Ernst Peter Fischer spricht über das verbotene Wissen

Und man erfährt es doch

Menschen können nicht nicht wissen wollen – sie streben stets nach Erkenntnis, sie fragen und werden von ihrer Neugier getrieben. Ebendieser Drang katapultierte Adam und Eva laut Bibel aus dem Paradies. Und ohne jenen Wissensdurst hätte niemand die Atombombe entwickelt.

Gibt es also Wissen, das dem Menschen besser verborgen bleiben sollte?

"Wären alle Geheimnisse gelüftet, dann würden wir uns schrecklich langweilen."

Ernst Peter Fischer steht im Scheinwerferlicht und lächelt spitzbübisch. Er sieht aus, wie man sich einen Professor vorstellt: weißer Bart, Brille und Fliege. Auf dem Pult liegen ein paar Blätter, doch der vielfach ausgezeichnete Physiker, Biologe und Wissenschaftshistoriker spricht frei.

Über sechzig (sic!) Bücher sind mittlerweile von ihm erschienen, darunter der ein oder andere Bestseller. Und Fischer mag die Provokation. "Deshalb bin ich heute hier", erklärt er dem Düsseldorfer Publikum, "ich möchte mit Ihnen über meine Thesen diskutieren."

Das Verbot der Lust

Und man erfährt es doch – so lautet der Arbeitstitel seines Manuskripts, das mal ein Buch werden soll, und aus dem Fischer in Düsseldorf erzählt.

"Am Anfang war das Verbot", beginnt er seinen Vortrag. Wir alle kennen die Story: Gott verurteilte Adam und Eva zu ewiger Fadheit, indem er ihnen die Erkenntnis verweigerte. Was uns die Herren auf der Kanzel allerdings nicht verraten, ist die Tatsache, dass ebenjenes Verbot das Beste war, was Adam und Eva passieren konnte.

"Denn was verboten ist, das macht uns gerade scharf." So sang es schon Wolf Biermann – nicht ganz so alt wie die biblischen Paradiesvögel, aber immerhin ein Querkopf. Und was genau hat der Himmelsfürst eigentlich verboten?

Fischer ist sich sicher: "Gott untersagte Adam und Eva die Sexualität. Denn auf dem Höhepunkt der Lust, vergisst der Mensch Gott."

Das ist ein schöner Satz und er lässt vermuten, dass ein Verbot zwangsläufig zu mehr Wissen führt, ob nun in der Bibel, in Grimms Märchen oder im Hier und Jetzt. Aber ist diese These tatsächlich verifizierbar? Und hätte es im Laufe der Geschichte eine reelle Chance gegeben, die Entwicklung aufzuhalten, um die Atombombe zu verhindern?

Immerhin sind da auch Dinge, die wir nicht wissen können, oder zumindest nicht gescheit greifen. Was meinen wir faktisch, wenn wir von Energie sprechen? Die dunkle Energie? Die kriminelle Energie? Energie Cottbus? Und manche Fragen möchten wir vielleicht gar nicht erst stellen müssen. Wer will schon unbedingt herausfinden, wann er sterben wird?

Und dennoch drängt es uns Menschen zum Wissen. Insbesondere das verbotene Wissen zieht uns an wie der Kuchen die Wespen, sogar wenn Unheil droht.

Foto: © David Müller-Rico

Foto: © David Müller-Rico


Die Gedanken sind frei

"Sie können manche Dinge nicht stoppen", konstatiert Fischer. Der erste Roman über die Atombombe wurde verfasst, lange bevor die Atombombe entwickelt wurde. Und bereits 1913 fanatisierte ein englischer Dichter darüber, wie eine solche Bombe sein verhasstes London zerstören könnte. Doch derlei Einfälle waren nichts weiter als Gedankenspielerei, harmlose Kopfgeburten.

"Mein Wunsch und Begehren / Kann Niemand mir wehren / Wer weiß, was es sei? / Die Gedanken sind frei.", heißt es in einem Volkslied aus dem 19. Jahrhundert.

Fischer fügt noch einen Vers des Lyrikers Eugen Roth hinzu: "Den Teufel tut man nie erwischen, er steckt von Anfang an dazwischen."

