Plädoyer für eine Welt ohne Monotheismen

Streit um Gottes Wille!

Da selbst die Erfinder des Monotheismus, also die Israeliten, nichts Definitives über ihren "Gott" wussten, blieb sein Wille streitgegenständlich. Da die Idee des Monotheismus jedoch auch ohne Beweis fruchtete (schließlich waren damals alle Menschen per se mehr oder weniger abergläubisch), gab es folgerichtig in Kombination mit der “Unerforschlichkeit” viele Häresien, d.h. Abspaltungen von der Uridee. Diese fanden deswegen Gefolgsleute, weil die ersten Erfinder ihre Version eben nicht glaubhaft belegen konnten. Nicht einmal glaubhaft! Und so teilten sich diese Äste auf in Zweige und Stängel, bis es heute mindestens hunderttausend unterschiedlich große Sekten dieses "einen Gottes" gibt – und jede von ihnen glaubt, Recht zu haben.

Da jedoch keiner auch nur einen Deut besser war beim Beweis der Richtigkeit seiner Häresie oder seines Schismas hat nun jeder subjektiv Recht, der Gottes Wille aus diesem oder jenem sogenannten "heiligen" Buch in dieser oder jener Weise herausliest. Wer will ihm das Gegenteil beweisen? Das Entscheidende hierbei ist, dass Theologen nicht nur beim Beweis ihrer eigenen Position scheitern, sondern viel gravierender beim Gegenbeweis zur Widerlegung anderer monotheistischer Auffassungen.

Aber wie könnten auch all die kleinen und kleinsten Spitzfindigkeiten, die einzelne Sekten – selbst innerhalb einer Religion – voneinander trennen, verifiziert werden? Gar nicht. Als Beweis hierfür mag anzusehen sein, dass die Zugehörigkeit zu einer speziellen Religionsgemeinschaft mittels Indoktrination innerhalb der Familie vererbt wird. Nur selten gibt es im jungen Erwachsenenalter – ausgelöst durch Sinnkrisen – den freiwilligen Wunsch nach Loslösung aus dem eigenen Glaubenskonstrukt oder Konversion in ein anderes. Um diesem Sinneswandel vorzubeugen kennen alle Religionen das Druckmittel der sozialen Ächtung – bis hin zur unverhohlenen Todesandrohung im Fall einer Apostasie. Wären Glaubensinhalte verifizierbar und überzeugend, wären diese Repressalien unnötig.

Von außen betrachtet stellen sich trotz aller felsenfesten Überzeugung Gläubiger eine Reihe kurioser Fragen, die letztlich allesamt nicht zu beantworten sind:

  • Wie beweisen Christen, dass die islamische Degradierung Jesu zum Propheten ungerechtfertigt ist?
  • Wie können Juden oder Muslime beweisen, dass Jesus nicht Gottes Sohn war?
  • Haben Rabbiner Recht, die die Trinität des Christentums für Unsinn halten?
  • Haben Christen Recht, wenn sie Juden vorwerfen, nichts vom "heiligen" Geist zu wissen?
  • Sind im Jenseits die Seelen Verstorbener (Christentum/Islam) oder ist der Himmel leer (Judentum)?
  • Sollen Muslime von einem Verwandten Mohammeds oder seinem Stamm geführt werden?
  • Sollen sie also der Sunna oder der Schia folgen?

Ich bleibe einmal kurz bei den beiden letzten Fragen um Sunna und Schia, da sich an ihrem Beispiel fatale Konsequenzen zunächst marginaler Probleme zeigen lassen: Diese Schismen des Islams sorgen bis heute – fast 1.400 Jahre nachdem das "Problem" aufgetaucht ist – für die abscheulichsten Gräueltaten der Menschheitsgeschichte. Der IS ist das finsterschwarze Aushängeschild dieser Pervertierung menschlicher Umgangsformen. Die Debatte, ob hier die Religion des Friedens missbraucht wird, kann ich problemlos umschiffen: Der offenbar tiefgehende Graben zwischen Schiiten (Anhänger der Schia) und Sunniten (Anhänger der Sunna) selbst verhindert aus theologisch-machtpolitischen Gründen sein Zuschütten. Der entsprechende Hass sitzt nicht minder tief: Deshalb ist es kein Argument gegen die religiöse Begründung nahöstlicher Kriegsgräuel, dass hier Muslime Muslime töten – auch wenn dies oft vorgetragen wird -, sondern eher ein Beweis für die Richtigkeit der These. Ohne Monotheismus gäbe es weder Schiiten, noch Sunniten, sondern Araber, Iraker, etc. Deren traditionelle Stammesfehden wären ohne religiöse Zementierung mit fortschreitender Modernisierung wesentlich unkomplizierter zu befriedigen.

