Ein neues Gesetz soll ändern, dass es in Deutschland zu wenig Organspenden gibt. Mit seinem Vorschlag prescht Bundesgesundheitsminister Jens Spahn am 1. April im Bundestag vor: Wer nicht vorher widersprochen hat, soll nach Hirntod automatisch als Spender gelten. Eine Mehrheit im Bundestag dafür ist allerdings fraglich. Federführend von der Grünenchefin Annalena Baerbock gibt es einen Gegenentwurf.
Der Termin für die sicher emotionale geführte Gesetzesdebatte im Bundestag ist noch offen. Am Ende sollen die Abgeordneten ohne Fraktionszwang über die Entwürfe entscheiden – allein nach ihrem Gewissen. Unabhängig davon gelten vom 1. April 2019 an neue gesetzliche Regeln, um die Bedingungen für Organentnahmen in Kliniken zu verbessern – mit höheren Vergütungen und mehr Wirkungsmöglichkeiten für Transplantationsbeauftragte.
Entwurf von Jens Spahn (CDU) und anderen
Alle BürgerInnen ab 18 Jahren, die dies nicht einschlägig anders dokumentiert haben, sollen demnach für eine Organspende zur Verfügung stehen. Die gestern vorgestellte Widerspruchslösung wird "doppelte" genannt wird, da allerdings auch Angehörige einzubeziehen seien. Das künftige Verfahren würde so ablaufen: Zum Zweck der Organentnahme leitet der Arzt beim Komapatienten zunächst die Feststellung des Hirntods ein. Dann wird bei einem vom Gesundheitsministerium neu einzurichtenden Register nachgefragt, ob der Betroffene vorher einer Organspende widersprochen hat. Wenn nicht, gilt er erst mal als Spender. Danach soll der Arzt noch einen nahestehenden Angehörigen fragen, ob ihm ein entgegenstehender früher erklärter Patientenwille bekannt ist. Ist auch das nicht der Fall, kommt es automatisch zur Organentnahme. Laut Bild am Sonntag heißt es im Gesetzentwurf ausdrücklich: "Dem nächsten Angehörigen steht kein eigenes Entscheidungsrecht zu." Bei Kindern und Jugendlichen unter 16 Jahren soll die Organspende nur zulässig sein, wenn der nächste Angehörige zugestimmt hat.
Jens Spahn (CDU) hat sich in einer fraktionsübergreifenden Gruppe mit Abgeordneten zusammengeschlossen, zu der der SPD-Fraktionsvize und Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach ebenso gehört wie Petra Sitte von der LINKEN und der CSU-Abgeordnete Georg Nüßlein. Die bisherige Lösung, nach der potenzielle Organspender vorher aktiv zugestimmt haben müssen, habe nicht gefruchtet, begründete Spahn den Entwurf. Lauterbach ergänzte: "Es sterben jedes Jahr um 2.000 Menschen auf der Warteliste." "Es wird niemand zu irgendetwas gezwungen", sagte Nüßlein, und Sitte sprach von einem "solidarischen Akt" gegenüber den Mitmenschen.
Gegenentwurf von Annalena Baerbock (Grüne) und anderen
Im Bundestag zeichnet sich jedoch keine Mehrheit für die von Spahn und anderen vorgestellte Widerspruchslösung ab. Als Gegnerin tritt die Grünen-Chefin Annalena Baerbock federführend auf. "Unser Vorschlag ist deutlich grundgesetzschonender, weil die Widerspruchslösung ein tiefer Eingriff in die Grundrechte ist. Nun werden wir im Bundestag darüber debattieren und dann weiter abstimmen", sagt Baerbock. Sie hatte zusammen mit Abgeordneten aller anderen Parteien außer der AfD bereits laut früherer Pressemeldungen einen fraktionsübergreifende Alternativentwurf vorgelegt und sich auf ein zentrales elektronisches Register geeinigt. Darin sollen BürgerInnen selbst eintragen können, wenn sie für eine Organspende nach Hirntod bereit sind und wenn ja, welche Organe in Frage kommen. "Wir haben uns jetzt auf ein gemeinsames Vorgehen verständigt und das Bundesgesundheitsministerium gebeten, den Gesetzentwurf nach diesen Eckpunkten konkret auszuarbeiten", wird der Bundestagsabgeordnete Stephan Pilsinger (CSU) zitiert.
