BERLIN. (hpd) Wie schon in den vorigen Jugendstudien sind auch in der aktuellen aus dem Jahr 2015 die Fragen nach Religion und Werten aufgenommen. Die Studie ist bundesweit erhoben worden. Eine Differenzierung für einzelne Bundesländer wurde allerdings nicht vorgenommen. Es muss davon ausgegangen werden, dass in den deutschen Großstädten die Religionsdistanz erheblich höher ist, als in Deutschland insgesamt.
Die Mehrheit der Jugendlichen gehört weiterhin einer Kirche oder Glaubensgemeinschaft an. Das bedeutet allerdings noch lange nicht, dass sie glauben was diese Religion ausmacht. Religion ist weiterhin eine konstante Größe, aber sie steht nicht im Zentrum des Wertesystems. Die Unterschiede zwischen West und Ost sind erheblich, ebenso die der Muslime zu den anderen Jugendlichen.
Mitgliedschaft und Glauben decken sich nicht
Obwohl noch ca. zwei Drittel der Jugendlichen Mitglied in einer Glaubensgemeinschaft sind, ist der Glaube an Gott nur für 33% wichtig. Für 46% ist dieser Glaube unwichtig. Selbst für 33% der katholischen Jugendlichen wie für 41% der evangelischen Jugendlichen ist der Glaube an Gott für die Lebensführung unwichtig, (S. 251). Wir sehen also die gleichen Differenzen zwischen Mitgliedschaft und Glauben wie wir es aus den Befragungen von Erwachsenen kennen.
In Ostdeutschland ist nur noch für 19% der Glauben an Gott wichtig. Aber für muslimische Jugendliche ist der Glauben an Allah für 76% bedeutsam.
Der persönliche Gott wird unglaubwürdig
Nicht nur der Unterschied von Mitgliedschaft und Glauben ist wichtig, auch zentrale religiöse Glaubensinhalte werden immer weniger verstanden.
Die zentrale Aussage der christlichen Religionen ist die des „persönlichen Gottes“. Zu ihm haben nur noch 35% der katholischen Jugendlichen ein Verhältnis und nur noch 27% der evangelischen, (S. 254).
Für einige Jugendliche gibt es noch den Begriff einer "höheren Macht" (katholisch 23%, evangelisch 22%). Damit liegen sie aber schon nicht mehr im Selbstverständnis ihrer Religionsgemeinschaften, die dies wesentlich eindeutiger formulieren.
Wer betet noch?
Auch die Forderung nach regelmäßigem Gebet gehört zum Selbstverständnis der großen Religionen in Deutschland. Das Gebet ist aber nicht nur eine Verpflichtung, sondern auch ein Symptom für den gelebten Glauben und das persönliche Verhältnis zu Gott.
50% der katholischen Jugendlichen beten selten oder nie, bei den evangelischen sind es sogar 62%, (S. 258).
Einen Unterschied gibt es zu den muslimischen Religionen und zu den orthodoxen Christen (Freikirchen, Evangelikale): Sie beten zu ca. 46% mindestens einmal in der Woche.
Meinungen zur Kirche
Auch hier finden wir sehr widersprüchliche Aussagen. 67% der Jugendlichen "finden es gut, dass es die Kirche gibt", (S. 259). Dabei steht im Mittelpunkt der Eindruck, diese würden sich für die Schwächsten in der Gesellschaft einsetzen und so eine hohe moralische Autorität besitzen. Dass sie sich um geflüchtete Menschen kümmern, Sterbenden zur Seite stehen oder behinderte Menschen pflegen wird ihnen hoch angerechnet.
Dem gegenüber steht die Aussage von 64%: "Die Kirche muss sich ändern, wenn sie eine Zukunft haben will". Die sozialen und caritativen Aktivitäten werden immer weniger mit der Institution Kirche gleichgesetzt, die als anachronistisch und in der medialen Wahrnehmung als problematisch erlebt wird (Missbrauchsvorwürfe, klerikale Abschottung, Positionen zu sexueller Selbstbestimmung oder zu Fragen wie Schwangerschaftsabbruch und Homosexualität).
Am schärfsten wird die Distanz zu den Kirchen bei der Aussage von 57% deutlich, die sagen: "Auf die Fragen, die mich wirklich bewegen, hat die Kirche keine Antwort."
Es sind heute - gar nicht so überraschend - gerade die katholischen Jugendlichen, die eine Veränderung ihrer Kirche als besonders notwendig ansehen.
Geschlechterunterschiede
Kein neuer Befund ist das Ergebnis, dass männliche Jugendliche den Glauben an Gott zu 50% unwichtig finden, die weiblichen aber nur zu 42%, (S. 263).
Zwar sind für junge Frauen Beruf und Karriere bedeutsamer geworden, aber die Orientierung liegt weiterhin in sozialen Berufen oder im Dienstleistungsbereich. Die technischen Berufe und die industrielle Produktion werden weiterhin von den Jungen favorisiert. Entsprechen haben die Frauen geringere Erwartungen an die zukünftige Bezahlung ihrer Arbeit.
Shell Deutschland (Hrsg.): Jugend 2015 – Eine pragmatische Generation im Aufbruch; S. Fischer Verlag; Frankfurt am Main, 2015; 447 Seiten
Auffällig ist, dass seit 2010 die jungen Frauen "Fleiß und Ehrgeiz" wichtiger finden als die jungen Männer. Sie sind deutlich gesundheitsbewusster, betonen mehr die Gefühle und sind umweltbewusster, (S. 264).
Allgemein kann gesagt werden, dass die jungen Frauen ein ausgeprägt positiveres Werteverhalten verkörpern als die jungen Männer.
Die Konfessionslosen
Eine eindeutige atheistische Aussage "Ich glaube nicht, dass es einen persönlichen Gott oder eine überirdische Macht gibt" treffen 27% der Jugendlichen. Noch einmal 24% sagen "Ich weiß nicht richtig, was ich glauben soll". Eine Mehrheit der Jugendlichen ist also eher nicht-religiös.
Die Gruppe der Konfessionslosen ist sehr eindeutig in ihrem Verhältnis zu Religion. Für 82% ist der Glauben an Gott für die eigene Lebensführung unwichtig. Nur für 8% dieser Gruppe ist er wichtig, der Rest ist unentschlossen, (S. 251).
Zur Frage nach einem "persönlichen Gott oder einer höhere Macht" sagen 63% der Konfessionslosen, dass dies für sie keine Bedeutung hat und noch einmal 18% sagen, sie wissen darüber nichts. (S. 254)
Ergebnis
Es gibt einen neuen Trend bei den deutschen Jugendlichen: Sie wollen das eigene Leben mit Werten bereichern. Dazu gehören gesellschaftliche Regeln, Engagement für die Umwelt, für sozial Schwache und das Gemeinwesen. Sie sind tolerant eingestellt, aber auch bereit, sich gegen Intoleranz zu wehren.
Sie nähern sich den Traditionen wieder an. "Diese Entwicklung geht jedoch nicht von der Religion, sondern eher vom Stolz auf die Leistung der Nation aus." (S. 272)
Die Bedeutung des Gottesglaubens ist von 36% in 2010 auf 33% heute zurückgegangen. Die Elternhäuser leisten immer weniger die Vermittlung von religiösen Vorstellungen. (S. 257)
Die Shell Studie kommt zu dem Ergebnis, dass "die Bedeutung des klassischen Glaubens zurückgegangen ist" (S. 252) und eine "leicht abnehmende religiöse Praxis unter Jugendlichen" (S. 256) festzustellen ist.
18 Kommentare
Kommentare
Kay Krause am Permanenter Link
Jugendliche haben in der Regel noch kein steuerpflichtiges Einkommen.
Interessant wäre auch einmal zu erfahren, wie hoch der Anteil der Kirchensteuer zahlenden Bürger wäre, gäbe es nicht die Einführung in den Gottes- und Kirchenglauben durch Zwangstaufe bereits im Babyalter.
Bei der verantwortlichen Anleitung von Kindern und Jugendlichen durch Eltern, Schulen und Umwelt zu selbstdenkenden und selbstverantwortlichen jungen Menschen würde diese Statistik ganz anders aussehen!
Martin Weidner am Permanenter Link
Zwangstaufe? Das ist doch die freie Entscheidung der Eltern. Und wie kommne Sie darauf, dass Eltern, die ihre kinder taufen lassen, sie nicht zu selbstdenkenen Menschen erziehen?
Kay Krause am Permanenter Link
Zwang insofern, weil auf das unmündige, unwissende,nur wenige Wochen oder Monate alte Kleinkind der Zwang der unfreiwilligen Taufe ausgeübt wird.
Martin Weidner am Permanenter Link
Sie wollen also die Freiheit der elterlichen Erziehung und deren Verantwortung abschaffen, mit der Begründung, dass die Eltern ja selber indoktriniert sind, also nicht frei entscheiden.
Siegbert am Permanenter Link
Das Argument "Es ist nicht möglich, Kinder neutral zu erziehen" kann z.B. auch bei nordkoreanischer staatlicher "Erziehung" gebracht werden.
Ich denke, eine neutrale Erziehung meint, dass keine Ideologie vermittelt wird. Insbesondere sollten keine Positionen emotional an die Familie oder die Gemeinschaft gebunden werden, denn das Kind könnte später vor dem Dilemma stehen, entweder sich selbst zu verraten oder einen vermeintlichen Verrat an der Familie oder Gemeinschaft zu begehen.
Natürlich (oder hoffentlich) gibt es in jeder Familie/Gemeinschaft Werte und Positionen. Ein Kind wird sie zunächst unkritisch aufnehmen, weil es erst mal nichts anderes kennt und weil es die Eltern als Götter empfindet, die alles wissen und auf die es angewiesen ist. Bei einer neutralen (nicht-ideologischen) Erziehung wird das Kind im Lauf seines Heranwachsens lernen, dass die von den Eltern vertretenen Vorstellungen nicht deckungsgleich mit seinen eigenen Vorstellungen sein müssen. Es wird auch lernen, dass verschiedene Ansichten möglich sind und begründet werden können, ohne dass das Zusammenleben und die gegenseitige Achtung und Wertschätzung darunter leiden müssen.
"Damit entmündigen Sie alle Erwachsenen, die religiöse Ansichten haben."
Jein. Ich denke (ohne Kay Krause vorgreifen zu wollen), es geht nur um ideologische Ansichten, also solche, die genau solch eine Entmündigung zugunsten der Ideologie anstreben. Religiöse Ansichten können ideologisch sein, müssen es aber nicht. Denke ich jedenfalls im Moment. Ich überlege mir gerade, welche religiösen Ansichten nicht ideologisch sind, aber mir fällt nicht wirklich was ein, was nicht auch in den nicht-religiösen Menschenrechten vertreten wäre.
Martin Weidner am Permanenter Link
>>dass keine Ideologie vermittelt wird<<
Man kann aber einen weiten Ideologiebegriff nehmen: Weltanschauung und Wertesystem. Darunter kann man dann auch Religionen, Naturalismus und Humanismus fassen.
Mir fällt auf, dass Sie selber noch nicht wissen, welchen Ideologiebegriff Sie wählen wollen:
Einerseits sind es bestimmte Inhalte (>>welche religiösen Ansichten nicht ideologisch sind<<) andererseits der Umgang mit Inhalten >> Entmündigung zugunsten der Ideologie<<
Wenn sie es an Inhalten festmachen, dann frage ich, was das Kriterium ist, das entscheidet, ob etwas Ideologie ist. Ich befürchte, da wird man nichts Brauchbares finden, sondern man wird den Begriff der Ideologie verlassen und zu Bewertungen wie „menschenverachtend“ oder dergleichen zurückgreifen. Sonst läuft es darauf hinaus, dass immer die Anderen ideologisch sind und man selber natürlich nicht.
Denn Sie können in den einzelnen Religionen viel Menschenverachtendes entdecken, das kann ich aber in der Aufklärung auch. Dazu sind diese geistigen Systeme viel zu komplex, um sie in solche Schubladen zu stecken.
Bleibt also die Art und Weise wie das Wertesystem vermittelt wird.
Auch da wissen sie nicht, was Sie wollen: Ideologien sollen nicht vermittelt werden, aber Werte schon.
