Prof. Shoshana Zuboff: Wie Technologie-Giganten die Demokratie bedrohen (Teil 2)

Zu Sklaven oder zu Meistern der digitalen Zukunft werden?

Die Harvard-Ökonomin und Philosophin Shoshana Zuboff zeichnet das Gesellschaftsbild der "Dritten Moderne" als Überwachungskapitalismus mit ganz neuen Märkten. Auf denen agiert die Bevölkerung nicht mehr wesentlich als Arbeitskraft oder konsumiert, sondern liefert unbezahlt Daten für vorhersagbares Verhalten. Doch noch hätten wir es in der Hand, die Technologie-Revolution human zu nutzen und demokratisch zu meistern, statt von ihr versklavt zu werden.

Shoshana Zuboff schürt keinesfalls Ängste vor den digitalen Technologien an sich. Aber ihre ruhige, unaufgeregte Erzählweise, mit der sie wie hier in der Berliner Urania vorträgt, machen ihre ökonomischen Untersuchungen erst recht bestürzend. Denn mit material- und kenntnisreicher Radikalität beschreibt sie einen neuen Totalitarismus und seine "Dressurakte": Dank vermeintlicher Gratisangebote geben wir die Hoheit über unsere Daten preis – eine unbedachte Weitergabe dieser zukünftig immer höher werdenden wirtschaftlichen Werte. Wir NutzerInnen werden von Zuboff als das beschrieben, was die "Überwachungskapitalisten" in ihren "Serverfarmen" als treibende Wirtschaftskraft zur Ausbeutung heranzüchten beziehungsweise zu Tage fördern. Das wäre "das neue Öl", schon jetzt würde im internationalen Handel mit Daten mehr Geld umgesetzt als mit Öl. Der Datenhunger für die Dividende immer ausgefeilterer Prognostizierbarkeiten und Manipulierbarkeiten sind laut Zuboff systemdynamisch bedingt absolut unstillbar und unzügelbar.

Nicht regulierbarer Überwachungskapitalismus

Die öffentliche Wahrnehmung der Plattformen von Google, Facebook, Amazon hat sich in der letzten Zeit signifikant verändert. Doch sind die Veränderungen wirklich so grundlegend, dass sie zu einer eigenen Gesellschaftsformation geführt haben? Zuboff spricht von einem Wendepunkt der aktuellen Entwicklung des Überwachungskapitalismus als nicht mehr regulierbarem Raum. Angesichts dessen wäre es nicht länger eine politisch durchsetzbare Forderung nach strengeren Gesetzen. Sondern es wäre zu einer gesellschaftlichen Utopie geworden, eine demokratische Kontrolle der (im Westen privatkapitalistischen) Technologie-Giganten überhaupt durchsetzen zu können. Denn diese würden mit enormem Erfolg nationale oder überstaatliche Versuche selbst zu nur geringfügiger Regularien in die Schranken verweisen.

Dem IT-Fortschritt an sich steht Zuboff selbstverständlich nicht kritisch gegenüber. Für sie handelt es sich bei den die Demokratie gefährdenden Auswüchsen nicht um eine technologische Zwangsläufigkeit. Vielmehr beklagt sie das historische Phänomen eines neuen Profitmodells – statt die enormen digitalen Möglichkeiten und Intelligenz der IT-Spezialisten im Sinne von humanen, demokratischen, globalen Zwecken zu nutzen, zur Schadensbekämpfung oder sonstigem Förderungswürdigen und qualitativ Wertvollem aller Art.

Demokratische Kontrolle scheitert an technologischem Unverständnis

Laut Zuboff hat die USA eine geringe Sensibilität dafür, dass Freiheit und Demokratie etwas sind, wofür gekämpft werden muss. Europa hat unlängst immerhin drei große Milliarden-Strafen gegen Google verhängt. Hier – vor allem in Deutschland – gebe es mehr Wachsamkeit dafür, dass Demokratie schnell durch neue Machtquellen untergraben werden kann, die niemand vorher so im Blick hatte. Doch sei das Problem, dass die neue Technologie und erst recht ihre Auswirkungen nicht richtig verstanden werden. Es sei offensichtlich, dass alle Regulierungsbemühungen scheitern müssen, wenn sie nicht auf einem detaillierten Verständnis der Branche basieren, die sie regulieren wollen. Das Kartell- und Datenschutzrecht des 20. Jahrhunderts wäre bis in die jüngere Zeit kreativ und wirksam gewesen, als es noch auf andere Marktformen und strukturell andere Probleme ausgelegt war.

