Zwanzig Thesen zur demokratietheoretischen Einschätzung einer Bewegung

Die PEGIDA-Demonstrationen als neues Phänomen für Fremdenfeindlichkeit

BONN. (hpd) Seit dem 20. Oktober 2014 demonstrieren jeden Montag in Dresden “Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes” (PEGIDA), wobei die Anzahl der Teilnehmer kontinuierlich anstieg und am 22. Dezember 2014 um die 17.500 Personen umfasste. Der Herausgeber des “Jahrbuchs für Extremismus- und Terrorismusforschung”, Prof. Dr. Armin Pfahl-Traughber, stellt hier zwanzig Thesen zur Einschätzung aus demokratietheoretischer Perspektive vor.

1. Medien und Politik nahmen das Aufkommen und die Entwicklung von PEGIDA mit Überraschung zur Kenntnis. Aus der Perspektive der politikwissenschaftlichen Extremismusforschung kann man mit Blick auf die Ergebnisse einschlägiger Umfragen indessen nur über diese Überraschung wirklich überrascht sein.

2. Fremdenfeindliche und nationalistische Einstellungen finden sich nicht nur bei den 25.000 bis 30.000 organisierten Rechtsextremisten, sondern als Mentalitäten und Orientierungen bei größeren Teilen der Bevölkerung, welche je nach genutzten Kriterien in unterschiedlichen Studien mit zwischen zehn und zwanzig Prozent beziffert werden.

3. Aufgrund der schlechten “Aufstellung” rechtsextremistischer Kräfte in Deutschland, gelang es einschlägigen Parteien wie der NPD bislang nicht, diese Potential bundesweit und längerfristig für sich zu mobilisieren. Dies kann attraktiveren Akteuren wie etwa der AfD bei Wahlkandidaturen oder PEGIDA durch Demonstrationen sehr wohl gelingen.

4. Demnach ist weniger die Bewegung bzw. Entwicklung für sich, sondern der Ort bzw. Zeitpunkt erklärungsbedürftig. Für das Bundesland Sachsen kann hier zunächst einmal auf eine besondere Anfälligkeit für rechtsextremistisches Wahlverhalten verwiesen werden, gelang es dort doch der NPD 2004 und 2009 in den Landtag einziehen.

5. Auch wenn die AfD in der Gesamtschau aktuell nicht als rechtsextremistisch eingeschätzt werden kann, agiert sie in ihrer Außendarstellung mit Parolen, welche fremdenfeindliche und nationalistische Mentalitäten ansprechen. Bei den Landtagswahlen 2014 erhielten AfD (9,8 Prozent) und NPD (4,95 Prozent) zusammen in Sachsen fast 15 Prozent der Stimmen.

6. Auf den ersten Blick verwundert der Ort des Protestes, sind doch in Sachsen um die 0,4 Prozent der Bevölkerung Muslime. Von einer “Islamisierung” des Landes, die PEGIDA in seiner Selbstbezeichnung als Gefahr für das “Abendland” beschwört, kann angesichts derart geringer Anteile noch nicht einmal in Ansätzen gesprochen werden.

7. Demgegenüber finden PEGIDA-Ableger kaum Zulauf in Städten, wo im Alltagsleben mit einschlägig gekleideten Menschen mit größerem Realitätsbezug von einer “Islamisierung” gesprochen werden könnte. So beteiligten sich etwa in Bonn am 15. Dezember 2014 gerade mal 150 Personen an einer ähnliche Versammlung (mit 3.000 Gegen-Demonstranten). (Hinweis der Redaktion: In Berlin wurde eine entsprechende Veranstaltung am Montag mangels Teilnahme komplett abgesagt.)

8. Daher scheinen die Dresdener Aktivisten und Teilnehmer weniger durch die behauptete Gefahr einer “Islamisierung”, sondern mehr durch erklärten Unmut über die Politik motiviert zu sein. Der gefühlte oder reale Eindruck von mangelnder Informationspolitik und schlechter Verwaltungsarbeit artikuliert sich in Aversionen und Ressentiments gegen die “Fremden”.

9. Während einerseits von einer Realitätsferne der beschworene Gefahr einer allgemeinen “Islamisierung” ausgegangen werden kann, benennen andere Positionen etwa hinsichtlich der Unterbringung von Flüchtlingen durchaus reale Probleme. Dies geschieht bei den Demonstrationen aber in der Sprache des Ressentiments und nicht im Ton der Sachlichkeit.

10. Darin besteht neben anderen Aspekten denn auch die aus demokratietheoretischer Sicht bedenkliche Dimension der PEDIGA-Aktivitäten: Sie sind von dem rigorosen und unversöhnlichen Dualismus des “Wir” gegen “Die” geprägt, wobei mit den “Die” nicht nur Flüchtlinge und Muslime, sondern auch Medien und Politik gemeint sind.

