War Hitler wirklich Atheist und Vegetarier? Die Forschung ist diesbezüglich keineswegs zu einer abschließenden Antwort gelangt. Und selbst wenn sie es wäre: Würde es bedeuten, dass alle Atheisten und Vegetarier wie Hitler sind? Eine kritische Auseinandersetzung mit immer wieder vorkommenden Fehlschlüssen und Manipulationstechniken von Armin Pfahl-Traughber.
"Aber Hitler war doch auch Atheist!" – das hat wohl schon jeder Atheist einmal gehört. "Aber Hitler war doch auch Vegetarier!" – und das hat wohl auch schon mal jeder Vegetarier gehört. Doch warum werden solche Aussagen vorgetragen? Entsprechen sie überhaupt der Realität? Und, wenn ja, was sagt das über Atheismus und Vegetarismus aus? Diesen Fragen soll fortan nachgegangen werden. Dabei finden die beiden Gesichtspunkte mal getrennt und mal zusammen kritisches Interesse. Die Antwort auf die erste Frage kann schnell gegeben werden: Hitler gilt als einer der größten und schlimmsten Massenmörder in der Weltgeschichte. Für manche Betrachter ist er die Inkarnation des Teufels oder Übels schlechthin. Daraus folgt dann wiederum für jene Frager, die einleitend zitiert wurden, dass eben das, was Hitler meinte und tat in allen Kontexten verdammenswert ist. Dabei wird aber das Argument in der Sache gegenüber der Gemeinsamkeit mit Hitler verdrängt. Aber lässt sich das in dieser Allgemeinheit wie bei den beiden Themen gut begründen?
Darum soll es in der folgenden Erörterung gehen. Am Beginn steht die Definition des Gemeinten, denn bereits hier kann es zu Irritationen und Missverständnissen kommen. Was ist ein "Atheist"? Dabei geht es um eine Ablehnung der Existenz eines Gottes oder mehrerer Götter, wobei diese für transzendente und übersinnliche Wesenheiten stehen. Solche könnte man sich auch als irgendwie in der Natur präsente Vorkommnisse denken. Als Atheisten gelten demnach alle Menschen, die solche Vorstellungen ablehnen. Dabei handelt es sich aber um ein negatives Merkmal, das heißt, dass man ein Atheist aus ganz unterschiedlichen Motiven sein kann. Es wären ethische, politische und soziale Gründe denkbar, wobei damit auch wiederum unterschiedliche Inhalte einhergehen. Demnach ist "Atheist" eigentlich eine etwas diffuse Bezeichnung, es kann immer gefragt werden, was denn für einer? Entscheidend ist aber zunächst mal, dass die Auffassung von einem Gott oder einem Göttlichen als eben nicht empirisch wahrnehmbaren Wesenheiten abgelehnt wird.
Welche Auffassung hatte nun Hitler von Religion bzw. diesen Vorstellungen. Dabei kann man eine formale und inhaltliche Dimension unterscheiden. Bezogen auf den ersten Aspekt lässt sich sagen, dass er der katholischen Kirche bis zu seinem Tode angehörte. Man findet in seinen Erklärungen, Reden und Schriften auch inhaltlich immer wieder religiöse Verweise. Bekannt ist folgende Aussage aus "Mein Kampf": "So glaube ich heute im Sinne des allmächtigen Schöpfers zu handeln: Indem ich mich des Juden erwehre, kämpfe ich für das Werk des Herrn". Auch gab es immer wieder Berufungen auf die "Erlösung", das "Heil" oder die "Vorsehung". Ab wann auch immer scheint Hitler dies nicht mehr im christlichen Sinne gemeint zu haben, denn er wandte sich – aber nicht öffentlich – gegen die Institutionen der Kirchen und die Nächstenliebe als Wertorientierung. Doch wurde er damit keineswegs zu einem Atheisten, sondern entwickelte eine intellektuell krude und rassistisch geprägte eigene Theologie. Hitler instrumentalisierte also nicht nur religiöse Metaphern.
