USA: Oberster Gerichtshof hebelt Urteil zu Recht auf Abtreibung aus

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Supreme Court Building in Washington, D.C.
Supreme Court Building in Washington, D.C.

Am 24. Juni 2022 kippte der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten von Amerika das "Roe v Wade"-Gerichtsurteil, welches seit seiner Entscheidung 1973 Schwangeren das Recht auf Abtreibung sicherte. Die religiöse Rechte feiert, während unzählige Menschen gegen die Beschneidung reproduktiver Rechte protestieren. Ein Blick in Länder mit Abtreibungsverboten zeigt, wie die Situation in den USA in Zukunft aussehen könnte. Hinzu kommt, dass ein Verbot der Abtreibung nur ein erster Punkt sein könnte, dem die Beschneidung weiterer Rechte folgen könnte.

Am Freitag, den 24. Juni 2022 veröffentlichte der Oberste US-Gerichtshof unter "Dobbs v. Jackson Women’s Health Organization" (19-1392) seine Entscheidung zur Zukunft der Abtreibung in den Vereinigten Staaten. Mit der Begründung "The Constitution does not confer a right to abortion; Roe and Caseyare overruled; and the authority to regulate abortion is returned to the people and their elected representatives" ("Die Verfassung gewährt kein Recht auf Abtreibung; Roe und Casey sind überstimmt; und die Autorität, Abtreibungen zu regulieren, wird an das Volk und seine gewählten Vertreter zurückgegeben") kippte der Oberste Gerichtshof das Recht auf Abtreibung, welches seit dem Urteil im Fall Roe v Wade seit 1973 galt. Die Entscheidung, wie bezüglich Abtreibung verfahren werden soll, wurde somit an die US-Bundesstaaten delegiert.

In Erwartung oder vielmehr Befürchtung einer solchen Entwicklung hatte der Bundesstaat New York bereits 2019 den Zugang zu legaler Abtreibung geschützt. Am 24. Juni meldete sich auch der kalifornische Gouverneur Gavin Newsom zu Wort. Unter anderem bei Twitter erklärte er, dass Abtreibung in Kalifornien legal bleibe. Er habe ein Gesetz unterschrieben, welches sein Bundesland zu einem sicheren Hafen für Frauen der ganzen Nation mache. Kalifornien werde nicht mit anderen Bundesstaaten kooperieren, um Frauen oder medizinisches Personal in Bezug auf ihre Handlungen zur Wahrung reproduktiver Rechte zu verfolgen. Dem schlossen sich auch Washington und Oregon an. Staaten, in denen Abtreibung weiterhin legal bleiben soll und die Schwangere bei der Einreise zur Abtreibung unterstützen wollen. Etwas, das spätestens mit dem texanischen "Heartbeat Bill", einem Gesetz, welches eine Abtreibung verbietet, sobald ein vermeintlicher Herzschlag beim Embryo feststellbar sein soll und Privatpersonen die Möglichkeit gibt, ihre Mitmenschen wegen Abtreibung oder Hilfe zur Abtreibung behördlich verfolgen zu lassen, notwendig wurde.

Neben Texas hatten noch andere Bundesstaaten den Fall von "Roe v Wade" zum Anlass genommen, ihre Abtreibungsverbote in Kraft treten zu lassen. Unter ihnen auch Ohio und Utah, deren Gesetze bereits auf den Tag gewartet hatten, um in Kraft treten zu können.

Bereits unter der Präsidentschaft Donald Trumps hatten konservative Staaten und Gouverneur*innen das Kippen des "Roe v Wade"-Urteils erwartet und herbeigesehnt. Wenig verwunderlich, hatte Trump doch freiwerdende Richter*innen-Stellen im Obersten Gerichtshof, zum Beispiel nach dem Tod von Richterin Ruth Bader Ginsburg, mit konservativen Richtern und Richterinnen wie der Abtreibungsgegnerin Amy Coney Barrett besetzt. Im Mai 2022 war bereits ein von Richter Samuel Alito verfasstes Dokument an die Öffentlichkeit gelangt, in welchem Alito ein durch die Verfassung gesichertes Recht auf Abtreibung bezweifelte, welches landesweit für Empörung und Proteste sorgte. Immerhin sind die meisten Menschen in den USA für reproduktive Rechte. 61 Prozent von ihnen sind überzeugt, dass eine Abtreibung in den meisten Fällen legal sein sollte. Nur wenige wünschen sich ein Totalverbot von Abtreibungen oder nur wenige Ausnahmen wie beispielsweise Gefahr für die Gesundheit der schwangeren Person oder bei einer Schwangerschaft als Folge sexualisierter Gewalt.

