Was ist die "Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters"? Eine Religionsparodie oder doch eine ernstzunehmende Weltanschauung? Dieser Frage gehen hpd-Autorin Daniela Wakonigg und Rechtsanwalt Dr. Winfried Rath in ihrem bei Alibri erschienenen Buch nach.
Das Verfahren der "Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters" (KdFSM) vor diversen Instanzen von Verwaltungsgerichten in Brandenburg wurde von der Veröffentlichung des Buches über "Das Fliegende Spaghettimonster" flankiert. Während Daniela Wakonigg sich der Antwort auf die Frage nähert, ob die KdFSM eine Weltanschauungsgemeinschaft sei oder "nur" eine Religionsparodie, liefert Winfried Rath den verwaltungsrechtlichen Hintergrund zum sog. "Schilderstreit" von Templin.
Der erste Teil ist der Umfangreichere. Die gelernte Theologin Wakonigg erörtert die Frage, "ob es sich beim Pastafarianismus um eine Religionsparodie oder um eine Religion handelt. Für beide Ansichten", so die Autorin, "gibt es durchaus vernünftige Argumente."
So wundert es nicht, dass das Kapitel sich in zwei – sich auf den ersten Blick widersprechenden – Teile aufteilt: "Warum die Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters eine Religionsparodie ist" und "Warum die Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters eine Religion ist". Für beide Ansichten führt sie Beweise an.
Ausführlich erklärt Wakonigg Bobby Hendersons Lehre, die er in seinem Buch "The Gospel of the Flying Spaghetti Monster" (deutsch: "Das Evangelium des Fliegenden Spaghettimonsters") aufstellte. Ursprünglich war das "Evangelium" dazu gedacht, die Lehren der Evolutionsleugner ad absurdum zu führen. Das Ziel von Religionsparodien ist es allerdings nicht nur, "die Grundlagen von Religionen auf philosophischer Ebene in Zweifel zu ziehen. Religionsparodien haben häufig auch eine politische Komponente. Indem sie die Legitimität religiöser Privilegien auf parodistische Art in Zweifel ziehen bzw. eine Diskussion über deren Legitimität anstoßen, zielen sie letztlich auf die Abschaffung der Privilegierung von Religionen in der Gesellschaft."
Und so, wie es beim Entstehen der Religionsparodie um das Fliegende Spaghettimonster (FSM) ganz konkret darum ging, "zu verhindern, dass religiöse Fundamentalisten das Recht erhalten, wissenschaftliche Standards zugunsten ihrer religiösen Lehren herabzusetzen", ist auch der "Schilderstreit" eine Möglichkeit, die Privilegien der Religionsgemeinschaften aufzuzeigen. Eine Tatsache, die die Gerichte bislang unbedingt umgehen wollten.
Für den weltweiten Erfolg des FSM werden zwei Auslöser benannt: Zum Einen das Erstarken (insbesondere in den USA, vermehrt aber auch in Europa) von religiösem Fundamentalismus. "Besonders deutlich ist dieses Phänomen natürlich beim Aufflammen des Islamismus und beim Erstarken des christlichen Fundamentalismus zu beobachten, die beide – unter anderem – als Gegenreaktionen auf die zunehmende Säkularisierung der Welt verstanden werden müssen. Und es scheint, als würden diese Bewegungen tatsächlich auch in bereits mehr oder weniger säkularen Gesellschaften erfolgreich voranschreiten." Zum Anderen hat das Internet dazu beigetragen, dass sich die Religionsparodie um das FSM rasend schnell weltweit verbreiten konnten.
Doch wie klärt die Autorin, ob es sich bei der Lehre des FSM tatsächlich um eine echte Religion handelt? Hier greift sie zu einem Trick: "…wie beurteilt man, ob eine Religion tatsächlich eine Religion und nicht nur ein kurioses Hirngespinst ist? Nun, am besten – und wohl auch am fairsten – indem man sie anhand derselben Kriterien beurteilt wie andere Glaubensgemeinschaften, die bereits als Religionen anerkannt sind."
Genau nach diesem Muster verfährt sie, wenn sie aus anderen Religionen (der man den Status als solche definitiv nicht abzuschreiben vermag) Einzelheiten herausgreift, um nachzuweisen, dass der Gedanke an ein "fliegendes Spaghettimonster" bei Weiten nicht so skurril ist, wie es auf den ersten Blick scheint.
