Interview

Die SPD sollte ihr säkulares Erbe nicht vergessen

Die SPD weigert sich, einen offiziellen Arbeitskreis säkularer Parteimitglieder in den Reihen der Partei zuzulassen. Offizielle Arbeitskreise für Parteimitglieder christlichen oder muslimischen Glaubens gibt es dagegen in der SPD. hpd-Redakteurin Daniela Wakonigg sprach hierüber mit Adrian Gillmann, Religionswissenschaftler und einer der Vorsitzenden des aktuell inoffiziellen "Sprecherkreises der Säkularen SozialdemokratInnen".

hpd: Herr Gillmann, zusammen mit Lale Akgün sind Sie einer von zwei Vorsitzenden des "Sprecherkreises der Säkularen SozialdemokratInnen", dabei dürfte sich Ihre Gruppe nach dem Willen der SPD-Führungsspitze eigentlich nicht mal so nennen. Was ist da los?

Adrian Gillmann: Wir alle sind Mitglieder der SPD und als solches Säkulare Sozialdemokrat_innen. Dass die SPD ihre Markenrechte verteidigt, verstehen wir und haben deshalb schon seit 2015, als wir noch als LaizistInnen aktiv waren, jegliches "in der SPD" vermieden sowie geben immer zu erkennen, dass wir die offizielle parteiliche Anerkennung anstreben, aber sie noch nicht haben. Über die Einrichtung eines Arbeitskreises in der Partei hat der Bundesvorstand der SPD zu entscheiden. 

Was ist die Begründung der SPD-Führungsspitze, warum Sie als Säkulare keinen offiziellen Arbeitskreis bilden dürfen?

Erst einmal ist die Sachlage diese, dass die Ablehnungsentscheidung, von der oft in der Presse die Rede war, auf einen Beschluss der Partei von 2011 zurückgeht, denn damals wurde über einen laizistischen Arbeitskreis in der SPD negativ befunden. Dies lag vor allem daran, dass nicht ein Personenkreis als Gruppe im Fokus stand, sondern eine politische Agenda. Mit Konfessionsfreien wie Freidenkern hätte es wohl anders ausgesehen. Nicht umsonst haben wir uns als Säkulare 2016 neu gegründet, neue Grundsätze gegeben und wollen alle SPD-Mitglieder mit säkularer Orientierung einladen, bei uns mitzuwirken. Einen neuen Antrag hatten wir als Säkulare noch nicht gestellt und meines Wissens gab es dazu noch gar keine Entscheidungsfindung. Es ist alles im Fluss.

Eine zentrale Begründung für die Ablehnung war ja, dass sich die Partei in ihrem Programm nicht die strikte Trennung von Staat und Kirche zu eigen machen wollte. Arbeitskreise von Christ_innen und Muslim_innen sind dagegen in der SPD offiziell anerkannt. Auch hier gehe ich eigentlich davon aus, dass sich die Partei nicht deren religiöses Gedankengut zu eigen machen und es zu einer offiziellen Parteiposition machen will. Warum, denken Sie, werden Sie anders behandelt?

Es ist doch zu hoffen, dass eine Partei sich nicht einfach religiöses Gedankengut zu eigen macht und unsere "Andersbehandlung" hat für mich mehrere Gründe. Grundsätzlich rangiert Religions- und Weltanschauungspolitik ein gutes Stück hinter Kulturpolitik, was bedeutet, dass die politischen Parteien in diesem Feld ohnehin keine gute Figur abgeben, wie schon Ulrich Willems in seinem Artikel "Stiefkind Religionspolitik" gut darlegt. Anstatt hier Programme zu gestalten, ist es einfacher Lobbypolitik für Gruppen zu betreiben, die sich zusammenschließen und sagen "wir sind die Christen", "wir sind die Muslime" und die sich dann in der Partei entsprechend gruppieren. Säkulare, Konfessionsfreie und andere sind auf den ersten Blick schwerer zu fassen und, so ehrlich sollte man sein, müssen sich auch selbst mühsamer organisieren. Obwohl es weder "die Christen" noch "die Muslime" gibt, haben sich diese Gruppen traditionell besser formiert, was nichts Schlechtes ist und am Beispiel der jüdischen Sozialdemokrat_innen in der SPD sogar eine sehr erfreuliche Entwicklung darstellt. 

Da kommen wir doch gleich mal zur Gretchenfrage: Wie hat es die SPD denn derzeit mit der Religion – und den Säkularen? Manche meinen, die SPD habe mit der Missachtung Ihres Kreises in einem weiteren zentralen Punkt gezeigt, dass sie ihr ursprüngliches Parteifundament verlassen hat, das sicherlich eher säkular als religiös war. Wie sehen Sie das?

