Genmanipulation am Menschen?

"Panik hilft ebenso wenig wie grenzenloser Optimismus"

Am Mittwochabend hatte die Berliner Hochschulgruppe der Giordano-Bruno-Stiftung (gbs) gemeinsam mit der Liberalen Hochschulgruppe (lhg) zu einer hochkarätigen Diskussionsveranstaltung auf den Campus der Humboldt-Universität geladen: Gleich drei Bundestagsabgeordnete diskutierten mit einem Genetik-Professor über die Zukunft des "Genome Editing" in Deutschland.

Für Philipp Möller, der für den Abend als Moderator angekündigt war, kamen "die potentiellen medizinischen Errungenschaften, über die wir heute Abend sprechen, ein kleines bisschen zu spät", wie es Tobias Wolfram von Säkularer Humanismus an Berliner Hochschulen spaßig ausdrückte. Er führte das Auditorium im gut gefüllten "Audimax 2" durch den Abend, weil der Autor krankheitsbedingt kurzfristig absagen musste.

Tobias Wolfram
Tobias Wolfram (Moderator, Berliner Hochschulgruppe der gbs), Foto: Gisa Bodenstein

Der Statistiker und Soziologe Tobias Wolfram übergab das Wort an den emeritierten Genetik-Professor Wolfgang Nellen aus Kassel, der zunächst einen kurzen Überblick über das Thema des Abends gab: Die Genschere "CRISPR-CAS" werde "einen Einfluss auf unsere Gesellschaft haben, den die meisten überhaupt noch nicht abschätzen können – ich auch nicht". Es handelt sich hierbei um ein bakterielles Immunsystem gegen Virusinfektionen, das praktisch an allen Organismen einsetzbar sei. CAS9 ist ein DNA-spaltendes Enzym, das mithilfe der Adresse (die "CRISPR-RNA") zielgenau an eine Genomsequenz geleitet wird, die sich auch entsprechend festlegen lässt. Auf diese Weise ist es möglich, unerwünschte Gene – die beispielsweise für eine Erkrankung verantwortlich sind – zu eliminieren. Anschließend kann man das Reparatursystem des Organismus nutzen, um gewünschte Änderungen in die DNA einbauen zu lassen. Das System funktioniere jedoch nicht mit 100-prozentiger Präzision, sonst gäbe es keine Evolution.

Für den Einsatz an anderen Organismen – vor allem beim Menschen – wolle man es aber so perfekt wie möglich haben. Dafür werde nach Lösungen gesucht. "Fast wöchentlich, mindestens aber monatlich, (…) erscheinen neue wissenschaftliche Publikationen, wo das System noch ein bisschen verbessert (…) wurde." Ein erfolgreiches Anwendungsbeispiel ist, einem Leukämie-Patienten defekte Blutzellen zu entnehmen, sie zu "reparieren" und wieder einzusetzen. Die Veränderungen durch diese sogenannte "somatische Gentherapie" werden nicht vererbt. Was jedoch in den Hinterköpfen herumgeistere, sei die Optimierung des Menschen, das sogenannte "Enhancement". "Vor ein paar Jahren hätte ich über Designer-Babys nur noch gelacht und gesagt: 'So ein Quatsch!' – heute bin ich da nicht mehr so sicher." Bei der "Keimbahneditierung", wie sie bei den letztes Jahr in China geborenen Zwillingen erstmals beim Menschen angewandt wurde, kommt ein Kind bereits mit verändertem Erbgut zur Welt und gibt dieses auch an seine Nachkommen weiter – samt eventueller Fehler. Der Wissenschaftler, der das Öffentlichkeitslabor "Science Bridge" gegründet hat, stellte klar: "Panik hilft ebenso wenig wie grenzenloser Optimismus oder wilde Heilsversprechungen." Vor diesem Hintergrund müsse man sich klar machen, dass "unsere Ethik nicht die globale Leitethik dieser Welt" sei.

Wolfgang Nellen
Wolfgang Nellen (Professor für Genetik a.D.), Foto: Gisa Bodenstein

Mario Brandenburg, technologiepolitischer Sprecher der FDP im Bundestag, der eigentlich Wirtschaftsinformatiker ist, habe sich in das Thema "verliebt" und sieht darin "unendliche Chancen". Während im Silicon Valley alle nur noch über "Convergence", also die Verschmelzung von Mensch und Künstlicher Intelligenz (KI) sprächen, lasse man hierzulande dies alles "im Schlafwächterwagen" vor uns passieren. "Wir haben (…) überhaupt keine Positivmeinung dazu und wir haben keine Kriterien, wann und wie wir bei dem Thema weiterkommen." Die Gesetzeslage sei zum Teil 30 Jahre alt, "und damit belästigen wir unsere Forscher, die heutzutage (…) an dem Thema arbeiten wollen".

