Güner Balci hat im Sommer ein neues Buch vorgelegt. Wie zu erwarten ist es schnell in den Bestsellerlisten auf die vorderen Plätze gerückt. Und das zu Recht. Das Buch "Heimatland – Zähne zeigen gegen die Feinde der Demokratie" ist nicht nur ihr bisher persönlichstes Buch; es ist vor allem Warnung und Aufforderung, gegen den erstarkenden Politischen Islam anzutreten.
Kaum jemand möchte das Wort "Heimatland" in den Mund nehmen. Es hat etwas Anrüchiges; klingt nach schwarz-rot-gold und einem Patriotismus, der sich durch Ausgrenzung definiert. Umso spannender, dass Güner Balci dieses Wort zum Titel ihres Buches gemacht hat. Denn für sie ist Berlin-Neukölln Heimat und das Buch eine Kampfschrift dafür, dass die Offene Gesellschaft sich diese Räume (dieses Stadtbild) zurückerobert.
Der Verlag schreibt über die Autorin: "Güner Yasemin Balci ist Journalistin, Schriftstellerin, Filmemacherin und seit 2020 Integrationsbeauftragte für den Berliner Bezirk Neukölln. Sie hat die Herausforderungen einer Einwanderungsgesellschaft zu ihrem Lebensthema gemacht." Bereits in ihren anderen Büchern schrieb sie über die Zwänge und Gebote, "mit denen Jungen und Mädchen aus muslimischen Einwandererfamilien aufwachsen."
"Ich liebe mein Land, vor allem aber seine in der Verfassung garantierten Werte, Menschenwürde, Gleichberechtigung, freie Entfaltung der Persönlichkeit"1, schreibt Balci am Anfang des Buches. "Lange Zeit galten sie als unbestreitbar, bestimmten unsere Gesellschaftsordnung, heute sehe ich sie bedroht." Sie sieht eine Bedrohung zum einen durch die, die der Offenen Gesellschaft "den Kampf angesagt haben", aber auch durch jene, "die überhaupt nicht mehr wissen, was sie daran haben, und nicht erkennen, was verteidigt werden muss." Ihr Vorwurf lautet, dass dadurch leichtfertig ausgerechnet das aufs Spiel gesetzt werde, "was ziemlich einmalig ist in der Welt".

"Heimatland" ist kein trockenes Sachbuch. So ziemlich alle Schilderungen beruhen auf eigenen Erfahrungen und Beobachtungen. "Der Rollbergkiez war meine Lebensschule. Hier konnte man auf dem Spielplatz lernen, wie rasant eine selbst ermächtigte Truppe Sittenwächter allen ihre Normen und Vorstellungen mit Gewalt aufzwang und Angst erzeugte. Wie Gefolgschaft, Gehorsam, Loyalität abgefordert und auch geliefert wurden. Wie das als gottgefällig legitimiert wurde, was in Wahrheit im Interesse einiger war."2
Das Zitat des algerisch-französischen Journalisten und Autors Kamel Daoud "Freiheit und Sicherheit eines Landes bemessen sich daran, wie frei und sicher die Frauen dort sind" kann als Lebensmotto und Grundtenor des Buches (und vielleicht sogar des Lebens von Balci) verstanden werden. Und so beschreibt sie ausführlich und an vielen Beispielen, wie aus fröhlichen, freien Kindern im Laufe der Jahre unterdrückte Mädchen und Frauen wurden: "Alles wurde anders, als Anfang der 1980er Jahre viele arabische Familien in unser Viertel zogen. Jetzt regierten Abgrenzungen, eine von den selbst ernannten Sittenwächtern kontrollierte Geschlechterapartheid und Gewalt den Rollbergkosmos. Die Mädchen verschwanden von der Straße. Für sie begann eine Zeit strikter Sittenkontrolle. Freunde, Freizeit, Freiheit waren jetzt haram, verboten."
