Interview mit Armin Pfahl-Traughber

"Der Löwe kann nicht über seine Ernährungsweise nachdenken, der Mensch schon"

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Im November hielt Armin Pfahl-Traughber im Humanistischen Zentrum Nürnberg einen Vortrag über die ethischen Fragen des Fleischkonsums, der vom hpd dokumentiert wurde. Für den Vortrag erntete der Autor viele kritische Reaktionen. Das Thema "Fleischkonsum" habe mit Humanismus nichts zu tun, war zu lesen. hpd-Redakteurin Daniela Wakonigg sprach mit Armin Pfahl-Traughber über die Reaktionen auf seinen Vortrag – und warum das Thema doch etwas mit Humanismus zu tun hat.

hpd: Herr Professor Pfahl-Traughber, vergangenen Monat haben Sie im Humanistischen Zentrum Nürnberg einen Vortrag über die ethischen Fragen des Fleischkonsums gehalten. In der lokalen Presse, in den Sozialen Medien des Humanistischen Zentrums und beim hpd, der ihren Vortrag veröffentlicht hat, gab es daraufhin viel Kritik. Warum, denken Sie, kochen die Gemüter bei diesem Thema immer wieder so fürchterlich hoch?

Pfahl-Traughber: Dafür gibt es eine einfache und eine komplizierte Erklärung. Fangen wir mit der einfachen Erklärung an: Die meisten Menschen sind es von Kindheit an gewöhnt, Fleisch zu essen. Für sie ist es "normal", es wird darüber nicht weiter nachgedacht. Und man möchte Gewohnheiten nicht aufgeben. Auf kritische Nachfragen reagieren viele dann abwehrend und überemotional. Die kompliziertere Erklärung lautet: Man ist sich der Widersprüchlichkeit des eigenen Verhaltens zumindest latent irgendwie bewusst. Dass man Hunde liebt und Schweine isst, lässt sich ja nicht rational erklären. Ein Lamm erscheint einem süß, aber auch sein Fleisch. Dass es dafür sterben muss, problematisieren viele Menschen ungern. Um sich damit nicht selbstkritisch auseinandersetzen zu müssen oder gar sich selbst zu verändern, reagieren nicht Wenige emotional über, wobei das intellektuelle Niveau hierbei nicht selten sinkt.

Menschen, die sich kritisch mit den ethischen Fragen des Fleischkonsums auseinandersetzen, wird in den Kommentarspalten gern unterstellt, sie seien quasi-religiöse Fanatiker. Nun haben Sie für mich nicht das Geringste von einem Fanatiker an sich. Sie sind ein ziemlich rationaler Typ. Und ich würde vermuten, dass Sie auch eher rationale als emotionale Gründe für den Fleischverzicht haben. Stimmt meine Einschätzung? Und welche rationalen Gründe gibt es, die für einen Verzicht von Fleisch sprechen?

Beispielbild
Armin Pfahl-Traughber (© Privat)

Zunächst einmal stimmt es, dass auch Vegetarier oder Veganer fanatisch agieren können. Gern wird ein solcher Eindruck aber auf alle Gegner des Fleischkonsums übertragen, womit man sich eine Auseinandersetzung mit der inhaltlichen Begründung ersparen will. Meine Gründe für eine vegetarische oder vegane Ernährungsweise sind tatsächlich rein rational. Ein erstes Argument läuft darauf hinaus, eine ethisch begründe Entscheidung zu treffen: Ernähre ich mich so, dass die Voraussetzung dafür das Leiden und der Tod eines Lebewesens ist oder ernähre ich mich nicht so. Dann gibt es nach diesem Hauptargument noch andere bedeutsame weitere Motive: Zweitens ist der Einsatz von Energie für die Herstellung von tierischen Lebensmitteln gegenüber pflanzlichen Nahrungsmitteln um ein Vielfaches höher. Durch eine vegetarische oder vegane Ernährungsweise könnte somit der weltweite Ressourcenverbrauch verringert werden. Drittens lässt sich durch eine fleischlose und pflanzliche Ernährung nicht nur der weltweite Hunger von Menschen, sondern auch der Klimawandel durch von der Massentierhaltung ausgehende Treibhausgase drastisch reduzieren. Eine Ernährungsumstellung ist also auch im Interesse der Menschen und nicht nur der Tiere. Hinzu kommt, dass eine ausgewogene vegetarische oder vegane Ernährung gesünder als der Fleischkonsum aus der Massentierhaltung ist.

Aber sind wir Menschen nicht von der Natur dazu verdammt, Fleischesser zu sein? Auch Löwen jagen schließlich Gazellen und werden es sich wohl kaum abgewöhnen lassen.

