Facharbeitskreis Betroffener im MOGiS e.V.

Fachtagung erlaubt keine kritische Ansichten zur Beschneidung

Zur Jahrestagung der "Sektion Feministische Theorie und Geschlechterforschung" der Österreichischen Gesellschaft für Soziologie in Kooperation mit der "Sektion Kritische Migrations- und Rassismusforschung" am 19. und 20. Januar 2017 lud man zur Einreichung von Abstracts zu Themen wie "Migration, Männlichkeit und Sexualität" ein. Doch weder in der Ausschreibung noch im persönlichen Mailverkehr war in Erfahrung zu bringen, in welcher Form Themen für die Tagung eingebracht werden sollten - wie sonst eigentlich allgemein üblich bei solchen Veranstaltungen. So ist der Facharbeitskreis Beschneidungsbetroffener im MOGiS e.V. davon ausgegangen, dass es sich um eine Art Themenvorschlag handeln sollte, den sie deshalb auch einreichten.

Darin wurden die nicht-therapeutische Vorhautamputationen an Jungen als Grenzverletzung benannten und u.a. die Frage gestellt, wie ein Rollenkorsett "Ich will ein Mann sein – also muss ich Verletzungen erdulden und habe über mein Verletztsein zu schweigen“ durchbrochen werden könne. Wichtig war besonders auch die Frage, welche Räume Jugendlichen und Männern zur Verfügung stehen, um über Leid im Zusammenhang mit einer nicht-therapeutischen Vorhautamputation sprechen zu können.

In einer Mail teilten die das Projekt leitenden Prof. Dr. Petra Dannecker und Dr. Paul Scheibelhofer mit, dass sie den Themenvorschlag ablehnten. Sie begründeten dies mit u.a. einer angeblich "reißerischen, tendenziösen Darstellung der Problematik der Beschneidung". "Statt einer differenzierten Betrachtung" würden "einseitige Schlussfolgerungen vorweg" genommen und präsentiert "in dramatisierender, emotionalisierender Weise".

Des Weiteren schrieben sie: "Und schlussendlich zieht sich eine ethnisierende, verallgemeinernde Perspektive durch Ihre Einreichung: da sind offensichtlich alle beschnittenen Männer hochgradig traumatisiert - einen anderen Umgang scheint es damit nicht zu geben. Außerdem übernehmen Sie die hoch problematische Perspektive des migrantischen Mannes als grenzverletzend und gewalttätig um Ihrem Argument illegitimer Weise Gewicht zu verleihen."

Im Verein MOGiS e.V. haben sich Betroffene sexuellen Missbrauchs, sexueller Ausbeutung und sexualisierter Gewalt zusammen­geschlossen um ihren Interessen eine Stimme zu geben.
MOGiS e.V. begleitet kritisch die Entwick­lung der politischen Rahmen­bedingungen in den Themen­kreisen Sexueller Selbstbestimmung (besonders der von Kindern), sowie in der Bürgerrechts- und Grundrechts­politik.

Es erstaunt, was einem - auch als Mensch mit Migrationshintergrund - alles in den Mund gelegt werden kann, wenn man gewohnte und offensichtlich als angenehm empfundene Denkmuster von Menschen in Frage stellt.

Laut Tagungsprogramm wird die Veranstaltung nun voraussichtlich nicht-therapeutische Vorhautamputationen an Jungen gar nicht thematisieren. So steht im Raum, dass die heftige Reaktion der Austragenden neben der eigenen Gefühlsabwehr vor allem dem Zweck diente, ein unliebsames Thema aus dem Fachtag herauszuhalten.

Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Perspektiven von Männern mit Migrationshintergund, die in dem Themenvorschlag zum Ausdruck kamen, hat offensichtlich nicht stattgefunden. Es handelte sich bei den Co-Autoren mit Migrationshintergrund wohl um die "falschen" Migranten.

