Nach wie vor erhalten die beiden christlichen Kirchen jährlich dreistellige Millionenbeträge aus dem Staatshaushalt für Jahrhunderte alte Enteignungen. Ein weiterer Versuch zur Ablösung der sogenannten Staatsleistungen scheint nun vorerst gescheitert. Säkulare Rechtsexperten sind empört bis enttäuscht.
Auch nach über 100 Jahren Verfassungs-Verpflichtung geht es einfach nicht voran bei der Ablösung der altrechtlichen Staatsleistungen. Einen ersten Anlauf hatte die Opposition der letzten Regierungsperiode im Frühjahr 2020 unternommen und Gesetzentwürfe für ein Grundsätzegesetz vorgelegt. Diese wurden jedoch vom Parlament abgelehnt. Die aktuelle Ampel-Koalition hatte sich nun fest vorgenommen, diese verfassungsrechtliche Altlast, die noch aus der Weimarer Zeit stammt, endlich anzugehen.
Im vergangenen Sommer begannen nicht-öffentliche Verhandlungen zwischen Bund, Ländern und Kirchen. Säkulare Interessensvertreter wurden genauso wenig in die Gespräche einbezogen wie andere Bürgerinnen und Bürger, die zur Mitzahlung auch ohne Kirchenmitgliedschaft gezwungen sind, in Zeiten, in denen Menschen die Kirchen in immer neuer Rekordgeschwindigkeit verlassen. Jetzt wurde berichtet, dass die Verhandlungen aber nach einem knappen halben Jahr erst mal wieder beendet sind – und zwar von Seiten der Länder. Seit Januar habe man sich nach Informationen des Deutschlandfunks nicht mehr getroffen.
Die Welt schreibt in einem Artikel, alle 14 zahlenden Bundesländer seien "sich einig, dass auf den aktuellen Vorhaben zur Ablösung der Staatsleistungen kein Segen liegt". So drückte es Jörg Mielke, Leiter der Staatskanzlei von Niedersachsen, gegenüber der Zeitung aus und spricht damit für jenes Bundesland, das aktuell der Ministerpräsidenten-Konferenz vorsteht. Grund sind die außergewöhnlich hohen Belastungen für die Länderhaushalte, die mit der Umsetzung eines bundesdeutschen Grundsätzegesetzes auf Länderebene einhergegangen wären. Denn: Die Juristen, welche das Bundesinnenministerium bei Beratungen im Winter hinzuzog, sind von der Notwendigkeit einer astronomischen Einmalzahlung an die Kirchen zur rechtskonformen Ablösung der vertraglichen Zahlungsverpflichtungen überzeugt. Es ginge um ein 17- oder 18-Faches der jeweiligen jährlichen Summen, die sich von Bundesland zu Bundesland unterscheiden und die Jahr für Jahr anwachsen. Zusätzlich würden die Staatsleistungen aber noch für ein paar Jahre circa in der derzeitigen Höhe weiterbezahlt.
Diese Rechtsauffassung teilt das Institut für Weltanschauungsrecht (ifw) nicht. Sein Beirat Rolf Schwanitz, früherer Staatsminister im Bundeskanzleramt und im ifw unter anderem zuständig für Verfassungsrecht, hält es für "weder vermittelbar noch gerechtfertigt, diesem milliardenschweren einhundertjährigen Geldregen weitere Entschädigungszahlungen folgen zu lassen". Alle vorstellbaren Ausgleichsansprüche seien dadurch bereits abgegolten. "Alles andere wäre einfach unverhältnismäßig. Deshalb sollte bei der Bemessung der Ausgleichszahlungen die Anrechnung der Staatsleistungen seit 1919 zwingend in das Grundsätzegesetz aufgenommen werden. Die fiskalischen Belastungen der öffentlichen Hände dürften in diesem Bereich deshalb nahezu bei null liegen."
Hier müsste man also härter verhandeln. Doch das will man vermeiden: "Die Länder können keinerlei Interesse daran haben, das bewährt gute Verhältnis zu den Kirchen mit Finanzdiskussionen zu belasten", so der niedersächsische Staatskanzlei-Chef zur Welt. Also zahlen die Bundesländer lieber einfach weiter. Das sieht die stellvertretende Direktorin des Instituts für Weltanschauungsrecht, Jessica Hamed, äußerst kritisch und warnt: "Es sieht derzeit danach aus, dass der seit über 100 Jahren bestehende Verfassungsauftrag, die millionenschweren jährlichen Staatsleistungen an die Kirchen abzulösen, erneut unerfüllt bleibt. Das ist indes keine Option. Es ist nämlich ein Verfassungsgebot. Es scheint, als ob die Skandalösität des Vorgangs aber vielfach nicht erkannt wird."
