"Einem Menschen bei der Wahrnehmung eines Grundrechts zu helfen, kann nicht strafbar sein" heißt es in dem "Berliner Appell", der von der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS), DIGNITAS-Deutschland, dem Verein Sterbehilfe und der Giordano-Bruno-Stiftung (gbs) am heutigen Montag im Haus der Bundespressekonferenz vorgestellt wurde. Anlass der Pressekonferenz sind die jüngsten parlamentarischen Versuche, einen neuen § 217 StGB zu verabschieden, der die Suizidhilfe abermals streng reglementieren würde.
Vor fast genau zwei Jahren hatte das Bundesverfassungsgericht die Verfassungswidrigkeit des alten § 217 StGB festgestellt. In dem aufsehenerregenden Urteil vom Februar 2020 wurde verdeutlicht, dass es Teil des Persönlichkeitsrechts ist, freiverantwortlich über das eigene Leben und dessen Ende zu verfügen und dafür auch die Hilfe Dritter annehmen zu dürfen. Seitdem suchen schwerkranke oder lebensgesättigte Menschen verstärkt nach Informationen und Institutionen, mit denen sie ihr "letztes Menschenrecht" praktisch verwirklichen können.
"Uns war damals schnell klar, dass wir unsere Mitglieder nicht hängen lassen dürfen", betont Rechtsanwalt Prof. Robert Roßbruch, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS), anlässlich der Vorstellung der "10 Forderungen für humane Suizidhilfe". So hat die mitgliederstarke und traditionsreiche Patientenschutzorganisation DGHS Sorgfaltskriterien entwickelt, die bei der Vermittlung von Anfragen Sterbewilliger von den Helfenden eingehalten werden müssen.
Sandra Martino, Erste Vorsitzende von DIGNITAS-Deutschland, erklärt, "dass es dank des seit Jahrzehnten bewährten Prinzips zur Prüfung von Freiverantwortlichkeit und Wohlerwogenheit des Sterbewunsches in den zurückliegenden zwei Jahren bei Freitodbegleitungen in Deutschland keinerlei Probleme gab. Warum also sollte der Staat, der sich auf diesem sensiblen Gebiet nicht auskennt, nun neue Regularien erlassen, welche die Lage notleidender Menschen zusätzlich erschweren?"
"Es gibt keinen Grund für einen neuen § 217 StGB, zumal der aktuelle Gesetzentwurf auf Formulierungen des alten Paragrafen zurückgreift und ebenfalls verfassungswidrig ist", bekräftigt Jakub Jaros, Geschäftsführer des Vereins Sterbehilfe. "Die verantwortlichen Politikerinnen und Politiker sollten sich nicht einbilden, mit einem erneuten Verbot der professionellen Suizidhilfe vor Gericht mehr Glück zu haben als vor zwei Jahren."
"Die Politik sollte unbedingt der Versuchung widerstehen, erneut das Schwert des Strafrechts zu bemühen", fordert auch Ingrid Matthäus-Maier, ehemalige SPD-Spitzenpolitikerin und Beirätin der Giordano-Bruno-Stiftung (gbs), die die Pressekonferenz moderierte. "Die praktischen Erfahrungen im Bereich der professionellen Freitodbegleitung haben gezeigt, dass neue strafgesetzliche Regelungen nicht erforderlich sind. Wenn aber ein Gesetz nicht erforderlich ist, dann ist es erforderlich, kein Gesetz zu erlassen. Ein neuer § 217 StGB ist daher inakzeptabel!"
Das Fazit der Organisationen lautet: Suizidhilfe kann einen Ausweg für Menschen darstellen und ist keinesfalls erneut zu kriminalisieren. Die erforderliche Transparenz und Sorgfalt werden sichergestellt. Aus Sicht von DGHS, gbs, DIGNITAS-Deutschland und dem Verein Sterbehilfe sind auf dem Weg zu einer "humanen Sterbekultur" allerdings noch einige Schritte nötig, die in einem gemeinsamen Forderungskatalog aufgelistet sind. Der "Berliner Appell: 10 Forderungen für humane Suizidhilfe in Deutschland" umfasst unter anderem folgende Punkte: Keine Erneuerung von Strafbarkeit, keine Beratungspflicht, keine Wartezeiten, dafür aber eine staatlich geförderte, evidenzbasierte und weltanschaulich neutrale Forschung zur Suizidhilfe, inklusive einer differenzierten Erfassung der statistischen Daten.
6 Kommentare
Kommentare
malte am Permanenter Link
Ich finde den Gesetzentwurf auch zu streng, speziell die dreimonatige Wartefrist ist zu hoch angesetzt.
