WARSCHAU. (hpd) Erstmals verklagt in Polen das Opfer eines pädophilen Priesters die katholische Kirche. Doch die Kirche gibt sich ungerührt und verweist auf die individuelle Schuld des Priesters. Das wirft grundsätzliche Fragen auf, die eine Bedrohung für die Kirche selbst sein können.
Am Donnerstag wurde die zivilrechtliche Klage an das zuständige Gericht in Köslin (Koszalin/Nordwestpolen) übermittelt. Sie richtet sich gegen das Bistum, die Pfarrgemeinde und den wegen Pädophilie verurteilten Priester Zbigniew R. Das Opfer, Marcin K., beschuldigt darin die Vorgesetzten des Priesters, sie hätten früh von seinen pädophilen Neigungen und Taten gewusst, wären aber nicht eingeschritten. Er fordert eine Entschädigung von fast 50.000 Euro und eine Entschuldigung in den polnischen Medien.
Als 12-Jähriger wurde Marcin K. vom Priester Zbigniew R. sexuell missbraucht. Acht Jahre später erstattet er Anzeige und suchte andere Opfer auf, von denen allerdings nur eines aussagte. Ein Gericht verurteilte Zbigniew R. 2012 zu zwei Jahren Haft für den Missbrauch von Marcin K. und eines anderen Jungen. Beide waren zum Zeitpunkt der Übergriffe Ministranten. In Haft kam der Geistliche erst Ende 2013, da er vor Gericht um die Aussetzung der Haftstrafe wegen seines schlechten gesundheitlichen Zustandes kämpfte.
Die katholische Kirche hatte Zbigniew R. schon 2008 suspendiert. Wegen einer homosexuellen Beziehung, nicht wegen Informationen über Übergriffe auf Kinder, wie es von der Bischofskurie nach außen heißt.
Kirche nicht verantwortlich
Die Klage von Marcin K. auf Entschädigung ist das Ende eines länger andauernden Ringens zwischen dem Opfer und dem Bistum Köslin-Kolberg. Bereits im Vorhinein hatte sich der heute 26-Jährige an Bischof Edward Dajczak mit der Forderung nach finanzieller Entschädigung gewandt. Dieser bezahlte Marcin K. Therapiekosten von circa 500 Euro. Ein Schuldeingeständnis sei das jedoch nicht gewesen, sondern eine gute Tat eines Geistlichen, der seinem Mitmenschen helfen wolle, sagt Dajczak. Ein Schiedsgerichtsverfahren scheiterte letztes Jahr.
Mit diesem Fall erregt der 26-Jährige Aufmerksamkeit in den Medien. Das erste Mal verklagt in Polen das Opfer eines pädophilen Priesters die katholische Kirche auf Schadenersatz. Kirchenobere verkünden unisono, die Verantwortung liege alleine beim Täter. Die Kirche trage auch in diesem Fall keine Mitverantwortung, da sie nicht zu den Taten angestiftet und nichts von diesen gewusst habe.
Autorität der Kirche in Gefahr
Mit jeder neuen negativen Schlagzeile verliert die katholische Kirche in Polen zusehends an gesellschaftlicher Akzeptanz – obwohl diese im Vergleich zu Deutschland immer noch sehr hoch ist. Viele Bürger fangen an zu fragen, wie die Kirche oftmals so unwissend sein könne und warum sie keine Verantwortung für ihre Geistlichen übernehme, die sie selbst aussuchte und mit hoher Autorität bestückte.
Darüber hinaus wirft die Argumentation der Kirche grundsätzliche Fragen auf: Wenn die Kirche “auch nur aus Menschen besteht”, wie können diese dann das Wort Gottes – wenn es denn eins gibt – verkünden? Und warum können dann nicht ganz normale Männer – oder gar Frauen – den katholischen Glauben predigen? Denn diese sind umso mehr ganz normale und fehlbare Menschen. Die letzte, absolute Frage ist dann: Wieso brauchen Gläubige zwischen sich und ihrem Gott andere Menschen, die sich durch keine besonderen Eigenschaften in dieser Hinsicht auszeichnen?