Ihre Eltern waren Aleviten und gehörten der Volksgruppe der Zaza an. Sie arbeiteten hart, um ihren Kindern eine gute Ausbildung zu ermöglichen. Und Freiheiten, die im Umfeld immer weniger geschätzt wurden. "Die Geschlechterapartheid vollzog sich in einem schleichenden Prozess, aber immer vor unseren Augen – auf dem Spielplatz, an den Tischtennisplatten, in den Treppenaufgängen." "Unter den Fenstern, unter denen wir als Jugendliche zusammen abhingen und miteinander knutschten, wachen heute Typen über ihre Schwestern […] Der Jugendliche, der mit dieser Anmaßung prahlt, ist nicht etwa frisch aus einer Gesellschaft eingewandert, in der das Patriarchat das Sagen hat, sondern in Berlin geboren."
Balci arbeitete viele Jahre im sozialen Brennpunkt Neukölln im Mädchentreff "MaDonna" für Jugendliche aus türkischen und arabischen Familien. Insbesondere dort nahm sie wahr, wie sich das Umfeld veränderte; wie immer häufiger vermeintliche Traditionen beschworen und Mädchen und Frauen sexualisiert wurden. "Die Ehre der Familie befindet sich zwischen den Beinen der Mädchen. Über ihre Bestimmung entscheiden die Männer, die älteren Frauen, das System. Die Mädchen selbst haben kein Recht auf sexuelle Selbstbestimmung und kein Recht auf ein freies Leben." Das sei in allen patriarchalischen Lebensentwürfen so, gleichgültig ob bei orthodoxen Christen, traditionell-orthodoxen Juden oder Hindu-Traditionalisten. Sie weist darauf hin, dass der Rechtsstaat diese Art der Geschlechterapartheid nicht dulden dürfe. Denn "die Sexualisierung des Alltags und der Besitzanspruch gegenüber weiblichen Familienmitgliedern sind ein schwer überwindbares Hindernis für die Integration einer migrantischen Gesellschaft", schreibt Balci.
"Wir tun", stellt sie weiter fest, "bei Weitem zu wenig dafür, die Rechte von Mädchen aus muslimischen Familien zu gewährleisten und durchzusetzen." Bis heute übernehme niemand in Deutschland Verantwortung für diese Mädchen und jungen Frauen und sorge dafür, "dass sie die Rechte, die ihnen zustehen, auch wahrnehmen können." Immer wieder höre man in der Debatte "schräge Argumente von Religionsfreiheit und Elternrecht."
Manche, die dieses patriarchale System als Teil einer "Kultur" verstehen wollen, erinnert sie daran: "Die europäische Aufklärung ist einzigartig, ihre Geschichte ist bis heute eine Erfolgsgeschichte, die nicht zuletzt zu universellen Menschenrechten führte, nach denen sich heute viele Menschen außerhalb Europas sehnen." Sie nennt es einen "ziemlich beschränkten Ansatz eines bestimmten akademischen Milieus" und "blinde Ideologie", wenn man "alles, was Europas ideengeschichtliche und politische Errungenschaften ausmacht, als koloniale Ausbeutungsfrucht" diskreditieren wolle.
Im Gegenteil müsse die Gesellschaft – auch auf die Gefahr hin, missverstanden zu werden – deutliche Signale setzen gegen diese Unterdrückung. "Das Dilemma […] ist die drohende Vereinnahmung durch rechte Gruppen […] Denn natürlich fallen dabei islamkritische Worte, die Wasser auf die Mühlen der rechten Szene sind." Wenn jedoch ethnische Abstammung, Hautfarbe, sexuelle Orientierung zu hervorgehobenen Merkmalen von Identität werden, dann kann es schnell dazu kommen, dass, wer sich in keins dieser Raster einordnen lassen will, als "Gegner markiert, bedroht und beleidigt" wird. Und andererseits "mussten sich in den letzten Jahren schon viele Feministinnen ohne direkte Zuwanderungsgeschichte, also mit zu heller Haut, anhören, dass sie nicht qualifiziert seien, über Ehrenmorde zu reden – das sei eine Bevormundung der Betroffenen durch 'Weiße', also rassistisch."
