Ferdinand von Schirachs Theaterstück in der ARD

Gott?

Ferdinand von Schirachs Stück "Gott" am 23. November 2020 in der ARD griff ein wichtiges, in der Debatte über die Suizidbeihilfe aber oft zu kurz kommendes Thema auf: Wie soll man den Suizidwunsch eines gesunden Menschen, womöglich nicht einmal fortgeschrittenen Alters, bewerten?

Nun ist eine Dramatisierung mit Schauspielern etwas völlig anderes als eine reale Diskussion. Ein von der persönlichen Einstellung des Autors geprägter Bias ist unvermeidlich. Dies berücksichtigt, schien es durchaus sinnvoll, das Thema in den drei Experten-Anhörungen zu Verfassungsrecht, Medizin und Religion zu facettieren.

Die vorgetragenen Argumente waren von seltener Vollständigkeit. Die Position der Verfassungsrechtlerin konnte durch die "Contra-Anwältin" nicht zu Fall gebracht werden. Ersichtlich maß Schirach diesem Teilthema die entscheidende Bedeutung zu – zu Recht. Der argumentative Stand des Vertreters der Bundesärztekammer war da schon weit brüchiger. Insbesondere die These, eine Beteiligung der Ärzteschaft bei Suizidbeihilfen werde das elementare Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient ruinieren, konnte nicht verfangen. Was sonst als ein elementares und gutes Vertrauensverhältnis zum Arzt würde PatientInnen überhaupt dazu bringen, ihn zum Thema Suizid und eventuell Suizidbeihilfe anzusprechen? Die Annahme, ein Engagement für Patienten bei Suizid und Suizidbeihilfe "zerstöre" die Vertrauensgrundlage, geht vom immer noch herumspukenden traditionellen "Machtgefälle" zwischen Arzt und Patient aus, das dem Arzt eine patriarchalische Position zuschreibt und viele Patienten "verstummen" lässt.

Einem Arzt-Patienten-Verhältnis, das von dem in den letzten 20 Jahren zum Durchbruch gelangenden "shared decision making"1, der partizipativen Therapieentscheidung von Arzt und Patient, geprägt ist, wird ein offener Austausch über das Thema Suizid und Suizidbeihilfe kaum schaden – im Gegenteil. Die teils unsägliche "medizinethische" Debatte in der nachfolgenden Sendung "Hart aber fair" sei kurz erwähnt – man darf hoffen, dass hier nicht die durchgängige Sicht der gesamten Ärzteschaft zum Ausdruck kam. Denn wenn – wie zu hören war – (bereits) 38 Prozent der Ärzte sich eines Suizidwunsches der PatientInnen annehmen und darin keinen Widerspruch zu medizinethischen Verpflichtungen sehen würden, ist doch die außerordentlich restriktive Haltung der Funktionärsschaft schon nicht mehr wirklich vertretbar. Tempora mutandur.

Kompendium der Argumente und Gegenargumente

Der katholische Bischof erfuhr eine sehr positive Ausgestaltung in Schirachs Konzept. Ich gestehe, dass ich einen solchen argumentativ durchweg eloquenten, zum Schluss aber verstummenden und konzessionsbereiten Mann der Kirche in realen Diskussionen noch nicht erlebt habe. Geschweige denn bei religiös geprägten Laien in meinungsbildenden Positionen.

Bei allen Unzulänglichkeiten der literarisch-dramatischen Gestaltung sei der Film, vor allem als regelrechtes Kompendium der Argumente und Gegenargumente, durchaus positiv gewürdigt. Er wies in seinem Inhalt natürlich weit über die präzise Ausgangsfrage zur Suizidbeihilfe bei Gesunden unabhängig vom Alter hinaus (und bot auch keine letztgültige Antwort – die Zuschauerquote von 70 Prozent, die die Ausgangsfrage bejahte, verwundert aber angesichts früherer Erhebungen nicht). Er bietet sich auch für ein prägnantes Fazit an. Denn es wurde für den aufmerksam-kritischen Zuseher deutlich: Es gibt einen gravierenden Unterschied zwischen der auf einem neuzeitlichen Menschenbild beruhenden Verfassungswirklichkeit auf der einen Seite und den medizinethischen und religiösen Positionen auf der anderen Seite.

