Staatliche Grundschule verletzt religiöse Neutralität

"Christliche Liedtexte haben an der Eingangstür nichts zu suchen"

ARNSBERG. (hpd) Weil er eine staatliche Gemeinschaftsgrundschule an ihre Pflicht zur religiösen Neutralität erinnerte, wurde einem Vater aus dem sauerländischen Arnsberg ein Schul- und Geländeverbot erteilt.

In Nordrhein-Westfalen gibt es für Schulkinder eine besondere Spezialität: Die staatliche Bekenntnisschule. Ebenso wie staatliche 'Nicht-Bekenntnisschulen' werden diese Schulen vollständig von der öffentlichen Hand finanziert. Im Gegensatz zu staatlichen Schulen, die der religiösen Neutralität verpflichtet sind, werden Kinder in Bekenntnisschulen laut § 26 des NRW-Schulgesetzes "nach den Grundsätzen des betreffenden Bekenntnisses unterrichtet und erzogen".

Bei den staatlichen Bekenntnisschulen handelt es sich nicht um ein Randphänomen. Rund ein Drittel der öffentlichen Grundschulen in NRW sind solche vollständig staatlich finanzierten Bekenntnisschulen, 90% davon katholisch, 10% evangelisch. Insbesondere in ländlichen Regionen kann es für Eltern, die nicht wollen, dass ihre Kinder religiös indoktriniert werden, mitunter schwierig werden, in der Nähe ihres Wohnorts eine Schule zu finden, die keine Bekenntnisschule ist. 

Als seine Söhne das schulpflichtige Alter erreichten, war Martin Werner aus dem sauerländischen Arnsberg deshalb sehr froh, dass sich in unmittelbarer Nähe seines Wohnsitzes eine solche Schule befindet, die Gemeinschaftsgrundschule Müggenberg-Rusch. Eine Schule, die er und seine beiden Söhne von außen seit Jahren gut kannten, da sich die Grundschule in städtischer Trägerschaft befindet und der Schulhof von der Stadt Arnsberg außerhalb der Schulzeiten offiziell als Spielfläche ausgewiesen ist.

Bereits 2012, als sein älterer Sohn im Vorfeld der Einschulung an einem Sprachtest in der Schule teilnahm, stellte Martin Werner jedoch fest, dass die religiöse Neutralität der Schule zu wünschen übrig ließ: In den Klassenzimmern hingen Kreuze. Werner sorgte dafür, dass sie abgenommen werden. Sein gutes Recht. Dieses Recht hatte vor ihm nur noch niemand eingefordert.

Nachdem Werners Sohn eingeschult worden war, wurde er zum stellvertretenden Vorsitzenden der Elternpflegschaft gewählt und verärgerte die Schulleitung, indem er sich intensiv für die Rechte der Kinder einsetzte. Beispielsweise widersetzte er sich einer von der Schule eigenmächtig eingeführten Kameraüberwachung. Das NRW-Datenschutzgesetz und die Schulaufsicht gaben ihm Recht, da die Überwachung die Persönlichkeitsrechte der Kinder verletzte.  

Ebenfalls sorgte Werner dafür, dass an der Schule einige weitere Missstände hinsichtlich der religiösen Neutralitätspflicht beseitigt wurden. Er setzte durch, dass im Musikunterricht nicht länger Kirchenlieder für den regelmäßig stattfindenden Schulgottesdienst eingeübt wurden und dass die Stunden des Religionsunterrichts für Eltern klar erkennbar so gelegt wurden, dass vom Religionsunterricht befreite Kinder früher nach Hause gehen konnten. Übrigens ein weiterer Kampf, den er zu kämpfen hatte, denn wie viele Lehrer und Schulleiter in ganz Deutschland wussten auch die Zuständigen der GGS Müggenberg-Rusch zunächst nicht, dass es für ein Kind keine Verpflichtung gibt, während des Religionsunterrichts in einer Randstunde beaufsichtigt in der Schule zu bleiben.

Dem politisch aktiven Werner missfiel die mangelnde religiöse Neutralität der Grundschule nicht nur aus persönlichen Gründen, da er seinen älteren Sohn vor religiöser Indoktrinierung im Kindesalter schützen wollte. Als Mitglied des Integrationsrates der Stadt Arnsberg war es ihm auch ein Anliegen, dass Kinder mit anderen kulturellen und religiösen Wurzeln durch die Überbetonung des Christlichen im Schulprogramm nicht an den Rand gedrängt werden.