>> Insbesondere sollten keine Positionen emotional an die Familie oder die Gemeinschaft gebunden werden,<<
Wenn also die Familie miteinander das Lied „Die Gedanken sind frei“ singt, dann wird durch den Inhalt des Liedes Werte vermittelt, zugleich ist das Singen eine emotionale Sache, und das Miteinander Singen zugleich ein Gemeinschaftserlebnis, das den Inhalt mit dem Wir-Gefühl der Familie verknüpft. Also ist dieser Vorgang genauso zu verwerfen wie die >>nordkoreanische(r) staatliche(r) "Erziehung"<<
Diese ironische Art, Ihre Ansicht zu kommentieren, ist sehr milde. Ich wünsche keinem Kind, dass es emotionslos-distanziert Werte vermittelt bekommt. Da würde ich lieber in der „brave new wolrd“ leben als in so einem System.
Das haben Sie natürlich nicht gemeint, ich habe das mal so drastisch kommentiert, um zu zeigen, dass Ihre Darlegung so allgemein und pauschal daher kommt, dass es sich gegen diese Deutung nicht abgenzt.
>> Bei einer neutralen (nicht-ideologischen) Erziehung wird das Kind im Lauf seines Heranwachsens lernen, dass die von den Eltern vertretenen Vorstellungen nicht deckungsgleich mit seinen eigenen Vorstellungen sein müssen. Es wird auch lernen, dass verschiedene Ansichten möglich sind und begründet werden können, ohne dass das Zusammenleben und die gegenseitige Achtung und Wertschätzung darunter leiden müssen.<<
Also, dem kann ich vorbehaltlos zustimmen, das könnte ich nicht besser sagen. In diesem Sinne bin ich selber von meinen Eltern religiös erzogen worden und ich so habe ich es selber als Vater getan.
Kann es sein, dass es Ihnen vor allem darauf ankommt?
Ich finde es bemerkenswert, dass Sie abwägen und in Ihrem Urteil nicht ganz festgelegt sind.
Ich habe verschiedene Möglichkeiten, Ihren Text zu verstehen, durchgespielt und heftig kritisiert. Aber wenn es auf das letzte herauskommt, dann sehe ich nur einen Dissens. Wie ist Religion / religiöse Erziehung da einzuordnen?
Das ist eine Frage, wie man es erlebt. Eine internet-Diskussion kommt da an Grenzen. Es müsste viele Begegnungen geben von Religiösen und Religions-Kritischen.
Siegbert am Permanenter Link
Ja, es hängt viel am Begriff "Ideologie".
"Religionen sind älter als dieser Begriff und lassen sich kaum damit erfassen (vom Fundamentalismus abgesehen)."
Mit dem Alter von Begriffen lässt sich noch nichts über ihre Anwendbarkeit aussagen. Zum Beispiel kann die Gravitation mit physikalischen Theorien erfasst werden, obwohl die Theorie jünger ist als die Gravitation.
Ideologisch können sowohl Aussagen (Inhalte) als auch der Umgang mit Inhalten sein.
"...frage ich, was das Kriterium ist, das entscheidet, ob etwas Ideologie ist. Ich befürchte, da wird man nichts Brauchbares finden, sondern man wird den Begriff der Ideologie verlassen und zu Bewertungen wie „menschenverachtend“ oder dergleichen zurückgreifen. Sonst läuft es darauf hinaus, dass immer die Anderen ideologisch sind und man selber natürlich nicht."
Danke, dass Sie nach der genauen Definition fragen. Der Kern einer Ideologie dürfte meiner Ansicht nach in der Nicht-Offenheit bestehen, oder anders gesagt in dem Bestreben, sich gegen Kritik zu immunisieren. Wissenschaft ist so das Gegenteil von Ideologie.
Ideologien zeichnen sich also durch Immunisierung gegen Kritik aus. Es gibt religiöse, politische und pseudowissenschaftliche/esoterische Ideologien. Manchmal vermischt sich das, aber es bleibt das gemeinsame Kennzeichen: Die Immunisierung gegen Kritik.
"Denn Sie können in den einzelnen Religionen viel Menschenverachtendes entdecken, das kann ich aber in der Aufklärung auch."
Ich setze Aufklärung mit ihrem Ziel und Inhalt gleich, also Bildung, und nicht mit der geschichtlichen Epoche. Was gibt es viel Menschenverachtendes in Bildung?
"Dazu sind diese geistigen Systeme viel zu komplex, um sie in solche Schubladen zu stecken."
So pessimistisch müssen wir nicht sein, dass wir nicht versuchen könnten, geistige Systeme einzuordnen. Ich habe ja nun eine Definition geliefert, mit der man arbeiten kann.
"Bleibt also die Art und Weise wie das Wertesystem vermittelt wird. Auch da wissen sie nicht, was Sie wollen: Ideologien sollen nicht vermittelt werden, aber Werte schon."
Ja, denn Werte sind etwas anderes als Ideologien.
(Kurzer Einschub: Bitte unterstellen Sie mir nicht, ich wüsste nicht, was ich wolle, selbst wenn ein paar Sätze diesen Anschein erwecken könnten.)
Gemeinsames Singen ist nicht mit der nordkoreanischen Propaganda zu vergleichen, eine out-group zum Sündenbock für das Versagen des eigenen Staates zu machen.
Ich dachte eher an eine Situation, die ich mal in einer Dokumentation gesehen habe: In einer christlichen Gemeinde soll/möchte ein Kind sein Leben Jesus übergeben, schafft es aber vor lauter Emotionen und Tränen nicht, das Gebet dafür zu sprechen. Die Mutter hilft ihr und spricht es ihr vor, und das Kind gibt ein Versprechen ab. Das scheint alles sehr friedlich und harmlos. Aber wenn man sich überlegt, dass das Kind später in Konflikt mit seinem Versprechen geraten kann, nur weil es etwa der Evolutionstheorie glaubt oder Gefühle für das gleiche Geschlecht entwickelt, dann wird einem bewusst, wie fies das ist. Indoktrination eben: Man meint, man müsse in dem System bleiben, dabei hängen die (nicht-ideologischen) Werte gar nicht an der Ideologie. Ich neige zu folgender Definition: Indoktrination ist das Vorgaukeln einer unauflöslichen Verbindung von Werten mit einer Ideologie. Ein Beispiel wäre das Kopftuch im Islam. Der Wert wäre Schutz und Ehre der Frau, und das Kopftuch die Ideologie. Man braucht aber kein Kopftuch, um wertvoll und ehrbar zu sein.
Ein anderes Beispiel wäre Beschneidung. Oder religiöse Essensvorschriften.
"Diese ironische Art, Ihre Ansicht zu kommentieren, ist sehr milde."
Wie großzügig von Ihnen, dass Sie so milde zu meinen Ansichten sind. :-)
"In diesem Sinne bin ich selber von meinen Eltern religiös erzogen worden und ich so habe ich es selber als Vater getan. Kann es sein, dass es Ihnen vor allem darauf ankommt?"
Ja, auf Nicht-Ideologie. Auf Offenheit, Forschung, Bildung, Belegbarkeit bei Falsifizierbarkeit. Ich denke, wir haben eine sehr ähnliche Erziehung genossen, nur habe ich mich dann anders entwickelt und von der Religion gelöst oder war nie wirklich gläubig. Ich erinnere mich, dass es mir schon als Kind komisch vorkam, dass meine Mutter auf die Frage, was mit den noch nicht getauften/bekehrten Säuglingen geschieht, wenn sie sterben, nicht besseres wusste als "Das wird Gott schon richtig machen." Sicher können Theologen raffiniertere Antworten geben und tun das auch, aber damit stellen sie nur Ad-hoc-Theorien auf und wenden Immunisierung gegen Kritik an.
Anders formuliert: Ich habe die Werte vom religiös-ideologischen Ballast getrennt. Ich glaube z.B. nicht an Geister und Dämonen, ohne die aber Jesus nicht auskommt. Ich bin tatsächlich ein Atheist. Hätte ich früher nie gedacht. Da komme ich mir vor wie Mose, der dachte, er sei Ägypter und erfährt, dass er zu den Israeliten gehört.
Martin Weidner am Permanenter Link
Danke für die Antwort, ich habe Sie jetzt (hoffentlich) besser verstanden.
Und ich gebe zu, dass der Satz „Sie wissen nicht“ übergriffig war.
Glaube ist für mich eine Beziehung. Beziehungen sind nicht ideologisch (dass man bei einem Gebet, in dem man eine Beziehung zu Gott aufnimmt, ein spezifisches Versprechen ablegt, ist mir neu und mit meinem Glaubensbegriff nicht vereinbar).
Genauso wie Bildung nicht ideologisch ist.
Für mich ist Glaube das ständige Absterben des alten Menschen gepaart mit dem Auferstehen zu einem neuen Leben. In diesem Prozess wächst das Vertrauen auf die Gnade und es schrumpft das Vertrauen auf Sicherheiten, die man sich so macht (zB Erkenntnisse, auch religiöse). Dieser Prozess ist also das Gegenteil von Immunisierung, weil man Ich-Stärkung durch Gottes Gnade erfährt und so auch alles loslassen kann.
Dies Kindern zu vermitteln ist für mich keine Ideologisierung.
Zu den Bespielen: Ein Kind, dass „Die Gedanken sind frei“ so interpretiert, dass man alle anderen Gedanken toleriert, wird dann in schwere innere Konflikte kommen, wenn es rassistische Gedanken ablehnt und nicht toleriert.
Diese konstruierte (!) Szene scheint mir parallel zu dem Bericht zu sein, den Sie erwähnten. Will sagen: Die emotionale Bindung an Werte sehe ich nicht als Problem, im Gegenteil.
Für mich besteht Leben in einem 3er-Schritt: 1. Man empfängt etwas (zB Werte, aber auch ganz Anderes wie Fertigkeiten). 2. Man eignet es sich kritisch an. 3. Man macht es fruchtbar für andere, Die Reihenfolge dieser Schritte ist nicht unwichtig. Man kann sich nichts aneignen, wenn man es nicht erst empfängt. Aber wenn man es nur 1:1 übernimmt, ist es nicht lebendig. Dies ist das, was sie als Ideologie definieren.
In allen drei Schritten geschieht Identitätsfindung.
Taufe und christliche Erziehung ist zunächst einmal eine Sache des 1. Schrittes. Je älter ein Kind wird, kommt Schritt 2 und auch der 3. dazu. Den 1. Schritt dabei als Ideologie zu betrachten, halte ich für unangemessen, ja für schädlich, weil dann Identitätsfindung gestört wird.
Zu der Antwort Ihrer Mutter bezüglich ungetaufter Kinder:
Ihre Mutter hat
a) Eingeräumt, dass sie da keine Antwort hat, hat also offene Fragen und Leerstellen zugelassen, ohne sie wegerklären zu müssen oder in ein System einordnen zu müssen
b) Sie hat das Vertrauen auf Gott bekannt. Vertrauen ist eine Beziehung, kein System, keine Ideologie. Auf der Ebene geht es deshalb nicht um Immunisierung.
c) Hoffnung vermittelt, dass es richtig sein wird.
Natürlich können Theologen zur Taufe / Bekehrung mehr sagen: dass das nur Sinn hat mit dem lebenslangen Absterben (= Bekehren) und also der Mensch die Taufe zum Leben braucht, nicht Gott für seine Gnade. Aber letztlich fußt das auch auf Hoffnung und Vertrauen und kann kein System liefern, was mit diesen Kindern und mit Menschen überhaupt geschieht, wenn Sie sterben.
Ich glaube übrigens an Gott, nicht an Geister und Dämonen, den Glaube heißt vertrauen. Für Paulus sind sie Nichtse.
Ich habe aber noch nicht bemerkt, das sich Atheist bin.
Siegbert am Permanenter Link
Hallo Martin Weidner,
danke für die Antwort. Ich lasse das mal auf mich wirken und antworte in den nächsten Tagen.
Aber das schon mal: Sie schreiben, Sie glauben nicht an Geister und Dämonen. Jesus aber schon, und Sie glauben Jesus.
Martin Weidner am Permanenter Link
Jesus glaubte nicht an Geister und Dämonen, im Gegenteil, er hat ihnen Befehle gegeben und sie ausgetrieben. Glaube ist ein positiver Begriff, er bedeutet Vertrauen.
Dass es Abgründigkeiten, Abhängigeiten gibt, die einen Menschen oder gar mehrere binden wie Saurons Ring, das das Dämonische eine Wirklichkeit ist: Das kann ich nicht leugnen. Aber das Dämonische kennzeichnet, dass es eben kein Gesicht zeigt, das Person-sein negiert. Jesus befiehlt auch den Naturgewalten, aber bestimmt heitßt das nicht, dass der Sturm eine Person ist. Bei den Dämonen schließen wir das aber, weil das uns das Mittelalter suggeriert - da können Sie wahrscheinlich mehr zu sagen.