Nur die Verfassungsrechtslage bietet gleichermaßen Raum für die wirkliche persönliche Entscheidung des Einzelnen, wie auch immer sie ausfallen mag. Die medizinethische wie die religiöse Seite bieten dagegen Beschränkungen der freien Wahl, weil sie nach wie vor unberechtigt Allgemeingültigkeit beanspruchen (was der katholische Bischof ganz am Ende seiner Argumentation dann auch offen einräumte – und damit im Grunde über die Position des Ärztefunktionärs noch hinausging). Individuelle Freiheit gegen De-facto-Verbote, um es auf den Punkt zu bringen. Nur die Verfassungsrechtslage wird der Anforderung gerecht, dass der Staat seinen Bürgerinnen und Bürgern einen intersubjektiven Raum eröffnen muss, in dem jede persönliche Entscheidung wertfrei akzeptiert wird, die anderen nicht schadet.

Eingriff aus religiös-moralischem Partikularinteresse

Hieran knüpft ein aktuelles Problem an: das Bemühen um eine regulatorische Gesetzgebung "nach Karlsruhe". Hierzu ist beim hpd schon einiges erschienen. Daher hier nur einige (sehr) grundsätzliche Überlegungen:

Screenshot ARD-Webseite
Screenshot der ARD-Webseite

Wie zu vernehmen war, liegen mittlerweile dem Gesundheitsministerium die Vorschläge der Institutionen, Vereine und Weltanschauungsgemeinschaften vor, mit denen Regelungen für die Beihilfe zur Selbsttötung geschaffen werden sollen. Regelungen? Wir hatten vom 1. Januar 1872 bis zum 9. Dezember 2015, also eine geraume Weile, zu diesem Thema eine klare Rechtslage ohne "Regelungen", nämlich dass Beihilfe zu einem Suizid straffrei ist, weil er als Beihilfe zu einem nicht strafbaren Verhalten nicht selbst pönalisiert werden kann. Mit diesem Grundsatz hatte die Neufassung des Paragrafen 217 StGB in der Fassung vom 10. Dezember 2015 – inzwischen seligen Angedenkens – gebrochen, und zwar auf eindeutig und umfassend verfassungswidrige Art und Weise. Es empfiehlt sich, sich gelegentlich durch die Lektüre der Bundesverfassungsgerichtsentscheidung zur Nichtigkeit dieser Regelung zu vergegenwärtigen, wie weitgreifend das Gericht die maßgeblichen Freiheitsrechte auslegt.

Mir ist nicht bekannt, dass und wo die alte Rechtslage irgendwo in all den Jahrzehnten Probleme in einem Umfang verursacht hätte, die ein rechtspolitisches Eingreifen des Gesetzgebers jemals erfordert hätten. Mit dem verworfenen Paragrafen 217 StGB hat man aus religiös-moralischem Partikularinteresse – und damit verfassungswidrig – eingegriffen. Und nicht aus einem rechtspolitisch-gesellschaftlichen Regelungsbedürfnis, das allein eine gesetzgeberische Initiative legitimiert.

Nun möge man die grundsätzliche Frage beantworten, warum gewisse Kreise so einen großen Wert darauf legen, dem Spruch des Bundesverfassungsgerichts gleich wieder eine gesetzliche Regelung folgen zu lassen. Statt es bei der nun restaurierten Situation zu belassen, wie sie vorher – seit 1872 – bestand. Wo ist der Unterschied zwischen dem Jetzt und den Jahren zwischen 1872 und 2015? Und nein, die Zeit des Dritten Reiches eignet sich nicht zur Infragestellung heutiger Freiheitsrechte – das darauf aufbauende "es fing immer klein an" zeigt nichts anderes als zu wenig Vertrauen in unsere freiheitliche Grundordnung. Und dieses Vertrauen zähle ich zu den Faktoren des "Böckenförde-Diktums", auf denen moderne Staatlichkeit beruht, ohne dass der Staat sie garantieren kann. Demokratie braucht Selbstbewusstsein.

Gesetzgebung hat nicht die Aufgabe, jeden Lebenssachverhalt zu regeln

Wer nun betreibt hier wieder eine "Folgegesetzgebung"? Zunächst handelt es sich hier um die unterlegenen Moralisten, die nun versuchen wollen, einzuhegen, was immer nur eingehegt werden kann. Was ich in Anbetracht der Eindeutigkeit und der Reichweite des Richterspruchs aus Karlsruhe für ein sehr problematisches, je nach Ausprägung gar mangelnde Rechtstreue zeigendes Verhalten halte.