11. Nach öffentlicher Kritik an ihrem Agieren gab die PEDIGA-Spitze sich mit 19 Thesen, die aber weder mit der Anhängerschaft diskutiert noch von ihr legitimiert wurden, ein Grundsatzprogramm. Darin findet man durchaus akzeptable Positionen, die aber erkennbar um des Anscheins einer gemäßigten Haltung ambivalent deutbar formuliert wurden.

12. Denn die gleichen Führungspersonen von PEDIGA formulierten bei den Demonstrationen weitaus schärfer, wenn etwa der Wortführer Lutz Bachmann mit hetzerischem Unterton von “Heimen mit Vollversorgung” für Flüchtlinge sprach, während sich angeblich die deutschen Alten “manchmal noch nicht mal ein Stück Stollen leisten können zu Weihnachten”.

13. Im letztgenannten Punkt der erwähnten Thesen wendet sich PEGIDA “gegen Hassprediger, egal welcher Religion zugehörig”. Diese Auffassung fällt indessen auf die Führungskräfte der Bewegung zurück, dulden sie doch nicht nur, sondern schüren Feindschaft und Hass gegen Menschen anderer ethnischer oder religiöser Zugehörigkeit.

14. Eine ähnliche Ambivalenz gibt es bezogen auf die Position “Null-Toleranz-Politik gegenüber straffällig gewordenen Asylbewerbern und Migranten”, ist doch PEGIDA-Initiator und –sprecher Bachmann selbst mehrfach durch Drogenbesitz und Einbruch strafrechtlich in Erscheinung getreten. Ein Verteidiger des Abendlandes sollte wohl eine andere Vita haben.

15. Eine inhaltliche Auseinandersetzung um ihre Positionen möchten die PEGIDA-Sprecher bislang offenbar nicht führen, nahmen sie doch Gelegenheiten zu entsprechenden Diskussionsveranstaltungen nicht wahr: Alle seien erkrankt oder verhindert, lauteten etwa Erklärungen nach einer Dialog-Einladung der Landeszentrale für politische Bildung.

16. Die PEGIDA-Bewegung gibt mit den Rufen “Wir sind das Volk” vor, im Namen des Volkes zu sprechen. Dafür kann sie indessen keine formale oder inhaltliche Legitimation beanspruchen. Laut einer Umfrage der “Dresdner Neusten Nachrichten” lehnten 60 Prozent der Bürger der Stadt deren Ziele ab, 12 Prozent teilen sie, 14 Prozent teils, teils.

17. Über die politische und soziale Zusammensetzung der PEGIDA-Demonstranten liegen keine gesicherten und repräsentativen Daten vor. Gleichwohl gibt es für die Aussage, wonach es sich hier um “Neonazis in Nadelstreifen” (NRW-Innenminister Ralf Jäger, SPD) handele, keine Belege. Die Anhängerschaft geht weit über das gemeinte politische Potential hinaus.

18. Indessen sehen organisierte Rechtsextremisten in den Demonstrationen von PEGIDA durchaus ein Forum, um für ihre besonderen Positionen zu werben. Angehörige der NPD und der Neonazi-Szene nahmen ungehindert an den Veranstaltungen teil. Ihr Anteil ist zwar quantitativ gering, macht aber Anschlussfähigkeiten zur Mehrheit der Teilnehmer deutlich.

19. Die angesichts von PEGIDA aufgekommene Rede von einer “Verbrüderung von Bürgertum und Extremisten” (“Der Spiegel”) ist indessen gleich doppelt falsch: Erstens kann man nicht von einer pauschalen Akzeptanz des Bürgertums von PEGIDA sprechen, und zweitens fanden sich rechtsextremistische Einstellungen schon zuvor auch im Bürgertum.

20. Indessen kann man auch einen bedeutenden Unterschied zu den mit ähnlichen Inhalten aktiven “Hooligans gegen Salafismus” (HoGeSa) konstatieren, setzt PEGIDA doch nicht auf die Anwendung von Gewalt. Gerade mit dem bemühten Image als Protestbewegung mit zivilgesellschaftlichen Formen strebt man Akzeptanz in der Mehrheitsgesellschaft an.

 

Während mit PEGIDA an Montagen bis zu 17.000 Bürger gegen die Aufnahme von Asylbewerbern und Flüchtlingen Demonstrieren, engagieren sich mindestens um die 50.000 Menschen ehrenamtlich für Asylbewerber und Flüchtlinge. Weitaus mehr spenden Geld, Kleidung oder Möbel. Sie können mit größerer Berechtigung sagen: “Wir sind das Volk”.