Kommentar

Grundproblem Eifersucht: Brandbeschleuniger rechter Propaganda

Heerscharen von Kommentatoren, Politikern und anderen – mehr oder weniger redlich bemühten – Zeitgenossen machen sich einen Reim auf die Zwischenfälle von Chemnitz; oder sie tun wenigstens so. Ist der Osten demokratisch tot? Oder rufen die Menschen aus ihren sächsischen Dörfern um Hilfe, weil sie vor lauter Fremden in ihrer Umgebung den örtlichen Bäcker nicht mehr finden? Noch schlimmer: wenn der Bäcker mangels Kundschaft schließt und dort ein Döner-Laden eröffnet.

Bei Anne Will versuchte die zuständige sächsische Landesministerin, den auf Dauer benachteiligten und auf ewig beleidigten Ossi als solchen zu verstehen und dessen gequälte Seele zu besichtigen. Der will schließlich nur auf der Straße spielen und so auf sich aufmerksam machen. Diese Mental-Pathologie im Stil der 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts wäre ein gutes Motiv für den Seziertisch im Tatort Münster. Jedenfalls hören sich die Schwanengesänge an wie Klagen über misslungene Kindererziehung. Der Dreijährige schreit so lange und heftig, bis er sich der allgemeinen Aufmerksamkeit sicher sein kann. Tatort: Supermarktkasse oder Omas Geburtstag.

Zur Behebung allabendlich visuell erleidbarer Unerträglichkeiten wollen die Gutmeinenden und Allwissenden im Lande den nach rechts geführten Menschen im finsteren Osten wieder mal Sitte und Anstand lehren: Wenn Ihr schon alle Rassisten seid, dann behaltet das wenigstens für Euch; jagt aber bitte bitte keine "Neger" über die Straßen!

Da wird mit Inbrunst die Moralkeule geschwungen und auch der pawlowsche NS-Reflex darf nicht fehlen. Der Feind steht Rechts und so ist dann auch die Rhetorik, in der sich viele Menschen vor Ort nicht wiederfinden. Hauptsache man hat selbst ein gutes Gewissen und ist mit Gleichgesinnten unter sich.

CDU/CSU und noch weiter rechts wiederum lassen sich gerade mal zu einer schlappen Beschwörung des Rechtsstaats herab. Jagdskizzen aus Chemnitz sind dann bedauerliche Einzelfälle. Die Bayern-Führer mit Herrn Söder an der Spitze der Polonaise durch die Bierzelte müssen eh nach jeder Umfrage die Windeln wechseln. Das freut Pampers, macht aber deren Politik unberechenbar wie Donald Trump. Aus blanker Panik vor dem Machtverlust provozieren die CSU-Oberen einmal aus nichtigem Anlass eine Regierungskrise, dann ziehen sie sich in die Wagenburg zurück. Diese Haltung gilt auch für die Sachsen-CDU. Die ist mit dem Fraktionsvorsitzenden an der Spitze inzwischen so weit nach rechts gerückt, dass an der Wand kein Platz mehr ist. Wo soll da die Distanzierung von AfD und Pegida herkommen? Wenigstens bemüht sich der Ministerpräsident, das sollten wir ihm nach wenigen Monaten im Amt zu Gute halten. Seine Vorgänger haben ihm ein desaströses Erbe hinterlassen.

Bundesregierung: Totalausfall

Die Kanzlerin höchst selbst ließ sich in den kritischen Tagen lieber nicht in Chemnitz blicken. Sie weilte in Afrika, um den dortigen Dorftyrannen den Umtausch ihrer missliebigen Landsleute gegen lukrative Handelswaren schmackhaft zu machen. Sonst sind die Chinesen auf der Suche nach seltenen Erden mal wieder schneller.

Der Bundesinnenminister des Innern, Heimat und Selbstzufriedenheit tut so, als gehe ihn das alles nichts an und er stehe über den Dingen. Man kann schließlich nie wissen, ob man eines schönen nahen Tages die AfD nicht doch mal zur Mehrheitsbeschaffung braucht. So bleibt Seehofer im Körbchen.