Ist es tatsächlich logischer, dass die Christen an eine unbefleckte Empfängnis glauben? Oder die hinduistische Göttin Kali, die "einerseits die Göttin des Todes und der Zerstörung und andererseits die Beschützerin der Menschheit" ist. "Bildliche Darstellungen zeigen die Göttin wahlweise mit blauer oder schwarzer Haut und auch hinsichtlich der Anzahl von Kalis Armen sind ihre Anhänger unschlüssig. … Gern schmückt sich Kali mit einem Rock aus blutigen, abgeschlagenen Händen, trägt eine Halskette aus Schädeln und hält einen abgetrennten Menschenkopf in der Hand." Hier ist der Ausdruck "skurril" mehr als zulässig und "eigentlich ein viel zu harmloser Ausdruck." Oder wenn der Islam lehrt, dass Selbstmordattentäter in einen Himmel kommen, wo 72 täglich wieder "zuwachsende" Jungfrauen auf den gläubigen muslimischen Märtyrer warten. Oder wenn weibliche wie auch männliche Genitalien dafür herhalten müssen, zu beweisen, wie "gottesgläubigkeit" man ist.
"Während wir uns an die Skurrilitäten anderer Religionsgemeinschaften durch ihre vergleichsweise längere Existenz bereits gewöhnt haben und diese als selbstverständlich hinnehmen, ist das Spaghettimonster noch relativ neu auf dem Markt der Gottheiten" heißt es deshalb auch im Buch.
Doch wie genau definiert man eigentlich "Religion"? Darin sind sich Fachleute und Laien nicht einig; die einen zählen Anhänger, die anderen meinen, "dass unter einer Religionsgemeinschaft ein Zusammenschluss von Personen mit einem gemeinsamen religiösen Konsens zu verstehen ist, die diesen in umfassender Weise bezeugen." Nach der zweiten Definition ist die KdFSM eine Religionsgemeinschaft.
Zudem ist allen Religionsgemeinschaften "die Vorstellung einer transzendenten, metaphysischen, 'göttlichen' Sphäre, die in Wechselwirkung mit der physischen Welt steht" gemeinsam. "In der konkreten Ausgestaltung dieser Vorstellung unterscheiden sich die verschiedenen Religionen. Und zwar teils recht erheblich."
Auch die Anhänger des FSM glauben in dem Sinne: unter anderen daran, dass das FSM dafür verantwortlich ist, dass die Menschen nicht von der Erdkugel fallen sondern "von seinen nudligen Anhängseln" gehalten werden. Zudem glauben Pastafari (die Anhänger des FSM) daran, "dass das Universum … vor rund 5000 Jahren erschaffen wurde. Wissenschaftliche Beweise, die darauf hindeuten, dass die Welt wesentlich älter ist, berücksichtigen laut pastafarianischer Lehre nicht, dass es eine der Lieblingsbeschäftigungen des FSM ist, wissenschaftliche Messungen nach Gutdünken zu manipulieren und Fossilien zu vergraben, um die Menschheit am wahren Alter der Welt zweifeln zu lassen."
Da der Pastafarismus ein wissenschaftlicher Glaube ist, wird unter anderem wissenschaftlich nachgewiesen, "dass der heutige Mensch vom Piraten abstammt." Zum Beweis wird angegeben, dass "die DNA heutiger Menschen mit jener von Schimpansen zu 95% übereinstimmt – mit jener von Piraten jedoch zu 99,9%."
Es gibt Feiertage, (Nudel)Messen und alles sonst noch, was zu einer waschechten Religion dazugehört. Daraus ergibt sich schlüssig, dass es sich um eine Religion handelt. So, wie es sich auch um eine Religionsparodie handelt.
So schließt Daniela Wakonigg mit den Worten: "Wie für alle anderen Gottheiten gilt auch für das Fliegende Spaghettimonster, dass es unmöglich ist, seine Nicht-Existenz zu beweisen. Ein letztgültiger Nachweis, dass es sich beim Pastafarianismus möglicherweise eher um eine Religionsparodie als um eine Religion handelt, kann daher nicht erbracht werden."