Ideologische Verblendungen lösen keine Probleme
Diese ideologischen Verblendungen sind jedoch nicht geeignet, die Probleme der Einwanderungsgesellschaft zu lösen. Frauen wie die Anwältin und Frauenrechtlerin Seyran Ateş, die es nicht hinnehmbar finden, dass kleine Mädchen verschleiert werden, werden als "'Rassisten', 'Verräter', 'Haustürken'" beschimpft. "Ich hätte nie gedacht", schreibt Balci, "dass ich in meinem Heimatland eines Tages auf gebildete Frauen – Politikerinnen, Kirchenfrauen, Sozialarbeiterinnen, Journalistinnen etc. – treffen würde, die sich für muslimische Prediger einsetzen, die bereits kleine Mädchen unter den Schleier zwingen. Finden sie es etwa hinnehmbar, dass der Alltag von Frauen durch religiöse Normen bestimmt wird, die gegen Grundrechte verstoßen?"
Balci schreibt über die sogenannten Schlichter: Religiöse Männer, die am Rechtsstaat vorbei Recht sprechen und dabei zum Teil von ebendiesem und seinen überforderten Gerichten unterstützt werden. Sie hofft, dass man eines Tages einsehen werde, "dass diese selbst ernannten Richter nicht mit der sogenannten Schiedsgerichtsbarkeit gleichzusetzen sind". Im Moment aber gäbe es staatliche Fördermittel für Moscheen und Imame, die sich als Schlichter und Integrationsförderer anbieten. "Und das, obwohl wir inzwischen wissen, dass durch deren Vermittlungsangebote ganze Strafverfahren torpediert werden." Als Beispiel benennt sie einen Fall aus Berlin, als ein arabischstämmiger Mann, der am Silvesterabend 2024 eine Rakete durch die Fenster einer fremden Wohnung schoss und daraus ein TikTok-Filmchen machte, sich wunderte, als die Polizei ihn verhaftete. "'Wozu Polizei?' Völlig überflüssig, fand er. Er hatte Menschenleben gefährdet, wurde verhaftet und konnte gar nicht nachvollziehen, dass ein solches Vergehen rechtsstaatliche Folgen hat, obwohl er schon jahrelang in der Bundesrepublik lebt." Er wollte es klären "von Araber zu Araber", denn auch der Mieter der fremden Wohngemeinschaft war ein solcher.
Auch Zwangsehen sind Thema im Buch. Sie sind in Deutschland zwar seit Jahren verboten, finden aber trotzdem statt. Denn es gibt keinerlei Überprüfung, ob junge Frauen wirklich einverstanden sind mit der Heirat. "Man nennt das natürlich nicht mehr 'Zwangsehe', man spricht […] lieber von 'arrangierter Ehe' – das erlaubt es, gegen diese Form der Selbstbestimmungsenteignung nicht vorgehen zu müssen." Und nicht zuletzt weist Güner Balci darauf hin, dass es vor allem auch Muslime sind, die unter dem reaktionären Islam leiden: "Meine alevitischen, jesidischen, kurdischen, liberal-sunnitischen und aramäischen Berliner Freunde kennen diese Form der Diskriminierung durch konservative und reaktionäre sunnitische Muslime. […] Ihr Glaube an ihre moralische Überlegenheit und an die Höherwertigkeit ihres Lebens ist tödlich für jede pluralistische Gesellschaft."
Sie verschließt ihre Augen auch nicht vor antisemitischen Tendenzen in der muslimischen Community. "Wer als Kind in einer muslimisch geprägten Nachbarschaft aufwächst wie ich, bekommt früh mit, dass antisemitische Narrative für viele Muslime identitätsstiftend und ein fester Bestandteil auch ihrer Kindererziehung sind." Und sie warnt deshalb: "Eine Gesellschaft wie unsere, die die individuellen Freiheitsrechte hochhält, deren Geschichte geprägt ist vom Faschismus des letzten Jahrhunderts und der Ermordung von Millionen Menschen, trägt besondere Verantwortung, jede Form von Islamofaschismus und muslimischem Antisemitismus frühzeitig zu erkennen und beiden entschlossen entgegenzutreten." Das allerdings sei bisher nicht gelungen und es gebe auch kaum Anzeichen dafür, dass es versucht werde.
