Einige Anmerkungen zum nichtöffentlichen Teil der deutschen Islamkonferenz

Der Islam, eine ganz normale Religion?

Über den öffentlichen Teil der deutschen Islamkonferenz war in der Presse viel zu lesen. Für das Verständnis des Islam in Deutschland aber interessanter war der nichtöffentliche Teil dieser Konferenz, in dem die Vertreter ganz unterschiedlicher muslimischer Organisationen miteinander über die Themen "Integrationsförderung vor Ort", die "Imamausbildung in Deutschland" und "Muslime in Deutschland – deutsche Muslime" diskutierten.

Wie in jeder religiösen oder weltanschaulichen Gemeinschaft gab es auch hier zu allen Themen unterschiedliche Meinungen und Positionen, stritten die Vertreter unterschiedlicher, konservativerer oder liberalerer Auffassungen des Islam mehr oder minder heftig miteinander. Was aber derzeit und in absehbarer Zeit besonders an diesen Debatten um unterschiedliche Auffassungen des Islam ist, besteht darin, dass diese Debatten überlagert sind von der Frage der gesellschaftlichen Integration der deutschen Einwanderungsgesellschaft.

Während die erste Generation der Migranten in Deutschland sich als z. B. als türkische, jugoslawische, marokkanische Muslime verstanden, versteht sich die heute hier lebende zweite, dritte oder auch bereits vierte Generation der Migranten als Muslime in Deutschland als deutsche Muslime. Was dies aber genau heißt, ist nicht völlig klar und wird auch unterschiedlich gesehen.

Am einfachsten stellt sich dies noch dar, wenn man auf die Arbeit der muslimischen Vereine – einschließlich der Moscheegemeinden – schaut, die als Teil der deutschen Zivilgesellschaft eine religiöse, aber auch in großem Umfang integrative, soziale und pädagogische Aktivität für ihre Mitglieder und ihr soziales Umfeld entfalten, nicht anders als christliche Gemeinden oder humanistische Verbände dies auch tun.

Wenn man aber auf Fragen der religiösen Ausrichtung schaut, stellen sich Probleme. Geht bei der Übersetzung der religiösen Schriften ins Deutsche nicht ein religiöser Gehalt verloren? Muss andererseits die islamische Religion nicht die Lebenswirklichkeit in Deutschland aufnehmen, um die hier lebenden, insbesondere jungen Muslime erreichen zu können? Müssen alle islamischen Strömungen den Menschenrechtskanon, der in Deutschland die Basis unseres Zusammenlebens ist, für sich eins zu eins übernehmen? Ist eine Unterstützung muslimischer Gemeinden aus dem Ausland, insbesondere der Türkei, ein Integrationshindernis? Wie kann man die Ausbildung und Anstellung von Imamen in Deutschland ohne Zuschüsse aus dem Ausland finanzieren? All diese Fragen wurden diskutiert.

Besonders um die Frage des Verhältnisses konservativer muslimischer Positionen zu den in Deutschland geltenden Rechten der Homosexuellen und Frauen gab es unter den Teilnehmern der Konferenz Streit. Hier wurde gefordert, dass die Muslime die in Deutschland geltenden Menschenrechte auch in ihrer Religion anerkennen müssen. Diese Forderung aber – so sympathisch sie ist – verkennt das Verhältnis der Religionen zum säkularen Staat.

Die Grünen-Politikerin Bettina Jarasch, gläubige Katholikin und Mitglied im Zentralkomitee der Katholiken hat auf der Abschlussveranstaltung der säkularen Woche in Berlin (vgl. den Bericht auf dem hpd) gesagt, dass sie froh sei, in einem säkularen Staat zu leben, weil der es ihr ermögliche, als Frau all die Rechte wahrzunehmen, die ihr ihre Religion nicht gewähren würde.

Diese Aussage trifft meines Erachtens das Verhältnis von Religionen/Weltanschauungen und säkularem Staat sehr gut. Der säkulare Staat mit den Menschenrechten und seiner demokratischen Verfassung ist die Basis, auf der unterschiedliche, mit ihrem Normen- und Wertekanon davon abweichende Religionen und Weltanschauungen in unserer Gesellschaft zusammenleben. Diese Basis müssen alle akzeptieren. Es ist die Basis, auf der die unterschiedlichen Religionen und Weltanschauungen überhaupt erst ihre zivilgesellschaftliche Existenzberechtigung erhalten. Aber dieses Akzeptieren bedeutet nicht, dass alle Religionen und Weltanschauungen alle Normen und Werte dieser Gesellschaft für die eigenen Gemeinschaften übernehmen müssten. Wenn die katholische Kirche oder konservative muslimische Gruppen z. B. Homosexualität und die Gleichberechtigung der Frau ablehnen, dann muss man das in einem zivilgesellschaftlichen Dialog von außen kritisieren, aber es ist das Recht der religiösen Gemeinschaft, dies intern anders zu handhaben. Jedoch muss akzeptiert werden, dass in der Gesellschaft für alle – auch für die eigenen Mitglieder – eine andere Regel gilt – und im übrigen ist niemand gezwungen, in einer konservativen Religion zu bleiben.

Auch die Frage, ob es einen deutschen Islam oder einen Islam in Deutschland gibt, hängt nicht daran, dass alle muslimischen Strömungen für sich alle Menschenrechte akzeptieren. Wollte man das anders sehen, gäbe es auch kein Christentum in Deutschland. Insofern ist der Islam eine ganz normale Religion wie die anderen Religionen, die es in Deutschland gibt. Aber eine Religion, die gerade erst dabei ist, ihren Ort in unserer Gesellschaft zu finden, einen Ort, den ihr unsere Gesellschaft auch gewähren muss.

Keinen Ort in unserer Gesellschaft gibt es natürlich für islamistische, gewalttätige Positionen. Aber diese haben mit dem normalen muslimischen Leben in Deutschland auch nichts zu tun.

So sinnvoll eine solche Konferenz ist, so hat sie doch ihre Grenzen. Auch diese wurden angesprochen. Es gibt unter den Muslimen in Deutschland starke Säkularisierungstendenzen, nicht anders als unter den Christen. Nur kann man dies, da es für die Muslime mangels eines formalen Eintritts auch keine formalen Austrittszahlen gibt, nicht statistisch genau erfassen. Es bleibt aber die Frage, für wen die Vertreter größerer muslimischer Organisationen genau sprechen. Bei den kleinen Vereinen vor Ort kann man dies klar bestimmen. Bei Dachverbänden ist dies aber unklar. Daher war es gut, dass auf dieser vierten Islamkonferenz nicht nur Vertreter der großen Verbände, sondern viele Vertreter kleiner Initiativen eingeladen waren.

Ein innerislamischer Dialog, so wichtig er für die Muslime untereinander auch sein mag, reicht für die gesellschaftliche Integration aller Religionen und Weltanschauungen aber nicht aus. Daher wurde gefordert, Formate zu finden, in denen ein interreligiöser Dialog und auch ein Dialog der Religionen mit den Weltanschauungen stattfindet. Es wird abzuwarten sein, inwieweit dies auf Bundesebene umgesetzt wird und die Debatten über gesellschaftliche Integration und über die Werte und Normen unserer Gesellschaft nicht immer nur mit Religionen geführt werden, sondern auch mit den Weltanschauungen. Dass es daran immer noch mangelt, ist allerdings nicht die Schuld des Islam.