Eher trockenes Verwaltungsrechtsdeutsch erwartet den Leser im zweiten Teil des Buches: Dr. Winfried Rath schreibt über das "Spaghettimonster und Nudelmessehinweisschilder aus juristischer Sicht". Der Verdacht liegt nahe, dass es sich hier um ein Plädoyer handelt, dass Dr. Rath in Frankfurt/O., Brandenburg vortrug oder demnächst in einer höheren Instanz vortragen wird.
Dessen ungeachtet liefert der Autor die juristische Begründung dessen, was Daniela Wakonigg mit eher leichter Feder schrieb. "Nun ist Jura zwar fast immer komplizierter, das ändert aber nichts daran, dass vor dem Gesetz alle gleich sind. Also müsste doch gelten: Was den anerkannten Religionsgemeinschaften zusteht, müsste auch der Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters und ihren Mitgliedern zustehen, wenn sie den Status einer Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft beanspruchen kann. Damit beschäftigen sich seit längerer Zeit Juristen und Gerichte – was auch noch eine Weile dauern wird!"
Im Weiteren wird das gesamte Verwaltungsverfahren – mit all seinen ungerechtfertigten staatlichen Eingriffen – geschildert. An diesem Beispiel, so Rath, läßt sich "exemplarisch aufzeigen, welche Einflussnahmen hinter den Kulissen stattfinden, um, nennen wir es 'Unliebsames', zu verhindern." (siehe auch Artikelliste unten)
Nachdem es der KdFSM erlaubt wurde, Hinweisschilder zur wöchentlichen Nudelmesse aufzustellen, fühlte sich der örtliche Vertreter der katholischen Kirche, in seinen religiösen Gefühle verletzt. Und – schwups – waren die Schilder plötzlich und trotz Zusage nicht mehr zulässig. Seltsamerweise mischten sich in den lokalen Schilderstreit plötzlich auch zwei Landesministerien ein: Das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg sowie das Ministerium für Infrastruktur und Landesplanung. Auf deren Veranlassung hin wurde der KdFSM mitgeteilt, "die Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters sei keine Religionsgemeinschaft, sondern 'eine Parodie auf fundamentalistische Christen in den USA, der es an einer religiösen Überzeugung fehlt'. Das habe das Kulturministerium herausgefunden. Damit falle sie auch nicht unter die Richtlinie zum Aufstellen von Gottesdiensthinweisschildern."
Daraufhin klagte die KdFSM: der Weg durch die Instanzen ist noch nicht beendet. Grundlage für den Rechtsstreit ist – auch wenn das die erste Instanz nicht wahrhaben wollte – die Frage, ob es sich bei der KdFSM um eine Religionsgemeinschaft (oder Weltanschauungsmeinschaft, wie sie sich selbst bezeichnet) handelt oder nicht. Immerhin wurde diese Frage vom Brandenburgischen Oberlandesgericht erörtert; ohne jedoch zu beachten, dass bereits etliche "Theologen und Religionswissenschaftler bestätigen, dass die Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters eine Religionsgemeinschaft ist." Die Privilegien, die für Religionsgemeinschaften gelten, gelten auch für Weltanschauungsgemeinschaften.
"Der Glaube an das Fliegende Spaghettimonster – wie er in Deutschland ausgelegt und praktiziert wird – steht dem evolutionären Humanismus der Giordano-Bruno-Stiftung nah. Das ergibt sich auch aus der Satzung der Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters Deutschland e.V.. Beim evolutionären Humanismus handelt es sich um eine humanistische Weltanschauung."
Wie eine Weltanschauungsgemeinschaft oder Religionsgemeinschaft ihren Glauben lebt, ist allein deren Angelegenheit, in die der Staat sich nicht einmischen darf. Doch genau "gegen diese strengen Maßstäbe verstößt das Land Brandenburg, wenn es der Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters die Eigenschaft einer Religionsgemeinschaft abspricht, indem es nicht auf Inhalte, sondern allein auf die Art und Weise der Religionsausübung abstellt."
Deshalb geht RA Dr. Rath davon aus, dass "die Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters einen Anspruch auf das Aufstellen ihrer Nudelmessehinweisschilder hat, weil sie die öffentlich rechtlichen Voraussetzungen erfüllt, die in der Verwaltungsrichtlinie des Bundes aufgestellt sind, insbesondere weil sie eine Weltanschauungsgemeinschaft ist."
