"Influencer Gottes" seliggesprochen

Der 15-jährige Carlo Acutis wurde am Samstagabend seliggesprochen. 2006 war er an Leukämie gestorben. Als erster Seliggesprochener in Jeans und Turnschuhen wird er nun in Assisi zur Schau gestellt.

Der katholischen Kirche schwinden bekanntlich rasant ihre Anhänger. Besonders junge, aufgeklärte Menschen verlassen den mittelalterlich anmutenden Glaubensverein mit rein männlicher Führungsriege sowie Sexverbot vor der Ehe, Heiligenverehrung und Exorzismus-Dienstleistungen im Portfolio.

Um die jungen Menschen dort anzusprechen, wo sie heute den größten Teil ihrer Lebenszeit verbringen, hat sich die Kirche ins teuflische Reich des Internets vorgewagt. Doch den richtigen Ton, der die Jugend in Wallung bringt, hat man dabei bislang eher nicht getroffen. Am Samstagabend zündete die katholische Kirche nun eine weitere Raketenstufe zur Eroberung jugendlicher Herzen: Carlo Acutis, ein 2006 im Alter von 15 Jahren an Leukämie verstorbener Junge aus Mailand, wurde seliggesprochen

Acutis' präparierter Leichnam ist in Assisi zu bestaunen. Wie die Überreste uralter Heiliger hat man seinen toten Körper hinter Glas gebettet und die Hände mit einem Rosenkranz umwickelt. Doch im Gegensatz zu anderen Heiligen und Seligen in katholischen Glaskästen ist der Junge mit den dunklen Wuschelhaaren nicht in Gold und Edelsteine gehüllt. Er trägt Jeans, einen Sweater und Turnschuhe – als wohl erster Glaskasten-Seliger in der Geschichte des Katholizismus.

Was Carlo Acutis die zweifelhafte Glaskastenehre samt Seligsprechung einbringt, ist die Tatsache, dass er zu Lebzeiten ein ausgeprägtes Faible für den Katholizismus hatte, gern und oft die Kirche besuchte und bei der Gemeindearbeit half. Daneben interessierte er sich – wie viele Jungs seines Alters – intensiv für Computer. Beide Leidenschaften verband er, indem er ein Online-Verzeichnis eucharistischer Wunder aus allen Kontinenten anlegte. Als Carlo 15 Jahre alt war, wurde bei ihm eine akute Leukämie festgestellt. Nur wenige Tage nach der Diagnose starb er am 12. Oktober 2006.

Ein zutiefst bedauernswertes Schicksal. Mit 15 Jahren hat so mancher noch Unsinn im Kopf, Ansichten, über die man wenige Jahre später lacht. Die erste Liebe und ein Studium hätten Carlo vermutlich mit anderen Gedanken erfüllt. Gedanken, die es ihm vielleicht erlaubt hätten, den Katholizismus seiner Kindheit kritisch zu betrachten. Doch Carlo Acutis durfte all das nicht erleben. Er bekam nicht einmal die Gelegenheit, sich intensiv mit der Frage auseinanderzusetzen, warum jener Gott, den er so sehr verehrte, ihn mit einer schweren Krankheit schlug. Nur wenige Tage blieben ihm nach der Diagnose, bis er starb. Zu wenig Zeit für Denkprozesse, die an den Fundamenten des eigenen Glaubens rütteln könnten. 

Nach seinem Tod leitete die katholische Kirche ein Seligsprechungsverfahren für Acutis ein, das der Junge aus Mailand mit Bravour bestand. Papst Franziskus verlieh ihm den "heroischen Tugendgrad"; im Rahmen des Seligsprechungsprozesses wurde festgestellt, dass er im Internet fast ausschließlich Angebote religiösen Inhalts besucht hatte, und sogar das für die Seligsprechung notwendige Wunder konnte aufgetrieben werden: Ein schwerkranker brasilianischer Junge wurde 2010 vollständig gesund, nachdem er eine Reliquie von Carlo Acutis berührt hatte. Das alles geschah in einem wundersamen Tempo, so dass Acutis' Verfahren zur Seligsprechung eines der schnellsten in der Geschichte war.

Der Selige Carlo scheint genau das zu sein, was sich die Kirche wohl von ihm erhofft hatte: Religiöse Fans haben in den sozialen Medien bereits Verehrungs-Webseiten für ihn eingerichtet. Acutis wird heiß gehandelt als möglicherweise neuer Patron des Internets und bereits jetzt als "Influencer Gottes" bezeichnet. Und das, obwohl er nie das war, was man mit dem Begriff "Influencer" eigentlich bezeichnet: Er hatte keinen Channel auf YouTube, das erst ein Jahr vor seinem Tod gegründet wurde, keine Follower auf Instagram, das vier Jahre nach seinem Tod entstand. Er war ein junger Nerd, der seine Freizeit nutzte, um Webseiten zu programmieren und Berichte von katholischen Wundern in einer Online-Datenbank zu katalogisieren.  

Diesen Jungen mit seinem schrecklichen Schicksal als Vorbild für andere Jugendliche selig zu sprechen, ist an Geschmacklosigkeit kaum zu überbieten. Ich habe Mitleid mit ihm und hätte ihm ein Leben gewünscht. Doch Gottes Wege sind bekanntlich unergründlich. Und wer wollte es schon wagen, die unendliche Güte des Herrn anzuzweifeln, wenn er jungen Menschen das Leben raubt, um ihr Schicksal für PR-Zwecke zu nutzen?

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