Der Staatsleistungsexperte und Jurist Johann-Albrecht Haupt von der Humanistischen Union zeigt sich vor allem enttäuscht vom schnellen Verhandlungs-Aus. "Es sieht derzeit danach aus, als wollten die Länder überhaupt nicht mehr mitmachen. Das könnte der Vorwand für den Bund sein, ganz auszusteigen. Dann braucht auch er sich nicht weiter mit den Kirchen anzulegen. Und die Kirchen können damit rechnen, dass sie bis zum Ende aller Tage in wachsendem Maße staatliche Gelder bekommen: In 25 Jahren etwa wären wir bei 1 Milliarde Euro pro Jahr, bei einer angenommenen jährlichen Steigerung von 2 Prozent. Ob die Länder nicht merken, dass sie sich mit der Weiterzahlung ständig selbst ins Knie schießen?" Er vermutet, dass das vorzeitige Scheitern der Gespräche den Kirchen durchaus zupasskommen dürfte: "Dieses Ergebnis – und nicht etwa die Ablösung – wollen die Kirchen ohnehin. Wie bei den letzten 'Essener Gesprächen zum Thema Staat und Kirche' im vergangenen Jahr die Finanzdirektorin des Bistums Trier in erfreulicher Offenheit schon angesagt hat: 'Jegliche Ablösung der Staatsleistungen könnte die Haushaltssicherung [der Bistümer] kompromittieren.' Die Peinlichkeit, ein auch noch so gutes Ablösungsangebot des Staates ablehnen zu müssen, haben den Kirchen die Länder jetzt vermutlich abgenommen." Resigniert stellt er fest: "Allen Beteiligten ist, für jedermann erkennbar, eines gemein: die Verfassung ist ihnen ziemlich egal."
29 Kommentare
Kommentare
Michael Luft am Permanenter Link
Immer wieder der Begriff "Enteignung".
"Halte dumm und herrsche.", das ewige Machtprinzip, gerade von den Kirchen.
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Skandalös wie sich die Länder verhalten und wie diese mit unser aller Steuergeldern umgehen.
Es liegt kein Segen auf den Kirchen!!!
J.61 am Permanenter Link
"Skandalös wie sich die Länder verhalten und wie diese mit unser aller Steuergeldern umgehen."
Roland Weber am Permanenter Link
Hätten wir andere Politiker, dann würde die Sache entschieden - und nicht auf vermeintlicher Augenhöhe verhandelt!
Man kann sich an anderen Staaten durchaus auch mal ein Beispiel nehmen (Frankreich u.a.). So etwas wie in Deutschland gibt es nirgends. Da wird/wurde den Kirchen mitgeteilt, dass der Staat das kirchliche Eigentum - jedenfalls das "weltliche" wie Aktien, Immobllien etc. übernimmt bzw. den Grund der einst wohlwollend zur Wohlstandwahrung der Amtsinhaber gewährten Entschädigung als uminterpretierte strukturelle "Übererfüllung" beendet wird!
Auch ein Bundesverfassungsgericht, das zweifellos bemüht werden würde, könnte nur feststellen, dass der "Beendigungsanspruch" aufgrund fortlaufender Zahlungen nicht verjährt ist.
Keine Seite - Politiker-Kaste und Kirchen - will eine Änderung des verfassungswidrigen Zustandes - über die jeweiligen Motive kann sich jeder selbst Gedanken machen.
Roland Fakler am Permanenter Link
Wenn man weiß, wie die kath. Kirche in zwei Jahrtausenden zu ihrem Reichtum gekommen ist, muss es wie Hohn in den Ohren der Opfer klingen, dass sie auch noch Entschädigung verlangt.
Roland Weber am Permanenter Link
Hallo Roland,
ich freue mich immer, wenn ich einen Beitrag lese, wo es mal ins Theologisch-Kirchliche geht! Da steht man vor einem Wust an "Zumuntungs-Klöpsen", wie du recht auflistest!
Die theologische Botschaft eines Jesus ist ganz schmal gehalten! Sie passt auf einen Bierdeckel!
Erst mit ihrem Paulus - echte Briefe erst nach 140 u.Z. aufgetaucht (und deshalb keine Zeitzeugnisse) und weitere dazu gefälscht - und anschließend mit den nicht enden wollenden Dogmen formte die Kirche ein "Christenstum" vor dem sich ein echter Jesus mit Grausen abwenden müsste. Allein der Besuch einer katholisch geschmückten Kirche würde gewiss ausreichen ...
Immobilien, Aktienbesitz, Kirchensteuer, gar Entschädigung, gar ein Vertreter .. ach, du lieber mein Vater, ist das ein Graus, das hält doch kein Erlöser aus!
kommentator am Permanenter Link
Wenn man weiß wie der Staat zu seinen Reichtümern gekommen ist, dann auch.
