Kritische Erörterungen zu einer analytischen Kategorie

"Islam-Linke" – was ist damit gemeint und warum ist das problematisch?

In Frankreich ist von einer "Islam-Linken" die Rede. Dabei geht es um Bündnisse von Islamisten und Linken, was nicht nur aus demokratietheoretischer Blickrichtung ein politisches Problem ist. Auch in Deutschland gibt es erste Entwicklungstendenzen in diese Richtung.

Ein Begriff wandert aus Frankreich ein: "Islamo-Gauchisme" beziehungsweise "Islam-Linke". Doch was soll mit dieser Formulierung gemeint sein? Geht es um eine analytische Kategorie oder einen polemischen Kampfbegriff? Die eine Deutung muss übrigens die andere Deutung nicht ausschließen. Um aber Antworten auf die Fragen zu geben, sind Begriffsdefinitionen und Differenzierungen nötig. Am Beginn steht die Erläuterung des Gemeinten: Gemeint sind positive Bezüge auf den Islam durch die politische Linke. Indessen handelt es sich so immer noch um einen diffusen Begriff, denn was ist hier genau mit dem Islam gemeint? Geht es nur um die Glaubensform, die Islamisten oder die Muslime? Ähnliche Fragen können bezogen auf die Linke gestellt werden: Geht es nur um die Dogmatischen oder auch die Undogmatischen, die Identitätslinken oder auch die Soziallinken? Es muss bereits zu Beginn der Erörterung gesagt werden, dass hier weder Klarheit noch Konsens bestehen. Diese Einsicht eröffnet aber auch die Möglichkeit, eigenständige Festlegungen vorzunehmen und vorzuschlagen.

Am Anfang soll dazu die Begriffsgeschichte stehen: Erstmals sprach der französische Ideenhistoriker und Rassismus-Forscher Pierre-André Taguieff 2002 von Islamo-Gauchiste. Er bezog sich dabei auf gemeinsame Aktionen von Islamisten und Linken, die bei Globalisierungsprotesten ihre Israelfeindlichkeit artikulierten. Danach verselbstständigte sich der Begriffsgebrauch und damit der Begriffssinn. Auch Marine Le Pen vom Rassemblement National, dem früheren Front National, nutzte den Terminus, dann aber als politisches Schlagwort, um die politische Linke insgesamt zu diskreditieren. Es gab aber auch seriöse Begriffsnutzungen, etwa von der feministischen Philosophin Elisabeth Badinter oder dem bekannten Islamismusforscher Gilles Kepel. Indessen mangelte es auch hier jeweils an einer definitorischen Klarheit. Gemeint sein sollte mit "Islam-Linke" eine linke Position des politischen Selbstverständnisses, welche eine Bündnisbereitschaft gegenüber Islamisten prägt und beziehungsweise oder ein Mobilisierungspotential in Muslimen sieht.

In Frankreich machten zwei Publizisten auf derartige Zusammenhänge aufmerksam. Dazu gehört Pascal Bruckner, der sich auf Aufklärung, Laizismus und Menschenrechte im Selbstverständnis bezieht. Er grub die alte Erklärung einer britischen trotzkistischen Splittergruppe aus, worin eine Kooperation mit Islamisten für die gemeinte "Socialist Worker Party" eingefordert wurde. "Es geht ihnen … darum, die Islamisten in die neue alte Linke zu integrieren und damit einen politischen Salto mortale zu vollbringen"1. Derartige Auffassungen finden aus Bruckners Sicht immer stärkere Verbreitung, zeige sich doch die Linke mangels fehlendem revolutionärem Subjekt für einschlägige Verbindungen offen. In Frankreich gibt es für derartige Tendenzen eine Tradition. Bekanntlich hatte der Philosoph Michel Foucault schon früh seine Hoffnung auf die iranische Revolution gesetzt, wurde dann aber angesichts von Diktatur und Menschenrechtsverletzungen enttäuscht.

Auch die bekannte französische Feministin Caroline Fourest warnte jüngst vor den Gefahren einer "Islam-Linken"2. Dabei erinnert sie daran, dass es derartige Bündnisse, etwa in Ägypten oder dem Irak, in der islamischen Welt schon lange gäbe. "Noch schockierender ist es, festzustellen, dass es solche Bündnisse auch inmitten der Demokratien gibt – und zwar gegen die Demokratie." Sie berichtet von gemeinsamen Aktionen, die sich gegen feministische, säkulare und universalistische Linke richten würden. Davon sei sie selbst auch schon betroffen gewesen, hätten doch sechzig "Islam-Linke" eine Konferenz gegen Rechtsextremismus stören wollen. Denn sie habe die "Burka" kritisiert. In Großbritannien sei Maryam Namazie, eine iranischstämmige säkulare Aktivistin, von militanten Islamisten und Linksextremisten angegriffen worden. Sie hatte offen die islamistische Diktatur im Iran kritisiert und galt daher den Störern als "islamophob".

