmung (Naïla Chikhi)
- Mouvement Pour la Paix et Contre le Terrorisme (Huguette Chomski Magnis)
- NEGAR-Soutien aux Femmes d'Afghanistan (Shoukria Haidar)
- Network of Afghan Diaspora Organisations in Europe-NADOE (Lailuma Sadid)
- Observatoire Féministe des Violences faites aux Femmes (Viviane Teitelbaum)
- Regards de Femmes (Michèle Vianès)
- Réseau Féministe "Ruptures" (Monique Dental)
- Synergie Wallonie pour l'Égalité entre les Femmes et les Hommes (Reine Marcelis)
- Terre des Femmes e.V. (Christa Stolle)