Mit dem "Marsch für das Leben" demonstrieren sogenannte "Lebensschützer" morgen in Berlin und Köln gegen legale Möglichkeiten des Schwangerschaftsabbruchs sowie gegen das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung. Große Gegenveranstaltungen sind sowohl für Berlin als auch für Köln angekündigt.
Eineinhalb Jahre nach der Bundestagswahl sei die Humanitäts-Bilanz der Regierungspolitik in vielen Bereichen verheerend, meint Alexandra Linder, Vorsitzende des Bundesverbandes Lebensrecht. Gemeint sind mit dieser Aussage wohl vor allem die bislang umgesetzten und möglicherweise noch geplanten gesetzgeberischen Änderungen der aktuellen Bundesregierung in Bezug auf den Schwangerschaftsabbruch: Zum einen die Einrichtung einer Kommission, die im Auftrag der Bundesregierung prüft, ob Abtreibungen künftig entkriminalisiert und außerhalb des Strafrechts geregelt werden können. Zum anderen die Abschaffung des umstrittenen Paragrafen 219a StGB – der seinem Titel nach "Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft" unter Strafe stellte, de facto jedoch dafür sorgte, dass Ärzte und Ärztinnen, die selbst Schwangerschaftsabbrüche durchführen, nicht seriös über Schwangerschaftsabbrüche informieren durften, während unseriöse Informationen von Abtreibungsgegnerinnen und -gegnern unangetastet blieben. Dass diese Maßnahmen den selbsternannten "Lebensschützern" nicht gefallen, ist klar, denn für sie hat "das werdende Leben" einen höheren Wert als das Selbstbestimmungsrecht der Frau, darüber entscheiden zu dürfen, ob in ihrem Körper etwas heranwächst oder nicht.
Um seiner Position Ausdruck zu verleihen, veranstaltet der Bundesverband Lebensrecht deshalb – wie bereits in den Vorjahren – auch in diesem Jahr wieder einen "Marsch für das Leben" in Berlin; nach Angaben des Verbands "die zentrale Pro-Life-Veranstaltung". Im vergangenen Jahr nahmen daran – ebenfalls nach Angaben des Bundesverbandes Lebensrecht etwa 4.000 Menschen teil. Gerne lassen sich bei dem Marsch auch konservative und rechte Politikerinnen und Politiker sehen, die das Anliegen der "Lebensschützer" teilen. Ebenso Kirchenvertreter, die Deutsche Bischofskonferenz hat dem Veranstalter bereits ein Grußwort übermittelt. Ihr Vorsitzender Bischof Georg Bätzing dankt darin dem Bundesverband Lebensrecht für sein Engagement.
Aus Protest gegen die – seiner Ansicht nach – besonders verfehlte Politik der aktuellen Bundesregierung in puncto Schwangerschaftsabbruch veranstaltet der Bundesverband Lebensrecht in diesem Jahr ab 13:00 Uhr zeitgleich zum Marsch in Berlin auch einen zweiten "Marsch für das Leben" in Köln. Sowohl in Berlin als auch in Köln haben Pro-Choice-Vereinigungen Gegenveranstaltungen und Gegenprotest angekündigt.
In Köln wird der Gegenprotest getragen vom Bündnis Pro Choice Köln. Er steht unter dem Motto "Gegen christliche Fundamentalist:innen und rechte Ideologie" und beginnt um 13:00 Uhr mit einer Gegendemonstration am Kölner Heumarkt, auf dem es bereits ab 12.00 Uhr einen Informationsstand geben wird. Laut Bündnis soll es neben der zentralen Gegendemonstration auch weitere Protestformen wie beispielsweise in der Stadt verteilte Mahnwachen geben.
In Berlin reagiert das Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung auf den angekündigten "Marsch für das Leben" mit einem "Aktionstag für sexuelle Selbstbestimmung". "Am 16. September 2023 veranstalten christlich-fundamentalistische und rechtsnationale Gegner*innen des Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung in Berlin-Mitte wieder einen sogenannten Marsch für das Leben. Sie fordern das totale Verbot des Schwangerschaftsabbruchs und hetzen gegen nicht heterosexuelle Paare oder Familien und die Vielfalt geschlechtlicher Identitäten", heißt es in der Ankündigung der Veranstaltung, deren Auftaktkundgebung am Samstag um 12:00 Uhr am Brandenburger Tor stattfindet. In den Parlamenten sei die Anti-Choice-Bewegung vertreten durch "die christlich-konservative CDU/CSU und die sich zur Nazipartei entwickelnde AfD". "Sie sind international vernetzt und üben in Deutschland, Europa und gegenwärtig besonders stark in den USA Druck auf Regierungen aus, rückschrittliche, repressive Gesetze zu erlassen. Diese Kräfte wollen uns allen das Recht auf Selbstbestimmung über unseren Körper und unser Leben absprechen. Wir dürfen ihnen nicht die Straßen Berlins überlassen!"
Nach der Auftaktveranstaltung am Brandenburger Tor setzt sich ein Demonstrationszug Richtung Bebelplatz in Bewegung. Unter den Rednerinnen und Rednern der Veranstaltung ist auch Philipp Möller, Vorsitzender des Zentralrats der Konfessionsfreien, der über die Entwicklung säkularer Politik in Deutschland beim Thema Schwangerschaftsabbruch sprechen wird.
Der vom Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung veranstaltete "Aktionstag für sexuelle Selbstbestimmung" steht unter dem Motto "Leben und lieben ohne Bevormundung" und stellt auch den Auftakt für eine bundesweite Aktionswoche für sexuelle Selbstbestimmung dar, die am 28. September zum "Internationalen Tag für die Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs" mit verschiedenen Veranstaltungen und Aktionen bundesweit endet.