Für die meisten Menschen war die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs mehr als ein Schlag ins Gesicht. Der amtierende US-Präsidenten Joe Biden meldete sich nach der Verkündigung zu Wort und erklärte, dass Rechte, Leben und Gesundheit von Frauen in den USA gefährdet seien und rief den Kongress zum Handeln auf. Ein Aufruf, der bei der aktuellen Besetzung folgenlos bleiben dürfte. Biden hatte sich bereits bei seiner Präsidentschaftskandidatur für Abtreibung als reproduktives Recht ausgesprochen und so die Wut religiöser Abtreibungsgegner*innen auf sich gezogen. Ähnlich äußerte sich auch die ehemalige First Lady der Vereinigten Staaten von Amerika bei Twitter zur Entscheidung des Obersten Gerichtshofs. Auch sie sieht das letzte Wort nicht gesprochen und glaubt weiter an einen Einsatz für reproduktive Rechte. Allein, um zum Beispiel die Zukunft ungewollt schwangerer junger Mädchen zu retten oder Schwangeren nicht zuzumuten, einen nicht lebensfähigen Fötus gebären zu müssen. Obama erinnert aber auch an die Zeiten ihrer Großmutter, als es noch keine legale medizinisch begleitete Abtreibung gab.

Mit ihrer Erinnerung an Zeiten, in denen Frauen nach illegalen Abtreibungen starben oder schwer erkrankten, ist Obama nicht allein. Wer sich in Zukunft aus zum Beispiel finanziellen oder organisatorischen Gründen nicht erlauben kann, in ein anderes Bundesland zur Abtreibung zu reisen oder wer dann strafrechtlich verfolgt werden könnte, weil zum Beispiel positive Schwangerschaftstests an Behörden weitergegeben werden, greift womöglich wieder zu Treppensturz oder Stricknadel. Der Blick in südamerikanische Länder, in denen Abtreibung illegal ist, zeigt, wie es in den USA aussehen könnte, sollte nicht rasch Abhilfe geschaffen werden. Jährlich sterben Tausende an Infektionen nach illegalen Abtreibungen. Hunderte sitzen in Gefängnissen, weil sie abgetrieben haben sollen. Teilweise obwohl sie nicht einmal abgetrieben haben, sondern ein Wunschkind verloren haben, wie es bei Karen in El Salvador der Fall war, die nach einer Fehlgeburt zu 30 Jahren Haft wegen Abtreibung verurteilt wurde und sechs Jahre im Gefängnis verbracht hatte.

Menschen mit Uterus, also vor allem Frauen, aber auch zum Beispiel nicht binären Personen oder Männern mit einem trans Hintergrund, werden durch ein Abtreibungsverbot nicht nur reproduktive Rechte genommen. Sie werden auch einem Generalverdacht ausgesetzt, was Potential zum Missbrauch hat. Ähnlich wie bei Anti-Blasphemie-Gesetzgebungen, könnten auch Abtreibungsverbote dazu verlocken, ungeliebte Konkurrenz anzuzeigen und somit den Behörden auszuliefern.

Für die religiöse Rechte ein Grund zu feiern. Die Kontrolle über Frauenkörper und die Beschneidung von zum Beispiel trans Rechten stehen ja ganz oben auf ihrer Agenda. Der immer wieder vorgeschobene Grund, Abtreibungen abzulehnen um Kinder zu retten, ist leicht durchschaut. Wem die Rechte von Kindern am Herzen liegen, sorgt dafür, dass 13-Jährige nicht ihre Geschwister als Folge sexualisierter Gewalt durch einen Angehörigen austragen müssen. Auch würden diese Personen für Krankenversicherungen und beste medizinische Versorgung, bezahlte Elterntage, schärfere Waffengesetze, beste Bildung für alle und vieles mehr sorgen, was Kindern und Jugendlichen wirklich helfen würde. Stattdessen sind Kinder, sobald sie denn einmal geboren sind, ziemlich egal. Anders lassen sich die zahlreichen durch Waffen getötete oder verletzte (Klein-)Kinder, Kinder in Käfigen oder Lagern an der mexikanischen Grenze oder auch die horrende Schulden für Bildung nicht erklären.

Wer die Situation in den USA und die Ziele der religiösen Rechten beobachtet, muss fürchten, dass das Verbot von Abtreibung nur einen ersten Schritt darstellt. Zu befürchten bleibt, dass die Rechte Homosexueller, beispielsweise auf die Ehe, aber auch die Rechte von Transpersonen beschnitten werden. Selbst Verhütungsmittel sind manch Religiösem ein Dorn im Auge und könnten zur Zielscheibe werden. So sehen manche zum Beispiel die Verwendung einer Verhütungsspirale gar als Abtreibung an, weil sich selbst ein befruchtetes Ei kaum im Uterus festsetzen und entwickeln kann.

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