Siegbert am Permanenter Link
Spontan antworte ich gleich auf Ihre letzte Antwort, weil es mich dazu drängt. Dies ist noch nicht die ausführliche Antwort bezüglich Glaube, Vertrauen, Ideologie und Immunisierung gegen Kritik.
Sie schrieben:
"Jesus glaubte nicht an Geister und Dämonen, im Gegenteil, er hat ihnen Befehle gegeben und sie ausgetrieben."
Nach einigem Erstaunen und Nachdenken ist mir aufgefallen, dass Sie mich anscheinend missverstanden haben. Ich hätte schreiben müssen
"Sie glauben nicht an DIE EXISTENZ VON Geistern und Dämonen. Jesus aber schon"
Wie hätte auch Jesus Dämonen Befehle geben und austreiben können, wenn er nicht die Existenz von Dämonen für wahr gehalten hätte? Ich dachte, es sei selbstverständlich, dass es um den Glauben an die Existenz von Dämonen ging und man (insbesondere Jesus) nicht AN Dämonen glaubt, auch wenn es das in dunklen Sektenbewegungen geben mag. Dort verorte ich Sie aber nicht. :-)
Sie hätten es aber auch richtig verstehen können, denn mein ursprünglicher Satz ist kaum anders zu verstehen als dass es um die EXISTENZ von Geistern und Dämonen geht:
"Ich habe die Werte vom religiös-ideologischen Ballast getrennt. Ich glaube z.B. nicht an Geister und Dämonen, ohne die aber Jesus nicht auskommt."
Will sagen: Jesus hat laut Evangelien Dämonen ausgetrieben. Er hatte offenbar keinen Zweifel an deren Existenz. Dass wir heute für gewöhnlich die Existenz von Dämonen nicht für wahr halten, müsste daher den Glauben an Jesus als Heilsbringer und Sohn Gottes verunmöglichen. Heutiger Wissensstand ist, dass es keine Dämonen gibt (hier wäre einiges zur wissenschaftlichen Methode zu erwähnen). Wenn der Sohn Gottes das nicht einmal wusste, kann er nicht wirklich der Sohn Gottes gewesen sein.
Sie schrieben:
"Von Jesus unterscheide ich mihc, dass zwischen ihm und mir eine (Sprach)geschichte liegt, in der der Personbegriff durch die christologishen udn trinitarischen Diskussionen bestimmt wurde. Von Teufeln udn Dämonen als Personen zu sprechen, ist mir deshalb nicht mehr so möglich."
Sondern? Wir wissen, was Personen sind, also was sie als solche auszeichnet. Trifft das auf Teufel und Dämonen zu oder nicht?
Diese Frage nach Konkretisierung haben Sie anscheinend schon vorausgesehen, deshalb schrieben sie:
"Dass es Abgründigkeiten, Abhängigeiten gibt, die einen Menschen oder gar mehrere binden wie Saurons Ring, das das Dämonische eine Wirklichkeit ist: Das kann ich nicht leugnen. Aber das Dämonische kennzeichnet, dass es eben kein Gesicht zeigt, das Person-sein negiert."
Mit Saurons Ring kann ich nicht viel anfangen. Geht es also um Psychologie? So wie Fabeln und Märchen in oft genialer Weise menschliche Befindlichkeiten und Entwicklungen personalisieren, so könnte man auch die Dämonen und biblischen Geschichten interpretieren. Ist es aber das, was Sie glauben? Den bösen Wolf gibt es im Märchen, aber nicht in der Realität. Dass es in der Realität "Abgründigkeiten, Abhängigeiten gibt, die einen Menschen oder gar mehrere binden" ist nicht unser Dissens, sondern die Frage nach der Tatsächlichkeit von Dämonen, Teufel, Engeln und Gott. Zugespitzt gefragt: Wenn ein Dämon in den Evangelien in Wirklichkeit gar nicht personal ist, sondern "eben kein Gesicht zeigt, das Person-sein negiert", ist das dann auch mit Gott, mit Jesus und auch dem Glauben so?
Martin Weidner am Permanenter Link
Mir kommt es schon auf den Unterschied zwischen "glauben, an" und "glauben dass" an.
Damit durchbricht er pharisäische Dämonenaustreibung, die ganz auf der Ebene des Regelwerkes waren.
Welche Wirklichkeit haben Dämonen? Die Abhängigkeiten, Verstrickungen des Menschen werden in den Mythen der Religionen transmoralisch und transrational beschrieben. Im Zuge der Aufklärung geschieht es rational-moralisch. Dies ist mir zu platt und wird der Abgründigkeit des Menschen nicht gerecht. Eine Form der mythischen Sprache ist es, vom Ankläger (Schatan=diabolus) und Dämonen zu reden. Bei Hiob und in der Versuchungsgescichte Jesu ist der Teufel ein Handlanger Gottes. Wenn man sagt, er existiert - (ek-sistere: Herausstehen aus dem Sein), dann ist das ohne die Essenz nicht denkbar. Da es aber nach Genesis 3 Sünde ist, das Böse gedanklich in den Griff zu bekommen, ist hier äußerste Vorsicht angessagt. Jesus erklärt nicht, er befreit von den Zwängen des Dämonischen. So wurde der Teufel im Christentum ausgelacht und letztlich zur Witzfigur. Der Sieg Jesu steht deshalb zwischen dem Glauben an (in negativer Spiegelverkehrtheit) den Teufel, wie er im ausgehenden Mittelalter vorherrschte, dem man etwas zutraute und ihn ernst nahm, und der aufklärerischen Plattheit als Witzfigur.
Karl Barth hat als geistiger Urenkel von Kant das Böse als das "Nichtige" erfasst - dem kann ich nicht folgen. Rudolf Buzltmann - in anderer Weise im Prokrustesbett von Kant und co - hat das Böse heideggerisch existentialisiert, was Drewermann dann auf psychologicher Ebene weiter geführt hat. Auch dieser Engführung folge ich nicht. Engführung heißt: Es ist nicht falsch, es ist aber zu wenig. Auch Martin Luther hat psychologisch vom Teufel geredet.
Existiert der Teufel? Die Antworten ja und nein sind durch Positionen besetzt, die ich beide ablehne. Ich knüpfe da an, dass der Teufel Gottes eigener Teufel ist. Oder lutherisch formuliert: Es ist der verborgene Gott, der sich hinter einer Teufelsmaske versteckt. Es kommt daruaf an, den gott, der sein Gesicht zeigt, hinter der maske (Luther: "Mummenschanz") heraus zu glauben.
Mit den Engeln ist es einfacher: Gott ist der Schöpfer, der alles erhält und trägt. Er ist auch der, der sich klein macht, in eine bestimmte Situation hinein kommt. Beides zusammen ergibt fast zwangsläufig die Engel, die schon von ihrer Bezeichnung her hinter ihrem Auftrag verschwinden udn ein verlängerter Arm Gottes sind. Nicht zufällig gibt es Stellen, wo der "Engel des Herrn" ein Engel oder Gott selber sein kann, beides zugleich angedeutet wird.
Fazit. Wer schon im Himmel angekommen ist wie Karl Barth, der sieht, dass Gott alles in allem ist, da braucht es keinen Teufel und all die andren Mächte und Geister.
Für mich, der ich in einer undurchdringlichen Welt bin und verstrickt bin im Bösen, der ich die Anfechtung noch nicht endgülig hinter mir habe: Für mich ist die "böse Macht" eine Realität. Als "Person" wird sie mir zu gottesebenbildlich, aber als transrationale Größe braucht es dafür mythische Bilder.
Siegbert am Permanenter Link
Schönen Tag! Hier nun meine Antwort, besonders auf Ihren Text vom 22. Juni.
Sie schrieben:
"Glaube ist für mich eine Beziehung. Beziehungen sind nicht ideologisch. [...] Für mich ist Glaube das ständige Absterben des alten Menschen gepaart mit dem Auferstehen zu einem neuen Leben. In diesem Prozess wächst das Vertrauen auf die Gnade und es schrumpft das Vertrauen auf Sicherheiten, die man sich so macht (zB Erkenntnisse, auch religiöse). Dieser Prozess ist also das Gegenteil von Immunisierung, weil man Ich-Stärkung durch Gottes Gnade erfährt und so auch alles loslassen kann."
Im letzten Satz verstehe ich die Begründung nicht. Im Prozess des Vertrauens auf die Gnade erfahre man eine Ich-Stärkung durch Gottes Gnade. Kann man denn dann überhaupt enttäuscht werden, wenn man immer vertraut, egal was ist? Nein, es ist nicht möglich. Das ist aber genau die Immunisierung gegen Kritik. Gibt es irgendeine Sache, durch die das Vertrauen in Gott enttäuscht werden könnte, die also das Vertrauen als unbegründet erweisen würde?
Vertrauen an sich ist noch kein Wert, denn Vertrauen ist immer an etwas gekoppelt. Man kann einem Finanzberater vertrauen, und das kann mehr oder weniger berechtigt sein oder eben auch nicht. Vertrauen kann falsch sein.
Sie werden einwenden, dass das Vertrauen in Gott niemals falsch sein kann, weil Gott nur gut sei. Das erinnert mich an den Vers "Denen, die Gott vertrauen, dienen alle Dinge zum Besten." Bemerken Sie hier die Immunisierung gegen Kritik? Egal, was passiert, das Vertrauen konnte nicht falsch gewesen sein. Und es ist ja nicht so, dass Gott nicht auch Negatives für uns bewirken würde. Sie werden einwenden, es komme immer darauf an, was man als negativ definiere. Man müsse es so definieren, dass herauskommt, dass das Vertrauen berechtigt gewesen ist.
Das ist aber Immunisierung gegen Kritik in Reinkultur.
Sie können die das Vertrauen in die Gnade Gottes als Ich-Stärkung ansehen, wenn Sie das Ich so definieren, dass der Glaube die Heimat und das Ziel des Menschen sei. Das kann man aber mit jedem möglichen Glauben und jeder Ideologie so halten, und z.B. würden Sie das Vertrauen in den Marxismus nicht als Ich-Stärkung ansehen.
Vertrauen muss berechtigt sein, damit es gut ist. Eine Hoffnung muss eine Grundlage haben, damit sie gut ist, sonst ist es eine falsche Hoffnung. Es mag unter Umständen in Ordnung sein, jemandem etwas vorzugaukeln, wie gut alles noch werden würde, auch wenn man weiß, dass es nicht so werden kann, aber es bleibt falsch, wenn es nicht berechtigt ist.
Es gibt Möglichkeiten, einen Sachverhalt oder eine Aussage zu kritisieren und zu prüfen, und sie entscheiden, ob Vertrauen oder Hoffnung berechtigt sind oder sein können. Aussagen, die nicht geprüft werden können, immunisieren sich dadurch gegen Kritik und haben eigentlich gar keinen Inhalt.
Auch bei Beziehungen gilt, dass es Gründe gibt, die die Partner annehmen lassen, dass sie eine Beziehung haben. Das Vertrauen, das zwei Menschen sich entgegenbringen, mag durch Hoffnung und Wünsche angeregt sein, aber letztlich muss es durch Erfahrung auch bestätigt werden. Eine Beziehung, die prinzipiell nicht enttäuscht werden kann, ist gar keine, so wie eine Aussage inhaltslos ist, die prinzipiell nicht widerlegt werden kann.
Offene Fragen und Leerstellen sind kein Problem, solange sie nicht den Kern der Sache betreffen und sie nur deshalb nicht beantwortet und geschlossen werden, weil sonst der Kern der Sache widerlegt wäre.
In Ihrem letzten Kommentar fallen mir etliche Formulierungen auf, in denen ich Immunisierung gegen Kritik sehe:
"Dies ist mir zu platt und wird der Abgründigkeit des Menschen nicht gerecht. Eine Form der mythischen Sprache ist es, vom Ankläger (Schatan=diabolus) und Dämonen zu reden."
"Auch dieser Engführung folge ich nicht. Engführung heißt: Es ist nicht falsch, es ist aber zu wenig."
"Existiert der Teufel? Die Antworten ja und nein sind durch Positionen besetzt, die ich beide ablehne."
"Nicht zufällig gibt es Stellen, wo der "Engel des Herrn" ein Engel oder Gott selber sein kann, beides zugleich angedeutet wird."
Ich sehe ein, dass Sie nicht einfach klar schreiben können, wie es denn nun ist, denn das weiß keiner. Von den Vorgängen in der Welt der Geister wissen wir absolut nichts, und trotzdem meinen viele, darüber so viel schreiben zu müssen.