Roland Fakler am Permanenter Link
Hier wäre eine detailiertere Kritik hilfreich.
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
All diese Fakten prallen ab an den indoktrinierten Gehirnen der Gläubigen und der Politiker,
da sich jeder davon Vorteile verspricht.
Klaus Bernd am Permanenter Link
„das bewährt gute Verhältnis zu den Kirchen mit Finanzdiskussionen zu belasten“
Darauf beruht also das bewährt gute Verhältnis:
- dass man in Straf- und Arbeitsrecht einen (Unrechts-) Staat im Staat duldet !
Findet sich den kein Bundesland, das dem Beispiel Bremens und Hamburgs folgen will ? Was muss das Grundlagengesetz denn anderes regeln als dass die Bundesländer das endlich regeln ?
Aber es „liegt ja KEIN SEGEN darauf“; wie auch, die Kirchen verweigern natürlich IHREN Segen !
Und immer wieder die Frage: Warum fordert denn niemand eine genaue Aufstellung, für was eigentlich Entschädigungen fällig sind ? Von den Kirchen natürlich !
Was muss denn noch alles geschehen oder nicht geschehen, um zu realisieren, dass diese Kirchen einfach nur skrupellos ihren Reichtum und ihre Privilegien verteidigen !
Rüdiger Pagel am Permanenter Link
Die Kirchen sind halt gut vernetzt .
Ich habe nichts Anderes erwartet.
Schade, aber es traut sich wohl keiner.
Aber das Grundgesetz schreibt es ja auch erst ca. 100 Jahre vor.
Hauptsache die Kirchen sind satt.
Rene Goeckel am Permanenter Link
Sie sind hervorragend vernetzt, die Tentakel reichen bis in den Kindergarten von Hintertupfing. Schlimm ist, dass Politiker mit Kirchenjobs den Kirchen unser Geld geben.
Edmund Schmidt am Permanenter Link
Ich vermute, auch die Nichtkirchenmitglieder haben weit überwiegend Kirchenmitglieder in die Parlamente gewählt.
Assia Harwazinski am Permanenter Link
Sehr guter Beitrag, auch für Rechtslaien!
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
@ Assia H. Das wäre so einfach, allein mir fehlt der Glaube an die Vernunft.
A.S. am Permanenter Link
Es gibt zu diesem Thema einen interessanten Artikel auf Welt+, leider nur mit einem Welt+ Abo zu lesen:
https://www.welt.de/politik/deutschland/plus244651612/Steuer-Millionen-fuer-Kirchen-Das-ist-geradezu-verfassungswidrig-absurde-Zahlungen-des-Staates.html?source=puerto-reco-2_ABC-V22.5.A_control
Der emeritierte Professor Bodo Pieroth könne für BASTA oder das ifw ein interessanter Gesprächspartner sein...
Ich jedenfalls bin der Ansicht, dass die Religionsführer weltweit nur an Macht und Geld interessiert sind und ihre Gläubigen an der Nase herumführen.
Wer will, kann ja die Probe auf's Exempel machen und mal versuchen, den religiösen Führern etwas Macht oder Geld weg zu nehmen. Die Reaktionen werden entlarvend sein.
Überhaupt muss man m.E. die Religionen nicht wiederlegen, sondern entlarven.
Zweiflerin am Permanenter Link
"Der emeritierte Professor Bodo Pieroth könne für BASTA oder das ifw ein interessanter Gesprächspartner sein" - Er ist bereits Mitglied im ifw: https://weltanschauungsrecht.de/bodo-pieroth
wolfgang am Permanenter Link
Pecunia non olet!
Herbert Thomsen am Permanenter Link
Die Amtskirchen sind Teil der staatlichen Infrastruktur, von den Kindergärten bis zur Erziehung zu Untertanen in Schulen, Hochschulen ...
Carsten Ramsel am Permanenter Link
Die Finanzierung der kirchlichen Kindergärten und Krankenhäuser hat mit der Ablösung der besonderen Staatsleistungen nichts zu tun. Dasselbe gilt für die Bischofsgehälter. Diese Kosten trägt der Staat zu 95% (s.
Martin Franck am Permanenter Link
Initial hatte jeder Fürst eine Fürsorgepflicht für seine Untertanen. Die Kirche legitimierte den Adel (Gottesgnadentum), und es gab noch keine Zivilehe, und viele Schulen etc. waren kirchlich.