Dieser Kompromissvorschlag ist, wie das Vorpreschen Spahns zeigt, jedoch nicht berücksichtigt worden. Pilsinger, der den Antrag zusammen mit Grünen-Chefin Annalena Baerbock unter Mitwirkung von PolitikerInnen von CDU, SPD, FDP und der Linkspartei erarbeitete, hatte betont: "Wir sind sehr zuversichtlich, dass dieser Kompromiss eine Mehrheit im Bundestag findet". Die Orientierungsdebatte im Bundestag Ende vergangenen Jahres habe gezeigt, dass die große Mehrheit dort die Widerspruchslösung ablehne.
Nur wer aktiv zugestimmt hat, soll demnach zum Organspender werden, lautet der Gegenentwurf von Baerbock und anderen. Wichtig sei aber, dass jeder gefragt wird. Die Passämter sollen dabei eine zentrale Rolle spielen. Sie könnten die BürgerInnen zum Eintrag in ein Online-Register auffordern, heißt es in dem Eckpunktepapier. Auch Sicherheitsbedenken seien ausgeräumt, wobei das aus elektronischen Bankgeschäften bekannte PIN/TAN-Verfahren zum Einsatz kommen soll.
12 Kommentare
Kommentare
Junius am Permanenter Link
Am 28.03.19 stellten Gesundheitsminister Jens Spahn und SPD-Franktionsvize Karl Lauterbach ihren Entwurf für eine Widerspruchsregelung bei Organspenden vor.
Man mag das mögen oder nicht, aber darum geht es mir nicht. Ich habe selbst seit Jahrzehnten einen Organspendeausweis. Was meinen Widerspruch herausfordert, ist eine Bemerkung von Herrn Lauterbach dazu. Als er diese Regelung vorstellte, sagte er wörtlich: „Das ist jetzt der moralische Standard.“ Regierung können Gesetze beschließen. Daß sie auch moralische Standards setzen können, war mir neu.
Franz Reinartz am Permanenter Link
Das mit dem moralischen Standard Herrn Lauterbachs finde ich - gelinde gesagt - anmaßend.
Andreas E. Kilian am Permanenter Link
Seit deutsche Politiker ernsthaft diskutierten, dass Hartz-IV-Bezieher Organe spenden sollten, um etwas hinzu zu verdienen, ist eigentlich klar, wohin die Entwicklung geht: Organe = Geschäft = Geld.
Grundgesetzwidrig ist es allemal, da ein Bürger seine Meinung vorab öffentlich kundtun muss, um Rechte an seinem Körper zu bekommen bzw. zu behalten. Geschäft geht anscheinend vor Recht.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Der Gegenentwurf sei "grundgesetzschonender, weil die Widerspruchslösung" in die Grundrechte eingreife.
Aber haben HirnTOTE eigtl. noch Grundrechte?
Andreas E. Kilian am Permanenter Link
Hallo Hans, Organentnahmen werden niemals an Toten vorgenommen, da die Organe dann unbrauchbar wären.
Im Prinzip wäre es möglich, dass jeder Hirntoter – per Zufall – wieder ins Leben zurückkehren könnte. Hatte er dann während dieser Zeit keine Grundrechte gehabt?
Wenn in 20 Jahren die Medien von den ersten Organhandelskandalen (Exportweltmeister Deutschland) berichten, dann wird deutlich, wieso die Widerspruchsregelung so begehrt war. Widersprüche können in Zeitnot nun mal übersehen werden und wer sieht schon nach, ob etwas fehlt bevor der Körper verbrannt wird.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Nein, Andreas, Organe leben auch noch nach Hirntod zeitweise weiter.