Die Justizministerin auf der anderen Seite des Koalitionshimmels übt sich in der Kunst, mit lyrisch-empörtem Augenaufschlag die Ungerechtigkeit der AfD zu bejammern und kollektiv Buße einzufordern.

Verantwortliche Bundesminister fordern das allgemeine "Aufstehen", wissen aber nicht, was sie als Verantwortliche tun sollen. Da bietet sich ein Griff in die Mottenkiste der Symbolpolitik an. So kommt dann die gestrenge Beobachtung der bösen Konkurrenz ins Spiel. Als ob es bei den Machenschaften von AfD und Pegida noch ein Erkenntnisproblem gibt, für dessen Behebung ausgerechnet der Verfassungsschutz gebraucht würde.

Nein: Den Herrschaften im Kabinett fehlen Ideen, analytische Präzision und eine auf sorgsamer Diagnose aufgebaute Strategie. Kein Arzt kann auf Grundlage einer Fehldiagnose heilende Therapien entwickeln. In der Politik ist das nicht anders.

Ein Bundesaußenminister, der es nicht einmal schafft, mit Ländern wie Tunesien menschenrechtliche Bedingungen für Abgeschobene auszuhandeln, beschwört die Segnungen der Zivilgesellschaft. Auf die Straße, ihr faulen Couchpotatos! Da sollte Herr Maas besser mit gutem Beispiel vorangehen und endlich seine Arbeit machen.

Eifersucht als Politikum: Schlimmer als im Westen

Jetzt kommt sicher der große Einwand: Der Autor schert Ost und West über einen Kamm! Schließlich ist der Rechtsradikalismus ein internationales Phänomen und auch im Westen weit verbreitet. So müsse Deutschland in trauter Gemeinsamkeit das Problem angehen und die Rechten tragen als göttliche Rache für die begangene Erbsünde. Meine Antwort: Man kann offensichtliche Erkenntnisse wie die besondere Stärke der AfD im Osten so lange aus- und runterdefinieren und differenzieren, bis alles ins seine Bestandteile zerlegt und eigentlich gar nicht mehr vorhanden ist. Man kann es aber nach Belieben drehen und wenden: Die Zustimmung für rechte Politik ist ausweislich der Wahlen und der aktuellen Umfragen in den östlichen Ländern ca. doppelt so hoch wie im Westen.

Es bleibt also bei aller verbreiteten Lust, Probleme unter den Tisch zu schwadronieren, die offene Frage: Warum ist im Osten der Republik die Angst vor Fremden größer als im Westen, obwohl dort weit weniger Zuwanderer bzw. Flüchtlinge leben?

Die Suche nach Gründen kann folglich nicht erst im Jahre 2015 anfangen. Klar ist, dass sich im Osten noch immer viele Menschen als Opfer des Einigungsprozesses und der Globalisierung fühlen. Die Renten liegen noch immer unter West-Niveau. Die alte Ost-Wirtschaft und ihr gesellschaftlicher Anhang wie Vereine etc. sind kollabiert. Manche Windhunde aus dem Westen haben mehr geplündert und fortgeschleppt als (wieder oder neu) aufgebaut. Das alles geschah unter den Augen und oft unter tätiger Mithilfe einer vom Westen geprägten Bürokratie und Politik. Das ist noch lange nicht vergessen, sondern ist Teil eines kollektiven Gedächtnisses.

Derart schlecht behandelt, entstand vielfach auch das Gefühl einer Entwertung der eigenen Biographie. Gerade dieser heikle Punkt lässt sich nicht mit Sozialpolitik (allein) auffangen. Die konkrete Erfahrung oder auch das Gefühl der Benachteiligung und der Vernachlässigung haben gesellschaftspolitisch tiefe Wunden gerissen. Diese Verwundung hängt auch nicht von der persönlichen wirtschaftlichen Situation aktuell ab. Sie hat sich vielerorts als Grundgefühl verselbständigt und wurde so politisch wirkungsmächtig.

