Veranstaltung mit Stephen Batchelor in Heidelberg

Gibt es einen "Säkularen Buddhismus"?

Am 22. und 23. 5. fand in Heidelberg eine Veranstaltung der Buddha Stiftung zum Thema Säkularer Buddhismus statt: "Imagining the Dharma in an Uncertain World" (Vision eines Dharma in einer Welt voller Unsicherheit). Ziel der Stiftung ist nach eigenen Aussagen die Stärkung eines säkularen Buddhismus ohne Dogmen und Glaubensinhalte. Hauptreferent war Stephen Batchelor, der die Übersetzung seines Buches "After Buddhism" (zu Deutsch "Jenseits des Buddhismus") vorstellte.

Stephen Batchelor lebte 11 Jahre als buddhistischer Mönch, bis er 1985 die Robe ablegte. Seitdem schrieb er mehrere Buddhismus-kritische Bücher, u.a. seine Autobiographie "Bekenntnisse eines ungläubigen Buddhisten" und" Buddhismus für Ungläubige". Am ersten Abend fanden zwei Vorträge und mit anschließenden Diskussionen statt, während neben Vorträgen und Diskussion auch Zeit für kontemplative Übungen bestand, wobei Internationale Wissenschaftszentrum einen schönen Rahmen bot.

Nach Wilton Higgins, der zu den säkularen Buddhisten gezählt wird, wird unter sog. säkularen Buddhismus ein Phänomen bezeichnet, das vor ca. 10 Jahren im angelsächsischen Raum begann. Westliche, konvertierte Buddhisten fingen an, einen Buddhismus zu praktizieren, ohne ihre Werte, Ansichten und kulturellen Hintergrund aufzugeben. Säkularer Buddhismus existiert nicht als Institution oder anerkannte Schule, sondern wird von Einzelpersonen bzw. kleinen Gruppen in den USA, Australien, Neuseeland und Großbritannien vorangetrieben. Diese Personen praktizieren Buddhismus bzw. unterrichten ihn in einem Stil, der den Gedanken von zeitlosen, universellen Wahrheiten ablehnt und somit auch keine metaphysischen Elemente wie Wiedergeburt oder Karmalehre enthält. Er bezieht sich also bewusst auf die Umstände dieses historischen Zeitalters und keines zukünftigen Lebens. Stephen Batchelor hat aus einem solchen Blickwinkel buddhistische Schriften neu übersetzt und interpretiert und gilt als einer der prominentesten Köpfe dieser Bewegung.

Am Veranstaltungstag herrschte ein großes Interesse am Thema. Die Veranstalter rechneten mit 20 bis 30 Teilnehmern. Somit mussten Personen, die sich nicht angemeldet haben, zurückgeschickt werden, weil der Raum im Internationale Wissenschaftszentrum überfüllt war.

Der Abend begann mit einem Vortrag der Heidelberger Religionswissenschaftlerin und Japanologin Prof. Dr. Inken Prohl mit dem Titel "Säkularer Buddhismus: von der Religion zur Pop-Kultur?" Wir führten ein Interview mit ihr durch.

hpd: Sie forschen u.a. über Transformation des Buddhismus. Erleben wir derzeit eine Umgestaltung des Buddhismus?

Prof. Dr. Inken Prohl: Wir haben die Umgestaltung des Buddhismus bereits erlebt in den letzten 150 Jahren. Wichtigste Charakteristik dieser Umgestaltung betrifft den Glauben an Buddha im traditionellen Buddhismus, dass er die Wahrheit erkannt hat und die religiös wirksamen Kräfte der Buddhas und Bodhisattvas. Heute wird der Buddhismus verstanden als Lieferant von psychologisch wirksamen Techniken, mit denen das Selbst verbessert, optimiert und ‚geheilt‘ wird und den Einzelnen glücklich macht ohne den Bezug auf die Buddhas und die Bodhisattvas.

Wenn man die Äußerungen von Buddhisten anhört aus dem asiatischen Bereich wie zum Beispiel Thich Nhat Hanh, dass der Buddhismus immer säkularer wird auch in Asien?

Thich Nhat Hanh und viele andere bekannte asiatische Buddhisten haben sich sehr stark den westlichen Nachfragen angepasst. Wobei ich Thich Nhat Hanh fast schon herausnehmen würde, weil er für den engagierten Buddhismus steht und gleichzeitig einen sehr politischen Buddhismus präsentiert. Das ist etwas, was traditionell auch buddhistisch ist, insofern ist Thich Nhat Hanh noch der, der am ehesten an der Schnittstelle zwischen traditioneller und modernen Buddhismus steht.

Wenn man dem Stephen Batchelor zuhört, stellen sich viele Dir Frage: Erfindet sich der Buddhismus neu? Schafft er sich ab, ist das etwas ganz Anderes oder ist das ganz natürlich für den Buddhismus?

In der Frage, die sie formuliert haben, ist der Buddhismus das Subjekt, da er ist das aber nie, sondern die Menschen sind die Subjekte, die die religiösen Vorstellungen machen. Akteure wie Stephen Batchelor erfinden ihren Buddhismus und nehmen buddhistische und sogar religiöse Mittel zur Verfügung, um diesen als säkularen Buddhismus darzustellen.