Dagegen versuchen verständlicherweise humanistische Verbände anzugehen, treiben aber irgendwie den Teufel mit dem Beelzebub aus, wenn und indem sie eigene – noch so gut gemeinte – Gesetzentwürfe vorlegen. So oder so wird die persönliche Entscheidung für einen Suizid (und die Inanspruchnahme von Hilfe dabei) einem Kontrollregime unterworfen.

Irgendwie verständlich, dass man dem Ganzen doch irgendwie Zügel anlegen will. Aber ist das rechtspolitische Interesse daran wirklich so groß, dass es erneut einen hochproblematischen Gesetzeseingriff rechtfertigt? Probleme in Einzelfällen gibt es immer. Gesetzgebung hat aber nicht die Aufgabe, jeden Lebenssachverhalt zu regeln, sondern nur diejenigen, bei denen dies aus Gründen des gesellschaftlichen und des Rechtsfriedens notwendig ist. Man darf daran zweifeln, auch angesichts der Empirie, die schon vor der Entscheidung 2015 (und jetzt erst recht) belegt, dass das Dammbruchargument, eine überbordende Kommerzialisierung oder das "Drängen" alter Menschen in den Suizid überhaupt nennenswerte Aspekte sind, die einer Einhegung bedürfen. "Bessere Rechtsetzung bedeutet zunächst eine Ausrichtung auf das Notwendige", steht auf der Webseite des Bundesinnenministeriums.

Wahrung und Durchsetzung statt Eingrenzung

Im Lichte der Grundsätze demokratisch-republikanischer Gesetzgebung käme dem Staat also im Grunde gar nicht zu, diese Aspekte per Gesetzgebung – insbesondere Strafgesetzgebung – zu regeln. Was nicht heißt, dass es keine offenen Fragen gibt wie die, ob die Menschen nicht vor sich selbst zu schützen seien oder die, wie der Freigabe der notwendigen Mittel durch den Staat aus ethischen Gesichtspunkten eine Verantwortung an den damit verursachten Tötungen zukomme. Das sind verbleibende Kernprobleme, die intensiver Diskussion bedürfen und vielleicht eher aus dem Selbstverständnis einer funktionierenden Gemeinschaft republikanischer Bürger im "ständigen Aushandlungsprozess" beantwortet werden können als per Gesetzgebung.

Es bliebe die Option, dass der Staat das Postulat des Verfassungsgerichts zu völliger individueller Freiheit beim Suizid und der Inanspruchnahme von Hilfe dabei so versteht, dass er eine Gesetzgebung zu dessen Wahrung und Durchsetzung erlässt und nicht zu deren Eingrenzung. Ob das Strafrecht dafür das richtige Mittel ist, kann mit guten Gründen bezweifelt werden. Vielleicht sollte es ein Gesetz zur Regelung der geschäftsmäßigen Suizidbeihilfe – einer Regulierung der sogenannten Sterbehilfevereine – geben, denen man Handlungsfreiheit – und Verantwortung – in einem klar definierten Rahmen zugesteht? Womit man außerhalb des Strafrechts bleiben könnte? Dazu müsste allerdings so mancher in Parlament und Regierung seine Aversion gegen die Vereine erst einmal aufgeben.

Dass "der Staat", verkörpert durch die derzeitige Bundesregierung, nicht in diese Richtung denkt, zeigt jawohl hinreichend das Festhalten daran, unter keinen Umständen den Menschen einen Zugang zu Natrium-Pentobarbital auf legalem Wege zu ermöglichen.

Dagegen ist die gesellschaftliche Entwicklung zum Suizid und der Suizidbeihilfe, auch im Film heraufbeschworen, bereits viel weiter fortgeschritten, als es sich Medizinfunktionäre, Klerus und große Teile der Politik wohl überhaupt vorstellen können. Besonders die Politik möge darauf achten, sich mit Blick darauf nicht durch Verweigerungshaltungen und Regelungswut zu delegitimieren. Der Nebel in der Sache hat sich längst noch nicht verzogen. Und wenn man mal schnuppert, riecht der Nebel nach wie vor verdächtig nach Weihrauch … trotz des netten Bischofs in Schirachs Film.

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  1. Härter / Diermair / Schmacke: Patienten und Patienten als handelnde Personen. Der notwendige Abschied vom Paternalismus. In: Schmacke N. (Hrsg.): Der Glaube an die Globuli, Berlin 2015 ↩︎