Das Buch ist – gleichgültig, ob man ein Anhänger des Monsters ist oder nicht – sehr lesenswert. Stellt es doch die Frage (und gibt andeutungsweise Antwort) nach dem Recht von Weltanschauungsgemeinschaft- und Religionsgemeinschaften auf Privilegien. Zu denen es unter anderem auch gehört, kostenfrei für Veranstaltungen zu werben.
Michael Schmidt-Salomon, der das Vorwort zum Buch schrieb, ist zuzustimmen, wenn er schreibt: "Ich bin überaus dankbar, dass Daniela Wakonigg und Winfried Rath mit diesem Grundlagenwerk die klaffende Lücke in der theologischen Debatte geschlossen und die Glaubenslehre des FSM einer soliden religionswissenschaftlichen und kirchenrechtlichen Analyse unterzogen haben. Ich verspreche sicherlich nicht zu viel, wenn ich sage: Dieses Buch ist nicht weniger als ein Meilenstein der Nudeligen Theologie, das nicht nur in Deutschland, in Europa und in der UN-Vollversammlung ungeteilte Aufmerksamkeit finden sollte, sondern im gesamten Multiversum!"
Chronologie der Ereignisse:
- Schild(bürger)streit in der Uckermark (03.12.2014)
- "Das grenzt an Prozessbetrug" (08.04.2016)
- Spaghettimonster geht in die Offensive (25.08.2016)
- Kampf um Nudelmessehinweisschilder geht in die nächste Runde (05.07.2017)
- Das Spaghettimonster und die Fakenews (12.07.2017)
- OLG Brandenburg entscheidet gegen Spaghettimonster (02.08.2017)
Siehe auch: Das Fliegende Spaghettimonster: Religion oder Religionsparodie? (Interview mit Daniela Wakonigg)
6 Kommentare
Kommentare
Hans Trutnau am Permanenter Link
Hach - schön!
Habe mich schon immer gefragt, warum es bei uns Sektenbeauftragte gibt, die sich aber nicht um EKD oder RKK kümmern.
Kay Krause am Permanenter Link
Abgesehen von dieser interessanten und ausführlichen Rezension denke ich, dass man es auch kürzer machen kann:
in ihrem staatlich sanktionierten Geisterglauben selbst parodieren, so steht diese staatliche Sanktion natürlicherweise auch jeder anderen Religions- bzw. Weltanschauungsgemeinschaft zu. Gesetze gelten eben nicht nur für etablierte Vereine! Müssen wir für diese einfache Erkenntnis jahrelang Paragraphen wälzen, Anwälte und überlastete Gerichte bemühen?
Roland Weber am Permanenter Link
Man kann es treiben, aber auch übertreiben. Da sich gerade Religionskritiker dieser „Religion“ verschrieben haben, sollte es bei einer Religionsparodie bleiben.
Die Erfindung des Christentums.
Die Flavier und Flavius Josephus machten es tausendfach geschickter. Sie erfanden nach 70 und dem sog. Jüdischen Krieg ein Christentum mit einem friedlichen, steuerzahlenden, aber scheiterndem jüdischen Messias. Genau dieser musste einem römischen Christus und dem Gott-Kaiser-Kult weichen.
Siehe: Joseph Atwill, Das Messias-Rätsel und Roland Weber: Denken statt glauben – Wie das Christentum wirklich entstanden ist.
So geht „echte“ Religion“ - und das eben bis heute.
Jürgen Roth am Permanenter Link
Die rechtlichen Fragen zur Definition von Weltanschauungsgemeinschaft in Abgrenzung zur Religionsgesellschaft sind in der Sache viel zu wichtig, als sie anhand irgendwelcher Satire-Atrappen zu erörtern.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Wie jetzt - FSM = Perle und Richter = Säue? Alles sonst macht eigentlich keinen Sinn.
Dennis Riehle am Permanenter Link
Selbst wenn es sich um eine Parodie handelt, ist es Kunst. Zwar nicht Religion, aber dennoch grundrechtlich schützenswert - wenngleich nicht mit den Rechten einer KdöR. Aber zulässig allemal. Und amüsant ohnehin.