Aber werfen wir unseren Stein nicht zu weit. Wie steht es um den Graben zwischen Katholiken und Protestanten? Die Ökumene versucht seit Mitte des 20. Jh. den christlichen Graben zuzuschaufeln. Zuvor gab es massive Auseinandersetzungen, die im 30-jährigen Krieg ihren furchtbaren Höhepunkt fanden, jedoch auch den Nordirland-Konflikt bis 1998 beherrschten. Noch heute muss fleißig in den Graben geschaufelt werden, um teilweise theologische Lappalien und Spitzfindigkeiten, wie das Zelebrieren des Abendmahls zu klären. Allerdings gibt es nicht wenige, die das Schüttgut geschäftig wieder herausschaffen, weil sie eine Gleichmacherei der Kirchen nicht wollen. Schließlich hat jeder Recht, oder? 2 + 2 = 5 ist doch genauso richtig wie 2 + 2 = 3, oder?

Gäbe es den monotheistischen "Gott" und würde er unmissverständlich seinen Willen kundtun (was ja alle Religionen gebetsmühlenartig behaupten), wären diese Konflikte längst beseitigt und vergessen. Die “heilige” Notlüge, die in allen derartigen Büchern implementiert wurde, nämlich dass Gott selbst die Zweifler und Heiden auf die Welt gesetzt habe, um die wahren Gläubigen zu prüfen, ist bei genauerer Betrachtung nicht stichhaltig. Denn dieses angeblich "göttliche" Verhalten erklärt zwar den Realzustand der Welt (Die Gedanken sind frei und diese Freiheit wird gerne genutzt), ist jedoch im Sinne eines "göttlichen”"Heilsplans kontraproduktiv. Damit "Gott" nun aber nicht als Vollidiot dasteht, erklären Theologen seine Wege kurzerhand für unerforschlich. Fall erledigt!

Dieser Zustand ist leider im Sinne der Monotheismen unheilbar, wobei er sich bis zur Aufklärung nicht als Problem zeigte. Die Welt davor war in streng abgegrenzte Hegemonien geteilt. Die jeweiligen Herrscher bestimmten, welcher Form des Monotheismus ihre Untertanen zu folgen hatten. Soziale Faktoren innerhalb der Gemeinden sorgten für Aufrechterhaltung des Konstrukts. Abweichler wurden geächtet, verjagt oder getötet. Das augustinische “Glaube, damit zu erkennst!” hielt erfolgreich den Deckel auf dem christlichen Einheitsbrei. Doch mit der Aufklärung begann das Ende dieser aus Sicht der Monotheismen paradiesischen Zeit. Die Komplexität der Welt wurde erkannt und zugleich, dass die einfachen Antworten aus Bibel und Co. falsch sein mussten. Durch geschickte Anpassung haben sich die Monotheismen jedoch bis in unsere Zeit gerettet. Dabei gaukeln sie gerade in westlichen Industrienationen vor, einander tolerant gegenüberzustehen.

Doch ist das überhaupt möglich? Das Wesen des Monotheismus ist ja gerade, dass es nur einen Gott, nur einen Weg und nur eine Wahrheit gibt – bis heute in mindestens hunderttausend Varianten. Es wird niemals diesen weisen Mathematikprofessor geben, der seine Studenten zu Raison ruft und ihnen die Realität beweist – weil es eben, wie ich oben dargelegt habe, aus prinzipiellen Gründen keine alleinige religiöse Wahrheit geben kann. Da der Mensch an sich hin und wieder schon reichlich rechthaberisch auftritt, werden auch nicht 99.999 Sekten freiwillig ihre Position aufgeben, damit die hunderttausendste fröhlich mit ihrem Gottesbild weiter hausieren gehen darf. Die Toleranz ist also letztlich nur gespielt und entspringt dem Instinkt reinen Machterhalts in Zeiten schwindender Religiosität. Das ist kein stabiles Podest für eine sichere Zukunft ohne Religionskriege. Dessen Füße sind nicht nur tönern, sondern aus Eis, das in der Sonne digitaler Vernetzung schmilzt.