Im Gegenteil verweist sie darauf, wie wenig staatliche Stellen auf Menschen, die einen liberalen, weltoffenen, säkularen Islam vertreten, hören wollten. Sie erwähnt zum Beispiel Abdel-Hakim Ourghi: "Kaum einer in Deutschland kennt diesen bedeutenden Gelehrten und seine wissenschaftlichen Werke. Wie viele Islamkritiker, die aus muslimischen Ländern zu uns gekommen sind, weil in ihrer Heimat das offene Wort nicht möglich war, ist er kein gesuchter Gesprächspartner für unsere Volksvertreter." Die reden lieber mit muslimischen Funktionären und Verbandsvertretern, die "uns wieder und wieder weismachen, dass Terrororganisationen wie der IS oder Attentäter, die Menschen abstechen, 'mit dem Islam nichts zu tun haben'". Dabei könnten Ourghis Reformvorschläge für die Politik eine Agenda sein, was im Dienste einer besseren Integration Imamen, muslimischen Funktionären und Verbandsvertretern abverlangt werden müsste.
"Vereine und Verbandsstrukturen mit rassistischer, ideologischer Ausrichtung haben diese Entwicklung mit leichtfertiger Unterstützung der hiesigen Volksparteien über Jahrzehnte gefördert." Es sei verlockend gewesen, "sich bei Ditib, Milli Görüs und anderen Institutionen Wählerstimmen zu sichern, indem man ihre Funktionäre zu scheinbar seriösen Ansprechpartnern für migrationspolitische Belange machte."
Die Feinde der Demokratie haben längst erkannt, dass und wie sich Parteien, Organisationen und Institutionen in ihrem Sinne nutzen lassen. "Sie mobilisieren dafür personelle und finanzielle Ressourcen und investieren in den Aufbau einer zivilen Infrastruktur. Sie bauen Kindergärten und Privatschulen, bieten Studentenunterkünfte und Berufsberatung an und greifen so nach den nächsten heranwachsenden Generationen, um sie schon im Kleinkindalter gegen eine offene Gesellschaft immun zu machen."
Zum Ende des Buches geht Balci noch einmal kurz auf die Debatten ein, die bei ihrer Ernennung zur Integrationsbeauftragten in Berlin-Neukölln entbrannt sind. "Die Diffamierungskampagnen gegen mich haben meine Überzeugung gestärkt: Hier ist der Ort, an dem ich wirken möchte". Keinesfalls "überlasse [ich] euch meine Heimat, einfach so, weil ihr mich einschüchtern wollt mit Rassismusvorwürfen?" Nein, sagt sie, sie lasse sich nicht einschüchtern.
Deutschland, Berlin, Berlin-Neukölln ist ihre Heimat. Und deshalb fordert sie: "Wir brauchen einen Patriotismus, der weder auf Herkunft noch Hautfarbe gebaut ist, sondern schlicht auf dem Fundament der Werte einer freien demokratischen Gesellschaft. Einen Patriotismus, der vielen einen Platz lässt, aber nicht alles akzeptiert, sondern unmissverständlich Grenzen zieht, wenn an seinen Grundfesten gerüttelt wird." Dem ist nichts hinzuzufügen.
Güner Balci, Heimatland – Zähne zeigen gegen die Feinde der Demokratie, Piper Verlag 2025, 24 Euro, EAN 978-3-8270-1525-9
1 Hinweis: Die Zitate haben keine Seitennummern, da mir die Ausgabe als eBook vorlag. (FN) ↩︎
2 "Die Rollbergsiedlung (auch Rollbergviertel genannt) ist eine Ortslage des Berliner Ortsteils Neukölln und wird im Westen von der Hermannstraße, im Osten von der Bornsdorfer Straße, im Norden von der Rollbergstraße und im Süden vom Mittelweg begrenzt." Wikipedia ↩︎






