Kommentar

Die Wurzel des Problems

Jahrelang führte Salman Rushdie ein Leben unter Polizeischutz, weil eine islamische Fatwa zu seiner Tötung auffordert. Am vergangenen Freitag wurde der Autor während einer Veranstaltung attackiert und durch mehrere Messerstiche schwer verletzt. Die Wurzel des Problems ist das Negativ-Potential von Religion. Und ja, dieses Potential ist beim Islam derzeit ganz offensichtlich größer als bei anderen Religionen. Ein Kommentar von Daniela Wakonigg.

1988 verhängte der iranische Revolutionsführer Ayatollah Khomeini eine sogenannte "Fatwa" gegen den indisch-britischen Schriftsteller Salman Rushdie – eine Aufforderung an alle Muslime, Rushdie zu töten. Khomeini warf Rushdie vor, in seinem Buch "Die satanischen Verse" den Islam, den Propheten und den Koran beleidigt zu haben. Eine Tat, die nach Auffassung fundamentalistischer islamischer Rechtsgelehrter mit dem Tod bestraft werden muss. Jahrelang führte Rushdie danach ein Leben unter Polizeischutz.

Am vergangenen Freitag wurde der 75-jährige Rushdie im Ort Chautauqua im Westen des Bundesstaates New York nun auf offener Bühne Opfer einer Messerattacke. Während einer Veranstaltung, auf der Rushdie über die Verfolgung von Künstlern sprechen wollte, stürmte ein junger Mann auf die Bühne und stach mehrfach auf ihn ein. Rushdie wurde umgehend per Helikopter in ein Krankenhaus geflogen und notoperiert. Laut dem Manager des Autors wurde seine Leber beschädigt, Nervenstränge in seinem Arm durchtrennt und eines seiner Augen so verletzt, dass Rushdie es vermutlich verlieren wird.

In den meisten deutschsprachigen Medien war noch am Tag nach dem Attentat lediglich zu lesen, dass über das Motiv des umgehend verhafteten 24-jährigen Täters nichts bekannt sei. Was dem offiziellen Pressestatement der Polizei entsprach, jedoch trotzdem erstaunlich war, da den englischsprachigen Medien zu diesem Zeitpunkt bereits wesentlich mehr zu entnehmen war. Der Name des Attentäters ist Hadi Matar, er soll laut übereinstimmenden Medienberichten libanesischer Herkunft sein, wurde geboren in Kalifornien und ist jüngst nach New Jersey gezogen. Eine Quelle innerhalb der Strafverfolgungsbehörden bestätigte gegenüber NBC News, dass eine vorläufige Untersuchung von Matars Konten in den Sozialen Medien gezeigt habe, dass er mit dem Shia-Extremismus und den Islamischen Revolutionsgarden im Iran sympathisiere.

Auch wenn die Polizei also offiziell noch nichts über das Motiv des Täters verlautbaren ließ, dürfte das von vielen direkt nach der Tat angenommene Motiv daher doch das wahrscheinlichste sein: Salman Rushdie wurde attackiert, weil religiöse Fanatiker seine Ermordung zur heiligen Aufgabe erklärten und sich (wie leider viel zu oft) ein nützlicher Idiot fand, der sich fanatisieren ließ und diese Aufgabe ausführte – oder es immerhin versuchte.

Das Negativ-Potential von Religion

Die Reaktionen auf die Tat folgten dem üblichen Muster: Entsetzte Kommentare westlicher Politiker. Jubel bei den Medien des islamistischen Regimes im Iran und bei anderen Islamisten. Dazu rassistische Verteufelungen aller Muslime durch Rechte und Linke, denen es wichtiger ist, die rechten Rassisten zu kritisieren als das offensichtlich religiös-muslimisch motivierte Attentat zu verurteilen. 