Wie sieht es demgegenüber in Deutschland aus?

Auch hierzulande kann man gelegentlich derartige Aktionen und Kooperationen feststellen. 2019 sollte eine Konferenz über die "Kopftuch"-Frage an der Universität Frankfurt am Main verhindert werden, denn auch Feministinnen wie Necla Kelek oder Alice Schwarzer gehörten zu den Vortragenden. Indessen war dieser Angriff auf die Meinungsfreiheit nicht erfolgreich, stand doch die Universitätsverwaltung hier hinter der Wissenschaftsfreiheit. Es gibt darüber hinaus linke Gruppierungen, die eine Bündnisbereitschaft und Kooperation zu erkennen geben. Dies gilt etwa für die trotzkistische Kleinorganisation "marx21", aus der auch die gerade als Linken-Co-Vorsitzende gewählte Janine Wissler stammt. Ähnlich verhält es sich mit der Bundestagsabgeordneten Christine Buchholz, die religionspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion der Linken. Sie hatte die Hamas und die Hizbollah noch vor Jahren wohlwollend kommentiert, handele es sich doch um antiimperialistische Befreiungsbewegungen. Später wiederholte sie das nicht mehr.

Bemerkenswert ist auch ein politischer Diskurs, der mit dem Begriff "antimuslimischer Rassismus" einhergeht. Dabei handelt es sich um eine diffuse Bezeichnung. Denn für alle nur möglichen Einwände kann diese im diffamierenden Sinne genutzt werden, was auch für Einwände gegen die Geschlechterbilder in muslimischen Kontexten gilt. Auch hier lässt sich für Deutschland durchaus ein Einklang von bestimmten Islamisten und bestimmten Linken feststellen. Dies hat für die Diskussionskultur erschreckende Konsequenzen. Fourest schrieb etwa: "Das geht mittlerweile so weit, dass der Streit um Ideen mit einem Zusammenstoß von Identitäten, das Recht auf Gotteslästerung mit Rassismus und beinahe jede Abweichung oder Schattierung mit einer 'Mikroverletzung' verwechselt wird." Ausführlich hat die Autorin dies in einer lesenswerten, aber polemischen Essaysammlung thematisiert, worin anhand von Beispielen aus Frankreich oder den USA derartige Tendenzen kommentiert werden3.

Es muss hier indessen differenziert werden: Die mit dem doch leicht missverständlichen Begriff "Islam-Linke" gemeinten Linken bilden keine Mehrheit in diesem politischen Spektrum. Gleichwohl lässt sich ein Bedeutungsanstieg konstatieren, womöglich mehr im Diskurs als in der Quantität. Gleichwohl macht diese Entwicklung deutlich, dass Bestandteile eines linken Selbstverständnisses immer mehr erodieren: Aufklärung und Frauenrechte, Individualismus und Menschenrechte, Religionskritik und Säkularität. Es kann nicht nur eine demokratische und extremistische, sondern auch eine identitäre und universelle Linke unterschieden werden. Dies machen die diskursiven und realen Gemeinsamkeiten mit Islamisten deutlich, wobei politische Blindheit nicht mehr als Entschuldigung gelten kann. Die politischen Auffassungen von Islamisten, die sich gegen eine offene und pluralistische Gesellschaft wenden, sind nicht nur durch die einschlägige Fachliteratur bekannt. Derartige Bündnispolitik steht auch und gerade für Linke für einen Menschenrechtsrelativismus.

Anmerkung der Redaktion: Dem Autor des Artikels (sowie auch Kommentator:innen) ist ein Fehler im Artikel aufgefallen: "Es muss "Islamo-Gauchisme" und nicht "Islamo-Gauchiste" lauten." Der Fehler wurde korrigiert.


1Pascal Bruckner, Der eingebildete Rassismus. Islamophobie und Schuld. Berlin 2020, S. 52

2etwa in: Caroline Fourest, Sagten Sie "Islam-Linke"? In: taz vom 13./14. März 2021, S. 12

3Caroline Fourest, Generation Beleidigt. Von der Sprachpolizei zur Gedankenpolizei. Berlin 2020

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