Debatte

Was meint ihr denn mit "Humanismus"? Sieben Sätze könnten Klarheit schaffen (Teil 1)

MARBURG. (hpd) Der "Humanismus" scheint Konjunktur zu haben. So könnte es scheinen, wenn man sich anschaut, wo, von wem und wie dieser Begriff heute verwendet wird. Christian Walther hat genauer hingeschaut und sieben Vorschläge erarbeitet, wie man Humanismus definieren könnte.

"Da standen wir also, ein Glas Wein in der Hand,
aufgeschlossene, sonnengebräunte Europäer, die
das Reisen und den Humanismus im Blut haben."

"Humanismus" scheint Konjunktur zu haben, - so könnte es scheinen, wenn man sich anschaut, wo, von wem und wie dieser Begriff heute verwendet wird. Wir lesen u.a.: "Sind wir alle Arschlöcher?" Eindeutig ja, meinte Theatermacher Milo Rau kürzlich in einem Essay in der "SonntagsZeitung", in dem er als Vorarbeit zu seinem Theater-Essay "Mitleid - Die Geschichte des Maschinengewehrs" den zynischen Humanismus der dekorativen Anteilnahme am Schicksal der Flüchtlinge in den Blick nimmt. Oder: "Realismus ist, realistisch betrachtet, das Gegenteil von Humanismus." Oder: "UN-Generalsekretär Ban Ki Moon dankte dem DJ David Guetta und lobte ihn als ein Beispiel von wahrem Humanismus und Solidarität." Oder: "Eine moralische Instanz mit einer Tasse Earl Grey in der einen und einer Hamlet-Ausgabe in der anderen Hand. Star Trek-Schöpfer Gene Roddenberry war schon immer Humanist durch und durch." Oder: "Fotograf Michael Schmidt gestorben. Es steckte von Anfang an ein tiefer Humanismus in seiner Arbeit". Oder: "Auch bei den weiteren Preisen beim Filmfestival in Cannes schien eine Atmosphäre von Humanismus und Versöhnlichkeit zu herrschen." Die Quellen hierzu sowie weitere Zitate sind unten in Anhang 1 ("Humanistisches Fundbüro") nachzulesen.

Leitkultur Humanismus?

Diese und andere Texte aus der Presse zeigen, dass Humanismus sehr häufig mit Humanität verwechselt wird und ein Einsatz für Humanität durchaus lobend als Humanismus bewertet wird (derzeit vor allem im Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise). Ferner wird "Humanismus" auch in einer etwas vagen Weise für eine Art weltanschaulich-kultureller "Wellness" verwendet. Und schließlich wird er – angesichts brodelnder politischer und weltanschaulicher Auseinandersetzungen – von manchen anscheinend als Fundament einer beruhigenden Gemeinsamkeit empfunden. Offenbar gibt es also (nicht nur hierzulande) jede Menge Humanisten – zumindest "irgendwie-Humanisten". Michael Schmidt-Salomon hat 2006 unter Verwendung des Schlagwortes "Leitkultur Humanismus light" eine Bestandsaufnahme von als humanistisch zu bewertenden Einstellungen in unserer Gesellschaft vorgelegt. Er sieht daneben aber auch ein "Christentum light" zu dem er kritisch anmerkt: "Durch seine ideologische Vereinnahmung humanistischer Traditionen verwischt es die scharfen Gegensätze, die zwischen einer konsequent humanistischen Position und dem religiösen Glauben bestehen."

Konsequent humanistische Position?

Im Ausblick seines Essays geht es Schmidt-Salomon nicht zuletzt um eine schärfere theoretische Profilierung von Humanismus, für die gewaltige intellektuelle Bemühungen erforderlich seien. Aber ist das wirklich nötig? Gibt es da noch Neuland zu entdecken, womöglich durch Forschung an "Humanistik-Lehrstühlen", wie sie der HVD fordert? Oder ist zu Humanismus nicht alles schon x-mal gesagt worden? Muss die Liste dessen, was gute Humanisten denken und tun, noch erheblich erweitert werden? Oder fehlt uns etwa eine geschlossene Theorie? Ich denke: nein; eher leuchtet mir ein, was H. Groschopp vermutet, dass nämlich in der extremen Variabilität des humanistischen Paradigmas "…seine Stärke, die Einheit in der Vielfalt zu wollen" liegen dürfte. Man darf hinzufügen, dass seine Stärke auch darin liegt, dass es keinen Ahnherrn, Propheten oder "Papst" des Humanismus gibt. Anders als bei Marxismus und Psychoanalyse steht daher auch nicht das Problem im Raum, dass man mit seinen eigenen Aussagen ja keinen "Verrat" an den Ideen des Gründers begehen darf, geschweige denn diesen kritisieren. So erregten einige kritische Aufsätze von D. E. Zimmer über S. Freud seinerzeit einen regelrechten "Shit Storm" (nachzulesen in seinem Buch "Tiefenschwindel", Rowohlt, 1986).

