In den vergangenen Tagen wurde viel darüber berichtet, dass der katholischen (und evangelischen) Kirche die Mitglieder abhanden kommen. Die organisierten Christen stellen damit nicht mehr die Mehrheit der in Deutschland lebenden Bürger. Diese Tatsache scheint jedoch bei den Politikern noch nicht angekommen zu sein, kritisiert unter anderem auch der HVD Niedersachsen.
Zu der zahlreichen Berichterstattung über die Kirchenaustritte vom 27. Juni 2022 sagen die Landesgeschäftsführerin des HVD Niedersachsen, Catrin Schmühl, und der Präsident, Guido Wiesner:
"Der Trend, aus der Kirche auszutreten, hält an und man hat nicht den Eindruck, dass die großen Kirchen ihm etwas entgegensetzen wollten. Die katholische Kirche scheint noch nicht begriffen zu haben, dass 'auch schlechte Publicity ist Publicity' nur für Dschungelkönige und AfD-Politiker ein Geschäftsmodell ist, ist sie doch scheinbar bemüht, jedem Skandal einen weiteren folgen zu lassen.
Die Kirche verliert nicht nur die berühmten 'Kartei-Leichen', die qua Säuglingstaufe Mitglied waren. Sie haben Kommunion und kirchliche Trauung als stimmungsvolles Familienfest mitgenommen, aber keine innige Bindung zu ihrer Religion und ihrer Kirchengemeinde – und spätestens, wenn die monatliche Kirchensteuerabgabe schmerzt, treten sie aus rationalen Gründen aus, genau wie sie das YPS-Heft-Abo irgendwann gekündigt haben, nachdem man es, obwohl man ihm entwachsen war, aus Gewohnheit und Nostalgie noch ein Jahr weiterbezahlt hat, ohne es zu lesen.
Die Kirche verliert gläubige Mitglieder – solche, die sich mit dem Christentum identifizieren, denen christliche Werte wichtig sind, die sich vor Ort engagiert haben, und solche, die lange versucht haben, innerhalb der Kirche Veränderungen zu bewirken. Das alles stört die katholische Kirche nicht wirklich, ist doch die einzige Reaktion 'Betroffenheit'.
Lange haben wir gedacht, dass der Einfluss der Kirche auf die Politik schwächer wird, wenn Kirchenmitglieder nicht mehr die Mehrheit der Bevölkerung stellen. Falsch gedacht. Weder wächst der Druck auf den Staat, kirchliche Privilegien in Frage zu stellen, noch der Druck auf die Kirchen, an der Praxis von Verschweigen, Vertuschen sowie 'Wasser predigen und Wein saufen' substanziell etwas zu ändern. Betroffenheit reicht und kostet nichts.
Als Humanisten sehen wir kirchliche Institutionen kritisch. Wir verurteilen die Sonderbehandlung der Kirche durch den Staat, wir lehnen die Tolerierung einer parallelen Gesetzgebung ab. Kurzum: Wir müssten uns über jeden einzelnen Kirchenaustritt freuen.
Als Humanisten und Agnostiker tut es uns für die Katholiken leid, die in ihrer Kirchengemeinde eine Art seelische und geistige Heimat gesucht und vermutlich für längere Zeit auch gefunden haben, und die nun eine neue Art, ihren Glauben zu leben, finden müssen.
Als Humanisten, Agnostiker und Repräsentanten eines humanistischen Landesverbandes wünschen wir uns, dass unsere Stimme stärker gehört wird. Wir sind nicht nur Interessensvertretung derer, die nicht an einen Gott glauben, wir sind auch die Interessensvertretung derer, für die es nicht wichtig ist, ob es einen Gott gibt, sondern die sich für eine Welt einsetzen, in der humanistische Werte gelebt werden: Menschlichkeit, Solidarität, Gleichberechtigung, Aufklärung, Mitbestimmung.
Der Humanistische Verband Deutschlands in Niedersachsen lädt alle Menschen ein, sich über unsere Arbeit zu informieren, Kontakt aufzunehmen, nachzufragen – gerne auch kritisch – und sich bei uns zu engagieren."
7 Kommentare
Kommentare
Hans Trutnau am Permanenter Link
"... bei den Politikern noch nicht angekommen" - wie auch, wenn speziell diese Kaste von Grund auf religionitisch durchseucht ist?
Hans Trutnau am Permanenter Link
Es hieß (nach "verwundert ein wenig") meinerseits weiter: - warum ist er oder sein Dachverband HVD dann kein Mitglied im Zentralrat der Konfessionfreien Deutschlands?
Dann wacht auch irgendwann die politische Kaste auf.
epikur am Permanenter Link
Es ist an der Zeit, dass das Grundgesetz den heutigen gesellschaftlichen Erfordernisse angepasst wird. Nicht nur der Art. 7 (3) muss ersatzlos gestrichen werden, sondern auch der Gottesbezug der Präambel.
Selbst wenn man sich auf die Ebene der Gläubigen begibt, hat dieser Gottesbezug dort nichts zu suchen, da dieser sich allein auf den trinitaren Gott der Christen bezieht. Auch die Gläubigen anderer Fabelwesen haben sich folglich zu freuen, dass sie wegen des ihnen laut Bibel eigentlich feindlich gesonnenen Gottes Teil eines gleichberechtigten Gliedes eines vereinten Europas sein zu dürfen.
Abgesehen von der inhärenten Diskriminierung von Nichtchristen, ist der erste Satz der Präambel logisch inkonsistent.
Carsten Ramsel am Permanenter Link
Der Gottesbezug in der Präambel des GG bezieht sich nicht auf den christlichen Gott, selbst wenn die Mütter und Väter des GG ihn im Sinn hatten.
Heinz König am Permanenter Link
Es bleibt zu hoffen, dass unter den Austretenden auch einige sind, die den Schwachsinn nicht mehr glauben und nicht wg der KSt oder wg des Kircheninhaltes flüchten.
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Vermutlich ist in der jetzigen angespannten Finanzlage der Bürger der Hauptgrund eines Kirchenaustritts der finanzielle Aspekt.
von unser aller Steueraufkommen subventionieren.
Diese Gelder werden auch von andersgläubigen und von Atheisten gezahlt, ohne Rücksicht
darauf wie jemand zu den Kirchen in der BRD steht.
Auch die Tatsache, dass bereits über 50% der Bürger aus diesen Vereinen ausgetreten sind
wird von unseren "Volksvertretern" ignoriert.
Diese Tatsachen sind leider zu wenig bekannt und werden von unseren gewählten Parlament
geflissentlich verschwiegen
Udo Endruscheit am Permanenter Link
Ich persönlich bin davon überzeugt. In den letzten 20 Jahren habe ich sehr viele Gespräche mit Menschen geführt, die kurz vor dem Kirchenaustritt standen.
Ich kann mich an niemand erinnern, der oder die die Kirchensteuer als letztlich entscheidendes Moment für den Austritt angeführt hatte. Natürlich spielt das mit hinein, aber weder als notwendiges noch als hinreichendes Argument.
Wobei ich für meine Erfahrungen natürlich keine Allgemeingültigkeit beanspruche. Ich für mich selbst kann sagen, dass mein Kirchenaustritt vor mehr als 50 Jahren von einer tiefen Abneigung vor einer "Heilslehre" geprägt war, die bei einem genauen Blick die Menschenverachtung an allen Stellen durchschimmern lässt.