Neues Buch untersucht die Staatsleistungen und die Bemühungen, sie abzulösen

"Wenig Interesse an der Umsetzung eines Verfassungsauftrags"

Seit jeher standen die "Staatsleistungen" an die Kirchen in der Kritik der freidenkerischen Verbände. Schon die Weimarer Reichsverfassung forderte ihre "Ablösung". In den letzten Jahren hat die Debatte Fahrt aufgenommen, es gab einen fraktionsübergreifenden Gesetzentwurf und im Koalitionsvertrag der Ampel wird die Erledigung des Verfassungsauftrags in Aussicht gestellt. Wer nach Argumenten sucht, kann auf Christian Casutts vor kurzem erschienenes Buch "Den Bischof zahlt der Staat" zurückgreifen. Der hpd hat mit dem Autor gesprochen.

hpd: Die Kirchen erhalten ja auf vielen Wegen öffentliche Mittel. Was genau ist unter "Staatsleistungen" zu verstehen?

Christian Casutt: Staatsleistungen sind Zuwendungen an die Kirchen, die ihren Ursprung in Besitzübergängen aus dem 16. bis zum frühen 19. Jahrhundert haben, bei denen die Fürstentümer Ländereien und Vermögenswerte aus Kirchenbesitz übernommen haben. Es handelt sich also gewissermaßen um Kompensationszahlungen des Staates, der sich als Rechtsnachfolger der vormaligen deutschen Fürstentümer sah und sieht. Wegen des Alters dieser Zahlungen spricht man auch genauer von "historischen Staatsleistungen". Natürlich ist der Begriff der Staatsleistungen wesentlich komplexer, was im Buch entsprechend erläutert wird. Bis zum heutigen Tag entrichten die Bundesländer mit Ausnahme Hamburgs und Bremens diese Zuwendungen an die Kirchen, in jährlich steigender Betragshöhe. In diesem Jahr sind in Summe mehr als 600 Millionen Euro dafür in den Haushalten eingeplant.

Um welche Beträge geht es denn bei einer möglichen Ablösung?

Wie gesagt, heute reden wir über jährliche Zahlungen von 600 Millionen Euro. Für eine Ablösung der Staatsleistungen werden dann zweistellige Milliardenbeträge ins Spiel gebracht. Wenn wir aber auf das Jahr, in dem der Verfassungsauftrag erteilt wurde, Bezug nehmen und die damals anerkannten Ansprüche als Basis hernehmen, kommen wir auf einen aufzubringenden Ablösebetrag von nur rund 135 Millionen Euro – also deutlich weniger als was heute jedes Jahr an die Kirchen gezahlt wird. Dies hatte das Institut für Weltanschauungsrecht (ifw) anlässlich des Gesetzentwurfs im Jahr 2021 ermittelt. Der Betrag stellt die auf heutige Verhältnisse umgerechnete Summe der 1919 bezahlten Staatsleistungen der damaligen Länder an die beiden großen Kirchen dar, multipliziert mit dem entsprechenden Faktor aus dem deutschen Bewertungsgesetz.

Warum war das Thema der Sozialdemokratie so wichtig, dass sie es 1919 hat in die Verfassung schreiben lassen?

Es ging der Weimarer Sozialdemokratie um eine klare Trennung von Staat und Kirche, gerade auch in finanziellen Belangen. Durch dieses Engagement von SPD und DDP sind die sogenannten Religionsartikel in die Weimarer Verfassung gekommen, darunter vor allem der Artikel 137 Absatz 1 ("Es besteht keine Staatskirche") sowie der maßgebliche Ablöseartikel 138 Absatz 1 Satz 1 ("Die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften werden durch Landesgesetzgebung abgelöst"). Leider ist die heutige Sozialdemokratie in Bund und Ländern deutlich kirchenfreundlicher als zur Weimarer Zeit.

Cover

Welche weiteren Perspektiven außer der historischen müssen berücksichtigt werden, um die "Staatsleistungen" zu verstehen?

In meinem Buch beleuchte ich das Thema aus vier Perspektiven: der historischen, der politischen, der juristischen und der moralischen Perspektive. Aus jeder dieser Perspektiven ergeben sich verschiedene Ansätze für eine Ablösung der Staatsleistungen, die im Zusammenwirken erfolgsversprechend scheinen. Es wäre der Politik, die in der Causa entscheiden muss, angeraten, das Thema selbst ebenfalls auch unter historischen und moralischen Gesichtspunkten zu betrachten, um zu einem tragfähigen und auch für die säkularen Menschen in unserer Gesellschaft akzeptablen Ablösungsvorschlag zu kommen. Es darf keinesfalls zu Ablösebeträgen kommen, wie sie der fraktionsübergreifende Gesetzentwurf aus 2020 vorsah, der die Länder insgesamt mit 11 bis 20 Milliarden Euro belastet hätte.