Der hpd veröffentlicht im Folgenden den Themenvorschlag des "Facharbeitskreises Betroffener", damit sich Aussenstehende ein Bild vom Vorgehen der Tagungsorganisatoren und deren Schatten-Projektionen machen können:

Abstract zu "Migration, Männlichkeit und Sexualität": Männlichkeitskonstruktion durch Beschneidung

 
Gislinde Nauy, Önder Özgeday, Antonio Savci, Victor Schiering, Dr. Christian Bahls

Der überwiegende Teil der Jungen und Männer mit Migrationshintergrund im deutschsprachigen Raum hat in der Kindheit eine nicht medizinisch notwendige Operation an seinem Genital erdulden müssen: eine Vorhautamputation, oft verniedlichend "Beschneidung" genannt. Diese wird je nach Herkunftskultur stark mit ihrer Rolle als "Mann" verbunden bzw. als eine Art "Mannwerdung" versinnbildlicht. Eine unausweichliche Verletzungserfahrung im Intimbereich durch Erwachsene gilt in nicht wenigen Kulturen als Voraussetzung für soziale Akzeptanz und geschlechtliche Identität. Im deutschsprachigen Raum und anderen Teilen der Welt ist dies bereits in jeglicher Form geächtet und verboten, sofern es sich bei den Betroffenen um Mädchen und Frauen handelt. Derlei Eingriffe (und häufig die dazugehörenden Feierlichkeiten anlässlich der "Mannwerdung") bei Jungen hingegen werden weiterhin als angeblich bewahrenswerte Traditionen geschützt und deren Folgen für die Betroffenen marginalisiert.
Die Selbstbestimmungsrechte der Jungen werden also unter das Recht und den Wunsch Dritter, an ihnen ein Symbol anzubringen, untergeordnet und sie damit zum Objekt eines Rituals degradiert.
 
Wir müssen uns fragen:

  • Was macht diese Ungleichbehandlung mit den betroffenen Jungen und Männern?
  • Welches Selbstbild entwickeln so betroffene Menschen als Erwachsene? Inwiefern kann es auch die Integration behindern?
  • Welche Möglichkeiten der Hilfe bestehen für Betroffene, die psychisch und/oder physisch an den Folgen solcher Übergriffe leiden?
  • Welche Möglichkeiten des Schutzes von Jungen sind in Erwägung zu ziehen?
  • Wie kann das anerzogene Rollenkorsett „Ich will ein Mann sein – also muss ich Verletzungen erdulden und habe über mein Verletztsein zu schweigen“ durchbrochen werden?
  • Welche Rolle kann und muss die hiesige Willkommensgesellschaft übernehmen? Eine Gesellschaft, die sich – wie auch in der Debatte um sexuellen Missbrauch und Gewalt gegen Kinder und bislang nur spärlicher öffentlich geförderter Forschung zu Gewalt an Jungen und Männern – selbst schwer tut, Jungen und Männer als Opfer von Gewalt wahrzunehmen?

Letztendlich müssen wir uns gerade auch nach den Vorfällen in Köln und anderen Städten in Deutschland mit der Frage auseinandersetzen: Wie wollen wir Menschen davon überzeugen, Grenzen Dritter zu respektieren, wenn wir gravierende Grenzüberschreitungen gegen ihre körperliche und sexuelle Selbstbestimmung als Kind nicht nur tolerieren, sondern sogar gutheißen und diese im Rahmen einer eventuell falsch verstanden Willkommenskultur auch noch fördern?
 
Diese Fragen gehören auf die Tagesordnung einer breiten fachlichen Diskussion. Zahlreiche ExpertInnen aus den Bereichen Medizin und Psychologie sowie Betroffene aus verschiedenen ethnischen Kontexten haben dazu bereits publiziert, werden aber in der Öffentlichkeit weitgehend ignoriert. Es gilt, hier endlich in den benötigen Dialog zu treten und Räume zu schaffen, in denen das Hinterfragen gewaltlegitimierender Männlichkeitsnormen möglich wird und die zitierten Fragen erörtert werden.

Quellen:
Prof. Dr. Matthias Franz: Beschneidung von Jungen - ein trauriges Vermächtnis
http://www.v-r.de/de/diebeschneidungvonjungen/t-0/1011073/
Ahmad Mansour: "Muslime müssen endlich offener diskutieren" DIE WELT 18.07.12 http://www.welt.de/debatte/kommentare/article108321226/Muslime-muessenendlich-offener-diskutieren.html
Dr. Rebecca Steinfeld: "Male circumcision is a feminist issue too"
http://www.rebeccasteinfeld.com/2015/01/hysteria-male-circumcision-is-feminist_29.html
Cigdem Akyol: "Ein Schnitt ins Leben" FAZ 12.11.14
http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/istanbuler-beschneidungspalast-ein-schnittins-leben-13260770.html