Vieles liege an der Sprache, die man verwendet, und man müsse das, was früher geschrieben wurde, heute quasi übersetzen und richtig interpretieren, damit wir es verstehen. Aber was gibt es denn zu verstehen? Dass etwas "Beides zugleich" ist und "Nicht falsch, [...] aber", und dass man es nur "andeuten" könne?
Wenn es so unklar ist, dass man eigentlich nichts darüber aussagen kann, warum befassen wir uns dann damit? Oder wenn es in Wirklichkeit klar ist, wir es aber nur nicht wissen, wie können wir es erfahren, und warum macht das keiner und erklärt es uns, also ohne Immunisierung gegen Kritik?
Weil dann der Kern der Sache weg wäre, nehme ich an, und das ist eben genau das Hin- und Herschieben der Immunisierung gegen Kritik in die Aussagen, wo der zur Ideologie zu Bekehrende sie am wenigsten findet.
Martin Weidner am Permanenter Link
Danke für die ausführliche und konstruktive Antwort.
Eine Beziehung braucht eine Grundlage, braucht positive Erfahrungen.
Kein Volk hat so viele und massive Anfeindungen und Tiefschläge erlebt wie Israel: Von Anfang an war es zwischen Zweistromland und Ägypten ein Spielball der Mächte: Syrien, Assyrien, Babylonier, Perser, Griechen: Ptolomäer und Seleukiden; Römer…
Kein anderes Volk der Welt hat solche langen „Totzeiten“ erlebt und überlebt. Damit wird das Leid nicht bagatellisiert, aber in allem Leid ist es ein Zeichen der Treuer Gottes.
In Jesaja 53 wird beides: Leid und die Treue Gottes besungen. Christen beziehen es auf Christus.
Kein Volk der Erde außer Israel hat Spekulationen über den Tod für so lange Zeit (ca. 1 Jahrtausend) von sich fern gehalten.
Kein anderes Volk hat die Tradition der Religions- und Herrscher-Kritik so hochgehalten wie Israel mit seinen Propheten. Alle bedeutenden Menschen werden als Schurken dargestellt: Abraham, der seine Frau verriet, Jakob, der Betrüger, Mose der Mörder, David der Frauenverbraucher (Was dann in der Thronnachfolgegeschichte zu Todschlag und Bürgerkrieg führt) und Mörder: Keiner wird glorifiziert.
Dass uns nichts von der Liebe Gottes trennen kann, folgt der Tatsache, dass Leid und Tod von Jesus ihn nicht davon abhalten konnten, der Sieger über all das zu sein.
Die Umstände der Überlieferung der Auferstehung machen diese für eine historisch glaubwürdige Sache.
Das sind so Beispiele, dass Gott vertrauenswürdig ist.
Dazu kommen dann eigene Erfahrungen, die aber meist subjektiv sind und nicht leicht erklärbar gemacht werden können.
Dass es nichts gibt, was uns von Gottes Liebe trennen kann, ist eine Vertrauens-Aussage, aber keine Ideologie. Es ist ein Unterschied, ob man einer Person vertraut oder zB. dem Marxismus.
In vielen Beziehungen kann selbst eine andere sexuelle Beziehung diese nicht zerstören. Da sagt man doch nicht, dass das eine Immunisierung ist, sondern dass dies eine belastbare Beziehung ist. Man kann eben Beziehungen nicht wie Ideologien behandeln.
Beziehungen verändern sich aber. Manches zerbricht, anderes verstärkt sich, Neues kommt dazu. Auch Menschen, die seit Jahrzehnten geschieden sind, sind – im Guten oder Bösen – miteinander verkoppelt. So ist ein Kennzeichen der Anfechtung, dass die Beziehung zu Gott sich verändert. Ich kenne mehrere Theologen (einer, der religionspädagogische Bücher geschrieben hat, einige Vortragsreisenden), deren Glaube sich in Krisen signifikant verändert hat. Ebenso erlebe ich es bei mir selbst und in meinem Bekanntenkreis. Das betrifft auch das Bild von Gott und vom Glauben. Also die „ideologische Ebene“ des Glaubens. Die kann also durchaus falsifiziert werden.
Das meinte ich, dass man so gestärkt werden kann, dass man auch loslassen kann – eben auch liebgewonnene Glaubensansichten.
In den Sätzen, die Sei zitieren, kann ich keine Immunisierung entdecken:
"Dies ist mir zu platt und wird der Abgründigkeit des Menschen nicht gerecht. Eine Form der mythischen Sprache ist es, vom Ankläger (Schatan=diabolus) und Dämonen zu reden."
Dies ist eine grundsätzliche Kritik an der Aufklärung, in der die Abgründe des Menschen verdrängt wurden. Nach Kant hat dabei jeder auf eine andere anthropologische Größe gesetzt (Gefühl, Wille, Freiheit, Geist, …) und so ganzheitliches Reden vom Menschen unmöglich gemacht. Aus diesen Trümmern erwuchs im 19, Jahrhundert u. a. die Romantik und der Nationalismus. Die Katastrophen des 20 Jahrhunderts haben die Plattheit der Aufklärung in tragischer weise widerlegt. Das ist jetzt auch holzschnittartig, aber ich will nur andeuten, dass ich Gründe habe, etwas zu kritisieren und die Notwendigkeit aufzeige, vom Menschen in einer Tiefe zu reden, wie es die Mythen machen. Vielleicht muss man nicht zu der mythischen Sprache zurück, aber man kann es Mensch nicht ersatzlos streichen.
Die Widersprüchlichkeit des Menschen hat eben den Charakter, dass man es nicht vernünftig erklären kann. Wenn man es könnte, würde man den Menschen als biologische Maschine beschreiben und damit alles Reden von Schuld vernichten.
Alles menschliche Zusammenleben basiert darauf, dass Menschen für Taten verantwortlich sind. Der Naturalismus (der auf hpd als Humanismus verkauft wird) behauptet aber, der Mensch sie eine biologische Maschine, aber Maschinen handeln nicht, sie funktionieren nur und reagieren. Hpd hantiert ständig selber damit, dass Menschen schuldig werden, aber Ihre Ideologie machen Sie dagegen immun. Dieser Widerspruch ist wohl unvermeidbar, wenn man ein plattes Menschenbild aufrecht erhält.
Ich kritisiere also eine sich immunisierte Ideologie, das heißt aber nicht, dass ich mich damit immunisiere.
"Auch dieser Engführung folge ich nicht. Engführung heißt: Es ist nicht falsch, es ist aber zu wenig."
Ich behaupte, dass etwas, das auch eine psychische Dimension hat, nicht unbedingt dahin aufgeht. Wieso sollte die Kritik an Engführungen eine Immunisierung sein?
"Existiert der Teufel? Die Antworten ja und nein sind durch Positionen besetzt, die ich beide ablehne."
Wenn man davon ausgeht, dass das Bose in der Welt transsational ist, ist dies eine inhaltich angemessene Weise, davon zu reden. Dies ist nur dann eine Immunisierung, wenn man die Wirklichkeit auf das Rational zu erfassende beschränkt, mal also selber ideologische Scheuklappen hat. Dies ist sicher eine paradigmatische Sache, für die es kaum objektive Gründe gibt, aber das gilt für beide Seiten, beide können sich hier Immunisierung vorwerfen.
"Nicht zufällig gibt es Stellen, wo der "Engel des Herrn" ein Engel oder Gott selber sein kann, beides zugleich angedeutet wird."
Typisch die Geschichte mit Hagar: Es beginnt wie eine Engel-Geschichte, nur dass der Engel so spricht, als wäre er selber Gott und Hagar ihn dann mit dem heiligen Gottesnamen bezeichnet.
In Richter 6 spricht Gideon zu Gott über den Engel JHWHs mit JHWH, aber so, als wäre es JHWH selber, dessen Anblick kein Mensch aushält.
Das ist aber wohl ein Kennzeichen aller Epiphanien (zumindest im biblischen Umfeld): Dass Gott sich zeigt, aber gleichzeitig sich verhüllt (bei Gideon ist es erst die Begegnung, danach die Erkenntnis: Das ist der Engel JHWHs)
Gott ist immer mehr als das, was von ihm in Erscheinung tritt (das kann man philosophisch mit Essenz und Existenz beschreiben, dann klingt es logisch und sauber). Das sind „sachgemäße“ Dinge und keine immunisierende Verschleierung.
Ihre Fragen am Schluss erinnern doch stark an den frühen Wittgenstein: Entweder etwas wird klar erkläret, oder man lässt es eben ganz sein. Diese Beschränkung der Wirklichkeit auf das Verständliche ist aber eine Ideologie und Ihre Fragen eine Immunisierungsstrategie. ;-)
Vermutlich haben wir unterschiedliche Paradigmen und solche gegenseiteigen Vorwürfe sind unvermeidlich, weil man ja seine eigenen Voraussetzungen gar nicht sieht, weil sie einem selbstverständlich sind,
Siegbert am Permanenter Link
Meine Antwort ist in Arbeit. :-)
Gruß!
Siegbert am Permanenter Link
Ich grüße Sie, Martin Weidner. Ich fange einfach mal an:
"Alle bedeutenden Menschen [im AT] werden als Schurken dargestellt: Abraham, der seine Frau verriet, Jakob, der Betrüger, Mose der Mörder, [...]"
Sie haben "jemand" Wesentlichen vergessen, der auch im AT als erbarmungsloser vieltausendfacher Mörder vorkommt, so z.B. bei diversen Völkermorden und auch bei der Ermordung von 3000 Israeliten, nämlich Gott.
"[...], David der Frauenverbraucher (Was dann in der Thronnachfolgegeschichte zu Todschlag und Bürgerkrieg führt) und Mörder: Keiner wird glorifiziert."
Was möchten Sie mit dem Wort "Frauenverbraucher" ausdrücken? Dass David laut AT sehr viele Frauen hatte, verbraucht doch diese nicht und wurde ihm meines Erachtens nicht von Jahwe untersagt. Es heißt ja auch nicht "Das Hohelied des Frauenverbrauchens". Der Zusammenhang zu Thronfolgestreitigkeiten ist nicht gegeben.
"Dass uns nichts von der Liebe Gottes trennen kann, folgt der Tatsache, dass Leid und Tod von Jesus ihn nicht davon abhalten konnten, der Sieger über all das zu sein."
Aber die "Tatsache" der Himmelfahrt Mohammeds anerkennen Sie nicht als solche, stimmt's? Will sagen: Sie können nicht Glaubensaussagen zum Belegen von Glaubensaussagen nutzen. Sie versuchten zu zeigen, dass die Beziehung zu Gott eine Grundlage hat und zählten dazu einige Erfahrungen der Israeliten aus dem AT auf.
Damals gab es noch keine UN, die Hungersnöte, Völkermorde und Krieg zumindest angeprangert, wenn nicht etwas dagegen unternommen hätte. Die Antike war oftmals eine schwere Zeit ohne die Errungenschaften der modernen Zivilisation, was aber nicht ausschließt, dass man auch damals schon gut leben konnte. Im Krieg wurden jedoch ganze Städte niedergemetzelt, manchmal auch durch die Israeliten, wenn man dem AT vertraut. Dass sie es härter als andere Menschen hatten würde ich nicht meinen. Warum sollten die politischen Konstellationen sie auch anders als andere Völker betroffen haben?
"Kein anderes Volk der Welt hat solche langen „Totzeiten“ erlebt und überlebt. Damit wird das Leid nicht bagatellisiert, aber in allem Leid ist es ein Zeichen der Treuer Gottes."
Wenn ich sie richtig verstehe, meinen Sie in den wiederkehrenden Erholungen der Israeliten als Volk nach Kriegen und Verschleppungen ein Zeichen der Treue Jahwes zu den Israeliten zu sehen. Demnach wäre es ohne Jahews Treue nicht so gut gekommen, d.h. es hätten weniger oder keine Israeliten bis heute überlebt. Könnte es aber nicht sein, dass sie gar keinen oder sogar einen negativen Einfluss hatte? Was müsste passieren, damit die These von der Treue Gottes widerlegt ist? Wenn das bisher Geschehene dafür nicht ausreicht, was dann?
Verstehen Sie? Wenn es nichts gibt, das die These von der Treue Gottes widerlegen könnte, dann ist sie gegen Kritik immunisiert. Sie mögen das positiv sehen, als Vorteil, und das sei Ihnen unbenommen.
"Die Umstände der Überlieferung der Auferstehung machen diese für eine historisch glaubwürdige Sache."
