Orwell'sche Gedankenpolizei in Florida

Floridas Gouverneur Ron DeSantis hat den Staatsanwalt Andrew Warren suspendiert, da dieser "seine Pflichten vernachlässige" und geltendes Recht nicht umsetze. Warren zeigt sich schockiert, denn das Gesetz, auf das DeSantis anspielt, ist noch nicht einmal verabschiedet – und spricht von "orwell'scher Gedankenpolizei". Schon seit Monaten zündelt Floridas Staatschef mit rhetorischen Entgleisungen und konstitutionell dubiosen Gesetzesvorhaben.

"Lassen Sie mich eins klarstellen, es geht hier nicht um etwas, das ich getan habe. Es geht um Dinge, die ich gesagt habe. Die Statements, die ich unterschrieben habe, drücken meine Ablehnung gegenüber Gesetzen, die sich in diesem Moment in Arbeit befinden und durch die Verfassung garantierte Rechte der Bürger*innen Floridas beschneiden, aus", sagte der kürzlich geschasste Staatsanwalt Andrew Warren. Eines dieser Gesetze soll geschlechtsangleichende Eingriffe und andere, mit Transgeschlechtlichkeit assoziierte Behandlungen bei Minderjährigen unter Strafe stellen. "Ich werde also dafür bestraft, Gesetze nicht durchzusetzen, die noch nicht verabschiedet sind", fasst Warren die Vorgänge zusammen.

An dieser Stelle sei angemerkt, dass in vielen Bundesstaaten der USA, darunter auch Florida, Staatsanwält*innen vom Volk gewählt werden. Warren ist somit durch Votum seines Bezirks ernannt worden, nicht durch DeSantis' Gnaden. "Illegale Amtsanmaßung" nennt Warren die Prozedur daher und schreibt: "[Dieser Vorgang] ist Teil eines gefährlichen Plans von Ron DeSantis, das Amt des Gouverneurs zu seinem eigenen politischen Vorteil auszuschlachten. [Diese Entscheidung] ist ein Schlag ins Gesicht für die Wähler*innen in Hillsborough County, die mich zweimal gewählt haben, um ihnen zu Diensten zu sein, nicht Ron DeSantis."

Angriff aufs Klassenzimmer

Auch Floridas Bildungssektor ist nicht mehr sicher vor den ideologischen Fangarmen der republikanischen Partei. Mit einer neuen "Exzellenzinitiative" versucht DeSantis, die nächsten Generationen in seinem Sinne umzuerziehen.

"Zahlreiche Lehrende äußern Bedenken, da die Initiative, die dabei helfen soll, Schüler*innen zu 'tugendhaften Bürger*innen' zu erziehen, mit christlichen und konservativen Ideologien durchsetzt ist", berichtet der Miami Herald. "Die Philosophie des Christlichen Nationalismus war in jeden Aspekt eingebettet", beschreibt ein*e Lehrer*in den dreitägigen Kurs. Wer diesen vollständig absolviert, kann sich über einen Bonus von 3.000 US-Dollar freuen – Geld aus dem CARES Act von 2021, das eigentlich zur Abmilderung pandemiebedingter Notlagen gedacht ist.

In einem sehr informativen Twitter-Thread beschreibt Jeffrey Sachs, Politikwissenschaftler an der Acadia-Universität in Kanada, die elementaren Bausteine der vermeintlichen "Exzellenzinitiative" und wie sie sich in das eskalierende bildungspolitische Klima des Bundesstaates einfügen. Bereits im März dieses Jahres erließ Florida das sogenannte "Don't say gay"-Gesetz (zu deutsch: "Sag nicht, dass Homosexualität existiert"). Absurderweise kommt der Begriff "gay" im Gesetzestext kein einziges Mal vor, denn es geht gar nicht darum, das Wort selbst zu verbieten. Es geht darum, jede, wirklich jede Darstellung vermeintlich "sündigen" Verhaltens zu unterbinden.

Das bedeutet: Wer eine gleichgeschlechtliche Partnerschaft führt oder transgeschlechtliche Menschen kennt, darf das in Floridas Schulen möglicherweise bald nicht einmal mehr erwähnen. Möglicherweise, denn Floridas Lehrer*innen selbst bezeichnen das Gesetz als zu vage und die Strafen als zu drakonisch. Lehrenden "könnte sogar ihre Lizenz entzogen werden, wenn sie gegen dieses Gesetz verstoßen", sagte ein*e namentlich nicht genannte Repräsentant*in eines Schulverbands.

Das beste Denkverbot ist eines, das nicht mehr ausgesprochen werden muss

DeSantis Strategie reiht sich nahtlos neben Trumps jüngster Forderung, das US-Bildungsministerium zu zerschlagen, ein. Es ist ein Plan, der Jahrzehnte in die Zukunft denkt: Will die republikanische Partei auch 2040 noch regieren, muss sie jetzt Vorkehrungen treffen. Es braucht ein politisches Gegengewicht zu den in den allermeisten Fällen demokratisch wählenden, urbanen Ballungsräumen. Es braucht ein demographisches Gegengewicht zu den chronisch niedrigen Geburtenraten. Und es braucht, wie George Orwell richtigerweise vorhersagte, ein narratives Gegengewicht zur Wahrheit. "Es geht um die nächste Generation an Wähler*innen. Die Indoktrination, die wir gerade sehen, pflanzt den Samen für die kontinuierliche Kontrolle über die Institutionen", schreibt Anwältin Janai Nelson im Atlantic.

Dieses Narrativ muss, ja, darf nicht kohärent sein, wie Orwell in "1984" bereits darlegte, sondern muss sich in seiner Anwendung stets an die Gelegenheit des Moments anpassen lassen. Gesetzgebung, die die Freiheit der Lehre zu beschneiden gedenkt, ist stets absichtlich vage gehalten. Denn ihr primärer Zweck ist immer der gleiche: ein Klima der Angst und Unsicherheit zu schüren, das an Opposition gar nicht erst denken lässt. Das beste Denkverbot ist eines, das nicht mehr ausgesprochen werden muss.

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