Die Herrschaftsform des Islamischen Staates ist das gesonderte Thema einer Studie. Evelyn Bokler-Völkel, Islam- und Politikwissenschaftlerin, spricht von einer "ideokratischen Herrschaft". Die Begründung liest man in ihrer Habilitationsschrift: "Die Diktatur des Islamischen Staates und seine normative Grundlage".
Bekanntlich wurde der Islamische Staat (IS) als gebietsbeherrschende terroristische Organisation zerschlagen. In seiner Hochphase hatte er eine staatsähnliche Struktur etabliert, die man aus Legitimationsgründen heraus aber nicht "Staat" nennen wollte. Abstrahiert man derartige Motive, so hat man es durchaus mit einem diktatorischen Ordnungsmodell zu tun. Doch welcher Kategorie müsste man diesen "islamischen Staat" zuschreiben? Bereits vor dessen Entstehung wurde etwa der Islamismus, dem als politischer Akteur hier der IS zugeordnet werden kann, als "dritter Totalitarismus" tituliert. Dafür nannten diverse Autoren jeweils gute Gründe. Doch inwieweit kann hier auch von einer "Ideokratie" gesprochen werden? Diese Fragestellung führt zunächst zu einem Stolpern über den Terminus, der sich nicht nur in der Forschung noch nicht so richtig hinsichtlich Nutzung und Verständnis etabliert hat. Gemeint ist in der Diktaturforschung eine Herrschaftsform, definiert insbesondere über die Ideologie als grundlegendes Prinzip.

Passt das zum IS in seinem früheren Systemstatus? Diese Frage erörtert eine umfangreiche Habilitationsschrift, welche Evelyn Bokler-Völkel als Islam- und Politikwissenschaftlerin vorgelegt hat. Sie ist mit dem Haupttitel "Die Diktatur des Islamischen Staates und seine normative Grundlage" überschrieben, ein Untertitel fehlt. Als erkenntnisleitende Fragestellung der Studie wird formuliert: Welche Form prägte die Herrschaft des IS mit welcher Legitimation? Um dazu eine entsprechende Darstellung und Erörterung vorzunehmen, sind methodische Erläuterungen auch und gerade hinsichtlich des diesbezüglichen Forschungsstandes wichtig. Dies erklärt auch die breiten Ausführungen eben zu "Ideokratie" als politischem System. Die Autorin blickt dabei auf den Herrschaftsanspruch, die Herrschaftslegitimation und den Herrschaftszugang, womit sie entsprechende Analyseraster in einem eher formalen Sinne nutzt. Der vergleichende Blick richtet sich dabei auf die kommunistische und nationalsozialistische Diktatur im 20. Jahrhundert.
Dabei geht es nicht um eine inhaltliche Gleichsetzung, was angesichts der ideologischen Unterschiede auch unangemessen wäre. Indessen lassen sich aus ideologiekritischer Betrachtung formale Gemeinsamkeiten in den jeweiligen Ideologien konstatieren, allerdings auch wiederum mit formalen und inhaltlichen Unterschieden. Ihnen geht die Autorin bezogen auf die erwähnten Gesichtspunkte systematisch nach. Eine zunächst inhaltliche, danach aber auch tabellarische Bilanz macht diese Gemeinsamkeiten deutlich, wobei Bökler-Völkel hier von einer "theokratischen Ideokratie" spricht. Man könnte demnach diese Erkenntnisse auch auf Herrschaftsformen mit anderer religiöser Prägung übertragen. Genau darin liegt auch eine wichtige Erkenntnis, wird so etwas doch in der Forschung nicht selten eher ignoriert. Gerade die allen religiösen Glaubensformen eigenen Heilsoptionen legen ja ideokratische Ordnungsmodelle nahe. Daher kommt auch einer Demokratie der Differenzierung von Politik und Religion ein so hoher Stellenwert zu.
Ausführlich geht die Autorin dann noch auf die IS-Praxis ein, also auf die Herrschaft im Irak und in Syrien. Hier blickt sie auch ideengeschichtlich zurück auf die Frühphase des Islam, woraus dann im IS Legitimationselemente abgeleitet wurden. Ausführlicher aufgezeigt wird dies außerdem anhand des Bildes von Frauen, die in dem anvisierten "Gottesstaat" einen niedrigeren Status hatten beziehungsweise haben würden. Hier schließt die Autorin bezogen auf die bisherige Forschung, die eher auf andere Gesichtspunkte von Herrschaft abstellt, eine wichtige Lücke. Manchmal findet man bei der damit einhergehenden Analyse auch überaus komplexe Begriffe, ein Beispiel wäre "orientalischer Neopatrimonialismus", wobei derartige Wortungetüme durchaus für die Zuordnung wichtig sind. Für bekannte Formen von Weltanschauungsdiktaturen mag die Zeit tendenziell vorbei sein. Indessen erfahren solche Herrschaftsansätze eben in islamistischen Kontexten wieder eine Renaissance. Der kritische Blick darauf wird durch Forschungen wie die genannte Studie geschärft.
Evelyn Bokler-Völkel, Die Diktatur des Islamischen Staates und seine normative Grundlage, 2. Auflage 2025, Nomos-Verlag, 445 Seiten, 99 Euro, ISBN 978-3-7560-0467-6