Wenn er damit kein "Atheist" war, war er dann ein "Vegetarier"? Auch hier soll zunächst erläutert werden, was damit überhaupt gemeint ist. Der Begriff definiert Menschen, die kein Fleisch von Tieren essen. Es lassen sich dabei noch Besonderheiten und Typen unterscheiden, so gibt es Fischesser und Teilvegetarier. Für die folgende Erörterung genügt es aber darauf hinzuweisen, dass damit allgemein die Ablehnung von Fleischkonsum als einer Grundeinstellung gemeint ist. Auch hier handelt es sich um eine Bezeichnung, die über ein negatives Merkmal definiert wird. Denn es kann ebenso ganz unterschiedliche Gründe geben, die von gesundheitlichen und politischen, ökologischen und ökonomischen bis zu persönlichen und tierethischen Motiven reichen. Bei den konkreten Einzelnen gibt es häufig einen Mix der jeweiligen Vorstellungen. Aber auch dies soll angesichts der hier zu erörternden Frage nicht näher thematisiert werden, kommt dem doch keine inhaltliche Relevanz für den historischen Sachverhalt wie für den problematisierten Zusammenhang zu.
Hier geht es zunächst ebenfalls darum: War Hitler überhaupt Vegetarier? Eine klare Antwort darauf lässt sich wohl nicht geben, kursieren doch sowohl unterschiedliche Aussagen von Historikern wie von Zeitzeugen. Ganz allgemein kann zunächst nur gesagt werden, dass ein bestimmtes Bild von Hitler durch die NS-Propaganda vermittelt wurde, nämlich das eines gegen Alkohol-, Fleisch- und Nikotinkonsum eingestellten Politikers. Dann gibt es aber Aussagen darüber, dass Hitler sehr wohl Tauben, Weißwürste und Wildpastete gegessen habe. Nach anderen Beschreibungen hätte er auf Fleisch verzichtet und sogar einmal über eine vegetarische Lebensweise monologisiert. Und dann gibt es noch die Darstellung, dass die Angst vor Blähungen zu Fleischverzicht bei Hitler geführt habe. Es lässt sich aber in der Gesamtschau wohl nicht sagen, welche der kursierenden Versionen dann letztendlich der Wahrheit entspricht. Dafür stellt sich die erwähnte weitere Frage: Was sagt das aus, wenn aus welchen Gründen auch immer Hitler ein Vegetarier gewesen wäre?
Die Antwort lautet: Nichts! Denn bei aller gut begründeten Ablehnung von Hitler als Massenmörder und Tyrann: Eine Distanzierung von ihm sollte sich darauf beziehen, was eben in einem inhaltlichen Kontext mit seinen Verbrechen stand. Dafür sind aber weder sein angeblicher "Atheismus" noch sein behaupteter "Vegetarismus" relevant. Es ginge vielmehr um Antisemitismus, Dogmatismus, Fanatismus, Gemeinschaftsideologien, Rassismus, Sozialdarwinismus, Totalitarismus oder Vernichtungsdenken. Bekanntlich war Hitler auch Nicht-Raucher. Sollte daher eine Pro-Rauchen-Kampagne gefahren werden? Eine solche Auffassung wäre die Konsequenz daraus, würde man die "Atheismus"- und "Vegetarismus"-Vorwürfe weiterdenken. Ein Atheist ist weder grundsätzlich ein guter noch ein schlechter Mensch, gleiches gilt für den Vegetarier. Die Bezeichnungen sind Negativbegriffe, es kommt darauf an, sie mit positivem Selbstverständnis zu verbinden. Darüber kann man dann streiten. Fehlschlüsse und Manipulationstechniken führen eben nicht zu rationalen Sachdebatten.
12 Kommentare
Kommentare
HuGo am Permanenter Link
Ist nicht Hitler immer noch Mitglied in der KK und im Gegensatz zu Stalin nicht exkommuniziert!?
