Wenige Wochen vor der Zweiten und Dritten Lesung von Gesetzesentwürfen zur Regulierung der Suizidhilfe im Bundestag hat Prof. Robert Roßbruch, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS), bei einer Pressekonferenz am gestrigen Mittwoch auf die Risiken bei der geplanten Gesetzgebung hingewiesen. Zurzeit zeichnen sich zwei Varianten ab: Eine Wiedereinführung eines Paragraphen 217 Strafgesetzbuch, der organisierte Freitodbegleitungen verbietet und nur eng definierte Ausnahmen zulässt, oder eine Regelung außerhalb des Strafrechts, die ein bestimmtes legislatives Verfahren vorgibt.
In seinem Statement am Beginn der Pressekonferenz sagte Roßbruch, dass er es "erschreckend finde, dass manche Personen ihr Ableben bewusst […] vorziehen, weil sie eine restriktive neue Gesetzgebung fürchten."
Er betonte seine Bedenken gegenüber einer beabsichtigten Beratungspflicht, die in den bisherigen Gesetzesentwürfen von Helling-Plahr/Sitte et al. und Künast/Keul et al. skizziert werden. Insbesondere gelten die Bedenken der geplanten Beratungsinfrastruktur, die so ohne weiteres nicht allzu schnell in die Realität umzusetzen sein wird. Bei der zurzeit anstehenden Überarbeitung und Zusammenführung der beiden liberaleren Gesetzesentwürfe setzt Roßbruch auf Augenmaß und Praktikabilität als Leitmotive. Als hingegen völlig indiskutabel bezeichnete er den Gesetzesentwurf einer überwiegend konservativ geprägten Abgeordnetengruppe, der eine Wiedereinführung des Paragraphen 217 StGB vorsieht. "Es gehört schon viel Ignoranz, Beratungsresistenz und ideologische Verblendung dazu, eine als bereits für verfassungswidrig und nichtig erklärte Strafrechtsnorm ein zweites Mal gesetzlich implementieren zu wollen", stellte Roßbruch kritisch fest. Erneute Verfassungsbeschwerden wären programmiert.
Am kommenden Sonntag werde es "genau drei Jahre her sein, dass das Bundesverfassungsgericht unmissverständlich und eindeutig ein Recht der Menschen auf Inanspruchnahme professioneller Suizidhilfe betont hat". Deshalb brauche es auch keine neue Gesetzgebung, die zudem vom Bundesverfassungsgericht auch nicht gefordert worden sei.
Für Ärztinnen und Ärzte gibt es nach Ansicht von Prof. Roßbruch schon jetzt in Deutschland einen klaren und eindeutigen rechtlichen Rahmen, wenn sie bei einem wohlerwogenen und selbstbestimmten Suizid eines ihrer Patienten assistieren. Organisationen, die Freitodbegleitungen anbieten oder vermitteln, arbeiteten transparent und überprüfbar, da sie nach jeder Freitodbegleitung die örtlich zuständige Kriminalpolizei informierten, die dann ein förmliches Todesermittlungsverfahren einleite.
Nur das geltende Betäubungsmittelrecht müsse, so Roßbruch, angepasst werden, damit suizidwillige Menschen auch ohne Inanspruchnahme einer Organisation die Möglichkeit eines selbstbestimmten Freitodes hätten.
Im weiteren Verlauf der Pressekonferenz zog er Bilanz. So hat die DGHS im zurückliegenden Jahr 2022 227 Freitodbegleitungen vermittelt. "Dabei verteilen sich die Beweggründe auf das Vorliegen von schweren Erkrankungen, einen starken Leidensdruck aufgrund multipler Erkrankungen oder auf Lebenssattheit von hochaltrigen Menschen."
Seit einiger Zeit erhält die DGHS monatlich etwa 50 Anträge auf Vermittlung einer Freitodbegleitung. Mancher Antrag sei unvollständig, mancher weise Ambivalenzen hinsichtlich des Sterbewunsches auf. Oder aber der Gesundheitszustand eines beziehungsweise einer Antragstellenden sei bereits so schlecht, dass die Person im Laufe des Antragsverfahrens verstirbt.
Seitdem das Bundesverfassungsgericht am 26. Februar 2020 unmissverständlich geurteilt hat, dass es Menschen nicht verunmöglicht werden darf, auch auf organisierte Suizidhilfe zurückzugreifen, hat die DGHS entsprechende Strukturen aufgebaut. "Jeder Antrag wird in der Geschäftsstelle umfassend bearbeitet und unter Einhaltung der von der DGHS entwickelten Sorgfaltskriterien geprüft." Nach erfolgter Bearbeitung werden die Antragsunterlagen an die mit der DGHS kooperierenden ärztlichen und juristischen Freitodhelfer weitergeleitet.
Derzeit arbeiten deutschlandweit 16 Teams bestehend aus je einem Juristen und einem Arzt mit der DGHS zusammen, um Vereinsmitgliedern einen wohlerwogenen und selbstbestimmten Lebensabschied zu ermöglichen.
In den nächsten Tagen und Wochen wird die DGHS Bundestagsabgeordnete direkt anschreiben: "Viele, die 2015 ein verfassungswidriges Gesetz beschlossen haben, haben anscheinend die Absicht, dies 2023 erneut zu tun." Mit Zeitungsanzeigen und einer Kampagne in der kommenden Woche werde zudem die Bevölkerung auf die Einschränkungen, die ein erneutes Verbot der organisierten Freitodbegleitung bringen würde, aufmerksam gemacht.
Er habe den Eindruck, sagte Prof. Roßbruch, dass der breiten Öffentlichkeit nicht klar sei, dass niemand in die Schweiz fahren müsse, um selbstbestimmt sterben zu dürfen. Auch hierzulande dürfen Ärztinnen und Ärzte helfen, ohne standesrechtliche Konsequenzen befürchten zu müssen. Selbstverständlich kann ein Arzt oder eine Ärztin die Freitodbegleitung ablehnen. Niemand kann dazu verpflichtet werden, gegen seine Überzeugung zu handeln. Abschließend verwies Roßbruch noch einmal auf den Berliner Appell, den die DGHS gemeinsam mit Dignitas Deutschland, dem Verein Sterbehilfe und der Giordano-Bruno-Stiftung im vergangenen Jahr verabschiedet hatte.