Nun kommt aber ein zusätzlicher Effekt ins Spiel, der aus falscher Rücksichtnahme gerne totgeschwiegen wird. Die Rolle als Opfer – oder sich als solches zu fühlen – verführt vielfach Menschen ganz persönlich, aber eben auch im Kollektiv zu einer recht selbstbezogenen Haltung. Wenn schon Opfer, dann auch bitte exklusiv und mit der Forderung nach bevorzugter Rücksichtnahme. Schon Anfang der 90er Jahre gab es Sprüche: "Jetzt gehören wir als (Ost-)Deutsche dazu; Euch, ihr lieben Türken brauchen wir jetzt nicht mehr. Ihr müsst jetzt zurückstehen."

Als Kind wurde mir in meinem südwestfälischen Wohnort immer erzählt, dass die "Zigeuner", die gelegentlich am Ortsrand campierten, alle möglichen staatlichen Zuwendungen bekämen, damit sie so leben wie sie leben. Zahlenmäßig fielen diese Menschen überhaupt nicht ins Gewicht, als Projektionsfläche für Ängste, aber eben auch für Eifersucht eigneten sie sich prächtig. "Die bekommen das Geld, für das ich schwer arbeiten muss", oder: "Mir hilft niemand, wenn es mir schlecht geht – und die bekommen jedwede staatliche Hilfe". Diese Grundmelodie ertönt bis heute und betäubt die Sinne, je weiter östlich umso lauter.

Viele haben lange geglaubt, die nölig artikulierten Benachteiligungstraumata in den Ost-Ländern politisch "links" aufzufangen. Das ist die Lebenslüge der alten SED, die sich über die PDS zur heutigen LINKEN mutierte und sich von der Bluttransfusion der West-Linken neue Lebensenergie versprach. Heute stellt sich heraus, dass die AfD die verbreitete Eifersucht und das Gefühl der Zurücksetzung im Osten besser bedient als die an den Hartz-Reformen festgeklebte LINKE. Hier liegt auch ein (nicht der alleinige!) Erklärungsansatz, warum rechtsradikales Denken in den Ost-Ländern deutlich stärker verankert ist als im Westen. Die autoritär geprägten Erfahrungen aus DDR-Zeiten und die negativen Erfahrungen aus der Zeit nach der Wende haben vielerorts ein politisches Klima hervorgebracht, in dem sich zivilgesellschaftliche Strukturen für Weltoffenheit und Toleranz nicht entfalten konnten, um den zahlenmäßig stärkeren Strukturen aus eigener Kraft Paroli zu bieten.

Eifersucht ist deshalb ein besonders tückischer Nährboden für rechte Propaganda. Sie spielt Menschen als Einzelne oder als Teil von Gruppen gegeneinander aus. Sie ist auch thematisch austauschbar und entsprechend vielseitig verwendbar. Heute sind es die Flüchtlinge, "die Geld kosten, Ressourcen verbrauchen und Straftaten begehen". Vorher waren es Bankenkrise und Griechenlandhilfe mit ihrem Potential zur Aufregung. "Die Banken bekommen unser Geld vorn und hinten reingeschoben und wir müssen sehen wo wir bleiben." Die Beispiele sind in viele Richtungen erweiterbar: Hohe Arbeitslosigkeit, eine als unzureichend empfundene soziale Absicherung sowie die Abwanderung junger Menschen. Pikant ist die Rentenpolitik. In der AfD geraten die wirtschaftsliberalen Freunde individueller Altersvorsorge ins Abseits, während der rechte Flügel unverhohlen mit "Renten nur für Deutsche" wirbt. Auch hier werden die alten Reflexe der Eifersucht mit Raffinesse bedient.

Das rechte Agitationsmuster ist wie eine Blaupause: die armen (ost)deutschen Bürger werden anderen gegenüber benachteiligt, die zu Unrecht vom Staat bessergestellt werden. Kommen dann noch schwere Verletzungen des eigenen Sicherheitsgefühls und die grobe Verletzung sozialer Grundnormen hinzu, kocht die Volksseele wie Erbsensuppe in der Gulaschkanone.