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Die Gerichte und die Politik können es einfach nicht lassen die Bürger ständig und in allen möglichen Angelegenheiten zu Bevormunden, vermutlich befürchten diese einen Machtverlust und reglementieren deshalb ständig g
Auch diejenigen, welche vor der Wahl Versprechungen zur Änderung gemacht haben, knicken jetzt, da sie an der Regierung sind, ein und handeln ebenfalls gegen ihre Versprechen und gegen eine Selbstbestimmung der Bürger.
Roland Weber am Permanenter Link
Zu einem Rechtsstaat gehört zwingend eine unabhängige Gerichtsbarkeit und eine Exekutive, die deren Rechtssprechung uneingeschränkt anerkennt - vor allem, wenn es das höchste Verfassungsgericht ist.
Doch die Regierung ist einfach nicht bereit, die im Urteil des BVerfG für rechtens erklärte Werteentscheidung zu akzeptieren. Dieser Kurs geht immer noch immer wesentlich auf den Katholiken und Minister Span zurück, der sich durchaus bewusst war, was er seiner Herkunft schuldet.
Diese nicht nur Hinhalte-, sondern ungeschminkte Weigerungshaltung ist nicht hinnehmbar. Sie rührt nicht aus Menschenfreundlichkeit, sondern ist die traditionell kirchlich geprägte Auffassung, dass alleine ein Gott zu entscheiden habe. Diese irrationale Auffassung hat in einem demokratisch-humanistischen Staat nichts verloren.
Selbst bei einem Tier ist die menschliche Nachsicht größer, wenn es darum geht, qualvolles Leiden zu vermeiden.
Die Weigerung, das Urteil auf kaltem Weg über ein Abgabeverbot von Medikamenten zu unterlaufen, ist reinstes Schmierentheater.
Es ist absurd, von ungezügelten Selbsttötungsorgien auszugehen. Jeder Mensch weiß, dass er nur das eine irdische Leben hat - selbst wenn er an eine Auferstehung glaubt.
Es geht auch nicht darum, dass irgendwer gezwungen werden soll, Sterbehilfe in Anspruch zu nehmen. Das darf jeder für sich entscheiden.
Schon jetzt muss man die Befürworter der Sterbehilfe darauf hinweisen, dass sie sich erst gar nicht auf die Argumentation allein mit Schwerkranken einlassen sollten. Dass diesen das Recht auf Beendigung ihres Lebens zugestanden werden muss, ist eine humane Selbstverständlichkeit. Doch darum geht es gar nicht: Es geht um mehr!
Das BVerfG hat zu Recht entschieden, dass das Grundrecht auf Selbstbestimmung in der heutigen Zeit viel weiter gehen muss. Es ist eine elemenatare Frage der Würde eines Menschen. Menschen dürfen nie Objekt staatlicher Maßnahmen sein und sind unabhängig von kirchlich geprägten Wertvorstellungen.
Wo die Würde eines Menschen beginnt und wo sie aufhört, ist alleine die Sicht und Entscheidung des betroffenen Menschen. Es hat andere Menschen und auch dem Staat, der durch seine Regierung die eigne persönliche Subjektivität umzusetzen geneigt ist, nicht zu interessieren oder gar Folgen daran zu knüpfen, ob und warum jemand diese Grundrecht für sich in Anspruch nehmen will.
Gegen die Einbeziehung von Ärzten oder anderen Beratern und Helfern ist auch dann nichts einzuwenden, wenn ihre Dienstleistung angemessen vergütet wird.
Auch bei der bisher als unethisch verlogen vorgetragenen "Geschäftsmäßigkeit" sollte man sich klar darüber sein, dass in unserem gesamten Wirtschaftssystem nirgends eine Dienstleistung "kostenfrei" gibt. Selbst eine Kirchenmitgliedschaft mag umsonst oder sinnlos sein, kostenfrei ist nicht einmal dies. Und dies gilt verfassungswidrig sogar für einen Kirchenaustritt.
Demokratie ist nicht etwas, was man hat, sondern ist das, worüber man immer wieder bis an die Wurzeln streiten und kämpfen muss.
Hans Trutnau am Permanenter Link
"Wenn aber ein Gesetz nicht erforderlich ist, dann ist es erforderlich, kein Gesetz zu erlassen."
Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen -
eigentlich.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Ich war schon drauf und dran zu fragen, warum die 10 Forderungen des Berliner Apells nicht erwähnt (oder zumindest verlinkt) wurden (insbesondere Punkt "1.
Probst, Gudrun am Permanenter Link
Vielen Dank für ihre Stellungnahme! Ich unterstütze alle Forderungen!
Strafrecht ist völlig abwegig!
Mit freundlichen Grüßen
G. Probst