"Menschenrecht: Glaubens-Freiheit" in Köln

"Wir dürfen sie nicht alleine lassen"

Vergangenen Donnerstag stellte sich die Säkulare Flüchtlingshilfe Köln in den Räumen der dortigen Volkshochschule (vhs) vor. Eindrücklich wurde geschildert, was Betroffene durchgemacht haben und warum es so wichtig ist, ihnen beizustehen. Das Ziel, neue Unterstützer und Fördermitglieder zu gewinnen, ging auf: Es gab viel Lob, Zuspruch und Hilfsangebote.

"Wir haben durch Initiativen, zum Beispiel durch die Säkulare Flüchtlingshilfe (…) erfahren, dass Menschen, die aufgrund ihres Nicht-Glaubens fliehen müssen, auch in Deutschland Repressalien zu befürchten haben. Dass sie wissen, dass sie hier nicht sicher sind", begann Homaira Mansury, Leiterin der gesellschaftspolitischen Bildung bei der Volkshochschule (vhs) Köln, den Abend. Eingeladen hatte diese gemeinsam mit der Säkularen Flüchtlingshilfe, vertreten durch ihre Vorstände Stefan Paintner und Rana Ahmad, die 2015 selbst aus Saudi-Arabien floh, weil sie als Atheistin dort ihres Lebens nicht mehr sicher war. Ihr großes Ziel sei ein Verein für die geflüchteten atheistischen Ex-Muslime gewesen, erzählte sie.

Rana Ahmad und Homaira Mansury
Rana Ahmad (links, Säkulare Flüchtlingshilfe) und Homaira Mansury (vhs Köln) (Foto: © Säkulare Flüchtlingshilfe e.V. / Eva Witten)

Der erste Referent, der bekannte Journalist und Autor Günter Wallraff, musste kurzfristig absagen. Daher ergriff gleich Lale Akgün das Wort, ehemalige Bundestagsabgeordnete, Bundesvorsitzende der Säkularen Sozis und "Menschenliebhaberin", wie sie von Moderatorin Mansury vorgestellt wurde. Warum sie, Lale Akgün, die Säkulare Flüchtlingshilfe unterstütze? "Weil sie sich der Menschen annehmen, die sonst gar nicht in dieser Gesellschaft gesehen werden." Sie schafften es, sich der Problematik der Pluralität Geflüchteter anzunehmen; diejenigen, die nicht "mainstream" seien, würden sonst zwischen allen Stühlen sitzen.

Lale Akgün
Lale Akgün (Bundestagsabgeordnete a.D.) (Foto: © Säkulare Flüchtlingshilfe e.V. / Eva Witten)

Als nächstes betrat Katja Mierke die Bühne, Psychologie-Professorin an der Hochschule Fresenius in Köln: "Ich stehe hier für jemanden, der heute Abend hier nicht sein kann, weil sie sich heute nicht in der Lage fühlt (…), weil es ihr leider zu schlecht geht." Gemeint ist Loujain Sultan (29), Menschenrechtsaktivistin aus Saudi-Arabien. An ihrer statt verlas Mierke ihre Rede: "Ich begrüße Sie im Namen der Menschenrechte, die in unserem Land nicht existieren", begann sie und es schien ihr manchmal schwer zu fallen, die grauenhaften Dinge auszusprechen, die Sultan nicht selbst sagen konnte. "Kann sich jemand vorstellen, wie viel Schmerzhaftes ich in diesen 29 Jahren ertragen habe? Seit meiner Kindheit bis zum letzten Tag in Saudi-Arabien. Ich glaube, niemand kann es sich vorstellen. Sie haben mir meine Kindheit und meine Jugend gestohlen, mit ihrer Religion und mit ihren unfairen Gesetzen."

"Ich begrüße Sie im Namen der Menschenrechte, die in unserem Land nicht existieren"

(Loujain Sultan)

Seit ihrer Kindheit sei sie geschlagen worden und seit dem Alter von sieben Jahren hätten sie ihre vier Brüder immer wieder sexuell belästigt und vergewaltigt. Einer von ihnen habe zwei Mal versucht, sie umzubringen. Auch ihr Ex-Mann habe sie töten wollen, weil sie kurz mit einem anderen Mann auf der Straße gesprochen habe. Als sie einmal weglief, zeigten ihre Eltern sie bei der Polizei an. Sie wurde aufgegriffen und kam eine Woche lang ins Gefängnis – bis die Familie sie wieder abholte. Menschenrechtsaktivisten hätten versagt, ihre Situation und die aller anderen geflohenen saudischen Mädchen in Deutschland zu verbessern, sie müsse hier um alles kämpfen. Sie lebe jetzt an einem Ort in Deutschland, den die saudische Regierung aufgrund der Wohnsitzauflage kenne und wo auch ihre Brüder sie finden und ermorden könnten. "Frauen in Saudi-Arabien verdienen ein besseres Leben. (…) Wir, die wir den Islam verlassen, verdienen ein besseres Leben. (…) Was würde ich ohne (…) die Säkulare Flüchtlingshilfe [tun]? Wer hätte meine Stimme gehört, mich unterstützt und mir geholfen? Ja, ich bin stark. Aber ich weiß nicht, wie lange noch."