Das stimmt so. Der Löwe kann aber nicht über seine Ernährungsweise nachdenken, der Mensch schon. Und während der Löwe tatsächlich auf Fleischkonsum angewiesen ist, ist das bei dem Menschen nicht der Fall. Er kann wählen, welche Ernährungsform er bevorzugt. In der Entwicklungsgeschichte war es so, dass sich der Mensch sowohl fleischlich wie pflanzlich ernährt hat. Dabei überwog aber die pflanzliche Ernährung. Ein Indiz dafür ist die Darmlänge: Tiere, die sich fleischlich ernähren, haben einen eher kurzen Darm, Tiere, die sich pflanzlich ernähren, haben einen langen Darm. Der Mensch hat auch einen langen Darm. Das spricht dafür, dass die pflanzliche Ernährungsweise bei ihm dominierte. Gewohnheiten aus der Natur muss man aber nicht fortsetzen. Kriege, Sklaverei und Unterdrückung gehörten ja auch dazu. So etwas sollten wir Menschen ja auch überwinden. Nur weil etwas "ist", muss etwas nicht so "sein".

Ein zentraler Kritikpunkt der Kommentarschreiber war – und ist es bei entsprechenden Veröffentlichungen des hpd immer wieder – dass das Thema "Fleischkonsum" nichts mit Humanismus zu tun habe. Was sagen Sie zu diesem Einwand?

Das kommt darauf an, was man unter einem "Humanisten" versteht. Wenn damit nur gemeint ist, dass sich der Humanist nicht an einer Gottesvorstellung, sondern am Menschen orientiert, dann mag dies so zutreffend sein. Wenn ein Humanist aber auch solidarisch mit den Ausgebeuteten und Unterdrückten der Welt sein will, dann stellt sich die Frage, warum er das nicht auch bezogen auf die Tiere sein will. Es ist auch immer kurios, dass politisch Linke ihre Solidarität mit den Ausgebeuteten und Unterdrückten bekunden, sich dann aber mit Fleisch aus der Massentierhaltung ernähren. Für eine glaubwürdige Einstellung steht so etwas nicht. Darüber hinaus gibt es eine Fülle von gesundheitlichen, ökologischen und ökonomischen Gründen für eine vegetarische oder vegane Ernährungsweise, womit sich ein Humanist als rational denkender Mensch auseinandersetzen sollte. Zugegeben, Aufklärung und Humanismus sind anstrengend …

Ich wage zu behaupten, dass sich der Großteil der hpd-Leserschaft den Prinzipien von Aufklärung und rationalem Denken verpflichtet fühlt. Trotzdem bekommt man den Eindruck, dass bei dem Thema "Fleisch" rationale Argumente bei einigen unserer Leser einfach nicht ankommen. Als wäre da eine psychische Sperre, die das Durchlassen und sachliche Abwägen dieser Argumente verhindert. Teilen Sie diesen Eindruck – und, falls ja, was ist Ihre Erklärung hierfür?

Ja, das sehe ich auch so. Die Gewohnheit erklärt das wohl mit, und die Unlust zu deren Veränderung gehört dazu. Man kann hier übrigens ähnliche Abwehrmechanismen wie bei religiösen Menschen feststellen. Wenn sie auf der sachlichen Ebene nicht mehr weiterkommen, dann werden sie ebenso schnell emotional. Ähnliche Immunisierungsstrategien – um mal einen Begriff aus dem Kritischen Rationalismus zu nutzen – kann man bei den Anhängern des Fleischkonsums immer wieder feststellen. Es ist schon bemerkenswert, mit welchen Pseudoargumenten da operiert wird. Dazu gehört auch "Viele Tiere würden ja nicht leben, wenn wir sie nicht essen würden" oder "Hitler war auch Vegetarier", was übrigens nicht stimmt, aber das ist ein anderes Thema.

Was meinen Sie: Wird sich in unserer Gesellschaft bei der Einstellung zum Thema "Fleischkonsum" in den kommenden Jahren grundsätzlich etwas ändern?

Das lässt sich schwer prognostizieren. Plädoyers für eine fleischlose Ernährung gab es schon im alten Griechenland. Ein heute noch durch den Mathematikunterricht bekannter Repräsentant dieses Denkens war Pythagoras, übrigens auch ein rationaler Kritiker damaliger Gottes- bzw. Götterbeweise. Derartige Einstellungen waren in der westlichen Welt aber bislang immer nur Auffassungen einer Minderheit. Erst ab den 1970er Jahren kam es dort zu einem ansteigenden Bewusstsein über die Frage von Tierrechten und Vegetariertum. Angeblich ernähren sich acht Prozent der Bevölkerung heute in Deutschland fleischlos, wovon übrigens sieben Prozent Frauen und nur ein Prozent Männer sein sollen. Das lässt einen in der Gesamtschau nicht allzu optimistisch in die Zukunft blicken. Der Fleischkonsum dürfte tendenziell zurückgehen, jeder Lebensmittelskandal befördert solche Entwicklungen. Aber insgesamt geht das alles noch zu langsam, was angesichts von Klimaentwicklung und Tierleiden bedauerlich ist.

Und was wird es bei Ihnen während der hierzulande üblichen Jahresendfeierlichkeiten zu essen geben?

An den Feiertagen wird es bei mir nur Essen geben, was nicht auf das Leiden und Töten von Lebewesen zurückgeht. Zugespitzt formuliert, ich mag keine Leichenteile auf meinem Teller.