Wenn es sich um eine Regelung handelt, die auf der Ebene der Bundesländer zum Tragen kommt, warum wird die Sache dann im Bundestag verhandelt?

Der Ablöseartikel der Weimarer Verfassung fordert die Länder zur Ablösung der Staatsleistungen auf (Artikel 138 Absatz 1 Satz 1). Der Bund (1919 das Reich) ist zugleich mit dem zweiten Satz des Ablöseartikels aufgefordert, zuvor Rahmenbestimmungen für diese Ablösung durch die Länder in einem Gesetz festzulegen. Dabei ist juristisch unklar, wie weit dieses Rahmengesetz des Bundes auf die Ländergesetzgebung einwirken darf, ob zum Beispiel eine bestimmte Betragshöhe der Ablösesumme direkt oder indirekt den Ländern vorgeschrieben werden kann.

Sie haben sich als Beispiel Rheinland-Pfalz vorgenommen. Ist das ein besonders typisches Land, was die "Staatsleistungen" angeht?

Ja, Rheinland-Pfalz ist Prototyp für eine sehr kirchenfreundliche Politik, die Nichtbeachtung des grundgesetzlichen Ablöseauftrags und die Zahlung von Staatsleistungen auf Basis von Konkordaten aus der Weimarer Zeit. Rheinland-Pfalz ist "Bindestrich-Land", Nachfolgeland unter anderem Preußens (für das Rheinland) und Bayerns (für die Pfalz). Der Aufbau der Landesverwaltung nach der Nazizeit begann quasi bei "null", vor allem fehlte wichtiges Archivmaterial, das die Ansprüche der Kirchen von Anfang an hätte eindämmen können. Viele Gesichtspunkte aus rheinland-pfälzischer Sicht, die ich meinem Buch detaillierter beschreibe, können sinnvoll auch auf andere Bundesländer übertragen werden.

Im Zuge Ihrer Recherchen haben Sie zwei Petitionen eingereicht und auch die Landtagsfraktionen angeschrieben. Wie waren die Reaktionen?

Eine Petition forderte den Landtag auf, auch ohne das Vorliegen eines Rahmengesetzes des Bundes die Ablösung der Staatsleistungen zu vollziehen. Bei der anderen Petition ging es um die sofortige Einstellung der Zahlungen für die "Pfarrbesoldung", die meiner Ansicht nach eine freiwillige Leistung des Staates darstellen und daher nicht zu den Staatsleistungen Stand 1919 gehören, allerdings unter dem Titel "Staatsleistungen" gewährt werden. Beide Petitionen wurden abgelehnt, zum Teil mit wachsweichen und fadenscheinigen Begründungen, die ich im Buch ausführe und kommentiere. Die Reaktionen der Landtagsfraktionen, die ich um ihre Einstellung zur Ablösung befragt habe, waren ernüchternd. Sie zeugten schlichtweg von wenig Interesse an der Umsetzung eines Verfassungsauftrags. Mir scheint, man möchte lieber die stetig steigenden Zahlungen an die Kirchen (2022 zahlt Rheinland-Pfalz 66 Millionen Euro) ad infinitum weiterzahlen und sich nicht mit ihren Repräsentanten anlegen.

Zum Schluss der Blick in die Glaskugel: Wird es in dieser Legislaturperiode zu einem Rahmengesetz für die Ablösung der Staatsleistungen kommen?

Vor Februar dieses Jahres war ich noch etwas hoffnungsvoll, heute nicht mehr. Es gibt derzeit so viele andere Prioritäten, dass ich nicht damit rechne, dass wir in dieser Legislatur ein Rahmengesetz des Bundes sehen werden. Zwar teilte mir das Bundesinnenministerium Mitte Oktober auf Anfrage mit, dass man nach Vorgesprächen im August dieses Jahres eine Arbeitsgruppe mit Vertretern der Länder, der Kirchen sowie Sachverständigen eingerichtet habe, aber ich bezweifle, dass diese Gruppe vor dem Hintergrund der komplexen Materie in Bälde zu einem brauchbaren Vorschlag kommt. Auch die Mitarbeit der Kirchenvertreter verheißt ein für die Steuerzahler*innen potenziell sehr kostspieliges Ergebnis, sodass ich mir nicht vorstellen kann, dass sich die Politik zutraut, damit in der derzeit angespannten Finanzlage an die Öffentlichkeit zu treten.

Die Fragen stellte Martin Bauer für den hpd.

Christian Casutt: Den Bischof zahlt der Staat. Über die Ablösung der Staatsleistungen an die Kirchen. Aschaffenburg 2022, Alibri, 136 Seiten, 12,00 Euro, ISBN 978-3-86569-358-7

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