Dass sich auch das Schulleben an Gemeinschaftsgrundschulen mitunter so anfühlt, als habe man sein Kind auf eine Bekenntnisschule geschickt, hängt zusammen mit einer Fehlinterpretation des bereits zitierten § 26 des Schulgesetzes von NRW. Darin ist nachzulesen, dass die Schülerinnen und Schüler auch jener staatlichen Schulen, die keine Bekenntnisschulen sind, "auf der Grundlage christlicher Bildungs- und Kulturwerte in Offenheit für die christ­lichen Bekenntnisse und für andere religiöse und weltanschauliche Über­zeugungen gemeinsam unterrichtet und erzogen" werden. Wer diese Bestimmung als Freibrief sieht, auch an staatlichen Nicht-Bekenntnisschulen Kinder religiös indoktrinieren zu dürfen, übersieht jedoch die deutlichen Bestimmungen in §2 des Schulgesetzes:

"(7) Die Schule ist ein Raum religiöser wie weltanschaulicher Freiheit. Sie wahrt Offenheit und Toleranz gegenüber den unterschiedlichen religiösen, weltanschaulichen und politischen Überzeugungen und Wertvorstellun­gen. (…) Sie vermeidet al­les, was die Empfindungen anders Denkender verletzen könnte. Schüle­rinnen und Schüler dürfen nicht einseitig beeinflusst werden.

(8) Die Schule ermöglicht und respektiert im Rahmen der freiheitlich-de­mokratischen Grundordnung unterschiedliche Auffassungen. Schulleite­rinnen und Schulleiter, Lehrerinnen und Lehrer sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (…) nehmen ihre Aufgaben unparteilich wahr. Sie dür­fen in der Schule keine politischen, religiösen, weltanschaulichen oder ähnlichen Bekundungen abgeben, die die Neutralität des Landes gegen­über Schülerinnen und Schülern sowie Eltern oder den politischen, religiö­sen oder weltanschaulichen Schulfrieden gefährden oder stören."

Ja laut § 2, Abs. 6,4  des Schulgesetztes von NRW sollen Schülerinnen und Schüler in der Schule sogar lernen,

"in religiösen und weltanschaulichen Fragen persönliche Entscheidun­gen zu treffen und Verständnis und Toleranz gegenüber den Ent­scheidungen anderer zu entwickeln."

Was natürlich nicht möglich ist, wenn sie einseitig in Richtung Christentum beeinflusst werden.

Nachdem sein älterer Sohn ein Schuljahr übersprungen und im Sommer 2015 die Grundschule verlassen hatte, meldete Martin Werner im Herbst 2015 seinen jüngeren Sohn für das Schuljahr 2016/17 auf der für ihn fußläufig zu erreichenden GGS Müggenberg-Rusch an. Da er während der Grundschulzeit seines ersten Sohnes bereits einige Kämpfe mit der Grundschule ausgefochten hatte, ging Werner davon aus, dass sich in der Schule die Verpflichtung zur religiösen Neutralität herumgesprochen haben sollte.

Als er Ende Dezember 2015 außerhalb der Schulzeit auf dem Schulhof mit seinen Söhnen spielte, staunte er deshalb nicht schlecht, als er sah, dass die Eingangstür der Schule von innen mit Liedern eindeutig christlichen Inhalts beklebt war, die christliche Titel trugen,  beispielsweise "Marias Loblied".

Darin finden sich Zeilen wie:

"Ich preise den Herrn und ich freue mich über Gott meinen Retter, der sich für mich entschieden hat. Er nahm mich an. So gering wie ich bin seine Dienerin. Der mächtige Gott hat Großes an mir getan. Heilig ist sein Name. Niemals endet sein Erbarmen. Er hält uns in seinen Armen. Heilig ist sein Name."

"Im Advent, im Advent ist ein Licht erwacht, und es leuchtet und es brennt durch die dunkle Nacht. Seid bereit! Seid bereit! Denn der Herr aller Herren ist nicht mehr weit! Seid bereit! Seid bereit! Ja, der Herr aller Herren, der uns befreit!"

Werner dokumentierte den Vorfall und bat die Schulaufsichtsbehörde des Hochsauerlandkreises um Prüfung, ob das Schulpersonal hiermit seine Dienstpflichten, nämlich die Pflicht zur religiösen Neutralität, verletzt habe.