Will heißen, manche Entwicklungen lassen sich nicht verhindern, sie führen automatisch zu Wissen. Auch zu Einblicken, die besser verborgen blieben.

"Menschen sind neugierig.", wiederholt der Professor und nimmt einen Schluck aus seinem Wasserglas.

Und doch folgt nach jeder Phase der Erkenntnis scheinbar eine Hinwendung zur Sagen- und Mythenwelt, zum Kitsch und zur Poesie, behauptet Fischer. Eine These, die er in Düsseldorf zur Diskussion stellt.

"Nach Newtons Licht kommt Hoffmanns Nacht", konkretisiert er, "die Aufklärung hat nichts anderes hervorgebracht als die Romantik."

Ein Murmeln geht durch den Saal. Fischer lächelt. "Romantik ist die Idee, dass der Mensch nicht berechenbar ist. Dass er sich selbst immer wieder neu erfinden muss", fährt er fort und ergänzt: "Hätten wir alles in der Welt restlos aufgeklärt, wäre der Zauber dahin. Wir wollen Zauberlehrlinge sein. Wir wollen lernen."

Und so kritisiert Fischer Suchmaschinen wie Google und Netzwerke wie Facebook; schütten sie uns doch mit Daten zu, die häufig ohne wirklichen Mehrwert daherkommen.

"Ich denke, man braucht Ehrgeiz und Anstrengung, um Wissen zu erlangen. Google macht faul.", betont Fischer und fragt weiter, ob es richtig sei, dass viele Leute per Handy alles Private in der Öffentlichkeit ausbreiten und ihren Mitmenschen damit das schöne Empfinden für das Geheimnisvolle nehmen?

Das Düsseldorfer Publikum ist sich uneins. Manche klatschen, andere schütteln den Kopf. Und Fischer formuliert eine provokante These: Könnte es sein, dass wir aufgrund von Datenflut und Digitalisierung in ein neues Zeitalter der Romantik eintreten? Weil sich unzählige Menschen überfordert fühlen, überreizt von der Welt da draußen und lieber ihrer inneren Stimme vertrauen, anstatt sich auf Fakten zu berufen? Sich in Esoterik verlieren, Bestellungen ans Universum schicken oder ihre Balkone bepflanzen? Und wenn wir tatsächlich in eine Neoromantik schlittern, wäre das schlimm? Und steckt in der Romantik nicht auch Lebensfreude und Bewegung?

Das sind interessante Fragen, die eine gründlichere Untersuchung erfordern und denen sich der Professor in seinem neuen Buch widmen wird.

Foto: © David Müller-Rico

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Keine Lösung

Ein wichtiger Punkt, der unbedingt diskutiert werden muss, ist die Ethik. Denn dürfen wir verbotenes Wissen überhaupt verwenden?

Beruht die Pockenimpfung doch auf einer gravierenden Menschenrechtsverletzung, weil ein britischer Arzt 1796 dem achtjährigen Sohn seines Gärtners die Erreger ungefragt gespritzt hatte. Auch die japanischen Experimente während des Zweiten Weltkriegs, wie die künstliche Erzeugung von Gasbrand durch Splitterbomben an rund 3.000 Kriegsgefangenen, waren zutiefst verbrecherisch. Was machen wir damit? Wie gehen wir mit Erkenntnissen um, die sich Josef Mengele durch Menschenversuche in Auschwitz erfoltert hat? In den USA wurden noch in den 1970er Jahren Infektionsversuche an Häftlingen durchgeführt. Sollten wir die Akten vernichten und die daraus gewonnenen Erfahrungen vergessen? Und was ist mit den Millionen Tieren, die jeden Tag elendig verrecken, weil Forscher sie als Testobjekte missbrauchen? Was tun mit all dem verbotenen Wissen?

"Ich bin da hilflos", gibt Fischer zu, "ich habe keine wirklich gute Antwort darauf. Aber ich fordere von den Ethikkommissionen nicht nur den erigierten Zeigefinger, ich fordere von Ihnen Lösungen!"

Viele Düsseldorfer applaudieren, einige runzeln die Stirn, andere sind unentschlossen – doch eins scheint gewiss: Sie alle tragen Diskussionsstoff mit nach Hause und das kann niemals schlecht sein.