So fing man schon vor zwei Jahrhunderten, in einigen Ländern Kirchensteuern einzuführen. Diese Kirchensteuer wurde auf Initiative des Staates eingerichtet und war von ihrem Ursprung her nur als zusätzliche Hilfsquelle für besondere Aufgaben einer einzelnen Gemeinde gedacht. Später wurden mit dem Ziel, zu einer Selbstfinanzierung der Kirchen und dementsprechend zu einer stärkeren Entflechtung von Staat und Kirche zu kommen, landesweite Kirchensteuern eingeführt.
Insofern war es nur konsequent mit dem Ende des 1. Weltkriegs, neben der Abschaffung des Adels, auch eine zunehmende Trennung von Staat und Kirche anzustreben.
Neben Staatsleistungen bezahlt man den Religionsunterricht. Zunehmend jedoch gibt es Probleme, genügend Religionslehrer zu finden, als auch die entsprechenden Schüler dazu. Manche Lehrer haben Probleme mit der Missio canonica. Sie wollen sich ihren Lebensstil nicht von der Kirche vorschreiben lassen.
Weniger Glück haben die Theologen auf der https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_von_katholischen_Theologen,_denen_die_Lehrerlaubnis_entzogen_wurde Liste von katholischen Theologen, denen die Lehrerlaubnis entzogen wurde. Der Staat finanziert die theologischen Fakultäten, aber hat kein Mitspracherecht, ob diese Theologen noch die Erlaubnis haben werden, neue Theologen auszubilden. Überall sonst gilt: Wer die Kapelle bezahlt, bestimmt was gespielt wird.
Nun muß der Staat rechtfertigen, wozu er seine Gelder ausgibt. Mit der zunehmenden Distanzierung der Steuerzahler von der Institution Kirche fehlt die Legitimation der Staatsleistungen. Wenn jetzt weniger als die Hälfte der Steuerzahler bereit sind, Kirchensteuer zu zahlen, so ist dies eine Abstimmung mit den Füßen. Man kann also höchstens noch die Hälfte der Staatsleistungen rechtfertigen. Der Staat zahlt also zurzeit mehr an die Kirche, als der Souverän (das Volk) zahlen möchte.
Die Höhe der Staatsleistungen ist völlig willkürlich. Manche Bundesländer zahlen nichts, andere sehr viel mehr pro Einwohner als andere. Gerade nach der Wiedervereinigung lag es sehr an dem Verhandlungsgeschick, denn an nachvollziehbaren Begründungen. Wo steht etwas von einer jährlichen Steigerung von 2 Prozent?
Alles, was eventuell an Begründung für Staatsleistungen mal zugetroffen haben könnte, ist jetzt schon längst abgegolten.
Jeder Politiker, der etwas von einer Ablösesumme spricht, sollte wegen seiner Inkompetenz korrigiert werden.
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
@Martin Franck, absolut richtig, besonders der letzte Satz.
Udo Endruscheit am Permanenter Link
Ich hätte da mal einen Vorschlag zum Fortgang der Causa:
Es wäre jetzt der richtige Zeitpunkt, das Reichskonkordat von 1933 aufzukündigen.
Wolfgang am Permanenter Link
"Die Worte hört ich wohl, allein mir fehlt der Glaube!! Johann Wolfgang von Goethe
J.61 am Permanenter Link
Kann man die Umsetzung des Verfassungsauftrags einklagen, um den Druck auf die baldige Erledigung erhöhen?
Für mich scheint es klar: das Thema landet sowieso irgendwann beim BVG, weil mindestens eine Oppositionspartei diesen Schritt gehen wird.
Entweder wird zuwenig bezahlt, dann klagen die Anhänger der Kirchen oder zuviel, dann klagen die Gegner.
Warum trägt man diese Aufgabe nicht gleich dem BVG an,
entweder im Einvernehmen der Beteiligten (als Feststellungsklage zur Höhe der Abfindung)
oder indem z.B. irgendein Bundesland feststellt, dass dieses Jahr die letzte Rate gezahlt wurde und es keine Ausgleichszahlung geben wird, dann kommt es "automatisch" vor das BVG.
Carsten Ramsel am Permanenter Link
Ich bin kein Jurist. Es würde mich allerdings wundern, wenn das Bundesverfassungsgericht zu der Höhe der Zahlungen eine Entscheidung träfe.
Art. 140 GG und Artikel 138(1) WRV lautet:
„Die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften werden durch die Landesgesetzgebung abgelöst. Die Grundsätze hierfür stellt das Reich auf.“
Wasserspender am Permanenter Link
Durch das ständige Schröpfen des Staates wurde der Staat und später der demokratische Staat jährlich geschwächt.
Roland Fakler am Permanenter Link
Geschwächt wurde die Demokratie vor allem dadurch, dass ein absolutistischer Staat (Vatikan) in die Lehrpläne pfuscht.
wolfgang am Permanenter Link
Ein schwacher Staat, der einen Gott in seiner Präambel braucht.