Prof. Dr. Inken Prohl, Foto: Universität Heidelberg

Prof. Dr. Inken Prohl, Foto: Universität Heidelberg

In ihrem Vortrag ging Frau Prof. Prohl auf diese These ein und verglich die Buddhismen im Osten und Westen. In beiden Fällen besitzt der Buddhismus eine große kulturelle Spannweite bis zur Populärkultur. Während man im Osten Rituale, magische Amulette etc. findet, spiele dies im Westen keine Rolle. In einer selektiven Wahrnehmung beschränken sich die Buddhisten auf die Psychologie und praktizieren ausgiebig Meditation, die im Osten nur von einer verschwindend geringen Minderheit ausgeübt werde. Diese westliche Sichtweise verspreche genau die Werte, die in einer neoliberalen Gesellschaft benötigt werden: Der Mensch solle belastbar sein, emotional stabil, individuell und zugleich teamfähig. Dies stelle ein Heilsversprechen da, das im Osten auch existiere aber traditionell magisch und an individuelle Heilsversprechen koppelt sei. In der anschließenden Diskussion nannte Frau Prof. Prohl auf Nachfrage die westliche Wissenschaft aus diesem kulturhistorischen Blickwinkel betrachtet ebenfalls eine Religion.

Im Anschluss hielt Stephen Batchelor seinen Vortrag. Er definiere sich nicht als Wissenschaftler, sondern nutze das Bild vom Buddhismus als Lebenskunst, um sich mit existenziellen Fragen auseinanderzusetzen. Dabei verzichtet er aber auf alles Überweltliche und Übernatürliche, da dies keinen Einfluss auf seine Praxis habe. Er hält diese Gedanken auch nicht als "Essenz" des Buddhismus, da dies Teil diverser indischer Religionen sei. Er fühlt sich durch seine buddhistischen Studien bestätigt, da in den frühen buddhistischen Schriften Metaphysik keine Rolle spiele. Die nach dem Tod Gotama Buddhas entstehenden Glaubenssysteme und patriarchalischen Priesterstrukturen seien ihm fremd. Er bezweifelt auch, dass in den frühen Überlieferungen Gotamas Buddhas ontologische oder metaphysische Aussage eine Rolle gespielt haben. Ihn interessiere mehr der historische Kontext, in dem diese Schriften entstanden seien ebenso wie die praktische Lehre als ethische und kontemplative Praxis. Diese kritisch-historische Herangehensweise sei auch ein Teil von seinem Konzept des Säkulare. Weiter Aspekte umfassen das praktische Tun in der heutigen Zeit - im Gegensatz zum Befolgen von Dogmen eines orthodoxen Glaubenssystems der vergangenen Zeit. Alles in allem sei für ihn "säkularer Buddhismus" nur ein Label, wenn auch ein sehr nützliches, da es bestimmte Bedürfnisse anspräche. Sobald der säkulare Buddhismus aber ein Glaubenssystem entwickeln würde, sei es für ihn an der Zeit, weiter zu ziehen und den Begriff hinter sich zu lassen.

Stephen Batchelor (2006), Foto: ottmarliebert.comwikimedia, CC BY-SA 2.0
Stephen Batchelor (2006), Foto: ottmarliebert.comwikimedia, CC BY-SA 2.0

Die beiden Vorträge zeigen meiner Ansicht ein Spannungsfeld, in dem sich der säkulare Buddhismus befindet. Aufgrund empirischer Studien konstatiert Prof. Prohl, dass der moderne Buddhismus im Westen auch als eine Art Heilslehre gesehen wird und schließt daraus, dass auch der säkulare Buddhismus einen religiösen Charakter habe. Stephen Batchelor verneinte das für sich. In der Frage aus dem Publikum, wie Buddhismus ohne Wiedergeburt vor der Realität des Todes helfen könne, sagte Stephen Batchelor nur kurz, Budhhismus solle nicht trösten, er müsse sich der Realität stellen und ehrlich sein. In der Diskussion vertritt Stephen Batchelor den Standpunkt von Prof. Prohl und erklärt, dass er einen Buddhismus konstruiere und meint, dass jeder Buddhismus eine Konstruktion sei. Er vertrete aber keine Heilslehre und sehe die Lehre als Hypothese, eine Reihe von Techniken auszuprobieren und vor allem ehrlich zu sich selbst sein, ob es hilft oder nicht.

In der Schlussdiskussion ging es noch einmal um den Begriff des "säkularen Buddhismus". Obwohl viele ihm diesen Begriff zuschreiben, sehe er diesen Begriff eher als einen Vorschlag oder als ein Projekt – keinesfalls als Doktrin. Die sei das Problem jeder Religion und Weltanschauung, dass Dingen eine größere Bedeutung zugesprochen werden, als sie besitzen, dass sie verehrt werden und sich zu einem Selbstzweck entwickeln. Dasselbe Problem habe er mit dem Begriff "Buddhismus", der immerhin eine Weltreligion sei. Er bevorzuge den Begriff "Dharma" (Lehre), weil es ein "Way of Life" sei.

Zusammengefasst lässt sich Folgendes Feststellen: Es entstehen derzeit neue Buddhismen, von denen sich einige als explizit frei von jede Übernatürlichem und Metaphysik bezeichnen. Die Veranstalter haben mit dem Vortrag von Prof. Dr. Prohl Raum für eine Außensicht geschaffen, die viel Stoff für Diskussionen bot und zeigte, wie wichtig kulturwissenschaftliche Blicke auf religiöse Phänomene sind. Bisher scheint Stephen Batchelor eine immens wichtige Quelle für Inspiration für säkulare Buddhisten in Deutschland zu sein. Verglichen mit dem Bild einer an den Neoliberalismus angepassten Selbst-Optimierungspraxis, die Prof. Prohl aufzeigte, bietet der säkulare Buddhismus eines Stephen Batchelor aber mehr Grund zur Hoffnung. Aber wie er selber zugibt: Seine Darstellung ist nur ein säkularer Buddhismus, nicht der säkulare Buddhismus und somit ist offen, ob und wie sich dieser in Deutschland entwickelt.