Die zuständige Schulamtsdirektorin Annette Koschewski teilte Werner mit, dass sie im Anbringen der christlichen Liedtexte im Eingangsbereich der Schule keine Dienstpflichtverletzung erkennen könne. Und noch eine weitere Mitteilung erhielt Werner. Einen "Wutanruf", wie er es nennt, der kommissarischen Schulleiterin der Gemeinschaftsgrundschule Müggenberg-Rusch, Barbara Hennecke. Laut Werner teilte sie ihm in diesem Telefonat mit, dass es ihn überhaupt nichts anginge, was an der Tür der Schule stünde, solange er kein Kind an der Schule habe. Einen Tag später erhielt Werner Post von Frau Hennecke: Ein schriftliches Haus- und Geländeverbot für die Schule. Ohne Befristung und ohne Angabe von Gründen.

Der hpd bat sowohl die Schulleitung der Grundschule als auch die zuständige Schulaufsichtsbehörde um Stellungnahme hinsichtlich der Geschehnisse. Während die Schulleitung keine Stellungnahme abgab, äußerte sich Schulamtsdirektorin Annette Koschewski von der Schulaufsicht des Hochsauerlandkreises wie folgt:

"In der Gemeinschaftsgrundschule Müggenberg-Rusch wurde, wie es in(Grund-)schulen üblich ist, die Vorweihnachtszeit thematisiert und die Schule entsprechend mit Symbolen der Winter- und Weihnachtszeit dekoriert, darunter auch traditionelles Liedgut. Dies wurde von der Elternschaft der Schule begrüßt und gewünscht.

Da aktuell kein Kind des Vaters, der sich an Sie gewandt hat, die genannte Schule besucht, war das Vorgehen aus Sicht des Schulamtes nicht zu beanstanden."

Mit anderen Worten: Solange keine Kinder die Schule besuchen, deren Eltern sich intensiv dafür einsetzen, dass die Schule ihrer durch das Schulgesetz bestimmten Pflicht zur religiösen Neutralität nachkommt, sieht man seitens der Schulaufsicht keine Notwendigkeit, dass sich die Schule religiös neutral zu verhalten habe.

In dem von der kommissarischen Schulleiterin ausgesprochenen Schul- und Geländeverbot vermag die Schulaufsicht übrigens keinen Zusammenhang mit den Vorgängen rund um die christlichen Liedtexte, Martin Werners Beschwerde und den diesbezüglichen Wutanruf der kommissarischen Schulleiterin zu erkennen.

Rainer Ponitka, schulpolitischer Sprecher des Internationalen Bundes der Konfessionslosen und Atheisten (IBKA) e.V. und Herausgeber des Ratgebers "Konfessionslos in der Schule" kann über die Vorgänge an der Gemeinschaftsgrundschule in Arnsberg nur staunen. Für ihn ist klar: "Christliche Liedtexte haben an der Eingangstür nichts zu suchen. Eine staatliche Gemeinschaftsgrundschule ist eine staatliche weltliche Behörde, an der Andersgläubige nicht belästigt werden dürfen. Der Staat darf nicht missionieren." Einseitig auf eine Religion ausgelegte Texte dürften an solchen Schulen allein im bekenntnisorientierten Religionsunterricht auftauchen und behandelt werden. "Alles andere ist ein Verstoß gegen die Religionsfreiheit und eine Einschränkung der Grundrechte der Schüler."

Martin Werner wird die Sache nicht auf sich beruhen lassen. Insbesondere gegen das Geländeverbot wird er rechtliche Schritte einlegen.

Wie alle anderen Kämpfe mit der Schule wird er wahrscheinlich auch diesen gewinnen. Weil ein Geländeverbot nicht willkürlich und ohne schwerwiegende Gründe ausgesprochen werden darf. Weil sein jüngerer Sohn ab dem Sommer Schüler der Gemeinschaftsgrundschule Müggenberg-Rusch sein wird. Weil der Schulhof außerhalb der Schulzeiten von der Stadt Arnsberg offiziell als Spielfläche freigegeben ist. Und – last but not least – weil Martin Werner nicht einfach nur irgendein unbequemer Vater ist, der die Frechheit besitzt, die Durchsetzung von bestehendem Recht zu fordern. Überdies sitzt er seit 2014 als Ratsherr für die Partei "Die Linke" im Rat der Stadt Arnsberg, die Trägerin der Gemeinschaftsgrundschule ist.