Katja Mierke und Loujain Sultan
Katja Mierke (Psychologin) spricht über Loujain Sultan (Menschenrechtsaktivistin) (Foto: © Säkulare Flüchtlingshilfe e.V. / Eva Witten)

Die Professorin schloss ein eigenes Statement an die Rede an: "Menschen halten erstaunlich viel aus (…), solange sie Hoffnung und Perspektiven haben." Das, was der jungen Geflüchteten wiederfahren sei, sei eine komplexe, langjährige und vielfach wiederholte Traumatisierung, das hinterlasse tiefe Wunden. Aus psychologischer Sicht entscheidend sei die aktuelle Situation, die ausschlaggebend dafür sei, ob das Trauma verarbeitet werden könne: Loujain Sultan müsse sich sicher fühlen können, was aktuell eben nicht der Fall sei.

Es folgte Rana Ahmad, die vortrug, dass es immer mehr Menschen gebe, die sich komplett von ihrer Religion abwenden und sich über die immer wichtiger werdenden sozialen Medien austauschen, sowie für Humanismus und Menschenrechte einsetzen. "Doch wenn man eine so dominante Religion wie den Islam verlässt, zahlt man einen sehr hohen Preis." Atheistische Geflüchtete, die Familie und Freunde verloren hätten, seien isoliert und einsam. "Sollten wir uns nicht für diese Menschen einsetzen? Gibt es denn nicht genug Humanisten und Atheisten in Deutschland, die sich für diese Menschen stark machen könnten? Ich habe es mir nicht ausgesucht, Atheist zu sein. Ist es etwa meine Schuld, dass ich aus meinem Heimatland fliehen musste?", fragte die Frau, die es so sehr genießt, ihre langen, dunklen Haare nicht mehr unter einem Schleier verstecken zu müssen. "Für mich war klar: Ich muss (…) für mich und für die anderen kämpfen. (…) Unsere Arbeit ist nicht nur eine politische oder soziale (…), wir sind auch eine große Familie."

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Stefan Paintner ergänzte: "Es ist oft schwierig, hier in Deutschland den Menschen zu vermitteln, weshalb Menschenrechte so wichtig sind und weshalb Humanismus einen Wert darstellt, der immer wieder neu verteidigt werden muss." Bei der Arbeit mit der Säkularen Flüchtlingshilfe sei ihm immer mehr bewusst geworden, wie viele junge Menschen und Gegenden es in der Welt gebe, wo Humanismus und Menschenrechte einen immer höheren Stellenwert bekämen und wo sie eingefordert würden.

Unsere Arbeit ist nicht nur eine politische oder soziale, wir sind auch eine große Familie.

(Rana Ahmad)

Er erzählte von der Feministin Worood Mahdi, die aus dem Irak flüchtete, nachdem ihr Bruder sie so geprügelt hatte, dass sie zu 80 Prozent querschnittsgelähmt war. Sie wolle nicht, dass die Menschen, die ihr das angetan hätten, gewinnen, habe sie zu ihm gesagt. Man merkte, wie nahe es ihm ging, als er berichtete, wie er mit ihr letzte Woche bei der Polizei war und eine Polizistin zu ihnen gesagt habe: "Wenn Sie solche Sachen machen im Internet, wenn sie für Frauenrechte so aggressiv eintreten, brauchen Sie sich nicht wundern, dass Menschen Sie hassen." An diesem Punkt lachte das Publikum ungläubig und empört auf. Er wolle der Polizei keinen Vorwurf machen, so Paintner, sie habe nicht die finanziellen Möglichkeiten, jeden Aktivisten zu schützen, "deswegen ist es wichtig, dass wir das machen."

Stefan Paintner und Worood Mahdi
Stefan Paintner (Säkulare Flüchtlingshilfe) spricht über Worood Mahdi (Feministin) (Foto: © Säkulare Flüchtlingshilfe e.V. / Eva Witten)

Nach einem Interview, dass Mahdi der arabischsprachigen Deutschen Welle gegeben hatte, habe ihr Bruder ihr Fotos von ihrer zusammengeschlagenen Schwester geschickt mit den Worten: "Siehst du, was du getan hast." Das seien die Methoden, mit denen die Leute still gehalten würden und das sei der Grund dafür, warum es so wenige gäbe, die offen sprechen. "Es gibt Leute, die kämpfen für die Menschenrechte und für den Humanismus, aber wir dürfen sie nicht alleine lassen." Die Einwanderungsdebatte werde von Islamverbänden bestimmt, man höre zu wenig von den Menschen, die auch aus muslimischen Ländern kämen aber andere Werte verträten. "Und ich plädiere hier dafür, dass wir diesen Menschen mehr Gehör verschaffen."

Die Diskussion im Anschluss fand diesmal nicht zwischen Bühne und Publikum statt, sondern im Foyer. Ein Anliegen der Säkularen Flüchtlingshilfe, das angenommen wurde, wie Dittmar Steiner von der Organisation berichtet: "Hinterher sind fast alle dageblieben. Das Interesse war sehr groß, es gab viel Lob, Zuspruch und Hilfsangebote." Auch freut er sich darüber, dass der Saal so voll war. Das Publikum sei sehr gemischt gewesen, auch viele neue Gesichter von außerhalb der säkularen Szene hätten den Weg ins Forum der vhs gefunden.

Plakat zur Veranstaltung

Das Plakat zur Veranstaltung (Foto: © Säkulare Flüchtlingshilfe e.V.)

Wer die Säkulare Flüchtlingshilfe unterstützen möchte, kann das hier tun.