Patriarch Kyrill I. warnt vor internetfähigen Geräten

Der Antichrist in deiner Hand

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Das Böse ist immer und überall

Der russisch-orthodoxe Patriarch Kyrill I. teilt mit: Das Kommen des Antichristen stehe bevor! Weil die Leute alle im Internet unterwegs sind. Aber was ist das eigentlich, der Antichrist? Durch die Jahrhunderte immer wieder die Krokodils-Handpuppe der Theologen.

Aus gut unterrichteten Kreisen verlautet: Der Antichrist ist mal wieder unterwegs. Darauf hat jetzt dankenswerterweise Patriarch Kyrill I. von der russisch-orthodoxen Kirche hingewiesen. Was der Antichrist genau sein soll, weiß keiner. So fügt er sich gut in alle andere Theologie ein. Christus jedenfalls wusste vom Antichrist nichts. Oder es ist nichts davon überliefert. Es ist ja sogar ein bisschen fraglich, ob Christus sich für den Sohn Gottes hielt oder gar für den Gott selbst, der dann für ein Zwiegespräch am Kreuz natürlich nicht mehr zur Verfügung stand. Der Antichrist jedenfalls erfüllt die Ansprüche, die man im Abendland an eine spannende Geschichte hat, an alle Drehbücher Hollywoods: Es muss zu einem Endkampf kommen irgendwie. Das Gute gegen das Böse. James Bond gegen den Beißer. Micky Maus gegen Kater Karlo. Der liebe Gott gegen – ja, wen?

Erzählerisch war es schon immer eine unlösbare Aufgabe, die Christen auf den Kampf für den Gott einzuschwören. Gegen wen soll der denn kämpfen, nachdem er die ganze Welt mit all ihren Macken ja selber zu verantworten hat? Ist es nicht langweilig, einen Allmächtigen gegen wen auch immer antreten zu lassen? War nicht der Opfergang des Christus irgendwie schon die Erlösung? Welche Rolle spielen eigentlich wir?

Der Antichrist jedenfalls taucht kaum je in der Bibel auf, nur an ein paar Stellen in den Briefen des Johannes, dem ansonsten noch die offensichtlich von halluzinogenen Pilzen mit beeinflusste Schilderung der Apokalypse zugeschrieben wird. Über den Antichristen heißt es an einer Stelle: "Jetzt ist er schon in der Welt."

Ansonsten erfährt man nicht gar zu viel über ihn. An anderer Stelle wird immerhin die zeitliche Verortung des großen Bösen bestätigt: "Meine Kinder, die letzte Stunde ist da. Ihr habt gehört, dass der Antichrist kommt, und jetzt sind viele Antichriste aufgetreten. Daran erkennen wir, dass die letzte Stunde da ist."

Der Untergang stand also kurz bevor, und zwar nicht irgendeiner, sondern der ultimative Mega-Superduper-Untergang von komplett allem. Da stand es den Anführern der neuen Sekte gut zu Gesicht, ihre Schäfchen um sich zu sammeln, woraus wir lernen, dass man Leute immer gut auf die eigenen Ziele einschwören kann, wenn man den kurz bevorstehenden Untergang an die Wand malt. Christliche und christlich inspirierte Gruppierungen haben mit dem Pfund des Untergangs immer wieder zu wuchern verstanden, gekommen ist er allerdings nie. Das ist dann immer etwas peinlich und lässt sich allenfalls durch den kompletten Selbstmord der gesamten Gruppe kaschieren, der dann ja immerhin einen Weltuntergang im Kleinformat bedeutet.

Der Antichrist ist also ein Komplize Gottes, er treibt ihm seine Schäfchen zu. Und wenn Gott gerade mal wieder verhindert ist, bieten sich seine Vorbeter selbstlos als Oberschäfer an. Da Gottes Wort allerdings kaum Hinweise auf den Antichristen enthält und Theologie ja auch Ergebnisse vorweisen muss, also irgendwie verbindlich klingende Fantasieprodukte zur gefälligen Beachtung, so hat man in all den Jahrhunderten, in denen er nicht kam, den Antichristen immer wieder nach Gusto zum Einsatz gebracht: Seine große Zeit, die Endzeit, mitsamt all ihrer Kämpfe und Verheerungen, wurde aufs Erschröcklichste bunt ausgemalt.

Damit er nicht zahnlos in einer unklar datierten Zukunft zum Zuge käme, nutzte man ihn gern in den aktuellen Fights und Debatten: Mal wurde er messerscharf in römischen Kaisern erkannt, dann wieder gern auch in christlichen Sektenführern, deren Glaubensauslegung ein wenig von der eigenen abwich, im Mittelalter war es dann unter Päpsten und Gegenpäpsten beliebt, einander als Antichrist zu identifizieren, und wo man schon mal dabei war, schob man dem Antichristen gern auch eine jüdische Religionszugehörigkeit zu. Martin Luther nutzte den Schub des Antichrist-Denkens, indem er das Papsttum mit ihm identifizierte. So ist der Antichrist als Handpuppe der Theologen immer wieder in neue Kostüme geschlüpft, auch Goebbels und Hitler nutzten ihn, ehe man sie selber als Antichristen erkannte, so treibt er bis heute sein Unwesen.

Und Sie müssen jetzt stark sein, liebe Leser: Der Antichrist des Jahres 2019 steckt bei Ihnen in der Hosentasche. Zumindest wenn man den Ausführungen das Patriarchen Kyrill folgen mag, der seinerseits mit nicht gar zu christlichen Geschäften reich geworden ist und einen direkten Draht zu Geheimdienstmann Putin im Kreml hat. Im russischen Fernsehen warnte Kyrill jetzt vor internetfähigen Geräten: Handys, Tablets und so fort. Diese nämlich stellten einen Versuch dar, die Kontrolle über die Menschheit zu erlangen, und: "Der Antichrist ist die Person, die an der Spitze des weltweiten Netzes steht und die gesamte Menschheit kontrolliert". Namen wurden leider nicht genannt. Aber wenn es gut läuft, werden wir jetzt endlich Zeugen des ultimativ letzten Kampfes der Geschichte, eines Kampfes, dessen Sieger seit der Antike festgeschrieben ist und an dem teilzunehmen sich der Verlierer dennoch bereit erklärt hat, nur damit wir eine gute Show zu sehen bekommen. Da muss man doch, nach all den Jahren, auch einmal sagen dürfen: Danke, Anti! (Sie lasen diesen Text übrigens auf einem internetfähigen Gerät.)