Die neuen Digital-Giganten wollten durch algorithmische Governance ihren kommerziellen Erfolg fördern und die Demokratie dadurch ersetzen. Ihre einschüchternde Propaganda behauptet, dass Regierungskontrolle nötige Innovation behindert – wobei in Wirklichkeit der Staat der wichtigste Geldgeber und Initiator gewesen sei. Amerikanische Unternehmen hätten die vergangenen zwei Jahrzehnte damit zugebracht, die Gesetzgeber einzuschüchtern, an der Nase herumzuführen oder Gutwilligkeit vorzutäuschen.

In der Welt führt Zuboff dazu aus: "Viele Mitglieder des Europäischen Parlaments wollen glauben, dass durch die Allgemeine Datenschutzverordnung GDPR die Arbeit getan ist … Ich denke auch, dass GDPR auf jeden Fall für große Durchbrüche steht. Tatsache aber ist, dass das Datenschutzrecht und das Kartellrecht, so wie wir sie kennen, einem Outlaw-Überwachungskapitalismus keinen Einhalt gebieten werden."

Denn diese werden immer einen Schritt voraus sein. So könnte GDPR entgegen mancher Erwartung sogar dazu führen, die marktbeherrschende Positionen von Google und Facebook zu stärken. Denn anders als kleinere Unternehmen können sich die Digital-Giganten die besten Anwälte und teuersten Experten leisten, um auch neuen komplexen Datenschutzanforderungen zu genügen – am Rande der Legalität. Angesichts der Bedrohung – wie schon zu Beginn der kapitalistischen Ära durch unternehmerische "Räuber und Diebe" – müssten wir dem Gesetz des Überlebens des Stärkeren mit allen Mitteln entgegenwirken. Dazu sind auch solche legitim und notwendig, die sich ebenfalls am Rande der Legalität bewegen – zu denken ist an die Whistleblower-Szene.

Hoffnung beruht auf IT-Spezialisten und Bürgerempörung

Wer kann die Machtprobe zwischen den Internet-Monopolisten, die immer die Nase vorn haben, und dem Rechtsstaat entscheiden zugunsten von Demokratie, Freiheit und Allgemeinwohl? Regulierungsverordnungen erfordern lange parlamentarische Vorbereitung und sind bei Umsetzung schon wieder veraltet beziehungsweise unwirksam. Es sind also nicht Regierungsstellen und Gesetzgeber; Subjekte der demokratischen "Gegenrevolution" können nur ExpertInnen, IT-SpezialistInnen, ausgewiesene BranchenkennerInnen und MitarbeiterInnen der gigantischen Technologie-Plattformen sein.

Ein Stichwort sind sogenannte agile (beweglich-wendige) Regulierungsprozesse, die gestartet und in ihrer Wirkung beobachtet, verändert und angepasst werden. Das heißt: Agieren wie die Technologieplattformen selbst. Zuboff stellt zudem die sogenannte prinzipienbasierte Regulierung vor. Dabei könnte, wenn der politische Wille vorhanden wäre, mit klaren Prinzipien einfach jeglicher Ertrag, der aus Nutzerdaten gezogen wird, delegitimiert werden.

Zuboff will ein "vorsichtiges Nachdenken über Abhilfe" anregen. Dazu bedarf es eines ethischen Bewusstseins, der Mobilisierung der Öffentlichkeit und Formen kollektiven Handelns von empörten BürgerInnen – nicht nur UserInnen – im Einklang mit politischen und sozialen, psychologischen und wirtschaftlichen Interessen.

Das ist ein sehr komplizierter Prozess. Doch dass Shoshana Zuboff drei Wochen lang in Europa auf Vortragsreise unterwegs war – in Sälen oft vor fast 1.000 ZuhörerInnen – lässt auf das Erwachen und eine Vorhut hoffen. In Berlin waren es im November über 800 InteressentInnen und viele mussten wegen Überbuchung noch abgewiesen werden.

Veranstalter waren das bemerkenswerte, 2011 gegründete Humboldt-Institut für Internet und Gesellschaft (HIIG) und die Bundeszentrale für politische Bildung.

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