Am 13. März 2024 hat das Schweizer Bundesgericht den Arzt Pierre Beck auch noch vom Vorwurf freigesprochen, Bestimmungen des Betäubungsmittelgesetzes missachtet zu haben – nachdem es ihn schon am 9. Dezember 2021 in Bezug auf das Heilmittelgesetz freigesprochen hatte –, als er einer 86-jährigen Frau ohne medizinische Diagnose Suizidassistenz ermöglichte. Damit hat das Bundesgericht einen Freispruch der Vorinstanz bestätigt. Die bisherige Berichterstattung zum Freispruch enthält einige missverständliche Aussagen und übersieht wichtige Aspekte. Eine Einordnung ist angebracht.
Das Bundesgericht hat nach Ansicht von Dignitas mit diesem Urteil einen gewichtigen Mangel in der Rechtsordnung zur Praxis der Suizidassistenz behoben: Es war absurd, dass ein Laie mit untauglichen und gefährlichen Mitteln bei der Selbstbestimmung über das eigene Lebensende assistieren konnte, während einer Fachperson bei Gebrauch des seit Jahrzehnten für Suizidassistenz bewährten Medikaments Natrium-Pentobarbital dies nicht im gleichen Umfang möglich war. Der Rechtsrahmen der seit 40 Jahren bewährten Freitodbegleitungs-Praxis wird durch das Urteil gestärkt.
Dignitas weist in einer Pressemitteilung auch darauf hin, dass das Bundesgericht nicht etwa eine Lücke oder Unsicherheit geschaffen hat, wie zum Teil behauptet wird, sondern seinen eigenen Entscheid aus dem Jahr 2006 sowie die seither auch international entstandene Rechtsprechung bestätigt: "Zum Selbstbestimmungsrecht im Sinne von Artikel 8 Ziffer 1 EMRK gehört auch das Recht, über Art und Zeitpunkt der Beendigung des eigenen Lebens zu entscheiden; dies zumindest, soweit der Betroffene in der Lage ist, seinen entsprechenden Willen frei zu bilden und danach zu handeln." (Zitat aus dem Urteil BGE 133 I 58)
Wichtig ist auch, dass es Im Fall Dr. Pierre Beck nicht generell um Sterbehilfe ging. Sondern um ärztlich unterstützten, assistierten Suizid. "Sterbehilfe" ist ein Sammelbegriff für verschiedene Formen von Unterstützung beim/zum Sterben, dazu zählt auch die in der Schweiz verbotene "aktive Sterbehilfe" (Tötung auf Verlangen).
In einigen Medienmeldungen hieß es, es sei einer 86-jährigen "gesunden" Person Suizidassistenz geleistet worden. Dies ist deshalb irreführend, weil es das Wesentliche verkennt: Wer wirklich gesund ist, will nicht sterben – auch nicht mit einer Suizidassistenz. Gesundheit bedeutet nicht "bloß das Fehlen einer Krankheit oder eines Gebrechens", sondern "ist ein Zustand vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens", wie die Weltgesundheitsorganisation WHO festhält. Das bedeutet: Ein schweres Leiden kann auch dann gegeben sein, wenn keine Diagnose im Sinne der ICD- und ICF-Tabellen vorliegt.
Wenn eine Person den Wunsch nach Suizidassistenz äußert, dann gibt es dafür immer einen Grund. Dieser ist immer irgendein Leiden, also eine Beeinträchtigung der Lebensqualität. Wenn jemand sagt "Ich will sterben", sollte jede Person, ob Arzt oder nicht, die Frage stellen: "Ja, und weshalb?". Eine solche Frage öffnet die Tür zum Austausch, in dessen Verlauf miteinander und auf Augenhöhe erörtert werden kann, was die Ursache für den Sterbe-/Sui-zidassistenz-Wunsch ist, welche Möglichkeiten es zur Leidensminderung gibt usw. Dies ist gleichzeitig Suizid(versuchs)prävention, die – was meist übersehen wird – mit der (ärztlichen) Suizidassistenz verknüpft ist.
Es wird weiterhin behauptet, die Suizidassistenz sei zu wenig geregelt und kontrolliert. Dabei wird jedoch übersehen, dass über jedem assistierten Suizid das Damoklesschwert der Strafverfolgung hängt: Jede Verschreibung von Natrium-Pentobarbital wird registriert, jede Freitodbegleitung den Behörden gemeldet und von der Staatsanwaltschaft in Zusammenarbeit mit Polizei und Amtsarzt untersucht. Alleine schon daraus ergibt sich eine Sorgfaltspflicht in der Prüfung eines Antrags um Freitodbegleitung. Ärztinnen und Ärzte haben ohnehin eine besondere Dokumentationspflicht; dies betrifft natürlich auch die Suizidassistenz.
Dass Dr. Beck und weitere Ärzte in früheren Rechtsfällen in ein straf- und/oder berufsrechtliches Verfahren gerieten, beweist, dass die staatliche Überprüfung der Suizidassistenz funktioniert. Der vorhandene bewährte Rechtsrahmen ist ausreichend, um vermutete Missbrauchsfälle zu untersuchen und gegebenenfalls zu ahnden; dies hat der Bundesrat schon am 29. Juni 2011 festgehalten und erklärt, es brauche kein Spezialgesetz, da die allgemeinen Gesetze ausreichend seien.
Wirklich nötig sind Aufklärung und Weiterbildung von Fachpersonen im Gesundheits- und Sozialwesen. Der von Dignitas vertretene Ansatz zu einer umfassenden Leidensminderung mag Schule machen: Zu diesem gehört nicht nur die Suizidassistenz, sondern – und vor allem – den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen, mit Respekt zu behandeln und ihn nicht einem hochriskanten Do-it-yourself-Suizid zu überlassen.