Nein, nach meiner Kenntnis stützen die Ergebnisse der historisch-kritischen Forschung diese Annahme nicht. Aber selbst wenn Jesu Auferstehung historisch wäre, stellt sich die Frage, ob es von irgendeiner Relevanz wäre, dass in der Antike ein bestimmter Mensch länger gelebt hat als aufgrund seiner Hinrichtung zu erwarten gewesen wäre. Desweiteren stellt sich die Frage, wie sich das mit der Himmelfahrt konkret gestaltet hat, also wie und wohin er mit seinem Körper geflogen ist.
"Das sind so Beispiele, dass Gott vertrauenswürdig ist. Dazu kommen dann eigene Erfahrungen, die aber meist subjektiv sind und nicht leicht erklärbar gemacht werden können."
Die sich deswegen also jeder kritischen Betrachtung entziehen? Sie könnten ja versuchen, Ihre Erfahrungen, die die Treue Gottes bestätigen, trotzdem zu beschreiben und sie darauf hin untersuchen, ob es nicht auch andere Erklärungen dafür gibt.
Welche Erfahrungen würden Ihnen die Treue Gottes widerlegen?
"Dass es nichts gibt, was uns von Gottes Liebe trennen kann, ist eine Vertrauens-Aussage, aber keine Ideologie. Es ist ein Unterschied, ob man einer Person vertraut oder zB. dem Marxismus."
Einer Person zu vertrauen ist keine Ideologie, da haben Sie recht. Eine Person ist keine Ideologie. Wenn sich Ideologie durch das Merkmal der Immunisierung gegen Kritik (im Folgenden kurz IgK) definiert, bezieht sich der Begriff auf Aussagen. Ob diese Aussagen von einer Person getätigt werden, ist egal.
Wenn eine Person wie Karl Marx ein Buch schreibt, dann kann man der Person und ihren Aussagen vertrauen oder auch nicht. Inwiefern das Markmal IgK auf Aussagen des Marxismus zutrifft, habe ich noch nicht betrachtet, aber ich nehme an, dass man da fündig würde. Nun kann aber ein Anhänger des Marxismus sagen:
"Dass es nichts gibt, was uns von den erlösenden Erkenntnissen von Karl Marx und Friedrich Engels trennen kann, ist eine Vertrauens-Aussage, aber keine Ideologie. Es ist ein Unterschied, ob man einer Person vertraut oder zB. einem Monotheismus."
Andere zumindest aus entsprechender ideologischer Sicht vertrauenswürdige Personen wären Rudolf Steiner, Samuel Hahnemann, Buddha, Mohammed, Joseph Smith jr. oder David Koresh. Mose erwähne ich nicht, weil es sich dabei wahrscheinlich nicht um eine reale Person handelte.
Sie sehen, man kann eine Ideologie meist auf einen Begründer oder Guru beziehen und behaupten, bei dem vertretenen Überzeugungssystem gehe es weniger um die Lehre als um die Person, und deshalb sei es keine Ideologie. Das Kriterium für eine Ideologie sehe ich aber in der IgK.
Ein Beispiel für IgK ist Gott: Einmal werden Gott bestimmte Eigenschaften zugewiesen wie gütig, mächtig, lieb, gerecht, eine Person, usw., aber wenn man das für bare Münze nimmt und konkrete Fälle daraufhin untersucht werden, dann wird behauptet, Gott sei unergründlich, ungreifbar und von uns Menschen überhaupt nicht zu verstehen. Auch könnten wir nicht verstehen, dass beides zugleich zutreffen würde.
Ein anderes Beispiel für IgK ist die Sprache. Die Gerechtigkeit Gottes sei eine andere als die Gerechtigkeit der Menschen. Unter Gerechtigkeit dürfe man nicht in beiden Fällen das selbe verstehen. Die Gerechtigkeit Gottes kann so in der Tat nicht mehr kritisch betrachtet werden, aber welchen Inhalt, welchen Sinn hat aber dann noch das Wort Gerechtigkeit?
"In vielen Beziehungen kann selbst eine andere sexuelle Beziehung diese nicht zerstören."
1) Eine eigene Sexualität ist wohl nicht die größte mögliche Belastung einer Paarbeziehung, sondern Desinteresse und Kontaktlosigkeit oder gar physische und psychische Gewalt.
2) Wenn es so ist, dass nicht einmal Beziehungslosigkeit oder Gewalt eine Paarbeziehung als nicht existent ausweist, wodurch ist das Wort Beziehung dann noch definiert? Treue ist bei Treulosigkeit nicht gegeben.
3) Sie schreiben von "zerstören". Diese Wortwahl weist darauf hin, dass der Sachverhalt Beziehung positiv vorbelegt ist. Eine Beziehung kann aber auch eher schädlich für mindestens einen der Beteiligten sein. Beim Ende einer solchen Beziehung würde man nicht von zerstören schreiben, sondern eher von beenden und befreien. So wie wenn jemand der Beziehung zu einer Sekte oder sonst einer Ideologie entkommt (oder aus Sicht des jeweiligen Ideologen nicht standhaft ist und in sein Verderben flüchtet).
"Da sagt man doch nicht, dass das eine Immunisierung ist, sondern dass dies eine belastbare Beziehung ist."
Das sind nur verschiedene Worte für dieselbe Sache. Wenn eine Beziehung immun gegen Belastungen jeder Art ist, ist sie belastbar gegenüber jeder Belastung. Nur wird das bei Beziehungen als positiv gesehen.
"Ich kenne mehrere Theologen [...], deren Glaube sich in Krisen signifikant verändert hat. Ebenso erlebe ich es bei mir selbst und in meinem Bekanntenkreis. Das betrifft auch das Bild von Gott und vom Glauben. Also die „ideologische Ebene“ des Glaubens. Die kann also durchaus falsifiziert werden."
Die Veränderung des Glaubens besonders in Krisen ist ein interessanter Aspekt. Meiner Erfahrung nach werden dabei neue Immunisierungen gegen Kritik entwickelt, so z.B. der Gedanke, dass Gott/Jesus mit einem mitleide. Anstatt das Überzeugungssystem der Kritik auszusetzen und die Konsequenzen zu ziehen wird es so gestaltet, dass die Kritik ins Leere läuft. Die Motivation ist dabei ein vermeintlicher Selbstschutz, weil man sich so mit seinem Überzeugungssystem identifiziert, dass man es mit sich selbst verwechselt. Nur wenn die Krise stärker ist als die Angst vor dem Schmerz des Verlusts bisheriger Überzeugungen und seinen Folgen kann die Kritik zugelassen werden und ankommen.
"Dies ist mir zu platt und wird der Abgründigkeit des Menschen nicht gerecht. Eine Form der mythischen Sprache ist es, vom Ankläger (Schatan=diabolus) und Dämonen zu reden."
Sie konnten hier keine IgK entdecken. Ich sehe sie in dem ausweichenden, unkonkreten Schreiben, das fast jede Interpretation offenlässt. Ist es also nur eine "Form der mythischen Sprache", Dämonen auszutreiben und wie der Papst vom Teufel als einer wahrhaftigen Person zu reden? Ist Jesu Auferstehung eine "Form der mythischen Sprache"? Ich bin dafür, konkrete Taten und Gedanken möglichst konkret zu bezeichnen und nicht in einer mythischen Sprache zu reden, und ich denke nicht, dass das der "Abgründigkeit des Menschen nicht gerecht" wird. Wer möchte, kann das tun, sollte aber auch klarstellen, dass es ein Modell ist.
"Dies ist eine grundsätzliche Kritik an der Aufklärung, in der die Abgründe des Menschen verdrängt wurden."
Es ist mir nicht bekannt, dass in der Aufklärung die Abgründe des Menschen verdrängt wurden. Sie meinen, man habe sich ein falsches Menschenbild gemacht, frei nach Rouseau, dass der Mensch von Grund auf gut ist? Das ist doch genausowenig falsch wie die Vorstellung, der Mensch sei von Grund auf schlecht, oder?
"ganzheitliches Reden vom Menschen"
Wie sieht das aus? Und sind deswegen andere Betrachtungsweisen unberechtigt?
"Die Katastrophen des 20 Jahrhunderts haben die Plattheit der Aufklärung in tragischer weise widerlegt."
Ich sehe in Bildung den Schlüssel zu Wohlstand und Frieden. Wie kommen Sie zu dieser Aussage?
Man sollte viel eher schreiben
"Die Katastrophen des 20 Jahrhunderts haben die Gefährlichkeit von Ideologien (im Kern also IgK) in tragischer Weise gezeigt."
"ich will nur andeuten, dass ich Gründe habe, etwas zu kritisieren und die Notwendigkeit aufzeige, vom Menschen in einer Tiefe zu reden, wie es die Mythen machen."
Kritik ist gut, da bin ich ganz bei Ihnen. Aber was prüfen Sie anhand von was? Soweit ich das verstehe, führen Sie vieles Negative - insbesondere die Katastrophen des 20. Jahrhunderts - auf ein Fehlen des Reden vom Menschen in einer Tiefe, wie es die Mythen machen, zurück. Meines Erachtens waren die Kirchen im 20. Jahrhundert in Deutschland und Europa noch einflussreicher und die Menschen frommer als heute. Sicher geht es uns heute aber viel besser, obwohl das Mythenreden abgenommen hat.
"Vielleicht muss man nicht zu der mythischen Sprache zurück, aber man kann es Mensch nicht ersatzlos streichen."
Mythische Sprache ist doch gut. Das haben wir in Märchen, Sagen und viel guter Literatur. Nur ist es bei religiöser Literatur und Heiligen Schriften Ideologie, weil sie offen lassen, was mythische Sprache ist, und was ernst gemeint ist.
"Die Widersprüchlichkeit des Menschen hat eben den Charakter, dass man es nicht vernünftig erklären kann."
Auch hier möchte ich deswegen nicht so pessimistisch sein und die vielen guten Erklärungen, die es schon gibt - auch in mythischer Sprache - ignorieren und weitergehende Versuche gleich sein lassen. Wenn ein bestimmtes Erklärungsmodell nicht gut ist, dann ist es eher ein Problem des Modells, aber nicht unbedingt des Sachverhalts.
"Wenn man es könnte, würde man den Menschen als biologische Maschine beschreiben und damit alles Reden von Schuld vernichten."
Willensfreiheit, ein großes Thema. Sie bestreiten aber nicht, dass es in unserem Körper naturgesetzlich 'mit rechten Dingen' zugeht? Und dass es ohne Gehirn keine Denkprozesse gibt? Das kann man doch auch nicht ignorieren. Deswegen ist es aber trotzdem oft sinnvoll, von Verantwortung und Schuld zu sprechen, aber eben mit dem Hintergrundwissen, welche Faktoren das Denken von Menschen wie beeinflussen.
"Der Naturalismus (der auf hpd als Humanismus verkauft wird) behauptet aber, der Mensch sie eine biologische Maschine, aber Maschinen handeln nicht, sie funktionieren nur und reagieren."
Ich denke, Sie überstrapazieren da den Gültigkeitsbereich des religiösen Erklärungsmodells und ordnen dem Naturalismus Schlussfolgerungen zu, die ebenfalls nicht direkt in ihm enthalten sind. Wie das, was wir Geist und Verstand nennen, aus komplexen Systemen erwächst, ist eine andere Disziplin und immer schon ein großer Streitpunkt zwischen bottom-up und top-down-Ansätzen. Stichwort Emergenz.
Der Mensch ist aber doch ein biologisches Wesen - auch Maschine, wenn Sie es so nennen möchten (oder eher nicht möchten) -, und es ist nicht unberechtigt, darauf hinzuweisen, dass es in seinem Körper naturgesetzlich zugeht. Dies kann man verdeutlichend tun, indem man von einer biologischen Maschine redet. Ähnlich berechtigt mag es sein, von einer Seele des Menschen zu reden, aber es muss deutlich sein, dass damit keine reale Substanz gemeint ist, sondern dass das ein Modell ist zur Beschreibung bestimmter Aspekte des Menschen (außer es gäbe objektive Befunde, die keine andere, einfachere Erklärung zulassen). Ich denke, Sie tun Vertretern des Naturalismus unrecht, wenn Sie meinen, wir würden uns keine Gefühle und "Tiefe" zuschreiben, bloß weil wir oft und gerne auf die Naturgesetzlichkeit des Menschen(körpers) hinweisen. Wenn von naturalistischer Seite so argumentiert wird, wird damit oft auf Befunde hingewiesen, die im Widerspruch zu religiösen Modellen stehen, weshalb diese eigentlich nicht weiter in dieser Form vertreten werden können.
