Kommentar

Religion und Gewalt – oder wie ein Interview zur Kirchenwerbesendung wird

Am vergangenen Samstag wurde der katholische Bischof Franz-Josef Overbeck aus Essen im Deutschlandfunk interviewt. Das angekündigte Thema des Gesprächs: Der Zusammenhang von Religion und Gewalt.

Manchmal gibt es Beiträge in den Medien, die lassen ganz unvermittelt den Blutdruck steigen. Gerade steht man noch entspannt in der Küche, hört Radio, wäscht dabei Teller ab und – zack – schon pocht das Blut in den Schläfen. Verantwortlich für meine letzte Blutdrucksteigerung: Franz-Josef Overbeck, seines Zeichens Bischof von Essen, und Jürgen Zurheide, Journalist des Deutschlandfunks, der ihn interviewte.

Angesichts der Toten von Aleppo in der vergangenen Woche und der vielen kriegerischen Auseinandersetzungen im Nahen Osten insgesamt stellte der Kollege des Deutschlandfunks Bischof Overbeck am vergangenen Samstag die Frage, ob Religion und Gewalt vielleicht irgendwie zusammengehörten. Donnerwetter! Eine spannende Frage. Und wie verwegen, sie einem Bischof zu stellen. Des Bischofs Antwort:

Overbeck:

"Es ist, glaube ich, ziemlich deutlich, dass Religion von der Natur her, die sie hat, und das gilt für jede große Religion, erst mal eine Religion ist, die für den Frieden ist, aber weil sie gleichzeitig die Möglichkeit hat, zu verführen, ideologisch zu werden und sich selbst absolut zu setzen, kann sie Gewalt hervorbringen, und heute muss man natürlich deutlich sagen, Religion wird auch benutzt, benutzt, um deutlich zu machen, wir wollen Macht haben, und dafür kann Religion gut als Begründung dienen, ist aber nicht der eigentlich Ursprung dieser Gewalt, die angewandt wird."

So löblich es vom Bischof sein mag, einen Zusammenhang zwischen Religion und Gewalt prinzipiell einzuräumen, so durchschaubar ist die übliche theologische Strategie, mit der dieser Zusammenhang wieder relativiert wird: Eigentlich sei jede große Religion für den Frieden – sagt Overbeck und bleibt den Nachweis schuldig, indem er die Aussage als selbstevident postuliert – nur könne man Religionen eben auch falsch auslegen oder benutzen und das führe dann zu Gewalt.

Dabei ist das Problem doch ein wesentlich grundlegenderes. Die großen Religionen – gemeint sind wahrscheinlich die abrahamitischen – haben nicht nur die Möglichkeit, "ideologisch zu werden und sich selbst absolut zu setzen", es gehört zu ihrem Fundament, dies zu tun. Das erste der zehn Gebote – nicht das fünfte oder zehnte, nein das erste – lautet: "Ich bin der Herr, dein Gott – Du sollst keine anderen Götter haben neben mir". Die problematische Absolutsetzung der eigenen Religion ist damit Kernbestandteil der abrahamitischen Religionen, nicht bloß eine Möglichkeit, sie auszulegen.

Und wie war das noch gleich mit der Macht? Wenn es jemandem um Macht geht, kann es sein, dass Religion zum Machterwerb benutzt wird, sagt Bischof Overbeck. Ob er hierbei seine eigene Kirche im Sinn hatte, die sich über die Jahrhunderte einen Machtapparat von bemerkenswerter Größe erarbeitet hat und alles daran setzt, ihre Macht auch in Zeiten sinkender Kirchenmitgliedszahlen auf Teufel komm raus zu erhalten? Dass man Menschen mit ewiger Verdammnis drohen oder Gottes Segen in Aussicht stellen kann, ist beim Machterhalt der Kirche sicherlich nicht gerade hinderlich, oder?

Das wären doch mal spannende Nachfragen an den Bischof. Aber ich stehe ja nur in der Küche und muss deshalb auf den Journalisten-Kollegen im Radio hoffen. Er wird Overbeck sicherlich auf den Zahn fühlen und kritische Nachfragen stellen. Ah, da kommt ja schon eine: Die Verbindung von Religion und Gewalt, das gelte dann ja wahrscheinlich wohl für alle Religionen, auch für die katholische Kirche, dass man Dinge in der eigenen Geschichte habe, auf die man nicht sehr stolz sei.

