Offener Brief an Marx fordert Reformen in der katholischen Kirche

Neun Katholiken haben einen offenen Brief an den Münchner Kardinal verfasst, in dem sie "mutige Reformen" fordern. Das Schreiben findet Unterstützung bei katholischen Politikern und Laien. Ende Februar hat der Vatikan ein Krisentreffen zum Missbrauchsskandal anberaumt.

"Stellen Sie den Diözesanpriestern die Wahl ihrer Lebensform frei, damit der Zölibat wieder glaubwürdig auf das Himmelreich verweisen kann", heißt es unter anderem in dem Schriftstück an den Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, das von neun Personen unterzeichnet wurde und das die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) in ihrer Sonntagsausgabe veröffentlichte. Darunter sind – für katholische Verhältnisse – progressive Geister wie der Rektor der Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt, Ansgar Wucherpfennig, der nur wegen Protesten anderer Geistlicher noch im Amt ist. Eigentlich wollte die vatikanische Bildungskongregation ihm wegen zu fortschrittlicher Positionen eine weitere Amtszeit verweigern. Auch der Jesuit Klaus Mertes, ehemaliger Rektor des Canisius-Kollegs in Berlin, der seinerzeit Missbrauchsfälle an die Öffentlichkeit brachte, gehört zu den Unterstützern, Stadtdekan Johannes zu Eltz, ein Kritiker des früheren Limburger Bischofs Tebartz van Elst, hat ebenfalls unterschrieben.

Weitere Forderungen an Kardinal Marx sind, die "Überhöhungen des Weiheamtes" abzubauen und es für Frauen zu öffnen. Und: "Binden Sie sich selbst durch echte Gewaltenteilung – das passt besser zur Demut Christi und in den Rahmen der für alle geltenden Gesetze." Es klingt gar nach Existenzangst, wenn dort zu lesen ist: "Die aktiven Katholiken in Deutschland tragen in ihrer großen Mehrheit die vormoderne Ordnung der Kirche nicht mehr mit. Sie ertragen sie nur noch. Und jedes Jahr sind es Zigtausende, die die Last abwerfen und austreten." Dazu kommt der Wunsch nach einem "Neustart" in der Sexualmoral. Sexuelle Tabus blockierten "notwendige Klärungs- und Reifungsprozesse", während Menschen aus Risikogruppen angezogen würden. Auch eine "verständige und gerechte Bewertung von Homosexualität" sei nötig. "Schlagen Sie eine neue Seite auf, schreiben Sie '2019' darüber, und fangen Sie an", schreiben die katholischen Reformwilligen entschlossen an Marx.

Bei der anstehenden Konferenz der Vorsitzenden aller weltweiten Bischofskonferenzen im Vatikan Ende des Monats, bei der es vor allem um den Missbrauchsskandal gehen soll, soll der Kardinal aus München die "systemischen Gründe" ansprechen, die die Taten an Minderjährigen in der katholischen Kirche begünstigen, wie die Missbrauchsstudie klar machte. Menschen dürften nicht "in der Kirche den guten Hirten suchen und dabei unter die Wölfe kommen".

Mittlerweile hat sich der katholische Unterstützerkreis für die Reformforderungen ausgeweitet. Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) und der ehemalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse wenden sich in einem gemeinsamen Gastbeitrag für die Zeit an die deutschen Bischöfe im Allgemeinen und Reinhard Marx im Besonderen: "Wenn ein Fundament Risse bekommt, kann man das Haus nicht mit Reparaturen an der Fassade retten, sondern muss die Grundfesten erneuern. Deshalb unterstütze ich aus vollem Herzen den Aufruf an die deutschen Bischöfe", appelliert Grütters. "Schluss mit Vertuschungen, personelle Konsequenzen, Übergabe von Missbrauchsfällen an die staatliche Justiz, echte Gewaltenteilung auch in der Kirche, also unabhängige Gerichtsbarkeit. All das sollte so bald wie möglich eine Selbstverständlichkeit sein, all das sollte öffentlich sichtbar werden – um der Glaubwürdigkeit der Kirche willen!", schreibt Thierse. Die Kirchen müssten "der Gesellschaft endlich ein positives und nicht wie bisher ein negatives Beispiel geben", dafür müsse das "klerikale Sonderbewusstsein" weg.

Die Laienbewegung Wir sind Kirche unterstützt die Reformforderungen an die Bischöfe mit einer Onlinepetition, die innerhalb von fünf Tagen bereits 1.500 Personen unterzeichneten.

Auf der anderen Seite kritisiert das Forum Deutscher Katholiken, ein Zusammenschluss aus "papst- und kirchentreuen" Gläubigen, den offenen Brief. Die Verfasser würden die Missbrauchsfälle für ihre eigenen Ziele instrumentalisieren. Besser sei es, gemäß dem Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer, Glaubwürdigkeit "im Gehorsam gegenüber Gottes Wort" zurückzugewinnen und verstärkt auf Katechese und Verkündigung zu setzen, berichtet katholisch.de. Vom Kardinal selbst gibt es keine Erwiderung. Offene Briefe kommentiere man generell nicht, sagte ein Sprecher des Erzbistums München-Freising dem hpd.