Daran schloss Katrin Staffler von der CSU direkt an: Die Biochemikerin, die auch Mitglied im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung des Bundestages ist, ärgert an der gesamtgesellschaftlichen Diskussion, dass es in erster Linie um die Risiken gehe. Die Genmanipulation der Babys in China sei ein erster Schritt in die Richtung "Enhancement" gewesen und ein "klarer Verstoß gegen die Menschenwürde". Es sei ein Versuch "ins Blaue hinein", da die Technologie noch nicht ausgereift sei. Man dürfe diese "Verfehlung" aber nicht zur Grundlage unserer Debatte werden lassen. Man müsse bei allen Risiken auch die "enormen therapeutischen Chancen" der Technologie besprechen. "Wir brauchen die gesellschaftliche Debatte auf Basis eines fundierten Wissens" sowie einen internationalen Dialog und die Anpassung des nationalen Rechtsrahmens. "Diese Entwicklung ist unglaublich schnell vonstatten gegangen. Vor fünf Jahren hat man sich nicht vorstellen können, dass wir heute schon so weit sind."

Harald Ebner, Sprecher der Grünen-Fraktion für Gentechnik- und Bioökonomiepolitik, begrüßte das Publikum mit einem "herzlichen Grüß Gott" und stellte seinem Statement die grundgesetzlich garantierte Forschungsfreiheit vorweg, auf die er im Laufe des Abends auch immer wieder zurückkam. Es sei aber Fakt, dass man, wenn es um den Menschen gehe, schnell an einem Punkt sei, "wo Ethik uns Grenzen setzt". Er kritisierte, in diesem Zusammenhang von einem (internationalen) "Wettbewerb" zu sprechen: Es habe im 20. Jahrhundert Wettbewerbe um das beste Kampfgiftgas, die schnellste Atombombe oder die effektivsten Landminen gegeben – "das sind alles Dinge, die im Nachhinein geächtet wurden". "Ist (…) die Tatsache, dass jemand am Startblock steht, (…) zwingt die mich dazu, mich auf dieses Rennen einzulassen?" Das allein sei kein Argument. Man müsse noch weiter darüber nachdenken.

Katrin Staffler
Katrin Staffler (CSU), Foto: Gisa Bodenstein

Die Vergleiche des Agraringenieurs und Landschaftsökologen bezeichnete der FDP-Politiker Brandenburg als "extrem steile These", eine Korrelation, die ihm nicht unbedingt eingefallen wäre. Die Frage, ob man voraussehbare Krankheiten vermeiden dürfe, hätten wir uns in Teilen bereits beantwortet, "weil wir ja auch impfen". Solange die Veränderung bei dem jeweiligen Individuum ende, sei das in seiner Wahrnehmung das Gleiche. Das sei das geringste Risiko und biete außerdem die Möglichkeit, ergänzte Harald Ebner, dass jede Generation die neuesten Möglichkeiten nutzen könne und nicht darauf angewiesen sei, die möglichen Fehler von vorgestern in die übernächste Generation zu vererben. "Im Grunde genommen halte ich es nicht für ethisch verwerflich, einen Defekt, der zu großem Leiden bei einem Menschen führen würde, zu reparieren", erklärte der Genforscher, der als Leiter des Projekts "CRISPR-Whisper" auch Öffentlichkeitsarbeit betreibt. Man brauche den Keimbahneingriff jedoch in vielen Fällen gar nicht, sofern man Präimplantationsdiagnostik und Abtreibung nicht ausschließe.

Das Instrument "CRISPR" sei zwar so präzise wie noch keines zuvor, aber da es das nicht zu 100 Prozent sei, werde die Anwendung derzeit noch nicht empfohlen, sagte der Grünen-Politiker in Bezug auf einen Zwischenbericht des Büros für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag. Katrin Staffler gab zu bedenken, dass wir es uns aus ihrer Sicht angesichts der immer schneller fortschreitenden technischen Entwicklung nicht mehr erlauben könnten, so lange zu warten, um neue Entscheidungen zu treffen. "Diese 100-prozentige Präzision werden wir nie erreichen", warf Wolfgang Nellen ein. Laut Stellungnahme des Deutschen Ethikrates müsse eine "ausreichende Sicherheit" gewährleistet sein. "Wer bestimmt eigentlich, was [das] (…) ist?", fragte der Wissenschaftler, und nicht ohne eine gewisse Ironie an das Publikum gewandt: "Können wir abstimmen darüber? Wer ist für ausreichende Sicherheit und wer ist dagegen? Und wo liegt das Ausreichend?" Letztlich müsse das dann der Gesetzgeber entscheiden, fußend auf einer fundierten gesellschaftlichen Debatte, antwortete die CSU-Politikerin. Erschreckenderweise sei das Thema "Genome Editing" jedoch zur Halbzeit der aktuellen Legislaturperiode gerade einmal im Plenum diskutiert worden, stellte der liberale Abgeordnete fest.