Overbeck:

"Das ist in der Tat so. Schauen wir auf die 2000 Jahre des Christentums, aber auch die konkrete Geschichte unserer Kirche, gibt es viele Beispiele, die deutlich machen, dass Gewalt angewandt worden ist und religiös begründet unsägliches Unheil über Menschen gebracht hat."

Fantastisch! Auf dieser Grundlage kann doch jetzt mal richtig in die Vollen gehen was das Thema "Religion und Gewalt" angeht.

Schade nur, dass Jürgen Zurheide das Interview an dieser Stelle von der spannenden Eingangsfrage ablenkt und auf einen Kurs bringt, den man kaum anders nennen kann als "Kirchen-PR". Denn auf einmal geht es  nicht mehr um Gewalt und Religion, sondern um Gewalt in der Gesellschaft, Gewalt in den sozialen Medien und darum, was der Bischof davon hält. Es geht um den Einsatz der Kirchen für Flüchtlinge, die kirchliche Spendenaktion Adveniat, um die Frage, woher man Kraft und Hoffnung schöpft, um den Geburtstag des Papstes und darum, was er uns mit auf den Weg gibt – alles als Fragen des Interviewers dem Bischof auf dem goldenen Teller serviert, damit dieser seine Religion promoten kann.

Fassungslos stehe ich vor dem Radio. Hat sich das Gerät spontan verstellt? Von einem öffentlich-rechtlichen Informationskanal zu einem Kirchensender? Ungläubig kontrolliere ich die Frequenz, doch sie ist unverändert.

Was hätte man dem Bischof doch in diesem Interview für interessante Fragen stellen können, wenn man schon vollmundig das Thema "Zusammenhang zwischen Religion und Gewalt" ankündigt. Und ob man gegenüber der Hörerschaft vielleicht auch hätte erwähnen sollen, dass Franz-Josef Overbeck nicht nur Bischof von Essen, sondern auch Militärbischof ist – und damit das Oberhaupt der katholischen Militärseelsorge bei der deutschen Bundeswehr? Aber nein, als Aufhänger hatte man ja nur die kriegerischen Aktionen in Syrien genannt – und die haben ja nichts mit Militär zu tun. Und das Militär nichts mit Gewalt.

Mich beispielsweise hätte brennend interessiert, wie Militärbischof Overbeck es schafft, seine Religion mit militärischer Gewalt unter einen Hut zu bringen. Gut, der Fairness halber muss man sagen, dass nicht die Militärseelsorger die Waffe in die Hand nehmen und töten. Auch werden Waffen heute nicht mehr gesegnet wie dies früher durch Priester üblich war. Der Job heutiger Militärseelsorger ist es nur, jenen ein gutes Gewissen zu verschaffen, deren Job es ist – oder zumindest jederzeit werden kann – andere Leute zu töten.

Ob das dem Gott der Christen gefällt? Soweit ich mich erinnere, steht in den zehn Geboten ebenfalls "Du sollst nicht töten". Nirgendwo habe ich eine extended version gelesen, die da lautet: "Du sollst nicht töten – außer es ist für die gute Sache" oder "Du sollst nicht töten – außer du kommst hinterher zur Beichte". Aber nun gut, dass ist eine Sache, die die Christen wohl unter sich ausmachen müssen.

Allerdings sei darauf hingewiesen, dass aus der Kombination des Absolutheitsanspruchs einer Gottheit (erstes Gebot) mit einem relativierten Tötungsverbot (fünftes Gebot) genau jene explosive Mischung entstehen kann, über die bei der Frage nach einem Zusammenhang von Religion und Gewalt dringend diskutiert werden müsste. Falls man an der Klärung dieser Frage überhaupt interessiert ist und sie nicht bloß als halbherzigen Einstieg in eine öffentlich-rechtliche Kirchenwerbesendung nutzt.

Ich jedenfalls bin jetzt für meine nächste Spül-Orgie auf der Suche nach einem anderen Sender. Einem der weniger Kirchenfunk und weniger Blutdruckschwankungen verspricht. Empfehlungen nehme ich gern entgegen.