Weil er Platon nicht kennt: Großbritannien schickt verfolgten Humanisten zurück nach Pakistan

Ein halbes Todesurteil

Humanisten werden in Pakistan zum Tode verurteilt oder einfach ermordet. Einer von ihnen hat Asyl in Großbritannien beantragt. Jetzt will das Land ihn loswerden. Weil er Platon und Aristoteles nicht so gut kennt.

"Nenne einen berühmten Belgier!" Mit diesem Spiel hübschten wir dann und wann unsere Studentenpartys auf, damals, als die Welt noch halbwegs vernünftig erschien. Der Effekt war eigentlich immer derselbe. Die Leute verfielen vom einen Moment auf den nächsten in ein intensives Nachdenken, ganz als läge ihnen ein Wort auf der Zunge, das sich aber immer wieder entzog. Ein berühmter Belgier? Hm. Den ganz gewitzten fiel nach einigem Stirnrunzeln noch der klassische Rennradler Eddy Merckx ein, andere kamen, mit etwas Glück, auf Hergé, den Erfinder von Tim und Struppi. Staunen und Lachen waren allgemein, die Belgierfrage ein großer Spaß, und niemals hätten wir uns vorstellen können, dass von einer solchen Frage, in Westeuropa, einmal Leben und Tod abhängen könnten.

Das waren die Neunziger. Damals waren die Unfreiheitssysteme des Ostblocks auseinandergebrochen, man war noch jung genug, an die Errungenschaften unserer angeblich demokratischen Gesellschaftsordnung zu glauben, und religiöses Denken war so weit weg, dass man nicht einmal Witze darüber gemacht hätte, so wie man mit einem Sterbenden keinen Streit mehr anfängt.

Die Welt scheint sich geändert zu haben seitdem. Denn es kann dir passieren, dass innerhalb Europas, im so genannten Westen, dein Leben in Gefahr gerät, wenn du auf eine Belgierfrage keine Antwort weißt. So ist es kürzlich in Großbritannien geschehen. Dort lebt seit 2011 der Pakistani Hamza bin Walayat und wartet auf die Anerkennung seines Asylantrags. Er muss also glaubhaft machen, dass er in seinem Herkunftsland verfolgt wird und an Leib und Leben bedroht ist.

Pakistan scheint als Land dafür wie geschaffen. Man muss halt nur irgendwie erst mal lebend da rauskommen. Hamza bin Walayat stammt aus einem muslimischen Umfeld, wie 96% seiner Landsleute. Irgendwann hat er sich von Glaubensvorstellungen losgesagt. Als Pakistani. In Pakistan ist so genannte Blasphemie strafbar. Man kann sein Leben darüber verlieren. In Pakistan werden Menschen geheimdienstlich entführt, wenn sie sich als Blogger zu einer säkularen Weltsicht bekennen. In Pakistan werden Menschen zum Tode verurteilt, wenn sie in einem Thread angeblich den so genannten Propheten kritisieren. In Pakistan wird jemand, der sich auf Facebook als Humanist bezeichnet, von einem aufgepeitschten Mob ermordet. Wer jetzt nicht so wirklich religiös ist, und wer sich auch nicht durch Prügel dazu überreden lassen mag, an die Liebe und Barmherzigkeit der jeweiligen Gottheit zu glauben, hat in Pakistan ein Problem. Ein gravierendes.

Und auch deswegen fühlt er sich vielleicht eher in Großbritannien wohl. Hat dort einen Asylantrag gestellt. Wird vom Innenministerium als der zuständigen Behörde vorgeladen. Welcher Religion er angehöre. Sagt: Er sei Humanist. Und bekommt darauf seine persönliche Belgierfrage: Nennen Sie einen griechischen Philosophen, der Humanist war!

Nur eben: ganz ohne Spaß. Wo uns jede Sekunde der Belgier-Besinnung eine Erheiterung war, steht hier vielleicht dein Leben auf dem Spiel. Du denkst nach. Oder Hamza bin Walayat denkt nach. Und er weiß keine Antwort. Muss er ja auch nicht. Kann ich nicht Christ sein, ohne christliche Denker aus der Frühzeit zu kennen? Vor allem aber: Ist nicht das Bekenntnis zum Humanismus wesensverschieden von einem religiösen Bekenntnis? Die Religion ist ja um Gottheiten und Quasigottheiten und um deren Vorschriften herumgestrickt. Das Bekenntnis zum Humanismus kommt prinzipiell ohne Vorbeter aus. Es setzt nur auf überzeugende Gedanken. Autoritäten sind nicht nötig, Mythos und Charisma eher verdächtig. "Große Männer" zu kennen, die sich der historischen Entwicklung humanistischen Gedankenguts zurechnen lassen, ist für Bildungsinteressierte sicherlich kein Fehler. Notwendig, um ein gutes Leben zu führen, sind sie natürlich nicht. Humanist kann man sein, ohne jemals etwas vom Humanismus gehört zu haben. Man braucht keinen Erlöser, keine Botschaft, kein Höllenfeuer noch Apokalpyse. Man braucht nur einen klaren Kopf und ein verständiges Herz.

Das ist der Monolog, der Hamza bin Walayat natürlich nicht einfiel in diesem Moment. Er erkannte die Gefahr hinter der Frage und entschuldigte sich ein bisschen. Dann kam der Bescheid: Hamza bin Walayat, der von Morddrohungen aus seinem nächsten Umfeld berichtet, kann locker in Pakistan leben. Einem Land, wie gesagt, in dem du ermordet wirst, wenn du dich auf Facebook "Humanist" nennst. Die Begründung für dieses halbe Todesurteil des britischen Innenministeriums: Der Asylbewerber habe auf Nachfrage weder Platon noch Aristoteles benennen können. Sei mithin kein Humanist. Und ab dafür. Nach Pakistan. Ins Höllenfeuer religiösen Denkens und Empfindens.