Verbotene Lobbyarbeit? Abtreibungsgegner im Verdacht

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Das Reichstagsgebäude in Berlin, Sitz des Deutschen Bundestages
Reichstagsgebäude

Abtreibungsgegner und selbsternannte "Lebensschützer" sollen im Vorfeld der Bundestagsdebatten über Paragraf 218 Einfluss auf Abgeordnete ausgeübt haben – am Lobbyregister vorbei. Das legt eine Recherche von NDR und BR nahe.

Verbände und andere Interessenvertreter müssen im Lobbyregister eingetragen sein, damit sie Kontakt zu Bundestagsabgeordneten aufnehmen dürfen. Damit wird transparent, welche Ziele sie verfolgen, an welche Minister und Abgeordnete sie sich wenden und woher ihre Geldmittel stammen. Das gilt auch für Abtreibungsgegner und selbsternannte "Lebensschützer" wie den Verein Aktion Lebensrecht für Alle (ALfA) und den Bundesverband Lebensrecht, in dem ALfA e.V. Mitglied ist. ALfA ist im Lobbyregister überhaupt nicht registriert und der Bundesverband Lebensrecht erst seit Dezember letzten Jahres. Trotzdem sollen beide bereits seit Längerem bei Bundestagsabgeordneten Anti-Abtreibungs-Propaganda betreiben. Das haben Recherchen von NDR und BR ergeben.

In den letzten Monaten diskutierte der Bundestag über eine Neuregelung des umstrittenen Paragrafen 218 Strafgesetzbuch. In derzeitiger Form stellt das Gesetz Schwangerschaftsabbruch unter Strafe, obwohl die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland gegen eine Kriminalisierung des Schwangerschaftsabbruches ist. Eine Gesetzesinitiative von Vertretern von SPD, Grünen und Linken zur Legalisierung von Abtreibungen wurde vor wenigen Tagen durch den Rechtsausschuss des Bundestags verhindert.

In dieser Zeit habe ALfA zahlreiche Postkarten, Briefe und die Vereinszeitschrift Lebensforum an Bundestagsabgeordnete versandt. Darauf weisen die Recherchen von NDR und BR hin. Der Verein soll demnach seine – nach eigenen Angaben 11.000 – Mitglieder aufgefordert haben, Bundestagsabgeordnete per Postkarte aufzufordern, "die rot-grüne ideologiegetriebene und lebensfeindliche Politik nicht weiter zu unterstützen". Vor allem FDP-Vertreter hätten im Fokus der Aktion gestanden.

Zudem habe auch die ALfA-Bundesvorsitzende Cornelia Kaminski Anfang 2025 die Abgeordneten in einem Brief aufgerufen, gegen eine Neuregelung des umstrittenen Paragrafen 218 zu votieren. Darin argumentierte sie, die Bundesregierung sei rechtlich verpflichtet, den Schutz des ungeborenen Lebens wirksam zu verstärken. Eine Legalisierung der Abtreibung "dient erkennbar nicht diesem Ziel", heißt es weiter. Den Recherchen von NDR und BR zufolge berichten Bundestagsabgeordnete von weiteren regelmäßigen Kontaktaufnahmen.

Wie tagesschau.de schreibt, liegen NDR und BR auch E-Mails des Bundesverbands Lebensrecht aus den Jahren 2019, 2020 und 2024 vor. Der Verband fordert die Abgeordneten darin auf, sich in seinem Sinne – also für eine fortbestehende Kriminalisierung der Abtreibung – einzusetzen. Mit fragwürdigen Argumenten. So ist etwa die Gehsteigbelästigung von ungewollt Schwangeren vor Arztpraxen und Beratungsstellen durch Abtreibungsgegner als Problem bekannt. Doch der Bundesverband Lebensrecht streitet das in einer Mail vom Juli 2024 ab und schreibt von einem "frei erfundene[n] Phänomen". Versandt wurde die Mail am Tag vor einer Bundestagsabstimmung über ein Verbot der Gehsteigbelästigung.

Jetzt läuft bei der Bundestagsverwaltung ein Verfahren gegen den Bundesverband Lebensrecht. Mit Registrierung des Verbandes Ende letzten Jahres wurde auch transparent, dass die Organisation 2023 mehr als 200.000 Euro aus Schenkungen oder Zuwendungen erhalten hat. Wie tagesschau.de unter Berufung auf Angaben von Aurel Eschmann von der Initiative LobbyControl berichtet, habe der Bundesverband Lebensrecht ein eigenes Büro in Berlin und verfolge keinen anderen Zweck als Lobbyarbeit. Gleichzeitig behauptet sie, null Euro für Interessenvertretung auszugeben – unplausibel nicht nur für Eschmann.

Unklar ist auch, inwieweit Privatpersonen in die Einflussnahme auf Abgeordnete verwickelt waren. Eine Mail an die Bundestagsabgeordneten stammt von Angela Köninger, einer bekannten Akteurin der selbsternannten "Lebensschutzbewegung", die Direktorin und Chefärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe am "Klinikum der Barmherzigen Brüder" in Regensburg ist. In der Bundestagsdebatte zum Paragraf 218 bezogen sich zwei Abgeordnete auf das Schreiben, die Rechtsausschuss-Vorsitzende Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU) und die CSU-Abgeordnete Susanne Hierl. Beide werteten es offenbar als neutrale medizinische Meinung. Zudem sagte Hierl in ihrer Bundestagsrede, dass der Brief mit vielen "Fake News" zur schlechten Versorgungslage bei Abtreibungen aufräume.

Nach Einschätzung von Aurel Eschmann stünden sogenannte "Lebensschützer" noch zu wenig im Fokus der Lobbykontrolle. Für die Akteure könnte es strategisch vorteilhaft sein, sich nicht zu registrieren. "Zum einen wissen kontaktierte Abgeordnete vielleicht nicht genau, wen sie vor sich haben. Zum anderen können Verbindungen und interpersonelle Überschneidungen verschleiert werden, sodass die Bewegung gesamtgesellschaftlich größer erscheint." Auch mögliche Finanzierungen aus dem Ausland ließen sich so besser geheim halten.

Zumindest im Fall der Ärztin Angela Köninger könnte damit bald Schluss sein. Eschmann sieht in ihrem Fall die Bundestagsverwaltung in der Pflicht. Sie solle nach seiner Ansicht prüfen, ob die Ärztin wirklich als Privatperson gehandelt habe. Auf Anfrage von NDR und BR teilte die Bundestagsverwaltung mit, dass sie den Hinweisen nachgehe und die "mögliche, pflichtwidrige Nicht-Eintragung" von ALfA e.V. prüfe.

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