Der Säulenheilige

Mit zwei preisgekrönten Dokumentarfilmen, mehr als zwei Dutzend in viele Sprachen übersetzten Sachbüchern, der Mitherausgabe des Monatsmagazins Das Tier sowie der Herausgabe einer nach ihm benannten Kompendienreihe, die mit annähernd 10.000 Seiten das umfangsreichste Tierlexikon der Welt darstellt, nicht zu vergessen seine Berufung als Beauftragter der Bundesregierung für Naturschutz durch Willy Brandt und zahllose sonstige Ehrenämter und Ehrungen, gilt Grzimek als einflussreichster Zoologe überhaupt. Teil der kollektiven Erinnerung sind die Tierkinder, die er in seiner ab 1956 über 31 Jahre (!) hinweg ausgestrahlten ARD-Serie Ein Platz für Tiere neben sich auf dem Schreibtisch sitzen hatte, einschließlich der endlos wiederholten Szene, in der ihm ein Schimpanse aufs Jackett pinkelte. Ohne Zoos, so der mitgelieferte Subtext, bekäme man derlei "süße Tierbabies" - die Affen steckten meist in bunten Strampelanzügen - niemals zu sehen. In der Tat prägte niemand den Blick auf exotische Wildtiere so nachhaltig wie Grzimek, ungeachtet des Umstandes, dass seine Publikationen und Filme von zahllosen Irrtümern und Klischees durchzogen waren.

Grzimeks Tierleben

Die ab 1967 unter dem Titel Grzimeks Tierleben erscheinende 13+3-bändige Kompendienreihe unterschied sich inhaltlich und stilistisch kaum von dem erstmalig 1864 und bis in die 1980er immer wieder neu aufgelegten Illustrirte(n) Thierleben Alfred Brehms. Viele der Falschannahmen und Zerrbilder, wie sie sich seit Mitte des 19. Jahrhunderts über "exotische Wildtiere" festgesetzt hatten, wurden von Grzimek weitgehend unverändert fortgeschrieben, überlagert allenfalls von neuen Zerrbildern, wie sie der Beobachtung in Zoos entstammten.

Ethologische Befunde und Erkenntnisse aus Beobachtungen in freier Wildbahn, wie sie seit Anfang der 1960er Jahre etwa über das Leben Großer Menschenaffen vorlagen, über ihre enormen Intelligenzleistungen, ihre Empfindsamkeit und ihr soziales und kommunikatives Vermögen, ignorierte Grzimek fast vollständig. Mit Nachdruck und ganz in der Traditionslinie von Descartes bis Scheler betonte er die angeblich unüberbrückbaren Unterschiede zwischen Mensch und Tier. Aufgrund seines sehr viel höher entwickelten Gehirnes und der damit verbundenen Sprachfähigkeit sei der Mensch herausgehoben aus dem gesamten Tierreich, dessen er sich insofern nach Belieben und Gutdünken bedienen könne.

Lediglich die Gorillas kommen bei Grzimek besser weg als bei Brehm: sie werden nicht mehr als furchterregende Monster dargestellt, sondern als scheue und völlig unaggressive Wesen: "Der Gorilla ist kein tückischer Waldteufel. Bei all seiner überlegenen Kraft und Mächtigkeit ist er friedlich und verträglich. Das Bild, welches Jäger von ihm verbreitet haben, ist eine Verleumdung. Vielleicht stammt es aus einem eigenen Schuldbewusstsein. Einen großen Menschenaffen zu töten, muß den Jäger innerlich bewegen, wie wenn er einen Menschen erschossen hätte. Der Gesichtsausdruck, das Benehmen, der Blick eines Gorillas sind nun einmal so unertragbar menschenähnlich." (2)

Schuldbewusstsein, Gorillas und andere Wildtiere ihrer Freiheit zu berauben und sie auf Lebenszeit in winzigen Käfigen gefangen zu halten, hatte Grzimek gleichwohl nicht; auch der ihm bekannte Umstand, dass bei der Gefangennahme von Menschenaffenkindern in aller Regel die Mütter erschossen wurden, vielfach auch sonstige Familienangehörige, die sich schützend vor die Kinder stellten, ließ ihn unbewegt.

Während Grzimek wenigstens gegen die Verwendung von Menschenaffen in der medizinischen und pharmazeutischen Forschung Position bezog, findet sich bei ihm kein Wort der Kritik an ihrer Haltung in Zoos. Ganz im Gegenteil: Zoos werden als unverzichtbare Horte des Erkenntnisgewinnes dargestellt, ohne die es kein gesichertes Wissen über die jeweiligen Tierarten gäbe. Auch die zu Zeiten Grzimeks noch völlig unkontrollierte Praxis des Wildfanges - der Nachschub an exotischen Wildtieren für die Zoos in Europa und den USA wurde bis herauf in die 1970er überwiegend durch “Entnahme aus der freien Natur” gedeckt, was zahlreiche Arten an den Rand der Ausrottung brachte -, bleibt ohne jeden Einwand. Grzimek selbst pflegte regen Kontakt zu Wildtierhändlern aus aller Welt.

Nicht nur im Frankfurter Zoo gilt Grzimek als unantastbarer Säulenheiliger. Seine Nazi-Vergangenheit wird ebenso verdrängt wie sein unterschwelliger Rassismus und seine Verstrickung in den mörderischen Handel mit exotischen Wildtieren.

 


(1) zit.in: Flitner, Michael: Bernhard Grzimek und (post)koloniale Perspektiven im Naturschutzgedanken. in: www.freiburg-postkolonial.de/Seiten/Flitner-Grizmek.htm [abgerufen 28.3.2015]
(2) Grzimek, Bernhard/Schaller, George: Der Gorilla. in: Grzimek, Bernhard (Hrsg.) Grzimeks Tierleben: Enzyklopädie des Tierreiches (Bd.10). Zürich, 1969, S. 564