Die Schweizerinnen und Schweizer sind heute religiös weniger gebunden als noch vor zehn Jahren. Damit setzt sich ein Trend fort, der bereits seit Längerem zu beobachten ist. Neben dem Glauben und der religiösen Praxis schwindet auch die Bindung an die christlichen Kirchen. Zu diesen Ergebnissen kommt eine aktuelle Studie, die das Schweizerische Pastoralsoziologische Institut (SPI) gemeinsam mit den Universitäten Lausanne und Luzern veröffentlicht hat.
Der zentrale Befund: Die Abkehr von der Religion vollzieht sich langsam, aber stetig. Jede neue Generation ist weniger religiös als die vorhergehende, Fachleute sprechen von einer "Kohorten-Säkularisierung". Hinzu kommt, dass in jeder Alterskohorte die Religiosität im Laufe der Zeit ein wenig abnimmt.
Die Großkirchen in der Schweiz verzeichnen seit Jahrzehnten einen steigen Mitgliederschwund. Betrug der Anteil der Protestantinnen und Protestanten 1970 noch insgesamt etwas mehr als 46 Prozent, sank er 2018 auf 24 Prozent. Die Quote der Katholikinnen und Katholiken ging im gleichen Zeitraum von 49 auf 37,23 Prozent zurück.
Auch christliche Praktiken und Rituale verlieren an Bedeutung. Hierzu zwei Beispiele: Gaben 1988 noch 42,6 Prozent der Befragten an, täglich zu beten, waren es 2018 lediglich 14,3 Prozent. Im selben Jahr wählte nur jedes dritte katholische Paar die kirchliche Trauung, 2011 waren es noch 44 Prozent gewesen.
Dagegen hat der Anteil der Menschen ohne religiöse Überzeugung in der Schweiz erheblich zugenommen. Lag er 1970 noch bei 1,2 Prozent, kommt die jüngste Befragung 2019 auf 29,5 Prozent. Die sozialdemografischen Merkmale dieser Gruppe wurden in der aktuellen Studie näher untersucht. Viele von ihnen haben einen Migrationshintergrund und sind keine schweizer Staatsangehörigen (18,4 Prozent, Vergleichsgruppe: 12,9 Prozent). Unter den Nichtreligiösen findet sich mit 40,6 Prozent ein relativ hoher Anteil von Hochschul- und Universitätsabsolventinnen und -absolventen, bei den Religiösen sind es nur 27,2 Prozent.
Bemerkenswert ist, dass es sich bei den Religionslosen nur zum Teil um Atheistinnen und Atheisten handelt. Lediglich 84 Prozent geben an, nicht an einen Gott zu glauben (Vergleichsgruppe: 27 Prozent). 38,2 Prozent von ihnen bezeichnen sich als "spirituell", das entspricht in etwa der Quote bei den Religiösen (38,3 Prozent).
Derweil genießen die Großkirchen in der Schweiz derzeit noch hohes Ansehen, Mitglieder und andere Religiöse bezeichnen sie als Einrichtungen mit wohltätigem Charakter. Doch die Mitgliederzahlen schwinden und von den Verbliebenen erwägt über ein Drittel den Austritt (38 Prozent der Katholiken, 38 Prozent der Protestanten). Erwartungsgemäß bringt auch die wachsende Gruppe der Konfessionsfreien den Kirchen nur wenig Vertrauen entgegen. Setzt sich dieser Trend fort, werde es zu einem weiteren Vertrauensverlust der Kirchen in der Bevölkerung kommen, so die Studie.
Bemerkenswert ist ferner, dass die Untersuchung keine erhöhte Zuwendung zu esoterischer Spiritualität verzeichnet. Die Werte hielten sich über den beobachteten Zeitraum auf gleichbleibendem Niveau. So halten weniger als 50 Prozent der Befragten es für wahrscheinlich oder sehr wahrscheinlich, dass "manche Wahrsager [die] Zukunft vorhersagen [können]", dass "manche Wunderheiler übernatürliche Kräfte [haben]", "Sternzeichen bzw. das Geburtshoroskop eines Menschen einen Einfluss auf den Verlauf seines Lebens [haben]" und dass "Glücksbringer tatsächlich manchmal Glück [bringen]". Zusammenfassend schreiben die Autoren Jörg Stolz und Jeremy Senn: "Generell kann man sagen, dass von einer deutlichen Zunahme holistischer Spiritualität – wie es die Rede von einer spirituellen Revolution suggeriert – aufgrund dieser Daten keine Rede sein kann."
Wird das Thema Religion in der Schweiz zur Randerscheinung? Das verneint die Studie entschieden. Vielmehr geht sie davon aus, dass sich die öffentliche Debatte von den Konfessionsstreitigkeiten früherer Jahrzehnte weiter auf einzelne politische Streitpunkte verlagern wird, etwa auf das Verhältnis von Kirche und Staat, aber auch auf spezielle Themen, wie es bereits beim Streit um den Bau von Minaretten und beim Burkaverbot 2021 zu beobachten war.
Die Studie mit dem Titel "Religionstends in der Schweiz" ist der vierte Band einer Reihe, die seit 1989 regelmäßig in etwa zehnjährigem Abstand quantitative religionssoziologische Untersuchungen zur Situation in der Schweiz veröffentlicht. Grundlage bilden die alle zehn Jahre durchgeführte Befragung "MOSAiCH" (Measurement of Social Attitudes in Switzerland) sowie andere Studien zur Religionslandschaft in der Schweiz.
3 Kommentare
Kommentare
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Schau an, die Eidgenossen kommen langsam aber sicher dahinter, daß Religion und Glaube
ein sinnloses Unterfangen ist und NUR Ressourcen verschwendet welche anderweitig besser eingesetzt wären.
noch realistische Dinge für wichtig erachten.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Ist das nicht ein weltweiter Trend?
Wolfgang am Permanenter Link
Da bekommen die Worte "Durch diese hohle Gasse muss er kommen" eine ganz andere
Bedeutung.