Vor kurzem wollte die SPD sogar ihre historische Kommission auflösen, wobei sich zum Glück dagegen entschieden wurde. Die SPD ist also grundsätzlich im Wandel begriffen und viele hoffen auf ihre Erneuerung. Dazu sollte ein gutes Stück Besinnung auf die Geschichte der Arbeiterbewegung gehören, die mit dogmatischer wie korporierter Religion lange Zeit wenig anfangen konnte. Wilhelm Liebknecht war beispielsweise Gründungsmitglied des deutschen Freidenkerbundes. Der sogenannte "Arbeiterkaiser" August Bebel konnte zünftig gegen Christentum und Kirche vom Leder ziehen. Das alles geschah in Zeiten, als es wichtig war, sich als Arbeiterklasse zu emanzipieren sowie die obrigkeitsstaatlichen Formen von Religion zu kritisieren. Nach dem Krieg und Bad Godesberg gab es eine Art Wende, die Partei näherte sich den Kirchen an, auch aus nachvollziehbaren Gründen, es gab sogar Verlautbarungen, die SPD sei in den 70ern vor allem die Partei der Religionslehrer geworden. Allerdings hat Helmut Schmidt in seinem Buch "Religion in Verantwortung" gut beschrieben, dass die SPD ihr säkulares Erbe nicht vergessen sollte, Privilegierungen von bestimmten Religionen zu korrigieren sind und es um soziale Verantwortung, Frieden und Freiheit geht, was Säkulare wie Religiöse gleichermaßen betrifft. Das Fundament wurde in dem Sinne breiter, aber nicht zerstört.

Aus vielen Gesprächen mit SPD-Mitgliedern habe ich den Eindruck gewonnen, dass die Basis wesentlich säkularer eingestellt ist als die Funktionäre der SPD. Kommt die Einstellung der Basis bei der Parteispitze nicht an oder woran liegt es, dass hier Politik gegen die Überzeugung der eigenen Mitglieder gemacht wird?

Ja, nicht nur die Basis als solche, auch die Jusos, die ASF und SPDqueer stellen oft Anträge, die ganz in unserem säkularen Sinne sind und wir haben auch Mandats- wie FunktionsträgerInnen, die uns unterstützen. Zugegeben noch nicht alle so offiziell, wie wir uns das wünschen, aber alles braucht seine Zeit. Viele kannten uns noch nicht, wollen uns jetzt näher kennenlernen, mitmachen und die Welle der Solidarität, die uns entgegen schlug, hat uns alle motiviert wie gefreut. Gewiss, es gibt noch viel Gesprächsbedarf und wir setzen einmal voraus, dass auch unsere Funktionäre sich hier helfen lassen, wenn sie sehen, wie wichtig es ist sich auch als säkulare Kraft mit zeitgemäßer Religions- und Weltanschauungspolitik zu positionieren. Wie auch wir zeigen wollen, dass es uns um eine Stärkung der Partei geht. Wir wollen zur Erneuerung der SPD beitragen. 

Es ist kein Geheimnis, dass die Gruppe der Konfessionsfreien die am schnellsten wachsende weltanschauliche Gruppe in Deutschland ist. Kann es sich die SPD – insbesondere bei den derzeitigen Umfragewerten – überhaupt leisten, diese Gruppe potentieller Wähler und Mitglieder per se zu verprellen?

Das ist einer unserer Leitgedanken gewesen, gerade auch mit Blick auf andere Parteien wie kleine Parteien, die nun versuchen das säkulare Klientel im Besonderen anzusprechen, dass die SPD hier Chancen verspielen könnte, die ihr mindestens historisch zustehen sowie auch nicht verloren gehen sollten. Deshalb engagieren wir uns doch. Schließlich gibt es schon eine Partei mit einem "C" im Namen und die Sozialdemokratie sollte es sich mindestens dreimal überlegen, ob sie hier leichtfertig ihr säkulares Gestaltungspotential nicht nutzen sollte. Schließlich geht es um Programme wie Prinzipien, die Religions- und Weltanschauungspolitik als Gesellschaftspolitik mit anderen Mitteln verstehen und keine reinen Lobbyprogramme für Religiöse oder Säkulare. Wer immer kurzfristig nach Wählerstimmen schielt und nur in Legislaturperioden denkt, muss sich nicht wundern, wenn es allgemein um die Parteipolitik nicht gut steht.

Sie selbst sind seit Ihrem 16ten Lebensjahr Mitglied in der SPD. Hand aufs Herz: Wie oft hatten Sie als Säkularer Sozi schon Lust die Brocken hinzuschmeißen?  

Nie, denn obwohl ich oft mit der eigenen Partei haderte, zumal ich immer ein Gegner einer "forever GroKo" war, mit HartzIV unzufrieden gewesen bin und auch die innerparteiliche Ignoranz einem ab und an viel abverlangt, haben die positiven Erlebnisse immer überwogen. Schließlich habe ich alle Säkularen Sozis immer im ureigensten Sinne solidarisch erlebt, der Teamgeist ist enorm, in der Partei wirken wundervolle Menschen, die auch nicht einfach aufgeben und wer Gegenwind in einem gewissen Maß nicht auch als Rückenwind versteht, hat im Politischen nichts verloren. 

Wie wird es jetzt mit den "Säkularen Sozialdemokrat_innen" weitergehen?

Auf unserem Bundestreffen im März in Hannover haben wir uns ein Aktionsprogramm gegeben und beschlossen, heiter weiterzumachen. Wir wollen jetzt die vielen Interessenten miteinbinden, Veranstaltungen wie Aktionen durchführen, unter anderem am alternativen Kirchentag in Dortmund und am Humanistentag in Hamburg Präsenz zeigen. Besonders Lale Akgün hat viele weitere Auftritte geplant, wir werden hoffentlich weitere Gruppen gründen und bleiben bezüglich der innerparteilichen Anerkennung gesprächsbereit. Die Zukunft ist offen und die Eule fliegt!