Mario Brandenburg
Mario Brandenburg (FDP), Foto: Gisa Bodenstein

Die Frage sei, ob etwas einen Keimbahneingriff, von dem man die Folgen noch nicht wirklich kenne, rechtfertige, führte Agraringenieur Ebner zu der Frage nach der Ethik aus. Auch das AIDS-Virus ist seiner Meinung nach kein Grund dafür, da es Methoden gebe, eine Infektion durch die Eltern zu verhindern. "Diese Vorstellung, dass wir an einer Stelle was ändern und das garantiert keinen Einfluss irgendwo auf dieses komplexe Embryonalentwicklungsgeschehen hat, die halte ich dann doch für eher naiv." Es gebe auch ohne derartige Eingriffe keine Garantie auf das Leben oder ein gesundes Kind, hielt der Professor a. D. dagegen. Wirtschaftsinformatiker Brandenburg warnte vor einer Abhängigkeit und dass es bei uns womöglich bestimmte Therapieformen dann nicht gäbe. Deshalb müsse man an der Stelle auch über Wettbewerb sprechen, um eine Versorgung auf dem derzeitigen Niveau langfristig sicherstellen zu können.

Insgesamt sei die Entwicklung nicht aufzuhalten. Eines der ersten Dinge, was kommen werde, sei Gendoping im Sport, prophezeite Nellen. Der chinesische Forscher He Jiankui habe die Zwillinge nicht nur gegen das HI-Virus immunisiert, damit verbunden sei auch eine deutlich bessere Neuroregeneration, was bedeutet, dass sie sich zum Beispiel schneller von einem Schlaganfall erholen würden sowie ein besseres Erinnerungsvermögen hätten. "CRISPR" regulieren zu wollen sei genauso "bescheuert" wie eine KI-Gesetzgebung, findet Mario Brandenburg: "Wir haben auch kein Gesetz für einen Hammer – ich kann einen Nagel in die Wand hauen, dann ist er gut, ich kann jemandem auf den Kopf hauen, dann ist es Strafrecht und nicht 'Hammerrecht'." Er appellierte an die Politik, das Thema nicht "wegzuschieben", sie komme ihm manchmal vor wie ein Reh, das ins Scheinwerferlicht gucke, "und danach kommt das Auto".

Dem widersprach Harald Ebner von den Grünen: "Die Idee, etwas zu regulieren, mit dem ich sehr viel machen kann, die kann nicht bescheuert sein." Es sei Aufgabe der Politik, zu regulieren, wie das, was in der freien Forschung herausgefunden wurde, angewendet wird. Das habe auch die Erfinderin von "CRISPR-CAS", Emmanuelle Charpentier, erkannt. "Wir müssen aufpassen, dass wir (…) nicht den Anschluss verlieren", mahnte allerdings der Genetiker. Wir seien in puncto Ethik ausgesprochen gut aufgestellt, "vielleicht sogar 'ein bisschen zu gut'". Wir würden uns verzetteln und damit unser Mitspracherecht aufs Spiel setzen: "Wenn jemand eine bestimmte Technik nicht macht und ihr professionell skeptisch gegenübersteht, interessiert sich kein Mensch mehr dafür, was wir dazu zu sagen haben." Es sei ein global so wichtiges Problem, dass wir "unsere Finger da drin haben" müssten. Er erwarte von der Politik, "dass dafür gesorgt wird, dass wir mitreden können."

Harald Ebner
Harald Ebner (Bündnis 90/Die Grünen), Foto: Gisa Bodenstein

Wichtig sei auch, und darin waren sich Brandenburg und Nellen einig, dass es möglich sein müsse, dass die Menschen auch durch eigene Erfahrung lernten, was die Genschere bedeute und dadurch mündig würden. "Selber CRISPRn", nannte es der Wissenschaftler und amüsierte damit die Zuhörerschaft und Teile des Podiums. Nicht aber den technologiepolitischen Sprecher der Grünen: Er sei erstaunt, "mit welcher Leichtigkeit wir hier (…) die Frage diskutieren: Wenden wir eine Technologie an, die (…) an die grundlegendste Substanz allen Lebens auf diesem Planeten rangeht (…) und die verändert?"

Zum Schluss fasste es Wolfgang Nellen folgendermaßen zusammen: "Ich habe keine Patentlösungen dafür. Und wer eine hat, der hat die Situation nicht richtig verstanden. (…) Wir müssen darum ringen."

Hier geht es zum Video der Diskussionsveranstaltung