"Hpd hantiert ständig selber damit, dass Menschen schuldig werden, aber Ihre Ideologie machen Sie dagegen immun."
Es ist ein nützliches Modell, in soziologischem Kontext von Schuld und Verantwortung zu spechen, auch wenn es ungeklärt ist, ob es Willensfreiheit gibt. Umso wichtiger ist Wissen. Wissen darüber, welche Bedingungen und Faktoren das menschliche Denken und Verhalten beeinflussen oder gar steuern. So ist der kulturelle Kontext sicher eine wichtige Komponente. Wäs wäre, wenn Sie in Pakistan in einer muslimischen Gemeinschaft geboren worden wären? Sie wären mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit heute Muslim. Oder was wäre, wenn Sie andere Erfahrungen gemacht hätten, oder einen anderen Charakter mitbekommen hätten? Sie hätten heute wohl andere Überzeugungen als Sie sie jetzt vertreten. Auch ich, das ist mir klar.
Was hilft aber, über die Prägung und die Kultur zu sehen? Kritik. Es gibt Dinge, die kann man prüfen und erforschen. Die Dinge, die man nicht kritisieren oder untersuchen kann, dürften auch nichts mit uns zu tun haben und können uns egal sein.
"Dieser Widerspruch ist wohl unvermeidbar, wenn man ein plattes Menschenbild aufrecht erhält."
Nana. Sie konstruieren einen Strohmann: Sie unterstellen Naturalisten oder Leuten, die dem hpd verbunden sind, ein plattes Menschenbild, das Sie selbst gebastelt haben, weil Sie meinen, so würden diese Leute denken. In dem von Ihnen vertretenen Überzeugungssystem erklären Sie die Tiefe des Menschen mit Seele und Gotteinhauchung, aber ist das besser, als das offen zu lassen, sich einfach darüber zu wundern und daran zu forschen, als die Dinge mit platten Namen zu versehen? Ok, das Wort "platten" nehme ich wieder zurück. Sie auch?
"Ich kritisiere also eine sich immunisierte Ideologie, das heißt aber nicht, dass ich mich damit immunisiere."
Naturalismus eine Ideologie? Wo ist die Anwendung von IgK? Soweit ich weiß, ist der Naturalismus sehr nahe an den Naturwissenschaften, die alles andere als eine Ideologie sind, weil sie nicht IgK anwenden (zumindest sich darauf verständigt haben).
"Ich behaupte, dass etwas, das auch eine psychische Dimension hat, nicht unbedingt dahin aufgeht. Wieso sollte die Kritik an Engführungen eine Immunisierung sein?"
Der Satz davor lautete ursprünglich:
"Karl Barth hat als geistiger Urenkel von Kant das Böse als das 'Nichtige' erfasst - dem kann ich nicht folgen. Rudolf Buzltmann - in anderer Weise im Prokrustesbett von Kant und co - hat das Böse heideggerisch existentialisiert, was Drewermann dann auf psychologicher Ebene weiter geführt hat."
Demnach haben Sie nicht nur auf eine psychische Dimension (des Menschen) verwiesen, sondern das war Ihnen noch zu eng geführt. Was aber fehlt Ihnen dann noch? Was soll das sein, und wie belegen Sie es? Sie lassen das alles offen und genügen sich in äußerst vagen Andeutungen, und darin sehe ich einen mangelnden Ansatzpunkt von Kritik. Denn was Sie nicht nennen, kann man auch nicht einer näheren Betrachtung unterziehen. Wenn Sie es aber gar nicht nennen können, was soll es dann?
"'Existiert der Teufel? Die Antworten ja und nein sind durch Positionen besetzt, die ich beide ablehne.'
Wenn man davon ausgeht, dass das Bose in der Welt transsational ist, ist dies eine inhaltich angemessene Weise, davon zu reden."
Was ist transsational? Ich kann die Folgerung nicht nachvollziehen, dass "dies eine inhaltich angemessene Weise, davon zu reden" ist. Wovon zu reden, vom Bösen oder vom Teufel? Betrachten Sie das Reden vom Teufel als ein nützliches Modell, also einfach in mythischer Sprache, oder halten Sie den Teufel für eine reale Person? Oder möchten Sie das offenlassen? Aber dann lassen wir doch das Mystifizieren und reden das, was wir wissen.
"Dies ist nur dann eine Immunisierung, wenn man die Wirklichkeit auf das Rational zu erfassende beschränkt, mal also selber ideologische Scheuklappen hat."
Jetzt wird die Sache etwas klarer: Sie gehen also davon aus, dass wir manches der Wirklichkeit nicht rational erfassen können. Können wir es dann anderweitig erfassen? Dann würde ich sagen, das ist ok. Denn dann kann man es auch untersuchen, Thesen aufstellen und diese Thesen prüfen. Das sehe ich nicht als ideologische Scheuklappen, denn was uns nicht betrifft, darüber können wir nur spekulieren. Wie sollte es auch anders sein? Ist es nicht viel eher Ideologie, über Dinge zu spekulieren, die prinzipiell nicht belegt oder widerlegt werden können und - was erst das Schlimme ist - zu behaupten, das sei keine Spekulation?
"Dies ist sicher eine paradigmatische Sache, für die es kaum objektive Gründe gibt, aber das gilt für beide Seiten, beide können sich hier Immunisierung vorwerfen."
Belegen Sie das bitte. Wo findet sich in der Wissenschaft und im Naturalismus IgK?
"Das ist aber wohl ein Kennzeichen aller Epiphanien (zumindest im biblischen Umfeld): Dass Gott sich zeigt, aber gleichzeitig sich verhüllt"
Gott zeigt sich nur ein wenig, das ist ok. Aber Gott ist nicht einer seiner Engel, oder? Und das kritisiere ich: Dass nicht gesagt wird, was denn nun wie ist, sondern beliebig offen gelassen wird, damit man bei Bedarf jeder Kritik ausweichen kann, gleichzeitig aber vieles damit begründet. Man möchte beides haben, aber den jeweiligen Nachteil einer Entscheidung nicht.
"Gott ist immer mehr als das, was von ihm in Erscheinung tritt (das kann man philosophisch mit Essenz und Existenz beschreiben, dann klingt es logisch und sauber). Das sind 'sachgemäße' Dinge und keine immunisierende Verschleierung."
Was ist Gott? Hat er Eigenschaften, und wenn ja, welche?
"Ihre Fragen am Schluss erinnern doch stark an den frühen Wittgenstein: Entweder etwas wird klar erkläret, oder man lässt es eben ganz sein. Diese Beschränkung der Wirklichkeit auf das Verständliche ist aber eine Ideologie und Ihre Fragen eine Immunisierungsstrategie. ;-)"
Aber nein, die Ablehnung von Ideologie - also von IgK - ist keine Ideologie. Im konkreten Fall: Man kann gerne so viele Erklärungen aufstellen wie man möchte, aber wenn man sich nicht auf das Erfahr- und Erfassbare beschränkt, ist es Spekulation. Ausserdem möchte ich nicht, dass wir uns auf das Verständliche beschränken, denn wir verstehen die Quantenmechanik (also die dahinterstehenden Vorgänge) nicht, und trotzdem haben und brauchen wir sie.
"Vermutlich haben wir unterschiedliche Paradigmen und solche gegenseiteigen Vorwürfe sind unvermeidlich, weil man ja seine eigenen Voraussetzungen gar nicht sieht, weil sie einem selbstverständlich sind"
Also ich meine schon, dass ich die Voraussetzungen meiner Überzeugungen kenne: Es gibt die Welt, Menschen, mich, und wir wollen alle gut leben. Und je mehr wir wissen, umso eher können wir Fehler vermeiden.
Martin Weidner am Permanenter Link
Vorab eine Berichtigung: „transsational“ sollte transrational heißen.
Nach dem Münchhausen-Trilemma gibt es nur drei Arten, etwas zu begründen:
1. Man macht die Begründungskette unendlich lang – was für diejenigen, die eine begrenzte Lebenszeit haben, schwierig ist.
2. Man macht einen logischen Zirkelschluss, der in sich ruht – und damit unangreifbar wird.
3. Man bricht einfach an einer Stelle ab – das ist das, was man normalerweise macht. Diese Stelle ist dann aber auch durch ein „Basta“ vor Kritik immunisiert.
Niemand kann alles radikal der Kritik aussetzen, wer das macht, wird verrückt, wenn er es nicht schon ist.
Normalerweise werden Basis-Erfahrungen als unhinterfragbar gesetzt, auch wenn es immer gedeutete Erfahrungen sind, man also mit der Hintertür doch „Ideologie“ einschmuggelt.
Selbst Wissenschaften setzen einiges voraus, zB den Wissenschaftler und die Sprache, in der wissenschaftliche Aussagen gemacht werden. Aber Wissenschaften haben eine Methodik, mit dem Trilemma umzugehen (auch wenn sie es nicht beseitigen können).
Im richtigen Leben gibt es diese stringente Methodik nicht. Es ist rein zeitlich gar nicht möglich, jeden Schritt im Leben zu begründen. Leben besteht eben im Wesentlichen aus Vertrauen. Dies kann durch keine Kontrolle methodisch eingefangen werden.
Wenn jemand sagt: „Basta! Ich stehe zu meiner Frau.“ Auch wenn er sich oft mit ihr streitet oder sie ihn angelogen hat oder oder: Dann hat man dieses Basta zu respektieren, ja vielleicht auch zu loben.
Er wird vielleicht die Beziehung zu seiner Frau verändern, daran mit ihr arbeiten, aber sie nicht aufgeben. Er wird vielleicht auch das Bild, das er von seiner Frau hatte, verlieren. Aber er wird diese Beziehung nicht beenden. Vor Allem wird er nicht leugnen, dass Leben aus Beziehungen besteht.
So ist auch meine Beziehung zu Gott. Sie stärkt mich, lässt mich reifen, gibt mir eine Hoffnung, ohne die ich nicht leben kann. Ich sehe keinen Grund, diese Beziehung aufzugeben, auch wenn ich mich oft mit Gott streite.
Es ist nicht mehr Immunisierung drin als es sonst im Leben ständig nötig ist. Wo ist also das Problem?
Glaube ist primär diese Vertrauens-Beziehung. Das Bild von Gott mag sich verändern, die Inhalte („Ideologie“) können kritisiert und verändert werden. Aber die Beziehung selbst bleibt – die ist aber auch etwas nicht Ideologisches.
Natürlich können Menschen ihren Glauben auch ganz verlieren, das geschieht ja auch (genauso, wie Menschen, die nie an Gott glaubten, zum Glauben finden). Meist sind es Lebenserfahrungen, die man nicht mit dem Glauben integrieren kann. Der Glaube ist eine lebenspraktische Sache und auf der Ebene ist er auch nicht immun.
Fazit: Auf der sekundären Ebene der Glaubensinhalte ist der Glaube kritisierbar und veränderbar, auf der primären Ebene der Lebenspraxis ist der Glaube auch nicht automatisch immun.
Wo ist also das Problem? Dass die Beziehung zu Gott eine belastbare Beziehung ist? Darf Glaube nicht so „strukturiert“ sein, dass er belastbar ist, was Sie mit Immunisierung gegen Kritik gleichsetzen? Was ist denn das für eine Kritik? Darf der Glaube keine Lebens-Sache sein, muss er in Gedanken-Gebäuden aufgehen? Und wenn auf der Gedanken-Ebene („Ideologie“) alles der Kritik ausgesetzt werden kann und es veränderbar ist: Das ist dann auch wieder Immunisierung?
Ich verstehe Ihre Anfragen so: Sie sehen in dem Glauben, dass es einen Gott gibt, eine ideologische Grundentscheidung, die sich gegen jede Kritik abschottet und deswegen ideologisch ist.
Ich sehe den Glauben an Gott als einen Lebens-Vollzug, der auf Vertrauen gründet.
Vertrauen basiert auf Erfahrungen, die man mit jemanden macht. Erfahrungen sind aber immer auch gedeutet, sie lassen sich schwer beweisen oder widerlegen. Geschichte ist kein Experiment, das man beliebig widerholen kann, sondern sie ist unwiderbringlich vorbei. Die Frage: „Was wäre wenn?“ Ist reine Spekulation.
Trotzdem kann man in der Geschichte Besonderes feststellen. Um auf meine Beispiele zurückzukommen: Nennen Sie nur ein anderes Volk der Erde, das immer (bis auf kurze Zwischenzeiten) Spielball anderer Mächte war und doch alle Epochen überlebte. Nennen Sie ein einziges anderes Volk, in dem die Kritik an Herrschenden (auch religiös) einen roten Faden der Überlieferung bildet.