Pardon, aber: So kommen wir nicht weiter. Es muss endlich möglich sein, die Wurzel des Problems zu benennen, ohne das Kind mit dem Bade auszuschütten. Selbstverständlich sind nicht alle Muslime mordwütige Fundamentalisten wie Hadi Matar & Co. und selbstverständlich ist eine grundsätzliche Diskriminierung von Muslimen und allen, die so aussehen, als könnten sie Muslime sein, deshalb nicht legitim. Doch ebenso selbstverständlich sind Attentate wie diese eben auch keine Einzeltaten eines Verwirrten, der nur zufällig Muslim ist. Die Wurzel des Problems heißt "Religion", präziser: das Negativ-Potential von Religion. Und ja, dieses Potential ist beim Islam derzeit ganz offensichtlich größer als bei anderen Religionen – auch wenn fundamentalistische Christen und Hindus durchaus daran arbeiten ihr diesbezügliches "Defizit" aufzuholen. 

Das Problem steckt aber auch in unserem Umgang mit Religion. Wer erfundene Geschichten nutzt, um Gewalt und Menschenrechtsverletzungen zu legitimieren, muss von jenen, die in der Realität zu Hause sind, unmissverständlich in die Schranken gewiesen werden. Auf Ebene des Einzelnen ebenso wie auf Ebene von Staaten mit religiös-fundamentalistischen Regierungen. Jedes Entgegenkommen, das Respekt gegenüber der menschenrechtsfeindlichen kollektiven Fantasiewelt zeigt, jedes freiwillige Verschleiern von Politikerinnenköpfen und jedes Verhüllen nackter Statuen bei Staatsbesuchen bestärkt die Gegenseite in ihrem Wahn, dass religiöse Regeln auch außerhalb der religiösen Sphäre allgemein zu gelten hätten und dass sie Respekt verdienten. Auch die in der westlichen Welt noch immer verbreiteten archaischen "Gotteslästerungsparagrafen" müssen deshalb dringend abgeschafft werden. In Deutschland fordert Paragraf 166 StGB religiöse Fanatiker geradezu dazu auf, auf die Barrikaden zu gehen, denn die Beschimpfung religiöser Inhalte ist nur dann strafbar, wenn sie geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören.

Wer erfundene Geschichten nutzt, um Gewalt und Menschenrechtsverletzungen zu legitimieren, muss von jenen, die in der Realität zu Hause sind, unmissverständlich in die Schranken gewiesen werden.

Als islamische Fanatiker 2015 ein Blutbad in der Redaktion der französischen Satirezeitschrift Charlie Hebdo anrichteten, wurde öffentlich darüber diskutiert, ob die Satiriker nicht vielleicht selbst Schuld an ihrer Ermordung seien, weil sie die religiösen Gefühle von Muslimen verletzt hätten. Genau dieser Haltung gilt es, entschieden entgegenzutreten und deutlich zu machen, dass unsere freie Gesellschaft in Gefahr ist, wenn wir vor Religionen einknicken. Kurz nach dem Attentat auf Charlie Hebdo veröffentlichte Salman Rushdie im Wall Street Journal einen Text, in dem er genau das klarstellte:

"Die Religion, eine mittelalterliche Form der Unvernunft, wird in Verbindung mit modernen Waffen zu einer echten Bedrohung für unsere Freiheiten. Dieser religiöse Totalitarismus hat im Herzen des Islams eine tödliche Mutation ausgelöst und wir sehen heute in Paris die tragischen Folgen. Ich stehe an der Seite von Charlie Hebdo, wie wir alle es tun müssen, um die Kunst der Satire zu verteidigen, die schon immer eine Kraft für die Freiheit und gegen Tyrannei, Verlogenheit und Dummheit war. 'Respekt vor der Religion' ist zu einem Codebegriff für 'Angst vor der Religion' geworden. Religionen verdienen, wie alle anderen Ideen auch, Kritik, Satire und, ja, unsere furchtlose Missachtung."

Unterstützen Sie uns bei Steady!