Legt man zugrunde, dass mit "Humanismus" nicht nur eine gewachsene Kultur oder gar "eine Kulturbewegung" (wie sie sich in humanistischen Organisationen im In- und Ausland zu entfalten versucht), sondern auch eine Weltanschauung gemeint ist (H. Groschopp im Vorwort zu "Humanismus und junge Generation", Alibri 2010) und ist man nicht damit einverstanden, dass fast jeder, den Papst eingeschlossen, "Humanismus" für seine Ansichten und Absichten beansprucht, dann muss man den Mut aufbringen, ausgrenzende Kriterien zu setzen. Diese Aufgabe habe ich mir gestellt, und im Folgenden geht es deshalb vor allem um einige Aussagen zum Kern des heutigen Humanismus. Dabei muss man natürlich die historischen Entwicklungen im Blick behalten, weshalb hier zunächst ein ganz kurzer Streifzug durch die (Vor-)Geschichte des Humanismus versucht wird. Für eine ausführliche, fach-kompetente Darstellung sei auf das Buch "Europa – Antike – Humanismus" verwiesen (Hrsg. H. Cancik-Lindemaier, transcript-Verlag, 2011).

Historisches

In der römischen Antike gab es Vorstellungen von einer "humanitas", die, an griechische Ideen anknüpfend, folgendes Ideal des Menschen beinhalteten: Durch Erziehung, Ausbildung und eine lebenslange Arbeit an sich selbst sollte er (damals natürlich der Mann) sich harmonisch und allseitig entfalten und nicht zuletzt fähig und willens sein, im Gemeinwesen Verantwortung zu übernehmen. Es bestand ein elitäres Bewusstsein, durch das man sich von den Ungebildeten und den lediglich an Macht, Prestige und Besitz Interessierten absetzte. Zu ergänzen ist, dass in der Antike auch bereits die Grundlagen der "exakten" Wissenschaften gelegt wurden. Neben den Vorsokratikern, Aristoteles und anderen sei hier auf Epikur verwiesen, der für heutige Humanisten von besonderem Interesse ist (vergl. Anhang 2, der mit Teil 4 veröffentlicht wird).

In der Renaissance ("Wiedergeburt") gab es, wie der Name besagt, eine Wiederbelebung der antiken Überlieferung. Diejenigen, die sich damals dafür begeisterten und in Italien einander manchmal als "umanista(s)" bezeichneten (auch im Englischen kam dann bald die Bezeichungen "humanist(s)" auf), waren teils darauf aus, sich mit diesem Wissen und der Anlehnung an die antike "klassische" Ästhetik zu profilieren, teils leisteten sie eine gewaltige, für Späteres grundlegende philologische Arbeit. Erasmus von Rotterdam beschäftigte sich darüber hinaus ausgiebig mit Erziehung und entwarf Konzepte für einen angstfreien, effizienten Schulunterricht. Viele Kirchenleute trugen die Bewegung mit. Damals wurde auch schon erste Kirchenkritik durch Hinterfragung der christlichen Überlieferung geäußert, allerdings nur selten und vorsichtig – wobei nicht vergessen werden darf, dass man dafür auf dem Scheiterhaufen enden konnte.

Durch das Aufkommen vor allem naturwissenschaftlicher Erkenntnisse (Anfänge etwa ein Jahrhundert nach Beginn der Renaissance) entstanden neue Ansprüche an Klarheit für die Philosophie, aber auch für das allgemeine Denken der Menschen. In der Konsequenz wurden auch die Fragen nach dem moralisch richtigen Handeln und dessen – bislang kirchlichem – Rahmenkonzept neu gestellt, insbesondere in der Epoche der Aufklärung. In der weiteren Entwicklung bis zur Gegenwart ergaben sich umfassende und detaillierte Erklärungen der unbelebten und belebten Natur, die nicht mehr wegzudenken sind. Durch die Erfahrung dieser Gewissheiten wurden die schon zuvor entstandenen Zweifel an kirchlichen Lehren und die Suche nach vernünftigen Alternativen weiter bestärkt.

Ein Fazit

Aus der hier sehr vereinfacht dargestellten historischen Entwicklung ergibt sich, dass der heutige Humanismus auf zwei Beinen steht, nämlich einer Idee von Humanität und einer vom naturalistischen Weltbild geförderten Rationalität. Die Frage ist, ob es bei Humanismus (der Begriff wurde übrigens erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts eingeführt, u.zw. von F.E.Niethammer) um mehr geht. Ich vermute: nein, und dies bedeutet ins besondere eine Absage an Versuche, Humanismus zu einem Konzept in der Politik zu machen. Es wäre vermessen, wenn man vom Humanismus auf diesem Felde mehr als nur ganz elementare Orientierungen verlangen würde. Dies würde wohl nur zu fruchtlosem Streit führen. Auch sollte man Ideale bzw. Konzepte wie Menschenrechte oder Demokratie nicht als Domänen des Humanismus, sondern als schrittweise erkämpfte Errungenschaften der Bürger betrachten, die nach und nach die Macht überkommener Herrschaftsstrukuren begrenzten oder überwanden. Andererseits muss man eben sehen, dass heutzutage das anspruchsvoll klingende Label "Humanismus" von verschiedensten Seiten in Anspruch genommen wird. Diese Beliebigkeit (mit den damit natürlich auch verbundenen Kontroversen) ist wohl eine der Ursachen dafür, dass "Bildungsbürger" sich eher selten den Humanisten zurechnen (es sei denn in dem Sinne, dass sie aufs Humanistische Gymnasium gegangen sind).

wird fortgesetzt