Die Taktik der Seuchenfreunde: Impfgegner in den sozialen Medien

Blumen für die Polizei – Impfgegner können ja sooo nett sein. Doch auch liebenswürdiges Auftreten kann nicht verhehlen, dass sie bedenkliche Unwahrheiten verbreiten, die Leben und Gesundheit vieler Menschen in Gefahr bringen.

Ihre Fake-Storys sind hinlänglich bekannt. Etwa die Mär vom angeblichen Tod einer Freiwilligen, die sich in Großbritannien einen neu entwickelten Corona-Impfstoff spritzen ließ. Andere befürchten, dass mit dem Pieks in Wahrheit ein Mikrochip implantiert werden solle. Zahlreiche weitere Geschichten hat Bernd Harder in einem umfangreichen Corona-Mythen A – Z zusammengestellt.

Einige davon dürften den Teilnehmenden der umstrittenen Corona-Demos bereits in den sozialen Medien begegnet sein, wo sich überzeugte Impfgegner geschickt Gehör verschaffen. Welche Strategien sie anwenden, haben Forschende jetzt untersucht .

Laut einer Studie von 2019 lehnen nur drei Prozent der Eltern in Deutschland Impfungen für ihr Kind pauschal ab. Dennoch bringen überzeugte Impfgegner ihre verhängnisvolle Botschaft äußerst geschickt unters Volk. Wie, das legen Neil Johnson von der Universität von Washington DC und sein Team im renommierten Fachjournal Nature dar. Ihre Ergebnisse gewinnen vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie und der Suche nach einem Impfstoff besondere Bedeutung.

Wie in einer Landkarte zeichnete Johnsons Team das Netzwerk der Impf-Debatten und Fehlinformationen auf Facebook nach. Dazu beobachteten sie 1.300 Seiten mit 85 Millionen Accounts und verfolgten, wer auf welcher Seite welche Inhalte verlinkt und wie viel Publikum mitliest.

Zwar zeigte sich, dass Seiten der Impfgegner tendenziell weniger Follower haben als solche, die sich für Impfungen aussprechen. Aber es gibt erheblich mehr von ihnen, und sie werden häufiger in Elterngruppen an Schulen erwähnt. Jeder Link spült Impfgegner-Content zu Eltern, die wegweisende Entscheidungen für die Gesundheitsvorsorge ihrer Kinder treffen müssen, aber noch unentschieden in Bezug auf den lebensrettenden Pieks sind.

Gewiss finden sich auf Facebook auch wissenschaftlich fundiert Informationen über die Vorteile von Impfungen, doch bleiben sie der Studie zufolge meist in der eigenen Filterblase, weitab von den Hotspots der öffentlichen Meinungsbildung. Die Community der Impfbefürworter geht kaum auf die Situation und Erlebniswelt der Unentschiedenen ein, resümiert Heidi Larson, die an der London School of Hygiene and Tropical Medicine beobachtet, wie sich das Vertrauen der Öffentlichkeit in Impfungen entwickelt.

Welche gravierenden Auswirkungen das mit sich bringt, konnte die Forschungsgruppe um Johnson bei Masern-Ausbrüchen 2019 beobachten, als Impfgegner-Seiten im Vergleich zu den wissenschaftlichen Seiten erheblich mehr Zulauf verzeichneten. Sie warnen: Wenn sich die bisherige Entwicklung fortsetzt, könnte die Impfgegnerschaft in den nächsten zehn Jahren Facebook beherrschen.

Dass sich der gefährliche Trend in anderen Netzwerken fortsetzt, legen weitere aktuelle Untersuchungen nahe. So machte das Recherchenetzwerk Correctiv WhatsApp als bedeutenden Verbreitungskanal für Fake-News zu Corona aus. Und eine brandneue, noch nicht peer-reviewte Arbeit von Johnsons Team findet in Online-Messages über Covid-19 plattformübergreifende Verbindungen zwischen Impfgegnern und rechtsextremen Gruppen.

Bei all diesen Kommunikationen dürften die mannigfaltigen emotionale Botschaften eine entscheidende Rolle spielen. Während sich die wissenschaftliche Impfaufklärung auf eine schlichte Botschaft beschränkt – Impfen rettet Leben – bündelt sich auf der Gegenseite eine Vielzahl von Motiven und Überzeugungen. Einige sorgen sich um das Wohl ihrer Kinder, andere misstrauen der sogenannten "Schulmedizin" oder glauben an Verschwörungstheorien, die sich ums Impfen ranken. All diese verschiedenen Gruppen finden eine jeweils passende Ansprache. Da wird beispielsweise Angst geschürt ("Impfen tötet") oder an tiefe Emotionen appelliert ("Liebst Du Deine Kinder?").

Und was tut die Impfaufklärung? Nicht viel mehr als zur Impfung aufrufen, bedauert Heidi Larson. Damit predige man an der großen Gruppe der Unentschiedenen vorbei. Wer sie erreichen wolle, muss ein offenes Ohr für ihre Fragen und Bedenken zeigen.

Larson ist überzeugt, dass eine offene, Vertrauen schaffende Kommunikation hier in Zukunft noch an Bedeutung gewinnen wird – spätestens, wenn ein Impfstoff gegen Covid-19 zur Verfügung steht.

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