100 Jahre Frauenwahlrecht

Heute vor 100 Jahren wurde in Deutschland das Wahlrecht für Frauen gesetzlich verankert. Der Einführung des Frauenwahlrechts war weltweit ein langer Kampf vorausgegangen. Ein noch längerer für die Gleichberechtigung sollte folgen. Und verdächtig oft spielte – und spielt – in all diesen Kämpfen um Frauenrechte der weibliche Unterleib eine wichtige Rolle.

"Als ich das Unterhaus zum ersten Mal betrat, war es, als würde ich in einen Herrenclub eindringen. Offen gesprochen konnte ich mir kaum etwas weniger Vergnügliches vorstellen, als meine Zeit mit sechshundert Männern zu verbringen, von denen mich dort keiner wollte. Natürlich waren sie alle für Gleichberechtigung. Theoretisch! Aber eine Frau in ihrem Club – das ging zu weit."

So berichtet Nancy Astor von ihren Erfahrungen als erste Frau im britischen Parlament. Als sie 1919 dort einzog, begegneten ihr die männlichen Abgeordneten mit eisigem Schweigen. Durch dieses Verhalten habe man sie und alle Frauen, die den Gang in die Politik anstrebten, herausekeln wollen, gesteht ihr später einer der damals anwesenden Parlamentarier: Winston Churchill. Der Grund für das Mobbing war vor allem ein emotionaler, wie Churchill bildreich zugab:

"Als Sie das Unterhaus betraten, fühlte ich mich, als wäre eine Frau in mein Badezimmer gekommen und ich hätte nichts außer einem Schwamm, um mich zu bedecken."

Zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts war das Frauenwahlrecht in Europa nicht mehr aufzuhalten. Den Anfang machte 1906 Finnland, in den Jahren darauf folgten Norwegen, Dänemark und die Niederlande. Großbritannien führte das Wahlrecht für Frauen im Februar 1918 ein. Einige Monate später folgte zunächst Österreich und kurz darauf Deutschland. Am 30. November 1918 wurde in Deutschland das Wahlrecht für Frauen gesetzlich verankert und so konnten Frauen bei der Wahl zur Deutschen Nationalversammlung am 19. Januar 1919 erstmals ihr Wahlrecht nutzen.

Leicht war es für die Frauen nicht, sich dieses grundlegende demokratische Recht zu erkämpfen. Denn die Forderung nach politischer Partizipation, gesetzlicher Gleichberechtigung und gesellschaftlicher Gleichstellung von Frauen ließ Männer ganz offensichtlich erzittern. Kein Wunder, bedeutete der Gewinn dieser Rechte für Frauen doch auch – wenn auch nicht nur – den Verlust von Privilegien und Annehmlichkeiten für Männer. Sie wehrten sich mit Gewalt, Verachtung, Totschweigen, Gelächter oder Verächtlichmachung gegen die aufbegehrenden Frauen – kurzum: mit jenen Strategien, die auch heute noch gern von Ewiggestrigen angewendet werden, wenn es um Dinge wie Gleichberechtigung, Emanzipation oder Feminismus geht.

Sucht man nach einem roten Faden, der die Kämpfe der Frauen um ihre Rechte verbindet, so wird man schnell an einer erstaunlichen Stelle fündig: Irgendwie ging es bei diesen Kämpfen immer auch um den weiblichen Unterleib – und die Versuche von Männern und männlichen Gesetzgebern, diesen der Kontrolle durch ihre Besitzerinnen zu entziehen.

Die Suffragetten-Bewegung, die in Europa den Kampf um das Frauenwahlrecht maßgeblich prägte, wäre vielleicht nie entstanden, hätten nicht die durchweg männlichen Politiker des britischen Parlaments in den 1860er Jahren die sogenannten Contagious Diseases Acts erlassen. Darin wurde unter anderem geregelt, dass sich Prostituierte zur Verhütung von Geschlechtskrankheiten Zwanguntersuchungen zu unterziehen hatten. Eine Maßnahme, die dazu dienen sollte, den Unterleib von Prostituierten in Hinblick auf die männliche Nutzung desselben möglichst keimfrei zu halten. Eine Zwangsuntersuchung von männlichen Freiern, die die Geschlechtskrankheiten übertrugen, sahen die Gesetze freilich nicht vor. Diese Gesetzgebung wurde von vielen Frauen als ungerecht empfunden. Sie organisierten sich, protestierten und erreichten tatsächlich, dass die entsprechenden Gesetze außer Kraft gesetzt wurden. Von diesem Erfolg animiert, begannen die Frauen in Großbritannien, sich auch für ihr aktives und passives Wahlrecht einzusetzen, um so grundsätzlichen Einfluss auf politische Entscheidungen ausüben zu können. Die Suffragetten-Bewegung entstand.