Geschichtliche Erfahrungen sind keine Gottesbeweise, aber auch nicht nichts.
Zu den Details:
Der Prophet Nathan kritisiert David schon massiv. Und durch die vielen Frauen hatte David viele Söhne, die sich um den Thron stritten (auch mit Hilfe der Frauen Davids) und so das Land in Bürgerkrieg führten. David wird in den Geschichten sichtbar vorgeführt – bis zur Peinlichkeit, wie er um seinen Sohn trauert, der das Land an den Rand des Abgrunds trieb, was auch deutlich benannt wird.
(Zum Vorwurf, Gott würde töten: Nach biblischem Glauben tötet Gott alle Menschen, wie er auch allen das Leben gibt. Ohne das hätte das Wort „Gott“ kaum einen Sinn. Das macht ihn kategorial anders als Menschen, ihn in die Reihe von Mördern zu stellen, ist deshalb einfach Unsinn.)
Zu den Berichten im AT über Kriege: Vieles hat so nicht stattgefunden. Die Frage ist, welche Zielrichtung diese Berichte haben. Kriege waren nur solange durchführbar, wenn es für die Beteiligten Aussicht auf Beute gab. Das Verbot der Beute in den Saulsgeschichten- weswegen Saul verworfen wird – ist aber genau dieses. Der „Nützlichkeit“ des Krieges wird so das Wasser abgegraben.
Zur Auferstehung:
Das Bekenntnis zum auferstandenen Christus ist sofort nach dem Tod Jesu dagewesen. Durch die Gallio-Inschrift kennen wir die absolute Datierung der Paulus-Biographie (auf ein Jahr genau). Paulus spricht in 1 Kor 15 von der Gestalt einer Überlieferung, die er empfangen hat, als er Christ wurde – ca. 3 Jahre nach Jesu tod. Das komplexe Glaubensbekenntnis, das er zitiert, muss eine längere Überlieferungsgeschichte haben.
In diesem Bekenntnis ist vom „3. Tag nach der Schrift“ die Rede. Es gibt aber keine Stelle im Tenach, die von der Auferstehung am 3. Tag spricht. Die einzige Erklärung ist, dass es am 3. Tag Erscheinungen des Auferstandenen gegeben hat.
An diesem 1. Tag der jüdischen Woche versammelten sich die Christen und nannten ihn Herrentag. Sie haben damit den Sabbat auf den Sonntag verlegt. Für fromme Juden (was alle Christen zunächst waren) war das undenkbar. Dies kann nur durch ein gewaltiges Ereignis ausgelöst worden sein. Verstärkt wird dieses Argument dadurch, dass die ersten Christen ein vitales Interesse daran hatten, als Juden zu gelten – schon allein wegen des Schutzes im Römischen Reich, das dieser Status bot. In vielen Schichten des NT geht es darum, dass man zeigen will, man sei wahre Juden.
Völlig undenkbar war es, dass man einen Gescheiterten für den Messias hielt. Vor und nach Jesus ist das nie so gewesen, denn der Messias kann nicht scheitern. Zudem war durch einen Mosestelle klar, dass ein Gekreuzigter von Gott verflucht war: Ein gottverfluchter Messias ist ein Widerspruch in sich selbst. Nur die Auferstehung als Bestätigung von Gott kann den Glauben an einen Gekreuzigten möglich gemacht haben.
Historisch ist also Fakt, dass die Jünger an die Auferstehung geglaubt haben. Sie haben in Jerusalem, wo das Grab war, vom leeren Grab gesprochen. Die Evangelien sprechen von dem Gerücht, dass die Jünger den Leichnam gestohlen hätten. Dieses Gerücht haben die Evangelien bestimmt nicht erfunden. Das heißt aber, dass das leere Grab ein historischer Fakt ist.
Die Überlieferung, die Paulus zitiert, endet mit einer Liste der Auferstehungszeugen. Dort kommen nur Männer vor. Frauen hatten als Zeugen damals nicht die gleiche Glaubwürdigkeit. Die Liste zeigt, dass es den Christen peinlich war, zu sagen: „Jesus ist auferstanden – Frauen können das bezeugen.“ Nun haben Männer aber die Geschichten von den Frauen (sowohl Grab-Geschichten, als auch Erscheinungen des Auferstandenen) überliefert. Man erfindet und überliefert aber keine Geschichten, die einem peinlich sind. Es muss schon einen Grund gegeben haben: Nämlich, dass diese Geschichten passiert sind.
Das sind natürlich alles keine Beweise, aber eben Hinweise, die die Auferstehung Jesu glaubwürdig machen und ein Vertrauen rechtfertigen.
Die Jünger hatten keine Vorteile von der Lehre, die sie verkündigten, eher das Gegenteil, einige wurden dafür getötet. Sie waren von der Auferstehung selber überzeugt. Es ist historisch undenkbar, dass sie das Ganze inszeniert haben.
Sie haben Erfahrungen gemacht. Es wäre keine Immunisierung von Ihnen, wenn sie diese Erfahrungen nicht weiter hinterfragt hätten – was sie aber taten: bei den Auferstehungs-Geschichten wird auch vom Zweifel erzählt.
Der Glaube basiert auf Erfahrungen, die wie alle Erfahrungen gedeutet sind. Wie immer im Leben gibt es Erfahrungen, hinter die man nicht mehr zurück kann, auch wenn Erfahrungen in der Geschichte versinken. Es reicht dafür eine Plausibilität. Dies zu hinterfragen hieße, einen endgültigen Beweis zu verlangen, was es aber nirgends gibt. Ein Glaube, der sich auf Geschichte bezieht, kann gar nicht anders sein. Wie ist da ein weniger an Immunisierung denkbar?
Geschichte ist immer gedeutete Geschichte. Es gibt Fehldeutungen von Geschichte, die kann man widerlegen. Aber viele Deutungen bewegen sich im Graubereich von weder widerlegbar noch beweisbar. Dazu gehört alles, was sich auf der Beziehungsebene abspielt, das merkt man, wenn man in einer Beziehung über frühere Erlebnisse spricht.
Christlicher Glaube bezieht sich auf die Geschichte einer Beziehung. Ich glaube an einen Gott, der sich auf Menschen eingelassen hat und damit auf Geschichte und Sprache. Das ist philosophisch fatal. Denn menschliche Überlieferung ist sehr störanfällig, vor allem, wenn Gott systematisch Unterdrückte, Randständige und damit meist Ungebildete auswählt.
Theologen nennen das Selbsterniedrigung Gottes, die Christen an Weihnachten feiern.
Dieser Glaube ist schwach, was die objektive Beweiskraft angeht.
Wie man den Glauben falsifizieren kann? Wenn alle die plausiblen Gründe für die Auferstehung Jesu wegfallen, wenn der christliche Glaube eine Erfindung des 2. Jahrhunderts ist (was hier auf hpd durchaus vertreten wird), wenn der Leichnam Jesu gefunden wird: Da kann man sich viel Falsifizierungsmöglichkeiten ausdenken. Das letzte Beispiel wäre eindeutig, bei den Plausibilitätsgründen ist es aber unklar, bei wieviel Prozent der Gründe eine Falsifizierung vorliegt. Sie würden diese Schwammigkeit als Immunisierungsstrategie verstehen, aber das wäre sachlich nicht angemessen, da Geschichte oft nicht so eindeutig ist.
Fazit: Der Glaube bezieht sich auf geschichtliche Ereignisse, die zwar schwer zu beweisen / zu widerlegen sind, aber eine hohe Plausibilität haben. Der Glaube ist so gestrickt, das hat mit Strategie nichts zu tun, schon gar nicht mit Immunisierung gegen Kritik, im Gegenteil: Der Makel der „zufälligen Geschichtswahrheiten“ (Lessing) haftet dem an. Vernunftwahrheiten können sich immunisieren, was in der Philosophie-Geschichte auch ausgiebig geschah (auch auf kirchlicher Seite, aber auch in der Aufklärung), deshalb musste es Bewegungen wie den Wiener Kreis oder die Frankfurter Schule geben. Es wird aber schief, wenn man Geschichtswahrheiten wie die Vernunftwahrheiten betrachtet.
Zum Unterschied zwischen Person und Ideologie:
Mohammed verstand sich als Prophet, nicht als Erlöser. Ein Erlöser hätte göttliche Funktionen, das wäre im Islam eine Gotteslästerung. Der Prophet hat eine Botschaft, mehrt nicht. Auch Smith verstand sich so, da ging es um die goldenen Platten, nicht um eine Person.
Buddha hat seinem Lieblingsjünger Amanda das Gleichnis vom Floß erzählt: Er sei wie das Floß, das einen Wanderer nur ein kleines Stück weiter bringt. Seine Lehre (achtfacher Pfad etc) wäre entscheidend, nicht er als Person. Buddhismus wird deshalb als Philosophie verkauft. Steiner hat Buddhismus und Gnosis zusammen gemixt, auch er sah sich als herausragenden Propheten, aber nicht mehr.
Marx und Engels haben sich auch nicht als Erlöser verstanden.
Jesus dagegen ist mit einem anderen Anspruch aufgetreten (Zuspruch der Vergebung Gottes, Herr sein über den Sabbat, Aufhebung von rein und unrein etc). Seine Sündermahle waren lehrmäßig nicht so doll und ethisch sowieso schwach. Der Glaube (= christlicher Glaube, denn das Wort Glaube trifft nur auf das Christentum zu) bezieht sich nicht auf Lehren, sondern auf eine Person. Buddha ist das Floß, das man zurück lässt, Jesus ist der Weg, den man nie hinter sich lässt. Zur Person Jesu gehört sein Werk, sein Wort und sein Ergehen (Tod und Auferstehung). Wenn man die Evangelien liest, merkt man, das Wort, Werk und Ergehen nicht isoliert da stehen, sondern zur Frage führen. Wer ist der, der das macht, der das sagt, der da stirbt? Die Person-Ebene ist der rote Faden, Inhalte ordnen sich da ein. Da wüsste ich doch gerne, wo so etwas bei Marx zu finden ist.
Zu: Konkrete Immunisierungen im Glauben
Es ist überhaupt nicht die Aufgabe von Christen, Gott zu verteidigen. Dass Gott unergründlich ist, ist unabhängig von der Frage nach der Güte Gottes angesichts der bösen Welt. Der klassische Text dazu (Jesaja 55) bezieht sich auf das Heilshandeln (!) Gottes, das nicht zu verstehen ist. Das gehört zum Gottsein Gottes dazu, dass wir ihn gedanklich nicht in den Griff bekommen.
Was sie beschreiben, ist eine Verkürzung von dem Prozess des Glaubens. Der zwischen den Polen der Zusage, dass Gott gütig ist und der Erfahrung des Weltgeschehens eingespannt ist. Dieser spannende und unabgeschlossene Prozess, der traditionell Anfechtung genannt wird, ist die Struktur des Glaubens, die durch die Inhalte des Glaubens gegeben ist. Denn wenn man das weglässt, würde man das Kreuz aus dem Glauben wegnehmen, dann bliebe vom Christentum nicht viel übrig. Wenn das eine Immunisierungsstrategie ist, dann ist die Quantenphysik es auch.
(btw: Wenn man ein Elektron oder Photon nicht erklären kann, wieso sollte man das bei Gott können? Ist Gott primitiver oder zugänglicher als ein Elektron? Ist es nicht eine Immunisierungsstrategie, dass man die Existenz von Elektronen verteidigt, obwohl man nicht weiß, was sie sind? ;-) )
Der Glaube will eben nicht Gott und die Welt erklären. Alle Menschen müssen damit umgehen, dass das Leben so widersprüchlich ist, dass es leid gibt etc. Dies gedanklich bewältigen zu können, ist für die Bibel Sünde. Die Bewältigung ist Erlösung und dies ist nicht Sache des Menschen. Immunisierungen beziehen sich auf gedankliche Bewältigungen.
Kurz gesagt: Nicht-Glaubende sehen in dem Leid der Welt eine Widerlegung Gottes. Christen dagegen haben sinnloses Leid als Zentrum ihres Glaubens. Ist die Anklage gegen Gott: „Mein Gott, warum?“ eine Immunisierung? Theologen unterscheiden da zwischen Theologia gloriae / triumphans und Theologia crucis (des Kreuzes), die die Anfechtung durchhält, dies entspricht der Unterscheidung zwischen securitas (Sicherheit) = Immunisierung und fiducitas (Vertrauen). Schon immer hat man es so gesehen, dass die Mehrheit den glorreichen Weg geht und nur die Minderheit in der Kreuzesnachfolge steht. Schon Jesus sprach vom breiten Weg, den viele gehen und in dem Zusammenhang von den falschen Propheten in Schafskleidern. Sehr viel, was bei hpd steht, ist sehr nahe bei Jesus.