Würden Organe NUR NOCH Lebenden entnommen werden können, wäre das nie und nimmer jemals genehmigt worden.
micham61 am Permanenter Link
Organspende, ein Thema welches Humanisten aufrütteln müsste, und das kräftig. Tut es aber nicht, leider.
Das Rumgehampel um den Technokratenscheixx ist einfach nur furchtbar.
Organe die zu Transplantationszwecken entnommen werden sollen können nur LEBENDEN Menschen entnommen werden, alles andere ist Unsinn!!! Es gibt ihn nicht, diesen sogenannten Hirntod. Diese Krücke ist das Einfallstor für diese barbarischen Akte. Wer, wer, ja wer ist bereit einen Menschen zum Tod zu verurteilen, damit ein anderer vielleicht, eventuell, unter günstigsten Bedingungen weiterleben kann. Ich jedenfalls nicht (nebenbei ist in D die Todesstrafe per Grundgesetz verboten).
Daniel E. am Permanenter Link
Ein Mensch mit irreversiblen Ausfall aller Hirnregionen (Klein-, Großhirn, Hirnstamm) als lebendig zu bezeichnen ist schon arg grenzwertig. CT-, MRT- oder Röntgen-Bilder zeigen dies eindeutig.
Ebenso sollte man wissen dass im durchbluteten Körper noch Körperprozesse stattfinden, die den Anschein erwecken der Körper sei lebendig. Aber Tatsache ist die Körperfunktionen haben nichts mehr mit den Gehirn zu tun, Körperreflexe gehen beispielsweise direkt über das Rückenmark. Ich kann durchaus verstehen dass manche Menschen das verwirrt und nicht als Tod akzeptieren.
Wenn Sie allerdings den Hirntod als Übergang vom Leben zum Tod ansehen und noch nicht als Todeszeitpunkt anerkennen, will ich ihnen das nicht nehmen. Jeder darf seine religiöse oder philosophischen Ansichten vertreten, wie er möchte.
micham61 am Permanenter Link
Danke für Ihre Antwort.
`CT-, MRT- oder Röntgen-Bilder zeigen dies eindeutig` Sind Sie sicher? Warum werden diesen Komapatienten vor der Organentnahme Schmerzmittel bis zur Vollnarkose verabreicht...?
EEG, können diese Maschinen wirklich ausschliessen das keinerlei Hirntätigkeit mehr stattfindet? Wohl nicht...s.Absatz zuvor.
Es sind barbarische Akte. Es sind die Angehörigen (wenn kein Spenderausweis) die das Todesurteil fällen sollen. Kein Arzt auf dieser Welt darf das, er ist dem Leben verpflichtet. Die Maschinen sollen an bleiben, wer weiss wie es ausgeht...vielleicht gut...
Ja, ein Michael Schumacher muss leben, sein Sohn tritt in seine Fußstapfen, die Mutter widerspricht nicht...die kränksten Jahre der Menschheit...hoffentlich bald zu Ende...
Andreas E. Kilian am Permanenter Link
Unabhängig davon, wann ein Mensch tot ist, liegt das Hauptproblem doch darin, dass Organe ein äußerst lukratives Geschäft sind und manche Mediziner die Grenzen für sich auslegen bzw. manipulieren können.
In einer Welt, in der Menschen von der Straße gekidnappt und ausgeweidet werden, wenn ein zahlender Kunde dies will, ist es nur eine Frage der Zeit, bis dies auch hier in Deutschland passiert. Manche Politiker hatten diese "Spenden" ja bereits als Zuverdienst für Hartz-IV-ler im Sinn.
Und Mediziner, die homöopathische Mittel empfehlen oder verkaufen, um mehr zu verdienen, haben die Grenze zum Geschäft bereits überschritten. Was würden sie machen, wenn sie 1 Millionen pro Niere angeboten bekämen?
Resnikschek Karin am Permanenter Link
Die Grünen sind nach wie vor zu kirchennah statt weltanschaulich neutral.
Manfred H. am Permanenter Link
Ich halte von Baerbocks Gegenvorschlag wenig. Da wird jeder sagen: Ich bin ja eigentlich schon bereit, aber darf ich mir das noch überlegen?