Je mehr die Frauen jedoch zu dieser Zeit die Frechheit besaßen, über ihren eigenen Körper und ihr eigenes Leben bestimmen zu wollen, desto massiver war die männliche Gegenwehr. Als Ende des 19. Jahrhunderts neue Verhütungsmethoden aufkamen, hatten Frauen auf einmal die Möglichkeit, eigenständig darüber zu entscheiden, ob sie schwanger wurden und wie viele Kinder sie zur Welt brachten. Um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert zeichnete sich im Deutschen Reich tatsächlich ein Einbruch der Geburtenzahlen ab. Eine für den männlichen Teil der Bevölkerung zutiefst verstörende Entwicklung, ja sogar der Begriff "drohender Volkstod" machte die Runde. "Ein Gespenst geht um in Europa: das Gespenst des Gebärstreiks. Alle Mächte des alten Europa haben sich zu einer heiligen Hetzjagd gegen das Gespenst verbündet, der Papst und der Kaiser, (…) französische Imperialisten und deutsche Fortschrittler". So beschrieb damals der sozialdemokratische Publizist Ludwig Quessel die Panik, die über alle Parteigrenzen hinweg die Männer angesichts einer solchen Selbstermächtigung der Frauen erfasste.

Die damals noch rein männliche Politik reagierte umgehend. Seit 1871 stellte § 218 des deutschen Reichsstrafgesetzbuches bereits Abtreibungen unter Strafe. Im Jahr 1900 folgte eine Ergänzung des "Unzuchtparagrafen" § 184, welche die Herstellung und Bewerbung von Verhütungsmitteln ebenso wie die bloße Information über Verhütungsmittel unter Strafe stellte, da selbige als "unzüchtige Gegenstände" bzw. "unzüchtige Schriften" galten. Getroffen wurden hierdurch gezielt die Frauen, denen auf diese Weise ein wichtiges Stück Autonomie wieder entzogen werden sollte.

Wer hier Parallelen sieht zur aktuellen Diskussion um § 219a StGB, der sieht völlig richtig. Der Paragraf, der übrigens auf Neuerungen im Strafgesetzbuch während der Nazi-Zeit zurückgeht, stellt nicht nur Werbung für Schwangerschaftsabbrüche unter Strafe, er verbietet nach aktueller Auffassung der Gerichte auch die bloße ärztliche Information über Methoden des Schwangerschaftsabbruchs. Religiös-konservative Hardliner haben in jüngerer Vergangenheit auf Grundlage dieses Paragrafen mehrere FrauenärztInnen angezeigt, die lediglich Sachinformationen zum Schwangerschaftsabbruch auf ihren Webseiten anboten.

Überhaupt fühlt sich gerade vieles nach einem Rückschritt in punkto Frauenrechte an. Über Jahrzehnte haben Frauen für straffreie Möglichkeiten des Schwangerschaftsabbruchs gekämpft und damit für die Selbstbestimmung über ihren Körper. Heute sorgen konservative und religiöse Kreise in mehr und mehr Ländern der Welt dafür, dass die Möglichkeiten, straffrei Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen, verringert oder ganz abgeschafft werden. Doch solange Gesetzgeber Frauen gegen ihren Willen dazu zwingen, ein Kind auszutragen, inklusive aller Schmerzen und potentiellen Gefahren, die damit verbunden sind, solange wird eine wahre Gleichheit der Geschlechter vor dem Gesetz niemals vorhanden sein.

Aber zurück zum Frauenwahlrecht. Der schleichende gesellschaftliche Backlash in punkto Gleichstellung der Geschlechter scheint inzwischen auch das Deutsche Parlament erreicht zu haben. Wesentlich weniger Frauen als Männer machen von ihrem passiven Wahlrecht Gebrauch. Sie stellen nur rund ein Drittel der Abgeordneten des Deutschen Bundestags. Zwar hat sich der Anteil der Frauen im deutschen Parlament über die Jahrzehnte kontinuierlich erhöht, doch in der aktuellen Legislaturperiode fiel er wieder ab.

Lag er im Bundestag 2013–2017 noch bei 36,5 Prozent, so beträgt er aktuell 30,9 Prozent – und ist damit auf einem so niedrigen Stand, wie wir ihn zuletzt vor 20 Jahren hatten. Interessant ist hierbei, dass der Frauenanteil an den Abgeordneten der jeweiligen Parteien bzw. Fraktionen umso geringer ist, je konservativer die Partei ist: Bündnis 90/Die Grünen: 58,2 % – Linke: 53,6 % – SPD: 41,8 % – FDP: 22,5 % – CDU/CSU: 19,9 % – AfD: 10,8 %.

Warum sich Frauen bis ins Jahr 2018 in der Politik grundsätzlich seltener engagieren als Männer, das ist eine Frage, deren Antwort sicherlich höchst komplex sein dürfte. Doch kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass auch hier wieder der weibliche Unterleib eine Rolle spielen könnte. Konkreter: die Produkte desselben. Noch immer übernehmen Frauen in Deutschland heute den Großteil der sogenannten Familienarbeit. Sprich: In den allermeisten Fällen sind sie es, die beruflich zurückstecken, die die Kinder erziehen und den Haushalt schmeißen. Wer aber ein Kleinkind zu versorgen hat, der kann schlecht vier Jahre lang die Familienarbeit zurückstellen, um einen Sitz im Parlament einzunehmen.

Deshalb sei bei aller berechtigten Freude über den heutigen Jahrestag der Einführung des Frauenwahlrechts deutlich gesagt: Es bleibt noch viel zu tun!