Zu: Gerechtigkeit: Es ist tatsächlich ein sprachliches Problem. Das hebräische Wort zedakah steht im parallelismus membrorum zu Heilworten, wird aber im griechischen mit dikaiosüne (Gerechtigkeit) wiedergegeben. Auch Martin Luther übersetzt es so. Aber er hat durch die Psalmen die Hebräische Bedeutung entdeckt und diese Entdeckung in den Vorreden zu seinen Schriftgen als die entscheidende reformatorische Erkenntnis beschrieben: Gerechtigkeit Gottes, die einen Menschen gerecht macht. So kann sehr wohl ein klarer Inhalt angegeben werden, was Gerechtigkeit Gottes ist. Jesus bringt in seinen Gleichnissen klare Inhalte: Gerechtigkeit Gottes ist, dass er alle leben lässt, und genug zum Leben lässt, auch wenn sie es nicht verdienen.
>> wir wollen alle gut leben. Und je mehr wir wissen, umso eher können wir Fehler vermeiden.<<
Diese beiden Sätze sind zunächst einmal richtig, so wie es richtig ist zu sagen: „Menschen müssen Atmen. Je mehr Sauerstoff Pflanzen produzieren, umso besser können Menschen leben.“
Richtig, aber weitgehend belanglos. Aber Sie wollten doch nichts Belangloses sagen?
Nein, Sie nennen das die „Voraussetzungen meiner Überzeugungen“.
Ich unterstelle deshalb, dass Sie damit etwas Umfassendes sagen wollten.
Die Menschen wollen gut leben, es geschieht aber oft nicht. Der entscheidende Faktor ist: Es fehlt das Wissen, dann können sie auch den guten Weg gehen. Dies ist das Dogma, wie es in der Aufklärung und im Koran vertreten wird.
Diese Weltsicht lässt sich leicht falsifizieren.
Nie gab es so viel Wissen für so viele. Die Welt müsste also schon fast ein Paradies sein. Gebildete Menschen vergewaltigen aber auch, mobben auch, obwohl sie solche „Fehler“ vermeiden könnten. Warum ist der Mensch so? Warum reicht Wissen und Aufklärung nicht aus? Wie kann man damit leben?
All solche Fragen muss die Ideologie in Koran und Aufklärung verdrängen. (Die Parallele von Islam und Aufklärung hat schon Johann Georg Hamann gesehen.) Deshalb muss alles, was sich dieser Ideologie nicht anpasst, verteufelt werden, v. a. die Religionen.
Wieso beuten Sie und ich diese Welt aus, obwohl wir genau wissen, dass unser Lebensstil die Lebensgrundlagen künftiger Generationen nachhaltig zerstört? Fehlt es da an Aufklärung? Doch wohl nicht! Hier tun sich Abgründe unseres Menschseins auf, die Sie verdrängen, indem Sie von Fehlern sprechen, die durch Aufklärung beseitigt werden können. Dies nenne ich platte Weltsicht, die der abgründigen Wirklichkeit nicht gerecht wird, die durch die Lebenserfahrung ständig falsifiziert wird. Sie sagen, ich unterstelle ein plattes Menschenbild, dass ich selber gebildet habe und formulieren es gleichzeitig selber.
Wie kann man diese Abgründigkeit fassen?
Man kann es natürlich rational versuchen: Der Mensch ist evolutionär ein Raubtier oder so ähnlich. Doch so einfach ist das nicht, wir sind ja nicht auf unsere Gene festgelegt. Und solche Erklärungen dienen meist dazu, die Schuld auf etwas anderes abzuwälzen: Die Evolution ist schuld. Zu der rationalen Analyse muss also noch mehr dazu kommen.
Die Religionen haben deswegen mythisch vom Menschen (inkl. seinem Weltverhältnis) gesprochen. Der Mythos sagt Wahrheiten aus über den Menschen und die Welt, es geht um reale Dinge dabei, es ist ernst gemeint. Wenn man das „entmythologisiert“ und rational erfasst, dann fehlt das Entscheidende: Dass wir Menschen das eben nicht in den Griff bekommen – auch gedanklich nicht. Die mythische Sprache gehört also zur Sache dazu.
Nun zur Ausgangsfrage: Der Teufel.
Ich gebe zu, dass mir die Frage nach dem Teufel nicht so wichtig ist. Das liegt daran, dass der Teufel immer „Gottes eigener Teufel“ ist. Letztlich brauche ich ihn nicht in meinem Glauben, denn ich kann das auch mit dem Welthandeln Gottes, der hinter allem steht und mit der Taufelsmaske wirkt, beschreiben. So haben die Psalmen und Jeremia und die anderen Propheten nicht den Teufel, sondern Gott vor Augen. Jesus hat das auch in seiner Todesstunde aufgegriffen und Gott angeschrien, warum er ihn verlassen hat. Er sah sich da nicht einem Teufel gegenüber. Und zu Beginn heißt es, dass Gottes Geist ihn in die Wüste wirft, um vom Teufel versucht zu werden – auch da ist der Teufel nur eine Schachfigur, wobei Gott der Spieler ist.
In der Anfechtung ist Gott der Teufel, der Teufel ist dann sehr real. Für Jesus gibt es da keine Mittel, um den Teufel auszutreiben, Jesus war kein Exorzist wie die Pharisäer, das lehnt er ab. Stattdessen spricht er vom Beten, also der Erwartung von Gottes Gegenwart und das in der Konzentration des Fastens. Sich auf Gott einstellen, der nicht der Teufel ist, der seinen Kindern Steine und Skorpione gibt, sondern Brot: Das ist für Jesus „Exorzismus“. An vielen Stellen geht es Jesus darum, dass Gott wie der Teufel erscheint: So wie ein ungerechter Richter, der gänzlich ohne Erbarmen den Hilflosen plattmacht.
Vom Teufel gilt ähnlich wie bei Gott, dass ich nicht davon reden kann, ohne von mir zu reden (zB wie ich in die Ökokrisen verstrickt bin). Und ob der Teufel eine reale Person ist oder nur der Mummenschanz Gottes: Das hängt davon ab, ob ich gerade in der Anfechtung drin hänge oder mir gerade Gottes Gnade neu zugesagt ist.
Das sind noch unfertige Gedanken. Denn ich weiß gar nicht, wo ich das Reden vom Gerichtshandeln Gottes hinstellen soll: Da geht es darum, dass Gott Tod und Verderben wirkt – der Teufel kommt da nicht vor: bei den Propheten nicht und bei Jesus auch nicht.
Es ist doch ähnlich wie in der Quantenphysik: Ob Korpuskel oder Welle – das stört kaum. Allerdings meine ich nicht damit, dass man das Thema Teufel damit entsorgt hat. Denn Karl Barth hat gemeint, das Böse wäre nur das Fehlen des Guten, es hätte nichts Eigenständiges. Die Welterfahrung zeigt aber, dass das Böse sehr wohl etwas Eigenständiges hat, ohne das braucht man gar nicht davon zu reden. Dass der Teufel Gottes eigener Teufel ist, ist also die Hoffnung, dass Gott alles in der Hand hat. In der Anfechtung ist einem aber diese Hoffnung versperrt.
Auch wenn ich mich nicht in Ihre Schubladen reinsetze: Es geht beim Teufel nicht um Modelle oder sonst was auf der Erkenntnis-Ebene, sondern es geht um Widerfahrnisse und den Prozess des Glaubens.
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Zum Menschen: Seele / Willensfreiheit / Naturalismus:
Dass es mich gibt als Person ist kein Modell, das ist eine Tatsache, die ich jeden Augenblick erlebe und mir von keinem ausreden lasse, weder von Siddarta Gautama noch von Materialisten. Ebenso erlebe ich die Willensfreiheit. Meine unmittelbare Selbstwahrnehmung ist eine Erkenntnisquelle, gegen die alle analytischen subjekt-Objekt-Erkenntnisse nicht anstinken können.
Der Naturalismus (Mutschler redet da deutlicher vom Materialismus) kann nur die schwache Emergenz anerkennen, die keine Emergenz ist, sondern nur eine erkenntnissmäßige Lücke (manchmal mit der eschatologischen Aussicht, die einmal schließen zu können). Emergenz ist da doch nur das Zauberwort, mit dem man den Materialismus dagegen alle Kritik immunisiert, die daher kommt, dass es in der Welt Faktisch Neues gibt, das nicht zu erklären ist.
Der Naturalismus ist nahe an den Wissenschaften? Ja, das ist sein Selbstverständnis.
Ich empfehle dazu Mutschler, Halbierte Wirklichkeit. Kurz einige Überlegungen daraus:
Materie, Supervenienz und Kausale Geschlossenheit der Welt sind alles keine naturwissenschaftlichen Dinge. ZB sagt die Physik nirgends, was Materie ist. Wer versucht, das zu definieren, gerät in Widersprüche.
Die Berufung auf die Wissenschaft ist reine Immunisierungsstrategie des Materialismus, der sich so als Ideologie erweist.
Das ist das, was ich hier auf hpd erlebe: Die Naturalisten haben die Wissenschaft gepachtet, sie haben eh recht und alle die dagegen sind und schon gar die Religiösen haben eh Unrecht, sie müssen nur „aufgeklärt“ werden.
Aber an die Grundlage des ganzen wird nie gerüttelt, es wird nicht hinterfragt.
Der Anspruch, sich der Kritik zu stellen, steht eine dürftige Realität gegenüber. Warum wird auf hpd nicht mal über Mutschler diskutiert?
Auf kirchlichen Webseiten erlebe ich es anders. Da kommt Schmidt-Salomon ausführlich zu Wort, da wird offen diskutiert und alles hinterfragt. (Da erlebe ich Schmidt-Salomon auch wesentlich offener als in seinen Büchern.)
Mit ihrem Vorwurf der Immunisierung sitzen Sie im Glashaus. Legen Sie wirklich auf hpd den gleichen Maßstab an?
Wie ist das nun mit Ihren Behauptungen? Sie werden auch schwammig und weichen aus und immunisieren sich:
Gibt es Willensfreiheit oder nicht? Ist das nur eine Einbildung und letztlich sind es nur hoch komplexe biologische Strukturen, die wie Willensfreiheit aussehen?
Genauso die Frage: Gibt es Personen? Sie verweisen auf die Emergenz-Debatte und verweigern eine klare Antwort. Ist Seele nur ein Modell? Natürlich hat Sprache immer einen Modell-Charakter, das gilt für jedes Wort, das wir benutzen. Hier ist es aber ein ausweichen ins Ungewisse.
Das ganze menschliche Leben beruht darauf, dass es Personen gibt, die eigenständig handeln. Sicherlich kann man das (noch) nicht rational aufdröseln, wie ein Leib, in der es mit rechten Dingen zugeht, ein top-down geben kann (und es ist unmöglich, Evolution ohne top-down-Kausalität zu beschreiben). Seit Descartes Zwirbeldrüse gibt es da Modelle, die alle nicht überzeugend sind.
Ein „ganzheitlicher“ Zugang dazu stammt von Maurice Merleau-Ponty und wird von Frank Vogelsang aufgegriffen. (Frank Vogelsang: Offene Wirklichkeit.) Von Vogelsang gibt es auch ein neues Buch (Die Rede von Gott in einer offenen Wirklichkeit), dazu auch eine Sendung von wdr5, nachhören und podcast bei http://www1.wdr.de/mediathek/audio/wdr5/wdr5-das-philosophische-radio/audio-praezisierbar---reden-von-gott-100.html
Bitte hören Sie sich diese Sendung mal an. Meine Vorhersage: Bei dem Theologen Vogelsang wird es ihnen nicht möglich sein, eine Immunisierungsstrategie zu entdecken. Aber ich bin gespannt auf Ihre Antwort.
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Ich höre hier einfach auf. Da die postings ausufern, werde ich versuchen, mich in Zukunft auf wenige Punkte konzentrieren.
Resnikschek Karin am Permanenter Link
Die Studie sollte in den Bundestag. Und die insgeheime und offene kulturrassistische Hetze gegen Konfessionsfreie sollte von christlicher Seite umgehend eingestellt werden.