Der Umgang der Kirche mit den Opfern sexualisierter Gewalt ist ein Skandal ohne Ende: Vertuschung, Verweis auf Verjährung, Zuständigkeitsstreitigkeiten – die Palette der Abwehrstrategien ist bekannt. Doch das Bistum Regensburg erweitert das Repertoire nun um eine neue Facette: Mit dem Hinweis auf angeblich leere Kassen verweigert es dem Missbrauchsopfer Matthias Podszus eine angemessene Entschädigung. In einem Schreiben der Bistumsanwälte wird das Vorgehen als "christliches Entgegenkommen" bezeichnet – blanker Hohn für den Betroffenen.
Matthias Podszus besuchte ab September 1991 das Grundschulinternat der Regensburger Domspatzen in Pielenhofen. Dort wirkte der katholische Priester Johann Meier bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1992 als Direktor. Meier hatte die Funktion seit 1958 inne – damals befand sich das Internat noch in Etterzhausen, 1981 wurde der Umzug in die Räumlichkeiten des ehemaligen Klosters Pielenhofen vollzogen. In dem kurzen Zeitraum, in dem sich die Schulzeit von Podszus und die letzten Dienstmonate von Meier überschnitten, wurde der achtjährige Schüler wiederholt in das Büro des Direktors zitiert, wo Meier seinen "Liebling" körperlich züchtigte und sexuell übelst missbrauchte.
Schreckliche Erlebnisse, die Matthias Podszus noch immer psychisch belasten und sein ganzes Leben geprägt haben, wie er in einem Gespräch mit dem hpd erklärte. Podszus, der bis 1999 bei den Domspatzen war, wurde verhaltensauffällig und kam in die Kinder- und Jugendpsychiatrie, dann in eine therapeutische Wohngemeinschaft, wo er auch Medikamente mit sedierender Wirkung erhielt. Bis heute befindet sich Matthias Podszus in psychotherapeutischer Behandlung, er ist inzwischen arbeitsunfähig und kämpft vor Gericht um Gerechtigkeit.
Vor diesem Hintergrund ist es mehr als verständlich, dass Podszus das Bistum Regensburg auf eine Entschädigungssumme in Millionenhöhe verklagt, die sich aus Schmerzensgeld und Verdienstausfall zusammensetzt. Die Klageschrift von Sven Markuske, dem Anwalt von Matthias Podszus, liegt dem hpd vor und listet auf zwei Seiten detailliert die "Folterhandlungen", "seelischen und sexuellen Missbrauchshandlungen" auf, die der Schüler in dem Internat erleben musste – eine erschütternde Chronik von Grausamkeiten. Podszus beschreibt Pielenhofen rückblickend als "Ort der Gewalt, nicht nur von Erziehern, sondern auch unter den Jugendlichen".
"Leere Kassen" bei fast einer Milliarde Eigenkapital
Wie bei solchen Verfahren üblich, hätte es die Möglichkeit gegeben, dass sich das Bistum Regensburg und der Kläger gütlich einigen, ohne dass es zu einem Gerichtsverfahren kommt. "Das sogenannte Anerkennungsverfahren sollte Opfern wie mir einen langwierigen Prozesse inklusive Aussage ersparen. Das Ablehnen des Güteverfahrens zeigt aber nun, dass es sich dabei nur um hohle Worte handelt", erklärt Matthias Podszus.
Aber an einer gütlichen Einigung hat die Diözese kein Interesse. Die Nürnberger Kanzlei Doll, die das Bistum Regensburg vertritt, antwortete am 18. August in einem Schreiben, das auch dem hpd bekannt ist: "Entgegen der offenbar in der Öffentlichkeit verbreiteten Meinung, verfügt die Beklagte über keine unerschöpflichen Mittel. Demgegenüber steht jedoch eine nahezu unerschöpfliche Anzahl Bedürftiger, welche auf die Unterstützung der Beklagten angewiesen ist."

Doch damit nicht genug: Die Diözese, die laut Jahresabschluss 2023 eine Bilanzsumme von 1,7 Milliarden Euro und liquide Mittel von 84,5 Millionen Euro auflistet, weist eine höhere Entschädigungszahlung zurück und preist sich trotzdem für ihr "christliches Entgegenkommen (…), da gerade auf einen konkreten Nachweis die Richtigkeit der Vorwürfe betreffend verzichtet wird, um den Opfern die Belastungen eines Beweisverfahrens zu ersparen."
Noch perfider: Obwohl Johann Meier, dem 1992 verstorbenen, ehemaligen Direktor des Schul- und Musikinternats der Regensburger Domspatzen zahlreiche Missbrauchsfälle vorgeworfen wurden, bezeichnet die Bistumskanzlei Johann Meier schamlos nur als "vermeintlichen Schädiger". Die Kanzlei Doll schwadroniert von "berechtigten Zweifeln, gerade im Hinblick auf die nur kurze Dauer des gemeinsamen Aufenthalts des Klägers und des Direktors in der schulischen Einrichtung" und stellt somit erstmals die Taten in Frage, obwohl in einem vom Bistum selbst in Auftrag gegebenen Abschlussbericht die Demütigungen und der sexuelle Missbrauch durch Johann Meier als unstrittig bezeichnet wurden.
Ferner verweist die Kanzlei des Bistums darauf, dass Meier "die vom Kläger vorgeworfenen Handlungen als Schuldirektor ausübte und gerade nicht als Priester" ausgeführt hat. Angeblich hätte gar kein "Anstellungsverhältnis" vorgelegen: "Johann Meier erhielt die Erlaubnis, die Stelle als Leiter im Schulheim der Dompräbende Etterzhausen zu übernehmen, angewiesen wurde er hierzu nicht." Die Klage sei daher abzuweisen – ein juristischer Taschenspielertrick, um sich aus der Verantwortung zu stehlen.
Ist es "christliches Entgegenkommen", wenn die Kirche Matthias Podszus nun zwingt, vor Gericht auszusagen und seine traumatischen Erfahrungen erneut durchzustehen? In den USA zahlte die Erzdiözese Boston bereits 2003 insgesamt 85 Millionen Dollar an Missbrauchsopfer. In Deutschland hingegen feilschen Bistümer noch immer um jeden Euro – trotz Milliardenvermögen.