Die Politik sollte in der Lage sein, die Wirkungsmechanismen dieser gesellschaftlichen Tiefenströmungen nicht aus den Augen zu verlieren. Leider macht es aber die Regierungspolitik in Bund und Land AfD und Co Dank grober politischer Fehler allzu leicht. Es wirkt wie eine Bestätigung negativer Vorurteile, wenn islamistische Gefährder und Straftäter allein oder im Clan unbehelligt ihr Unwesen treiben können und die Behörden hilflos auf junge "Männer" reagieren, die nach eigenen Angaben noch keine 14 Jahre alt sind.

Markante Wertungswidersprüche – gerade auch im sozialen Bereich – wirken dann wie Brandbeschleuniger, die Städte wie Chemnitz zumindest zeitweise außer Kontrolle geraten lassen. Hier ist die Analyse von Frau Wagenknecht durchaus nicht falsch, wenn sie mit ihrer "Bewegung" den auf naiv-multikulti getrimmten Mainstream ihres Parteivorstands aushebeln will.

Eifersucht: Das in der Politik vernachlässigte Gift

Schon die klassischen Philosophen wussten ein Klagelied zu singen von der menschlichen Eifersucht und ihrer privat wie öffentlich üblen Wirkungen. "Man soll niemanden beneiden. Denn die Guten verdienen den Neid nicht und die Schlechten schaden sich selber um so mehr, je mehr sie Glück haben." So schon Epikur von Samos (341–271 v. Chr.). Noch deutlicher wurde Plutarch, der in seinen Anmerkungen zur "Bruderliebe" die zersetzende Wirkung von Neid und Eifersucht geißelt.

"Eifersucht ist wie ein Gift", so die Frankfurter Psychologin Christine Backhaus im Spiegel. Sie ist häufig Ausdruck eines eher geringen Selbstwertgefühls. Das lässt sich auch auf Personengruppen übertragen, die sich zu Recht oder zu Unrecht abgehängt fühlen. Die lassen sich allzu gerne verführen, wenn ihnen jemand die Lücken im Selbstwertgefühl mit der Verachtung gegenüber "Fremden" auffüllt.

Wer Politik macht, sollte die menschlichen Stärken und Schwächen kennen. Wir Menschen sind nicht nur gut oder böse, wir handeln auch nicht immer uneigennützig, das wusste schon der Aufklärer Kant. Es bringt politisch nichts, moralisch mit ausgestrecktem Zeigefinger auf die Niederungen menschlicher Triebe zu zeigen, sich dann abzuwenden und Trost bei Gleichgesinnten zu suchen.

Eifersucht macht sich vorzugsweise im dichten Unterholz von verlorenem Vertrauen breit. Vertrauen zu gewinnen ist ein äußerst mühseliger und anstrengender Prozess. Die jüngsten Diskussionsveranstaltungen des sächsischen Ministerpräsidenten im Land verdienen Respekt und Anerkennung. Kommunikation allein wird aber nicht reichen, solange die Politik stärker auf die Beseitigung der angesprochenen und vielen anderen Wertungswidersprüchen in ihrem Handeln achtet und versucht, diese zu beseitigen. Da, wo Politik an Grenzen des Machbaren stößt, hilft das elende Schönreden nichts. Da hilft nur die offene und ehrliche Kommunikation. Offenheit und ehrliche Eingeständnisse sind auch ein wichtiger Dienst an der Demokratie. Gerade die Einbindung von Menschen – auch mit problematischen Positionen – wirkt gegen das verbreitete Gefühl, in der Demokratie nicht gefragt zu werden.

Im Übrigen sehen die meisten Menschen das Eingeständnis von Fehlern und Unzulänglichkeiten eher nach, als das Beharren stets schon immer und in alle Ewigkeit Recht zu haben.

Überfällig ist aber auch ein gesamtgesellschaftlicher Diskurs über Notwendigkeit und Grenzen der nationalen Gottheit "Gleichheitsprinzip". Sie ist oftmals die Zwillingsschwester des Heiligen Florian, der bitteschön das eigene Haus verschonen und lieber die Behausung des Nachbarn in Brand setzen soll. Gleichheit verbietet zu Recht staatliche Willkür, sollte sich aber vor der Illusion hüten, die Beseitigung gesellschaftlicher Unterschiede zu versprechen. Wer falsche Erwartungen weckt, wird dafür bitter abgestraft.