Alexander Micha... am Permanenter Link
Okay. Hitler war (formal) Katholik. Dafür wird er von (echten) Katholiken traditionell als Atheist bezeichnet. Das hat System.
Matthias Stich am Permanenter Link
Hitler war ja nicht nur Atheist und mutmaßlich Vegetarier. Er war z.B. auch Schnurrbartträger und Hundeliebhaber. Und er hat die Autobahnen gebaut. Sind deshalb alle Männer mit Schnurrbart Nazis ?
Mag sein, dass Hitler tatsächlich Vegetarier war. Soviel ich weiß waren dafür Pol Pot, Pinochet, Stalin, Mao Tsedung, Idi Amin Fleisch(fr)esser.
(Vielleicht macht ja die Umkehrung der vermeintlichen Argumentation die Absurdität derselben sichtbar.)
A.S. am Permanenter Link
Das Problem sind die "-ismen". "-isten" sind i.d.R. ziemlich unausstehliche Mitmenschen.
(Ich bin Atheist ;) aus politischen Gründen, weil ich die Religionen als Herrschaftsinstumente verstehe und mir deshalb keinen Gott einreden lassen mag.)
libertador am Permanenter Link
"-ismen" sind wirklich furchtbar: Rationalismus, Empirismus oder erst Magnetismus ;)
Roland Fakler am Permanenter Link
Ich würde sagen, Hitler war vor allem ein Opportunist, der, wie schon viele Mächtige vor und nach ihm, die Religion für seine Machtinteressen genutzt hat. Mit ERFOLG!
Roland Weber am Permanenter Link
"Atheist" ist selbst schon ein klerikal kontaminierter Begriff. Das soll so klingen, als ob jemand etwas Vorhandenes ablehne.
Im Unterschied und als Abgrenzung zu "Aber-Gläubigen" jedweder Couleur halte ich den Begriff "Freidenker" für angebracht. Denken ist zwar damit nicht garantiert, aber schließlich wird damit in Anspruch genommen, dass eigenes Denken frei von Dogmen und imaginären Schlussfolgerungen sein soll.
Aber was sollen das für Argumente in o.a. Beitrag sein? Steht man als Linkshänder oder Rothaariger auch unter Verdacht, weil irgendein Diktator oder Mörder die gleichen Merkmale aufwies? Muss man sich so verteidigen? Wie absurd dürfen denn geistige Verkleisterungen und Schlussfolgerungen denn sein?
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Als nichtrauchender Atheist und Fischessender Vegetarier verwahre ich mich entschieden
gegen einen vergleichenden Zusammenhang mit einem Massenmörder wie Hitler.
MartinT am Permanenter Link
Bleibt vielleicht noch zu sagen, daß die meisten Nazis (gibt es da was historisches zu Hitlers einstellung?) aus ihrer Sicht vermutlich auch nicht dachten "heute stehe ich mal auf uns mache was für das man mich i
A.S. am Permanenter Link
Ich sehe das Problem in politischen Visionen, für deren Anhänger der Zweck alle Mittel heiligt.
Beim Nationalsozialismus war es die Vision vom arischen Herrenvolk.
Die jüdische Vision vom "Auserwähltem Volk in dem Land, in das Gott sie (zu Mose Zeiten) geführt hat" steht im Lande Israel einer friedlichen Koexistenz zwischen Israelis (ich sage hier bewusst nicht "Juden") und Palestinänsern im Wege.
Die Religionen geben bestimmte Wert- und Zielvorstellungen von Generation zu Generation weiter, völlig Kritik-immun und unhinterfragt.
Eberhard Duschl am Permanenter Link
Wenn ein Diktator seine Soldaten mit einem Koppelschloss in den totalen Krieg schickt, auf dem "Gott mit uns" steht und den Nichtgläubigen zwingt, in allen Ausweisen bei Nennung der Religionszugehörigkeit ni
Wolfgang Schaefer am Permanenter Link
Steht bei mir auch, hat mir aber nie gefallen. Klingt so widersprüchlich zum Denken eines Atheisten. Gott-gläubig? Nicht zu fassen!